Und als zweite Entscheidung stelle ich dann den OLG Zweibrücken, Beschl. v. 10.07.2020 – 1 OWi 2 SsBs 57/20 – vor, über den der Kollege Gratz vor einiger Zeit auch schon berichtet hat.
Problematik: Die Frage nach einer i.S. von § 74 Abs. 2 OWiG genügenden Entschuldigung für das Ausbleiben im Hauptverhandlungstermin. Hier war der Betroffene am 19.09.2019 zu einem bis Ende Juni 2020 geplanten Studienaufenthalt in die USA geflogen. Am 20.09.2019 wird ihm dann die Ladung zum Hauptverhandlungstermin im November 2019 zugestellt. Der Verteidiger beantragt mehrfach ohne Erfolg Verlegung. Als der Betroffene dann in der Hauptverhandlung ausbleibt, verwirft das Gericht seinen Einspruch. Die Rechtsbeschwerde hat dann aber beim OLG Erfolg:
„c) Die Rüge ist aber begründet, weil das Ausbleiben des Betroffenen in der Hauptverhandlung entschuldigt war.
aa) Eine genügende Entschuldigung liegt vor, wenn dem Betroffenen das Erscheinen unter Berücksichtigung der Umstände und der Bedeutung der Sache im konkreten Fall nicht zumutbar oder nicht möglich ist. Dabei ist von dem Grundsatz auszugehen, dass die Pflicht, aufgrund richterlicher Anordnung zu einem bestimmten Termin vor Gericht zu erscheinen, der Regelung beruflicher oder privater Angelegenheiten grundsätzlich vorgeht (Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 17. Aufl., § 74 Rn. 29 m.w.N.). Nur unaufschiebbare Geschäfte oder berufliche Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung sowie private Interessen, deren Zurückstellung für den Betroffenen mit gravierenden, insbesondere wirtschaftlichen Nachteilen verbunden wäre, können dazu führen, dass die öffentlich-rechtliche Pflicht zur Befolgung einer Ladung ausnahmsweise zurückzutreten hat (Senge in KK-OWiG, 5. Aufl., § 74 Rn. 32 m.w.N.). Erforderlich ist eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls (KG Berlin, Beschluss vom 23.06.1982 – 329 OWi 680/81, juris [OS]).
bb) Ein beruflich oder zu Zwecken der Ausbildung absolvierter Auslandsaufenthalt vermag das Ausbleiben eines Betroffenen nicht stets zu entschuldigen. Allerdings kann ein lange vor dem Termin gebuchter oder zumindest reservierter Auslandsurlaub die Annahme einer genügenden Entschuldigung rechtfertigen, sofern eine Abkürzung oder Unterbrechung des Auslandsaufenthalts unter Abwägung sämtlicher Umstände im Einzelfall unzumutbar erscheint (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 10.11.2011 – 32 Ss 130/11, BeckRS 2011, 26738; OLG Bamberg, Beschluss vom 07.09.2012 – 2 Ss OWi 834/12, juris Rn. 28). Hierbei ist zu beachten, dass in weniger bedeutsamen Bußgeldsachen die Belange des Betroffenen gegenüber der Pflicht zum Erscheinen mit stärkerem Gewicht in die Abwägung einzustellen sind. (Senge aaO. Rn. 32 m.w.N.).
cc) Nach diesen Grundsätzen war dem Betroffenen unter Berücksichtigung der im vorliegenden Fall maßgeblichen Umstände eine Teilnahme am Hauptverhandlungstermin vom 18. November 2019 nicht zuzumuten, weshalb seine Abwesenheit entschuldigt war.
