OWi I: Einspruch im OWi-Verfahren nur durch beA?, oder: Ja, sagt das AG Tiergarten?

© Paul – Fotolia.com

Und heute dann ein Owi-Tag. Den eröffne ich mit einer (weiteren) Entscheidung zur Frage: Einspruch gegen den Bußgeldbescheid per beA oder nicht? Das AG Hameln hatte die Frage im AG Hameln, Beschl. v. 14.02.2022 – 49 OWi 23/22 – verneint, das AG Tiergarten hat sie nun im AG Tiergarten, Beschl. v. 05.04.2022 – 310 OWi 161/22 – bejaht. Zur Begründung führt es aus:

„Dieser Rechtsbehelf ist mangels Wahrung der gesetzlichen Formvorschriften unwirksam und unzulässig.

Nach §§ 67, 110c Ordnungswidrigkeitengesetz in Verbindung mit § 32d Strafprozessordnung ist ein Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid ausschließlich als signiertes elektronisches Dokument über das BeA – Besondere Anwaltspostfach – und das beBPo – das besondere elektronische Behördenpostfach – zu übermitteln. Eine Übermittlung in Papierform oder als Telefax ist unzulässig.

Nur die Übertragung eines elektronischen Dokuments in eine elektronische Poststelle mit einer qualifizierten elektronischen Signatur im Sinne des Signaturgesetzes kann die Formvorschriften für einen Einspruch und dessen Begründung im Bußgeldverfahren erfüllen. Ein Telefax erfüllt die Kriterien für eine elektronische Datenkommunikation, die gesetzlich definiert ist, nicht.

§ 32d StPO normiert eine Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument für bestimmte Verfahrenshandlungen. Durch die entsprechende Anwendung aus § 110c und unter Berücksichtigung des § 110a Abs. 4 muss § 32d StPO im Bußgeldverfahren um den Einspruch und die Einspruchsbegründung, die Rechtsbeschwerde und die Rechtsbeschwerdebegründung ergänzt werden (vgl. Krenberger/Krumm, 6. Aufl. 2020, OWiG § 110c Rn. 13 bei beck online).

Werden die zwingenden Erklärungen in § 32d StPO Satz 2 nicht in elektronischer Form eingereicht, ist die jeweilige Erklärung mangels Wahrung der Form unwirksam (BeckOK StPO/Valerius, 41. Ed. 1.10.2021, StPO § 32d Rn. 4; Gassner/Seith, Ordnungswidrigkeitengesetz, OWiG § 110c Rn. 25, beck-online; Krenberger/Krumm, a.a.O.).

Soweit das Amtsgericht Hameln (Beschluss vom 14.02.2022 – 49 OWi 23/22, BeckRS 2022, 2579 beck online) die Ansicht vertritt, der Einspruch und die Einspruchsbegründung gegen einen Bußgeldbescheid seien nicht von der neuen Formerfordernis erfasst, eine zwingende Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs bestehe insoweit nicht, und eine Analogie zum Strafbefehlsverfahren zu begründen sucht, kann der Rechtsauffassung nicht beigetreten werden. Der Gesetzeswortlaut und der Gesetzeszweck lassen diese Auslegung nicht zu.

Der Gesetzgeber hat den Einspruch im Bußgeldverfahren schon deshalb als Anwendungsfall der zwingenden Formvorschrift gesehen, weil er explizit von diesem Formzwang eine Ausnahme formulierte, konkret zu § 335 HGB. In § 335 Abs.2a HGB in seiner Neufassung ist niedergelegt, dass auf die elektronische Kommunikation mit dem Bundesamt § 110c Satz 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten entsprechend anzuwenden ist, jedoch nicht in Verbindung mit § 32d der Strafprozessordnung. Eine Ausnahme des Gesetzgebers von der Anwendung einer Formvorschrift ist nur dann erforderlich, wenn es jene Formvorgabe tatsächlich gibt.

Die Gesetzbegründung nimmt auf diese Anwendungspflicht Bezug. In der Drucksache 18/9416 vom 17.08.2016 – Seite 36 – ist niedergelegt, dass durch die Vorschriften des neuen Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Straf- und Bußgeldsachen zur elektronischen Übermittlung von Dokumenten an Gerichte und Strafverfolgungsbehörden verpflichtet werden – sofern es keine Ausnahmeregelung in bestimmten Fällen gibt (wie zuvor in Bezug auf § 335 HGB aufgezeigt). Zu diesen Strafverfolgungsbehörden gehören auch die Behörden des Polizeidienstes, soweit diese Aufgaben im Bußgeldverfahren wahrnehmen.

