Archiv für den Monat: Juni 2021

Pflichti II. Entpflichtung des Pflichtverteidigers, oder: Nur bei endgültig zerstörtem Vertrauensverhältnis

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Und als zweite Entscheidung nach dem „Wunderposting“ zum OLG Bamberg-Beschluss dann der BGH, Beschl. v. 17.05.2021 – 4 StR 654/19. Der ist dann wieder „Alltagsgeschäft, nämlich: Die Frage der Entpflichtung des Pflichtverteidigers. Hier hatte die Pflichtverteidigerin Entpflichtung beantragt, was die Vorsitzende des 4. Strafsenats des BGH mit den bekannten Argumenten abgelehnt hat.

„1. Die Anträge auf Aufhebung der Beiordnung von Rechtsanwältin S. werden zurückgewiesen.

a) Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist nur aufzuheben, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigten endgültig zerstört ist oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist ( § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO ). Eine ernsthafte Störung des Vertrauensverhältnisses muss der Angeklagte substantiiert darlegen. Pauschale, nicht näher belegte Vorwürfe rechtfertigen eine Entpflichtung nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 2021 ‒ 3 StR 424/20 ; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 143a Rn. 21 f.). Ein wichtiger Grund wird eher fernliegen oder gar ausgeschlossen sein, wenn die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses vom Beschuldigten schuldhaft herbeigeführt wurde (vgl. BGH, Urteile vom 26. August 1993 ‒ 4 StR 364/93 , BGHSt 39, 310, 314 f. ; vom 21. März 1979 ‒ 2 StR 453/78 ).

b) Danach ergibt sich weder aus dem Vorbringen der Anwältin K. noch der Rechtsanwältin S. ein Grund für deren Entpflichtung.

aa) Die von Anwältin K. in ihrem Schreiben vom 2. Februar 2021 erhobenen Vorwürfe, Rechtsanwältin S. habe Bestandteile der Verfahrensakte an Dritte weitergegeben, um dem Angeklagten zu schaden, und sie werde unter Druck gesetzt, um den Angeklagten nicht richtig zu verteidigen, entbehren jeder Grundlage. Zudem hat Rechtsanwältin S. beide Vorwürfe in ihrem Schreiben vom 3. Mai 2021 zurückgewiesen.

bb) Auch die von Rechtsanwältin S. in ihrem Schreiben vom 11. und 18. September 2019 vorgetragenen weiteren Gründe können keine Entpflichtung rechtfertigen. Der Angeklagte hat auch diese Umstände, die zur Störung des Vertrauensverhältnisses führten, bewusst allein verschuldet. Die Möglichkeit, die Organe der Justiz unter Einschluss des Pflichtverteidigers zu verunglimpfen und diesen mit offensichtlich unbegründeten Forderungen gerichtlich zu verfolgen, steht jedem Angeklagten faktisch unbegrenzt zur Verfügung. Könnte er damit die Auswechslung eines Verteidigers erzwingen, könnte er ein Verfahren ohne sachlichen Grund nahezu beliebig verzögern und blockieren (vgl. insoweit bereits BGH, Beschluss der Vorsitzenden vom 29. Juni 2020 ‒ 4 StR 654/19 ).

2. Eine Beiordnung von Anwältin K. aus H. als Pflichtverteidigerin des Angeklagten kommt nicht in Betracht.

Der Angeklagte hatte bereits mit Schreiben vom 29. April 2020 beantragt, ihm die Anwältin K. anstelle seiner Pflichtverteidiger F. und S. beizuordnen. Dieser Antrag wurde mit Beschluss vom 29. Juni 2020 abgelehnt. Mit Schriftsätzen vom 16. September, 22. Oktober und 9. November 2020 beantragte Anwältin K. erneut ihre Beiordnung als Pflichtverteidigerin, ohne ihren Antrag näher zu begründen.

Ist ein Antrag des Angeklagten auf Bestellung eines Pflichtverteidigers rechtskräftig abgelehnt worden ( § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO ), kann er einen neuerlichen Antrag nur auf Umstände stützen, die sich aufgrund einer wesentlichen Veränderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse ergeben haben (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2021 ‒ StB 17/21 Rn. 7).

Solches ist hier weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Besonderheiten im Ablauf des Revisionsverfahrens, welche einen Verteidigerwechsel gemäß § 143a StPO oder die Bestellung eines dritten Pflichtverteidigers nach § 144 Abs. 1 StPO notwendig machen könnten, liegen nicht vor. Für die Entscheidung über das Rechtsmittel sind keine ungewöhnlich schwierigen tatsächlichen oder rechtlichen Fragen aufgeworfen worden.“

Pflicht I: OLG Bamberg ordnet rückwirkend bei, oder: Wunder gibt es immer wieder

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Heute mache ich dann schon wieder einen Pflichtverteidigungstag. Dieses Mal aber nicht, weil sich so viele Entscheidungen angesammelt haben, sondern um eine Entscheidung vorstellen zu können, über die ich dann doch sehr erstaunt war.