(a) Der Betroffene hatte seine Hinreise in die USA bereits vor der nicht vor dem 20. September 2019 erfolgten Kenntnisnahme von der Terminladung gebucht und eine Zusage der amerikanischen Hochschule erhalten. Für die Prüfung der Zumutbarkeit des Erscheinens kommt es auf eine Verlegung des Auslandsaufenthalts – wie er in den häufig vorkommenden Fällen der Kollision des Hauptverhandlungstermins mit einer kurzfristigen Urlaubsreise in die Abwägung einzustellen ist (hierzu: KG Berlin, Beschluss vom 12.03.2018 – 3 Ws (B) 83/18, juris Rn. 5) – daher nicht an. Entscheidend ist vielmehr, ob dem Betroffenen eine kurzzeitige Unterbrechung seines Auslandsaufenthalts und die vorübergehende Rückkehr nach Deutschland zum Zwecke der Teilnahme an der Hauptverhandlung hätten zugemutet werden können. Das ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn der – vor allem finanzielle – Aufwand für eine Rückreise außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht und weder unter dem Gesichtspunkt eines drohenden Verlusts von Beweismitteln noch unter dem Gesichtspunkt einer drohenden Verfolgungsverjährung eine Hauptverhandlung vor dem geplanten Termin der Rückkehr nach Deutschland erforderlich ist (OLG Hamm, Beschluss vom 21.02.2012 – III-3 RBs 365/11, juris Rn. 8).
(b) Unabhängig von der Frage, ob eine – zwangsläufig mehrere Tage umfassende – Unterbrechung der Teilnahme an den Lehrveranstaltungen nach den von der Austauschuniversität vorgegebenen Bedingungen mit Nachteilen verbunden gewesen wäre, hätte der Betroffene für die notwendigen beiden Langstreckenflüge einen finanziellen Aufwand zu betreiben gehabt, der nach der Lebenserfahrung jedenfalls im vierstelligen Eurobereich gelegen und damit die Höhe der drohenden Geldbuße deutlich überstiegen hätte. Eine solche finanzielle Belastung trifft einen Studenten, der ein eigenes Einkommen (noch) nicht bezieht, in besonderer Weise. Hinzu kommt, dass das Amtsgericht ohne Weiteres eine Unterbrechung der Verjährung nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 OWiG durch eine vorläufige Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Betroffenen nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 205 StPO hätte herbeiführen können (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 21.02.2012 – III-3 RBs 358/11, juris Rn. 10). Einer Anberaumung von „Schiebeterminen“, wie vom Amtsgericht in den schriftlichen Urteilsgründen erwähnt, hätte es nicht bedurft. Ebenso ist nicht ersichtlich, dass durch eine Verschiebung des Hauptverhandlungstermins in den Juli 2020, mithin also um ca. 8 Monate, ein Beweismittelverlust gedroht hätte. Durch die – vom Betroffenen zu vertretene – Verlängerung des Verfahrens muss der erzieherische Zweck des Fahrverbots zudem nicht zweifelhaft werden (vgl. Senat, Beschluss vom 13.11.2017 – 1 OWi 2 Ss Bs 48/17, juris Rn. 5). Letztlich hebt der Umstand, dass im Bußgeldbescheid ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet und dem Betroffenen ein Regelfall i.S.d. BKatV zum Vorwurf gemacht wird, die Sache auch nicht aus der Masse der üblicherweise vorkommenden Verkehrsordnungswidrigkeiten heraus.
Nach alledem konnte dem Betroffenen eine Unterbrechung seines Studienaufenthalts zum Zwecke der Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht abverlangt werden.“
Gratulation liebes OLG – und diesmal hat es nicht erst das LVerfG gebraucht :). Ein weiterer Punkt, mit dem man sich nicht mehr auseinandersetzen musste (da das „ist zu teuer“ ja schon reichte), sind die mitunter komisch anmutenden Visabestimmungen der USA. Zumindest zu den Zeiten meines Studentenvisums (was jetzt deprimierenderweise auch schon eine zweistellige Jahreszahl her ist #ichaltersack) war es so, dass dieses ohne weitere erstmal nur zur einmaligen Einreise in die USA galt. Ohne weitere bürokratische Verenkungen wäre der Delinquent also womöglich garnicht mehr zurück zum Studium gekommen.
Ich hoffe aber mal, er hat die Tat tatsächlich nicht begangen / die Aussicht auf „Freispruch“ ist recht hoch. Sonst wäre es doch relativ unklug gewesen auf die Möglichkeit zu verzichten, dass Fahrverbot in den USA unbemerkt (mit Studentenvisum kann (bzw. konnte, s. o.) darf man einen Führerschein dort machen, und das bedeutet für Absolventen deutscher Fahrschulen einen halben Tag erstaunt-amusierter Langeweile) absitzen zu können. 🙂