Die Verteidigerin des Betroffenen ist die Formverletzung bekannt. Sie wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 15.02.2022 zum Vorgang (319 OWi) 3032 Js-OWi 1436/22 (139/22) ausdrücklich darauf hingewiesen, zugestellt am 21.02.2022. Wegen dieser ihrer Säumnis der Formvorgaben musste ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand am 28.02.2022 gestellt werden, dennoch handelte sie vorliegend am 01.03.2022 erneut und damit bewusst entgegen den Formvorschriften.“

Dieser Meinungstreit war zur erwarten. Folge: Als Verteidiger legt man auf jeden Fall per beA ein, das ist der sicherste Weg.

Aus dem AG-Beschluss ist mir die Passage betreffend Wiedereinsetzung unverständlich, und zwar doppelt. Einmal im Hinblick auf die Verteidigerin, die ja offenbar vom AG „gewarnt“ worden ist. Dann verstehe ich, warum man dann trotzdem nicht den Einspruch per beA einlegt. Andererseits: Diese „Dummheit“ wird man kaum dem Betroffenen anlasten können. Wenn das AG das meint, wäre das m.E. auch „unverständlich“.

7 Gedanken zu „OWi I: Einspruch im OWi-Verfahren nur durch beA?, oder: Ja, sagt das AG Tiergarten?

  1. Rechtsanwalt Thorsten Hein

    Dieser Meinungsstreit geht am Wortlaut des Gesetzes vorbei. § 32d S. 1 und S. 2 StPO normieren klar und unmissverständlich, welche Erklärungen per beA eingereicht werden MÜSSEN und welche es eben nur SOLLEN. Damit ist die Entscheidung des AG Tiergarten ein glatter Rechtsbruch.

    Der Verweis auf § 335 Abs. 2a HGB i. V. m. § 110c Abs. 1 OWiG ist unbehelflich, da hier i. E. auch nur auf § 32d StPO Bezug genommen wird. Dies wäre so nicht erforderlich, wenn § 32d StPO eine reine Muss-Vorschrift wäre.

    Auch Quatsch sind die Ausführungen des Amtsgericht, dass Rechtsanwälte verpflichtet wären, ihre Schriftsätze qualifiziert und elektronisch zu signieren. Wenn Rechtsanwälte ihre Schriftsätze mit ihrer eigenen (anwaltlichen) beA-Karte übersenden, ist die Signatur gerade nicht erforderlich. Anders nur, wenn sie mittels eine Mitarbeiterkarte versandt werden.

  2. RA Daniel Nowack

    Das praktische Problem an der Sache ist, dass m.E. die Berliner Bußgeldstelle noch gar kein beBPo hat. Ich lasse mich gerne eines besseren belehren, aber wie soll hier formwirksam eingelegt werden?

  3. Maste

    Unverständlich, schließe mich dem Kollegen Hein zu 100 % an. MÜSSEN steht nicht bei einem Einspruch gegen den BGB. Das ist doch arg konstruiert und erinnert mich irgendwie an die Widerspruchslösung des BGH…..

  4. Rechtsanwalt Thorsten Hein

    Ich bleibe dabei: wer aus einer „Soll“- eine „Muss“-Vorschrift macht, richtet am Gesetzeswortlaut vorbei. Und ein „Meinungsstreit“ verbietet sich hierüber. „Soll“ ist „Soll“ und „Muss“ ist „Muss“.

    Und anstatt ins HGB hätte der Richter einfach mal in andere Prozessordnungen schauen sollen. Vorschriften wie die § 130d ZPO, § 55d VwGO, § 52d FGO, § 46g ArbGG, § 65d SGG sowie Verweise wie in § 125a PatG finden sich weder in der StPO (außer § 32d S. 2 StPO), noch im OWiG. Jedwede Diskussion, ob der Gesetzgeber nicht doch eine NutzungsPFLICHT für Rechtsanwälte in Straf- und Bußgeldsachen außerhalb des § 32d S. 2 StPO hat einführen wollen, ist da für mich schlicht und ergreifend fernliegend.

    Der Hinweis auf die Gesetzesbegründung S. 36 ist ebenfalls aus dem Zusammenhang gerissen und wird irreführend wiedergegeben. Ersteres ergibt sich bereits daraus, dass die Fundstelle unter der Überschrift „Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft“ steht und lediglich den Aufwand für die Rechtsanwälte thematisiert, überhaupt die Infrastruktur dafür vorzuhalten, um ihrer Pflicht zur Nutzung elektronischer Kommunikationswege nachzukommen. Dass durch diese Gesetzesbegründung das „Soll“ in § 32d S. 1 StPO zu einem „Muss“ umformuliert werden sollte, liegt hier schlicht und ergreifend fern!