Die Entscheidung kommt vom OLG Bamberg. Der ein oder andere wird sich jetzt vielleicht sagen: Das kann dann nichts Gutes sein. Dieses Mal hate er sich dann aber getäuscht, denn es ist etwas „Gutes“ und – zumindest für mich – auch eine überraschende Entscheidung aus dem Problemkreis: Rückwirkende Bestellung, nämlich:

Das OLG Bamberg hat im OLG Bamberg, Beschl. v. 29.04.2021 – 1 Ws 260/21– „rückwirkend bestellt. Der Angeklagte war vom Tatvorwurf des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge freigesprochen worden. Gegen das Urteil hatte die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Die Akten wurden der Berufungskammer am 06.10.2020 vorgelegt. Mit Schriftsatz vom 13.10.2020 zeigte sich Rechtsanwalt Dr. F. unter Vorlage einer Vollmacht als Verteidiger an und beantragte, seinem Mandanten als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden. Die bisherige Wahlverteidigerin erklärte gleichzeitig die Mandatsniederlegung. Mit Verfügung vom 15.10.2020, beim Landgericht eingegangen am 21.10.2020, erklärte die Staatsanwaltschaft dann die Rücknahme ihrer der Berufung. Das LG hat den Beiordnungsantrag zurückgewiesen. Das OLG Bamberg sieht das anders:

“ ….c) Teilweise wird die Ansicht vertreten, die rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers sei jedenfalls dann zulässig, wenn die Voraussetzungen für eine Beiordnung gemäß § 140 StPO vorlagen und die Entscheidung über den Beiordnungsantrag wesentlich verzögert wurde (OLG Nürnberg, Beschl. v. 06.11.2020 – Ws 962/20 m.w.N. bei juris; s. auch Meyer-Goßner/Schmitta.O. § 142 Rn. 20).

d) Der Senat schließt sich unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung (OLG Bamberg, Beschl. v. 15.10.2007 – 1 Ws 675/07 = NJW 2007, 3796 = VRS 113 Nr 121 = VRS 113, 344) der letztgenannten Ansicht auch für den hier vorliegenden Fall an, dass das Verfahren bereits seinen rechtskräftigen Abschluss gefunden hat, der Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung aber ordnungsgemäß vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde.

aa) Mit der Reform der §§ 141, 142 StPO durch das Gesetz zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 aufgrund der dieser Gesetzesänderung zugrunde liegenden Richtlinie 2016/1919/EU ist die Annahme eines Rückwirkungsverbotes nicht mehr tragfähig. Die rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers dient nun nicht mehr ausschließlich dazu, ihm für einen bereits abgeschlossenen Verfahrensabschnitt einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen, sondern mittelbar auch den Interessen eines Angeklagten oder Verurteilten an einer ordnungsgemäßen Verteidigung.

Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2016/1919/EU haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass Verdächtige und beschuldigte Personen, die nicht über ausreichende Mittel zur Bezahlung eines Rechtsbeistands verfügen, Anspruch auf Prozesskostenhilfe haben, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist. Über den rechtzeitigen und praktisch wirksamen Zugang zur Wahrnehmung der Verteidigerrechte hinaus (Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2013/48/EU) regelt die Richtlinie 2016/1919/EU nunmehr also auch die finanziellen Grundlagen und zwar in der Weise, dass nicht nur die tatsächliche Verteidigung, sondern auch die Bezahlung des Rechtsbeistandes gesichert werden soll (OLG Nürnberg a.a.O.). Die effektive Absicherung der Verfahrensbeteiligten würde unterlaufen, wenn eine Pflichtverteidigerbestellung nur deswegen versagt werden könnte, weil die Entscheidung hierüber zu einem Zeitpunkt getroffen wurde, an dem die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers obsolet geworden war und zwar unabhängig davon ob die Entscheidung verzögert getroffen wurde (OLG Nürnberg a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 142 StPO Rn. 20) oder nicht, wie im vorliegenden Fall. Durch die Schaffung des Unverzüglichkeitsgebots in § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass es seine Absicht war, jedem Beschuldigten ab der Eröffnung des Tatvorwurfs unabhängig von seinen finanziellen Verhältnissen die Möglichkeit der Einholung kompetenten, d.h. anwaltlichen Rats zwecks bestmöglicher Wahrnehmung seiner Interessen zur Verfügung zu stellen. Auch wenn es die Pflicht eines Verteidigers ist, ab dem Moment der Mandatsübernahme bestmöglich im Sinne des Mandanten tätig zu werden, so liegt doch die Befürchtung nicht fern, dass einzelne Verteidiger trotz Vorliegens der Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung und rechtzeitiger Antragsstellung bis zu Ihrer Bestellung nicht im gleichen Maße für ihren Mandanten tätig werden, wie dies bei einem Wahlverteidiger mit einem solventen Mandanten der Fall wäre, wenn sie befürchten müssten, letztlich keine Vergütung zu erhalten. Die Möglichkeit der rückwirkenden Beiordnung eines Pflichtverteidigers stellt sich somit als Instrument dar, um dem oder auch nur dem Verdacht eines solchen Verhaltens entgegenzuwirken.

bb) Für die Richtigkeit dieser Auffassung spricht auch die höchstrichterliche Rechtsprechung hinsichtlich der Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Warum für deren rückwirkende Bewilligung andere Voraussetzungen gelten sollten als für die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers, ist nicht ersichtlich.

Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kommt die rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe beispielsweise nach § 397a Abs. 2 StPO bzw. § 404 Abs. 5 Satz 1 StPO, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO grundsätzlich nicht in Betracht. Begründet wird dies damit, dass die Förderung eines noch nicht abgeschlossenen Verfahrens in Rede stehen muss. Aufgabe der Prozesskostenhilfe ist es nicht, finanziell bedürftige Personen für prozessbedingte Kosten oder dafür eingegangene Verpflichtungen nachträglich zu entschädigen. Nach Abschluss der kostenverursachenden Instanz kommt demgemäß die Bewilligung von Prozesskostenhilfe grundsätzlich nicht mehr in Betracht, was im Übrigen im Einklang mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20.07.2009 (a.a.O.) steht. Etwas anderes gilt aber ausnahmsweise für den Fall, dass (1.) vor rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens ein Bewilligungsantrag mit den erforderlichen Unterlagen gestellt wurde, der aber (2.) nicht bzw. nicht vorab verbeschieden wurde und (3.) der Antragsteller mit seinem Antrag bereits alles für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe Erforderliche getan hat (st.Rspr: vgl. zuletzt BGH Beschl. v. 18.03.2021 – 5 StR 222/20 m.w.N. [bei juris]). Der vorgenannten Rechtsprechung liegt die Überlegung zugrunde, dass nach dem Abschluss einer Instanz die ordnungsgemäße Vertretung eines Mandanten nicht mehr nachgeholt werden kann und eine nachträgliche Verpflichtung der Staatskasse daher regelmäßig ausscheidet. Der Rechtsprechung liegt weiter die Überlegung zugrunde, dass, sofern der Betroffene einen Antrag rechtzeitig gestellt hat und alle formalen Voraussetzungen für dessen Bewilligung erfüllt sind, es ihm und indirekt dem von ihm beauftragten Anwalt finanziell nicht zum Nachteil gereichen soll, dass aus von ihnen nicht zu vertretenden und einzig im Verantwortungsbereich der Justiz liegenden Umständen mit einer Entscheidung hierüber bis zum Abschluss der Instanz zugewartet worden war.

Die skizzierte Interessenlage ist im Falle der Bestellung eines Pflichtverteidigers die gleiche. Sachliche Gründe, die die unterschiedliche Behandlung eines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und eines Antrags auf Beiordnung eines Verteidigers rechtfertigen könnten, sind – auch vor dem Hintergrund, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Bestellung eines Pflichtverteidigers gleichwertige Alternativen darstellen, soweit es um die Verschaffung des Zugangs eines mittellosen Angeklagten zu professioneller Verteidigung geht – nicht ersichtlich.“

Tja, wer hätte damit gerechnet? Aber wie hat Ktja Ebstein in den 70-iger Jahren des vergangenen Jahrhunderts schon (so schön?) gesungen: „Wunder gibt es immer wieder.

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage, oder: Welche Gebühren bei/nach der Wiederaufnahme im OWi-Verfahren

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Am vergangenen Freitag ist es um die Frage: Ich habe da mal eine Frage, oder: Welche Gebühren bei/nach der Wiederaufnahme im OWi-Verfahren, gegangen.

