OWI III: Die Fahrverbotsdauer und Anrechnung, oder: Vorläufige Entziehung in anderem Verfahren

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Und die dritte Entscheidung des Tages ist dann der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 12.11.2020 – 1 OWi 2 SsBs 146/20. Er behandelt eine Frage in Zusammenhang mit der Vollstreckung des Fahrverbots, nämlich die Frage der Anrechnung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis. Das AG hatte die vorläufige Entziehung aus einem anderen Verfahren angerechnet. Das geht nach Auffassung des OLG nicht:

„1) Die Voraussetzungen des § 25 Absatz 6 Satz 1 StVG liegen nicht vor.

Aus dem Tenor und dem dargestellten Vortrag des Verteidigers ist zu entnehmen, dass die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis in einem anderen Verfahren angeordnet wurde. Regelmäßig kann die Anrechnung der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis auf ein später angeordnetes Fahrverbot gemäß § 25 Absatz 6 Satz 1 StVG jedoch nur dann erfolgen, wenn beide Anordnungen im gleichen Verfahren – wenn auch nicht zwingend wegen derselben Tat – erfolgt sind (vgl. Haus/Krumm/Quarch, 2. Auflage, 2017, § 25 StVG Rn 62). Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Tatbestand des § 25 StVG in seiner Grundkonzeption dem Fahrverbot gemäß § 44 StGB nachgebildet ist (vgl. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, 26. Aufl. 2020, § 25 StVG Rn 1). Der Gesetzgeber hat schon bei der Einführung der Anrechnungsmöglichkeit einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis auf ein Fahrverbot im § 25 StVG ausdrücklich eine Anpassung an die diesbezüglichen Vorschriften des Strafgesetzbuches beabsichtigt (vgl. BT Drucksache V/4094, Seite 60, zu Artikel 83, zu Nummer 1). Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut besteht eine Anrechnungsmöglichkeit auf ein Fahrverbot im Sinne des § 44 StGB gemäß § 51 Absatz 5 iVm Absatz 1 StGB jedoch nur in den Fällen, in denen der Verhängung des Fahrverbots im gleichen Verfahren eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis voranging (vgl. MüKo StGB, 2020, § 51 StGB Rn 65f.). Es ist auch nicht ersichtlich, warum sich die Regelung zur Anrechenbarkeit bei einem Fahrverbot gemäß § 25 StVG von derjenigen bezüglich eines Fahrverbots gemäß § 44 StGB unterscheiden sollte. Sinn und Zweck sind identisch. Die Möglichkeit der Anrechnung trägt dem Gedanken Rechnung, dass eine im selben Verfahren erlittene Entziehung der Fahrerlaubnis durch seine Verbotswirkung den Zweck eines später angeordneten Fahrverbots im Sinne einer Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme (vgl. BT-Drucksache V/1319, 90) bereits erfüllt hat und dieses daher entbehrlich macht. Eine über den gesetzlichen Wortlaut des § 51 Absatz 1 StGB hinausgehende Anwendung der Vorschrift auf verfahrensfremde Fahrverbote, nur weil sie gemäß § 25 StVG und nicht gemäß § 44 StGB angeordnet wurden, wäre vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar. Die Beschränkung der Anrechenbarkeit von Nebenfolgen auf Anordnungen im selben Verfahren entspricht der Regel. Auch der Bundesgerichtshof hat seine Rechtsprechung zum einheitlichen Fahrverbot in Bußgeldverfahren auf die Fälle beschränkt, in denen mehrere, tatmehrheitlich entstandene Fahrverbote im selben Verfahren verhängt werden müssten (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2015, Az. 4 StR 227/15 in BGHSt 61, 100). Eine Verrechnung mit Fahrverboten aus anderen Verfahren ist auch hier nicht möglich.

Eine verfahrensübergreifende Anrechnung einer zuvor zu Unrecht erlittenen Nebenfolge auf eine nunmehr angeordnete Nebenfolge als Kompensation wäre überdies gesetzesfremd. Eine Entschädigung für zu Unrecht angeordnete Sanktionen erfolgt ausschließlich im Rahmen der Regelungen des Strafrechtsentschädigungsgesetzes. Auch bei anderen Entziehungsmaßnahmen kennt das Gesetz eine solche verfahrensübergreifende Kompensation nicht. Dies gilt umso mehr, weil § 25 Absatz 6 StVG keine Unterscheidung zwischen rechtmäßig und unrechtmäßig erlittener Entziehung der Fahrerlaubnis trifft, eine solche Kompensation jedoch nur in solchen Fällen angebracht wäre, in denen die entziehende Maßnahme zu Unrecht erfolgte oder über die später verhängten Maßnahmen (Fahrverbot oder endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis mit kürzer Sperrfrist) hinausging.