    Schlimmer noch: auf Seite 3 führte der Gesetzgeber aus: „Für die Rechtsanwaltschaft wird die aktive Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr in bestimmten Fällen ab dem Jahr 2022 verpflichtend sein.“ – er hat also klargestellt, dass es weiterhin Ausnahmen geben wird, so eben § 32 S. 1 StPO.

    Auf Seite 33 heißt es sogar: „Eine Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs soll aufgrund der Besonderheiten des Strafverfahrens – insofern teilweise abweichend von den Regelungen des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten – für Staatsanwaltschaften, Verteidiger und Rechtsanwälte nur für einzelne Verfahrenshandlungen vorgesehen werden. Im Bereich des elektronischen Rechtsverkehrs soll es den Ländern durch eine Länderöffnungsklausel ermöglicht werden, die Einführung bis zum 1. Januar 2020 zurückzustellen.“

    Auf Seite 50 heißt es dann speziell zu § 32d StPO: „Verteidiger und Rechtsanwälte als Vertreter von Verfahrensbeteiligten sollen aufgrund der Regelung in Satz 1 grundsätzlich verpflichtet sein, alle innerhalb eines Strafverfahrens zu übermittelnden Dokumente dem Adressaten als elektronisches Dokument zu übermitteln. Von dieser Regelpflicht zur elektronischen Kommunikation darf nur im Ausnahmefall abgewichen werden. Satz 2 sieht demgegenüber eine Rechtspflicht zur elektronischen Einreichung von Dokumenten nur für bestimmte Verfahrenserklärungen vor, die aufgrund der Besonderheiten des Strafverfahrens auf die hier abschließend aufgeführten Erklärungen beschränkt werden soll. Eine strenge Nutzungspflicht soll danach nur für solche schriftlichen Erklärungen bestehen, bei denen ausgeschlossen ist, dass sie in einer besonders eilbedürftigen Situation, in der zudem die für eine elektronische Kommunikation erforderliche Infrastruktur fehlen kann – etwa in einem Verhandlungs- oder Haftprüfungstermin – abzugeben sind. Dies ist insbesondere bei der schriftlichen Einlegung und Begründung von Rechtsmitteln und bei der Gegenerklärung der Fall.
    […]
    Soweit nach Satz 2 die Pflicht zur Einreichung elektronischer Dokumente besteht, handelt es sich um eine Form- und Wirksamkeitsvoraussetzung der jeweiligen Prozesshandlung. Ihre Nichteinhaltung bewirkt die Unwirksamkeit der Erklärung. Die Möglichkeit ihrer formgerechten Nachholung richtet sich nach allgemeinen Regeln, ebenso die Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die insbesondere bei Versäumnissen des Verteidigers in Betracht zu ziehen ist.

    Über S. 1 steht so etwas wie im letzten Absatz gerade nicht in der Gesetzesbegründung.

    Gemessen an dieser ausführlichen Begründung des Gesetzgebers speziell zu allen drei einzelnen Sätzen des § 32d StPO ist es – sorry – einfach lächerlich, wenn das AG Tiergarten hier sich lediglich auf den Abschnitt zum „wirtschaftlichen Aufwand“ Gesetzesbegründung beruft, hieraus einzelne Worte aus dem Zusammenhang reißt und – i. E. dogmatisch mangelhaft, aber in der Methode dieses Amtsrichters nur konsequent – nicht zitiert.

    Soweit der Amtsrichter über § 32d S. 2 StPO referiert, verkennt er dabei, dass es sich eben – s. o. – um eine abschließende Regleung handelt, der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid aber keins der in § 32d S. 2 StPO genannten Rechtsmittel, sondern eben nur ein Rechtsbehelf ist.

    Bleibt zu hoffen, dass der Betroffene diese Entscheidung nicht akzeptiert hat und sie durch höhere Gerichte überprüfen lässt.

    Die Frage, warum die Verteidigerin – die einzig den Interessen ihrer Mandantschaft verpflichtet ist – hier auch nach dem gerichtlichen Hinweis nicht sicherheitshalber ihre Schriftsätze auf elektronischem Wege eingereicht hat, steht auf einem anderen Blatt.

  5. RA Niemann

    Die Bußgeldstelle in Berlin ist nunmehr unter „Polizei Berlin Bußgeldstelle“ über beA erreichbar.

    Im Übrigen ist dem Kollegen Hein zuzustimmen. Die Regelung des § 32d StPO ist unmissverständlich und die Aufzählung in S. 2 abschließend. Das bedeutet aber noch lange nicht, das sich die Auffassung des AG Tiergarten nicht doch bundesweit durchsetzen kann…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert