StPO I: Nötigung ist nicht versuchte Vergewaltigung, oder: Rechtlicher Hinweis erforderlich

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Heute dann ein StPO-Tag, und zwar mit drei BGH-Entscheidungen.

Ich starte mit dem BGH, Beschl. v. 26.05.2021 – 4 StR 550/20. Nach längerer Zeit also mal wieder etwas zum rechtlichen Hinweis (§ 265 StPO),wobei der Schwerpunkt auf der Beruhensfrage liegt.

Das LG hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Nötigung, Freiheitsberaubung und Bedrohung verurteilt. Dagegen die Revision, die teilweise Erfolg hatte:

„Die Verurteilung wegen Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 StGB im Fall II. 1 der Urteilsgründe hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die Strafkammer insoweit gegen § 265 Abs. 1 StPO verstoßen hat und die Verurteilung nicht ausschließbar hierauf beruht.

a) Nach den Feststellungen packte der Angeklagte seine Ehefrau und warf sie auf das Ehebett, um sie dazu zu bringen, sich ihm „doch noch sexuell hinzugeben“. Obwohl seine Ehefrau das Bett verlassen wollte und sich lautstark wehrte, legte sich der Angeklagte auf sie und schob seine Hüfte zwischen ihre Beine. Wie von ihm beabsichtigt wurde seine Ehefrau dadurch dazu gezwungen, im Bett liegen zu bleiben und weitere Aufstehversuche zu unterlassen.

b) Die Revision beanstandet zu Recht, dass dem Angeklagten vor seiner Verurteilung wegen Nötigung nach 240 Abs. 1 StGB kein Hinweis gemäß § 265 Abs. 1 StPO auf einen möglichen Schuldspruch nach dieser Vorschrift erteilt worden ist. Ein solcher Hinweis war hier erforderlich, weil diese Verurteilung von der rechtlichen Würdigung in der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage abweicht (vgl. BGH, Urteil vom 15. Oktober 1979 ? AnwSt (R) 3/79, BGHSt 29, 124, 127; weitere Nachweise bei Kuckein/Bartel in KK-StPO, 8. Aufl., § 265 StPO Rn. 6). Darin war dem Angeklagten allein zur Last gelegt worden, sich der versuchten Vergewaltigung gemäß den § 177 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 6 Nr. 1, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB schuldig gemacht zu haben, indem er seine Ehefrau auf das Bett warf und sich auf sie legte, um mit ihr gewaltsam den Geschlechtsverkehr auszuüben.

Der Senat vermag auch nicht auszuschließen, dass der Angeklagte, der in der Hauptverhandlung von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat, bei gehöriger Unterrichtung eine andere und im Ergebnis erfolgreiche Verteidigungsstrategie gewählt hätte, sodass seine insoweit erfolgte Verurteilung auch auf dem Verstoß gegen § 265 Abs. 1 StPO beruht (zum Maßstab vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2020 – 5 StR 20/19 Rn. 11; Beschluss vom 14. Januar 2010 ? 3 StR 403/09 Rn. 6; Urteil vom 14. Februar 1995 – 1 StR 725/94, NStZ-RR 1996, 10 mwN). Zwar kann die Annahme einer anderweitigen Verteidigungsmöglichkeit im Einzelfall ausgeschlossen sein, wenn der unter Verletzung der Hinweispflicht ausgeurteilte Tatbestand von dem in der unverändert zugelassenen Anklage dem Angeklagten zur Last gelegten Tatbestand mit umfasst war und beide insoweit denselben Tatvorwurf betreffen (vgl. zu derartigen Konstellationen BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2017 – 3 StR 310/17, NStZ 2018, 159 zu § 30a Abs. 2 Nr. 2 / § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; Beschluss vom 10. August 2005 – 2 StR 206/05, NStZ-RR 2005, 376 f. zu § 250 Abs. 2 Nr. 1 / § 240 und § 246 StGB; Urteil vom 14. Februar 1995 – 1 StR 725/94, NStZ-RR 1996, 10; Urteil vom 15. Mai 1952 – 5 StR 130/52, MDR 1952, 532 bei Dallinger jeweils zu § 211 / § 212 StGB). Dies ist hier aber nicht der Fall. Denn Bezugspunkt für die dem Angeklagten von der Staatsanwaltschaft vorgeworfene versuchte Vergewaltigung war der ihm angelastete Tatentschluss, den Geschlechtsverkehr mit der Geschädigten zu erzwingen und dabei gegen sie auch Gewalt anzuwenden. Einen solchen Entschluss vermochte die Strafkammer aber nicht mehr festzustellen. Die erfolgte Verurteilung wegen (vollendeter) Nötigung stützt sich stattdessen auf die gewaltsame Fixierung der Geschädigten durch den Angeklagten auf dem Ehebett und betrifft damit einen anderen Tatvorwurf.

Die Aufhebung der insoweit verhängten Einzelstrafe zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.

Die Strafkammer hat in den Fällen II. 2 und 3 der Urteilsgründe lediglich die Tagesatzanzahl der verhängten Geldstrafe festgesetzt. Eine Entscheidung über die Tagesatzhöhe hat sie nicht getroffen. Dessen bedarf es aber auch dann, wenn ? wie hier ? aus Einzelgeldstrafen und einer Einzelfreiheitsstrafe eine Gesamtfreiheitsstrafe gebildet wird (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 2011 – 4 StR 690/10 Rn. 4 mwN). Dies wird der neue Tatrichter nachzuholen haben.“

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