Und als dritte Entscheidung dann ein Dauerbrenner aus dem Rechtsmittelbereich, nämlich der OLG Brandenburg, Beschl. v. 22.11.2021 – 1 OLG 53 Ss 97/21 – zur Frage der Anforderungen an die Urteilsgründe, wenn in der Berufungsinstanz dieselbe Strafe verhängt wird wie beim AG, obwohl weitere Milderungsgründe vorliegen.
Hier hatte das AG den Angeklagten wegen Beleidigung in 3 Fällen und wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung hat die Strafkammer des Landgerichts Neuruppin als unbegründet verworfen. Das OLG hebt auf die Revision im Strafausspruch auf:
„2. Der Rechtsfolgenausspruch hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
Die Strafzumessung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Die Strafkammer hat – insoweit rechtsfehlerfrei – zu Gunsten des Angeklagten ausgeführt, dass er sich – anders als im erstinstanzlichen Verfahren – nunmehr geständig eingelassen und auch reuig gezeigt habe. Diesem Umstand hat die Kammer jedoch mit Blick auf die erdrückende Beweislage und die Feststellungen erster Instanz nur ein geringes Gewicht beigemessen. Zu seinen Gunsten hat die Kammer aber in erheblicherem Umfang gewertet, dass der Angeklagte sich in eine psychotherapeutische Verhaltenstherapie begeben habe und diese nunmehr seit mehreren Monaten regelmäßig wahrnehme, um eine bessere Kontrolle über seine Impulsivität zu erlangen.
Gleichwohl hat die Strafkammer dieselben Einzelstrafen und dieselbe Gesamtfreiheitsstrafe festgesetzt, wie das Amtsgericht.
Dies ist in der vorliegenden Fallkonstellation erklärungsbedürftig. Die Bewertung der Tat und die Strafzumessung in der ersten Instanz sind zwar kein Maßstab für die Strafzumessung im Berufungsverfahren, weshalb eine Herabsetzung der Strafe im Fall der Verringerung des Schuldumfangs bzw. des Hinzutretens neuer Milderungsgründe nicht zwingend ist. Erforderlich ist aber eine Begründung. Der Angeklagte hat einen Anspruch darauf zu erfahren, warum er trotz Hinzukommens erheblicher Strafmilderungsgründe gleich hoch bestraft wird wie in der Vorinstanz (vgl. BGH NJW 1983, 54 und NStZ-RR 2013, 113; KG Berlin, Beschluss vom 7. Juli 1997 – [3] 1 Ss 124/97 [52/97] – m.w.N.; OLG München NJW 2009, 160; OLG Bamberg NStZ-RR 2012, 138 m.w.N.; KG Berlin, Beschluss vom 14. Juli 2020 – (4) 161 Ss 33/20 (43/20) –). Die besondere Begründung einer solchen Strafzumessung ist auch deshalb erforderlich, weil anderenfalls die spezialpräventive Wirkung der Verurteilung von vornherein in Frage gestellt sein kann. Wird in verschiedenen Abschnitten ein und desselben Verfahrens die Tat eines Angeklagten trotz unterschiedlicher für die Strafzumessung bedeutsamer Umstände ohne ausreichende Begründung mit der gleich hohen Strafe belegt, so kann auch bei einem verständigen Angeklagten der Eindruck entstehen, dass die Strafe nicht nach vom Gesetz vorgesehenen oder sonst allgemein gültigen objektiven Wertmaßstäben bestimmt wurde (vgl. BGH aaO; OLG München aaO). Eine Begründung der Verhängung einer identischen Strafe trotz wesentlicher Veränderung der für die Strafzumessung relevanten Gesichtspunkte ist allenfalls in Ausnahmefällen entbehrlich, in denen eine Gefährdung der spezialpräventiven Wirkung ausgeschlossen erscheint, weil etwa die durch den Vorderrichter verhängte Strafe offensichtlich im unteren Bereich des Vertretbaren gelegen hatte (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 7. April 2016 2 [6] Ss 110/16 – AK 41/16 [juris] m.w.N.; OLG Bamberg aaO m.w.N.). Eine solche Konstellation liegt hier aber gerade nicht vor.
Da das angefochtene Urteil eine entsprechende Begründung vermissen lässt, unterlag es der Aufhebung im Rechtsfolgenausspruch.“