Die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.06.2019 – (2 B) 53 Ss-OWi 244/19 (89/19), ist eine „Fahrverbotsentscheidung“. Das AG hatte vom einem Fahrverbot abgesehen und das wie folgt begründet:
„Von der Verhängung des Fahrverbots hat das Gericht in Würdigung der Tatumstände sowie der Persönlichkeit des Betroffenen und seiner wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse abgesehen. Für den Betroffenen, welcher bis zur Tat auch straßenverkehrsrechtlieh noch nicht in Erscheinung getreten war, würde ein Fahrverbot zum einen eine unverhältnismäßige Härte darstellen. Er ist existenziell auf den Führerschein angewiesen, da er zum einen zum Erreichen seines 57 km entfernt liegenden Arbeitsortes auf die ständige Nutzung seines PKW als Selbstfahrer angewiesen ist, zudem ist er regelmäßig beruflich deutschlandweit tätig und auch hierbei auf seinen PKW angewiesen. Dies hat er durch Vorlage des exemplarischen Ausdrucks seiner umfangreichen Tätigkeitsnachweise/Fahrtenbuchausdrucke für die Zeit vom Januar bis Mai 2018, welche zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wurden, belegt (Blatt 63 bis 68 der Akte). Die mit einem Fahrverbot verbundenen wirtschaftlichen Auswirkungen für den Betroffenen stünden in keinem Verhältnis zu der hier zu ahndenden Ordnungswidrigkeit und wären auch nicht hinnehmbar.
Eine anderweitige Überbrückung des Fahrverbots steht dem Betroffenen nicht zur Verfügung.
Darüber hinaus hat sich der Betroffene auch intensiv mit seinem Verhalten im Straßenverkehr auseinandergesetzt und diesbezüglich eine zeit- und kostenintensive Maßnahme zur Fahreignung (,,avanti – Fahrverbot“ des Nord-Kurs – TUV NORD GROUP) absolviert (Blatt 74/75 der Akte). Eine solche Maßnahme stellt zwar nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung allem keinen Grund dar, vom Regelfahrverbot abzusehen, hier kommen aber weitere Gesichtspunkte hinzu – die oben dargestellte besondere persönliche Härte; der Umstand, dass seit der Tat inzwischen 15 Monate verstrichen sind-, welche in der Gesamtbetrachtung ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen.“
Gemäß § 4 Abs. 4 BKat hat das Gericht wegen des Absehens vom Fahrverbot und der Voreintragungen des Betroffenen im Fahreignungsregister die Geldbuße angemessen von 240,00 € auf 300,00 € erhöht. Eine weitere Erhöhung der Geldbuße sah das Gericht hier in der Gesamtschau aller Tat- und Schuldumstände, insbesondere auch des Nachtatverhaltens des Betroffenen, als nicht angezeigt an.“
Das passt der StA natürlich nicht, die Rechtsbeschwerde eingelegt und damit auch hinsichtliche des Fahrverbotes beim OLG Erfolg gehabt hat:
„2. Die Urteilsgründe tragen weiter nicht die Entscheidung, von der Anordnung eines Fahrverbotes abzusehen.
Die Staatsanwaltschaft Cottbus hat dazu in ihrer Beschwerdebegründung 20. Februar 2019 weiter ausgeführt:
„Zur Ahndung der in Rede stehenden Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit sieht der Bußgeldkatalog gemäß § 24 StVG i. V. m. Nummer 11.3.8. der Tabelle 1c) des Anhangs zum Bußgeldkatalog eine Geldbuße von 240 Euro sowie die Verhängung eines Fahrverbotes für die Dauer von 1 Monat vor.
Nach den Vorgaben des Verordnungsgebers ist grundsätzlich – soweit, wie hier, der Tatbestand des § 4 Abs. 1 BKatV erfüllt ist – das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne des § 25 Abs. 1 S. 1 StVG indiziert, so dass es in diesen Fällen regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbotes bedarf. Von der Anordnung eines Fahrverbots ist nur abzusehen, wenn ein Verkehrsverstoß nicht auf einer groben Verletzung von Pflichten eines Kraftfahrzeugführers, sondern lediglich auf einer augenblicklichen Unaufmerksamkeit beruht, die jedem sorgfältigen und pflichtbewussten Verkehrsteilnehmer einmal unterlaufen kann. Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich.
Im Übrigen darf von einem Fahrverbot nur abgesehen werden, wenn unter Anlegung strenger Maßstäbe besondere Umstände äußerer oder innerer Art das Tatbild beherrschen bzw. das Fahrverbot eine Härte ganz ungewöhnlicher Art darstellen würde.
Das Gericht hat dem Betroffenen bei der Verhängung eines Fahrverbotes eine unverhältnismäßige Härte zugebilligt und dies in erster Linie damit begründet, dass er existentiell auf seine Führerlaubnis angewiesen sei, weil er zum Erreichen seines 57 km entfernt liegenden Arbeitsortes auf die ständige Nutzung seines PKW als Selbstfahrer zurückgreifen müsse sowie regelmäßig deutschlandweit tätig und auch aus diesem Grunde auf seinen PKW angewiesen sei.