Vor meiner Antwort hatte ich dann noch einmal nachgefragt, ob es sich wirklich um eine Wiederaufnahme i.e.S. (§ 85 OWIG) gehandelt hat oder ggf. nur um eine Wiedereinsetzung (§§ 44 StPO, 51 OWiG). Nachdem dann klar war, dass es sich tatsächlich um eine Wiederaufnahme gehandelt hat, konnte ich dann folgende Antwort geben:

„…..ok, dann gilt:

Vergessen Sie Teil 4 VV RVG – Sie sind im Bußgeldverfahren. Da geht es nur nach Teil 5 VV RVG.

Daher entsteht für die Tätigkeit im WA-Verfahren nur die Nr. 5110 VV RVG i.V.m. Vorbem. 5.1.3 VV RVG (dazu Burhoff/Volpert, RVG, Vorbem. 5.1.3 VV RVG Rn 11 ff.).

M.E. entsteht keine Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG (Burhoff/Volpert, RVG Vorbem. 5.1.3 VV RVG Rn 10. N.Schneider sieht das allerdings anders.

Im wiederaufgenommen Verfahren sind dann noch die Nr. 5109, 5111 VV RVG entstanden.

Außerdem 2 x die Nr. 7002 VV RVG.

Kopien je nach Anfall

Und die Nr. 7008 VV RVG.“

Und zu allem <<Werbemodus an>> – wenn ich ihn schon zitiere: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldverfahren, 6. Aufl. 2021, den man hier bestellen kann. <<Werbemodus aus>>

Corona II: Maskenpflicht bei Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs, oder: Wirksam

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Die zweite „Corona-Entscheidung“ kommt mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 11.06.2021 –2 Rb 35 Ss 94/21– auch aus Baden-Württemberg.

In der Entscheidung geht es um einen Verstoß gegen die Pflicht zum Tragen einer Masken bei Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs. Das AG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„Am 30.09.2020 gegen 15.00 Uhr fuhr die Betroffene in pp. A mit der S-Bahn 1. Auf Höhe der Haltestelle A wurde durch eine Polizeistreife im Zug festgestellt, dass die Betroffene ihre nichtmedizinische Alltagsmaske unter dem Kinn trug und sich mit einer Pinzette Barthaare am Kinn herauszupfte. Bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte die Betroffene ihr Fehlverhalten erkennen können und müssen.“

Das AG hat die Betroffene verurteilt. Die Verurteilung ist auf § 73 Abs. 1a Nr. 24 i.V.m. §§ 32, 28 Abs. 1 S. 1 Infektionsschutzgesetz und § 19 Nr. 2 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung – Corona-VO) vom 23.06.2020 (GBl. S. 483) in der am 30.09.2020 geltenden Fassung vom 22.09.2020 (GBl. S. 721) gestützt worden. Festgesetzt hat das AG eine Geldbuße von 100 EUR. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen hatte nur hinsichtlich der Höhe der Geldbuße Erfolg.

Die Entscheidung hat folgende (amtliche) Leitsätze:

  1. Das Infektionsschutzgesetz enthält mit den in §§ 28, 32, 73 Abs. 1a Nr. 24 getroffenen Regelungen eine ausreichende Ermächtigung für die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 Corona-VO BW angeordnete Beschränkung (Pflicht zum Tragen einer nicht-medizinischen Alltagsmaske oder vergleichbaren Mund-Nasen-Bedeckung bei Nutzung des öffentlichen und des touristischen Personenverkehrs) und deren Bußgeldbewehrung in § 19 Nr. 2 Corona-VO.
    2. Das bußgeldbewehrte Gebot des Tragens einer (nicht-medizinischen) Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Personenverkehr nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 19 Nr. 2 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung) vom 23. Juni 2020 (GBl. S. 483) in der am 30. September 2020 geltenden Fassung vom 22. September 2020 (GBl. S. 721) ist verfassungsgemäß.
    3. Soweit § 3 Abs. 1 Nr. 1 Corona-VO vom 23. Juni 2020 bei Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs das Tragen einer nicht-medizinischen Alltagsmaske oder einer vergleichbaren Mund-Nasen-Bedeckung vorschreibt, wird für jeglichen Aufenthalt in den namentlich aufgeführten Fahrzeugen des öffentlichen Personenverkehrs das durchgängige Tragen eine Mund-Nasen-Bedeckung angeordnet. Der Verordnungsgeber hat in § 3 Abs. 2 CoronaVO einzelne Ausnahmen von der durchgängigen Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in den in § 3 Abs. 1 genannten Orten (insbesondere im öffentlichen Personenverkehr) geregelt, dabei jedoch keine Ausnahme „bei Einhaltung eines Mindestabstands von über 1,5 Metern“ normiert. Eine solche Ausnahme gebot das Verfassungsrecht zum verfahrensgegenständlichen Zeitpunkt auch nicht.