2) Vorliegend kam auch keine analoge Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Anrechenbarkeit verfahrensfremder Untersuchungshaft bei potentieller Gesamtstrafenfähigkeit auf die Regelung des § 25 Absatz 6 StVG in Betracht. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach klargestellt, dass mit Blick auf die Bedeutung des Freiheitsrechts aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 GG verfahrensfremde Untersuchungshaft über den eigentlichen Anwendungsbereich des § 51 Absatz 1 StGB hinaus jedenfalls dann auf eine Freiheitsstrafe anzurechnen ist, wenn zumindest eine potentielle Gesamtstrafenfähigkeit der Strafe, auf die die Untersuchungshaft angerechnet werden soll, besteht (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. September 1998, Az. 2 BvR 2232/94 in NStZ 1999, 24; Kammerbeschluss vom 15. Dezember 1999, Az. 2 BvR 1447/99 in NStZ 2000, 277; Einstweilige Anordnung vom 25. April 2001, Az. 2 BvQ 15/01 in NStZ 2001, 501). Hiernach ist eine Anrechnung von Untersuchungshaft immer dann geboten, wenn zwischen der die Untersuchungshaft auslösende Tat und der Tat, die der Verurteilung zugrunde liegt, ein funktionaler Zusammenhang oder sachlicher Bezug besteht (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 15. Dezember 1999, aaO; Kammerbeschluss vom 15. Mai 1999, Az. 2 BvR 116/99 in NStZ 1999, 477; BGH, Beschluss vom 16.06.1997, Az. StB 30/96 in BGHSt 43, 112). Dies gilt auch bei einer Gesamtstrafenbildung bzw. einer potentiellen Gesamtstrafenfähigkeit in den Fällen, in denen eine Gesamtstrafenfähigkeit der getrennt geführten Verfahren grundsätzlich bestand, der Verurteilte in dem Verfahren, in dem er Untersuchungshaft erlitt, jedoch später freigesprochen wurde (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 15. Dezember 1999, aaO; Einstweilige Anordnung vom 25. April 2001, Az. 2 BvQ 15/01 in NStZ 2001, 501; OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11. Oktober 2012, Az. 2 Ws 198/12 nach juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 26. Juni 2013, Az. 3 Ws 478/13, nach juris; KG Berlin, Beschluss vom 21. Juni 2018, Az. 4 Ws 75 – 76/18, nach juris). Diese Grundsätze rechtfertigen jedoch nicht die Anrechenbarkeit einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis auf ein später angeordnetes Fahrverbot. Nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts berührt die Entscheidung über die Anrechnung erlittener Untersuchungshaft auf die zeitige Freiheitsstrafe die durch Artikel 2 Absatz 2 GG verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheit der Person. Dieses Freiheitsrecht beeinflusst als objektive, für alle Bereiche des Rechts geltende Wertentscheidung auch die Auslegung und Anwendung des § 51 Absatz 1 StGB, so dass ein sich lediglich auf den Wortlaut der Vorschrift berufendes, formalistisches Verständnis dieser Norm der Bedeutung und Tragweite des Freiheitsgrundrechts nicht genügt. Es ist vielmehr erforderlich, die der Rechtsvorschrift zugrundeliegenden Wertung aus der gesetzgeberischen Vorgeschichte – Untersuchungshaft, soweit sie überhaupt in einem Zusammenhang mit einer verhängten Strafe steht, möglichst umfassend anzurechnen – bei ihrer Auslegung zugrunde zu legen (vgl. Begründung des BVerfG im Beschluss vom 15. Dezember1999, Az. 2 BvR 1447/99 a.a.O.). Diese Ausgangslage ist mit der Anrechnung einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis auf ein Fahrverbot nicht zu vergleichen. Zum einen berührt das vorübergehende Verbot ein Kraftfahrzeug auf öffentlichen Straßen zu führen – sei es in Form eines Fahrverbots oder einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis – kein verfassungsrechtlich geschütztes Freiheitsrecht, das die Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Normen über ihren Wortlaut hinaus rechtfertigen würde, sondern lediglich die allgemeine Handlungsfreiheit (Artikel 2 Absatz 1 GG). Zum anderen liegt der Vorschrift über die Anrechenbarkeit einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis auf ein Fahrverbot auch keine mit der Untersuchungshaft vergleichbares Gebot einer möglichst umfassenden Anrechnung zugrunde. Eine verfahrensübergreifende Anrechnung ist daher beim Fahrverbot nicht verfassungsrechtlich geboten. ….“

Und dann hier auch mal: <<Werbemodus an>> und der Hinweis auf die bald erscheinende 6. Aufl. von Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche Bußgeldverfahren. Vorbestellung dann hier. <<Werbemodus aus>>

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