Etwas anders als OLG Stuttgart v. 14.05.2021. Aber auch hier gilt: Man wird abwarten müssen, was vom BVerfG auf die Vorlage des Thüringer VerfGH, Beschl. v. 19.05.2021 – 110/20 – kommt.

Corona I: Aufenthaltsverbot, oder: OLG Stuttgart meint: Bußgeldbewehrung verfassungswidrig?

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Wer gedacht hat, dass Corona „vorbei ist“, der hat sich geirrt. Ebenso wie das Pandemiegeschehen nicht „vorbei ist“, gibt es auch immer wieder Entscheidungen zu Corona-Fragen. Zwei stelle ich heute vor.

An der Spitze der OLG Stuttgart, Beschl. v. 14.05.2021 – 1 Rb 24 Ss 95/21 – mit folgendem Sachverhalt:

Das AG Stuttgart hat den Betroffenen wegen „eines Verstoßes gegen ein Aufenthaltsverbot, das wegen der Corona-Pandemie den Aufenthalt mit mehr als 2 Personen, die nicht dem eige­nen Hausstand angehören, verbot“, zu einer Geldbuße verurteilt.  Der Betroffene hielt sich am 13.04.2020 an einem See in Stuttgart in einer „5-er Gruppe“ auf. Die Gruppe ging „mehrere hundert Meter“ spazieren. Die Gruppenmit­glieder hielten „dabei den Abstand von 1 Meter untereinander“ nicht ein. Die fünf Personen gehörten drei verschiede­nen Haushalten an. Das AG hat eine Geldbuße von 200 EUR festgesetzt.

Dagegen die Rechtsbeschwerde, die das OLG zugelassen hat. Auf die Rechtsbeschwerde ist dann das AG-Urteil aufgehoben und der Betroffen freigesprochen worden.

Hier die – nicht amtlichen – Leitsätze der Entscheidung, die wir schon im nächsten Monat im StRR vorstellen werden:

1. Die in § 32 Satz 1, § 28 Abs. 1 IfSG normierte Ermächtigung zum Erlass von Rechts­verordnungen, auf der die tatbestandliche Ausgestaltung der Bußgeldbestimmung in § 9 Nr. 1, § 3 Abs. 1 CoronaVO Baden-Württemberg beruht, ist mit verfassungs­rechtlichen Vorgaben nicht vereinbar.

2. Die der Verurteilung des Betroffenen zugrundeliegenden Bußgeldvorschriften in § 9 Nr. 1, § 3 Abs. 1 CoronaVO Baden-Württemberg sind mit verfassungsrechtli­chen Vorgaben unvereinbar; sie erweisen sich als Sanktionsvorschriften ohne jede Härtefallregelung als unverhältnismäßig und sind damit ungültig.

Das OLG sieht die anstehenden Fragen also anders als einige andere OLG:

„3. Der Senat ist an einer Divergenzvorlage (§ 121 Abs. 2 GVG) der landesrechtlichen Verordnungsvorschriften mit Blick auf die Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte außerhalb Baden-Württembergs gehindert (OLG Frankfurt a.M., Be-schluss vom 22. November 2011 – 3 Ws 836/11 -, juris, BeckRS 9998, 26155). In Bezug auf Entscheidungen des Oberlandesgerichts Karlsruhe (Beschlüsse vom 30. März 2021 – 2 Rb 34 Ss 1/21 und 2 Rb 34 Ss 2/21 -, juris) fehlt es vorliegend an der von § 121 Abs. 2 GVG vorausgesetzten (Entscheidungs-)Erheblichkeit (vgl. Kissel/Mayer/Mayer, a.a.O., GVG § 121 Rn. 22; KK-StPO/Feilcke, 8. Aufl., GVG § 121 Rn. 37 f. und 49; vgl. zur Entscheidungserheblichkeit auch BGH, Beschluss vom 27. September 2002 – 5 StR 117/02 -, juris, NStZ-RR 2003, 12). Hinsichtlich der abweichenden Meinung des 4. Bußgeldsenats des OLG Stuttgart im Beschluss vom 21. April 2021 — 4 Rb 24 Ss 7/21 —, juris, liegt eine Innendivergenz vor, aufgrund der eine Vorlage gleichfalls ausgeschlossen ist (Kissel/Mayer/Mayer, 10. Aufl., GVG § 121 Rn. 10, m.w.N.).“

Das OLG folgt mit seiner Entscheidung dem Ansatz des ThürVerfGH, der zwischenzeitlich die einschlägigen Fragen dem BVerfG vorgelegt hat (s. Beschl. v. 19.05.2021 – 110/20). Man darf gespannt sein.