Die Erwägung, das Fahrverbot gefährde den Betroffenen in seiner wirtschaftlichen Existenz, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Eine besondere Härte kann zwar aus wirtschaftlichen Gründen vorliegen. Dies gilt aber nur dann, wenn nachweislich schwere wirtschaftliche Schäden drohen, etwa der Verlust des Arbeitsplatzes oder die Vernichtung der beruflichen Existenz (Bbg. OLG, 2. Strafsenat, Beschluss vom 27. März 2014 (2 B) 53 Js-OWi 129/14 (67/14)). Ob eine derartige Konstellation gegeben ist, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Allein der Umstand, dass der Betroffene „Vielfahrer“ ist, und nur dies findet sich im Urteil hierfür als der in erster Linie maßgebliche Aspekt, rechtfertigt nicht das Absehen vom Regelfahrverbot.
Dem Betroffenen ist grundsätzlich zuzumuten, Nachteile, die sich für ihn aus der Verhängung des Fahrverbotes ergeben, durch ihm zumutbare Maßnahmen zu kompensieren, z. B. durch die Inanspruchnahme von Urlaub. Das Urteil leidet in diesem Kontext an wesentlichen Darstellungsmängeln. Insbesondere ist nicht geprüft worden, ob der Betroffene die Dauer des einmonatigen Regelfahrverbotes durch die Inanspruchnahme von Urlaub oder Fahrern aus dem Kreis der Verwandten, Bekannten, Studenten bzw. Arbeitslosen zu überbrücken vermag oder ihm dies durch eine Kombination dieser beiden Varianten, gegebenenfalls unter Inanspruchnahme eines Ratenkredits (Bbg. OLG aaO), möglich ist. Dabei ist auch in den Blick zu nehmen, dass ihm die Regelung des § 25 Absatz 2a StVG hierfür einen zeitlichen Rahmen von 4 Monaten einräumt.
Auch die Teilnahme an einer Maßnahme zur Förderung der Fahreignung kann weder für sich genommen noch im Zusammenhang mit den wenigen zusätzlichen, vom Bußgeldrichter für den Betroffenen angeführten Umständen, die Abstandnahme vom Fahrverbot rechtfertigen (OLG Bamberg, . Beschluss vom 17.03.2008 – 2 Ss OWi 265/08 – BeckRS 2008, 08851; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 12.05.2017 – 1 OWi 2 Ss Bs 5/17 – BeckRS 2017, 120482). Entgegen den bußgeldrichterlichen Erwägungen kann dem Aspekt bisheriger straßenverkehrsrechtlicher Unauffälligkeit des Betroffenen in diesem Zusammenhang schon im Hinblick darauf kein Gewicht beigemessen werden, dass die Regelsätze des Bußgeldkatalogs nach § 3 Abs. 1 BKatV Voreintragungen nicht berücksichtigen. Dies gilt, wie sich im Umkehrschluss zu § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV entnehmen lässt, auch für das Regelfahrverbot. Im gegebenen Falle kommt hinzu, dass das Amtsgericht Bad Liebenwerda zu Unrecht von der verkehrsrechtlichen Unauffälligkeit des Betroffenen bis zu der den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildenden Ordnungswidrigkeit ausgegangen ist. Denn nach den Urteilsfeststellungen war die der Voreintragung zu Grunde liegende Geschwindigkeitsüberschreitung am 19. September 2017 verwirklicht worden, während die hier gegenständliche vom 19. Oktober 2017 datiert.“
Auch diesen, ebenfalls zutreffenden, Erwägungen tritt der Senat bei. Sie entsprechen seiner ständigen Rechtsprechung.“
Immer wieder dieser Blödsinn mit dem Fahrer ….. Wenn ich es richtig sehe, hat sich biher noch kein OLG oder AG mal rchtig mit der Frage auseinander gesetzt, was es eigentlich kostet, einen Monat einen Fahrer zu beschäftigen.
Da isser wieder, der heilige unabwendbare Regelfall, der beim Fahrlässigkeitsregelfall dann auf einmal wieder ganz einfach eine Ausnahme ermöglicht. Schöne Doppelmoral.
Es ist doch ganz einfach, wie man mit so verbohrten Auffassungen umgehen muss, wenn man wie ein Amtsrichter Lebenszeitbeamter ist und Rückgrat hat: In der neuen HV wegen Zeitablaufs absehen und dann mit der herrschenden Rspr. ohne Kompensation. Wäre ich Richter und würde ein Absehen für richtig halten, dann sehe ich ab. Und notfalls drei Mal. Man muss nur einfach mal seine Auffassung gegen alle Widerstände durchziehen, so wie das Verteidiger im zigsten Anlauf mit einem Rechtsmittel auch tun. Irgendwann fällt der Groschen, siehe VerfGH Saarland II.
In Berlin baut die Polizei jetzt die S350 ab. Im Kammergericht werden sie bestimmt grün vor Wut 🙂 Die hätten weiterhin jede RB mit noch einer neuen Anforderung an die Verfahrensrüge abgebürstet.
Wenn man absehen möchte (man muss ja nicht, aber es kann ausnahmsweise Gründe geben), dann kann man das als AG ja im Einzelfall tun.
Dann kriegt man halt vom OLG drei mal gesagt, dass es nicht geht. Man tauscht ein bisschen die Begründung aus, man ergänzt, man verhandelt, die Zeit spielt ja auch für einen. Es geht. Aber nur wenige machen es.
Denn – und da braucht man nicht mal ein OLG über sich – die „Obergerichte“ fangen in letzter Zeit offenbar an, ihnen unpassende Entscheidungen der Untergerichte nicht einfach als „falsch“ o.ä. aufzuheben (mein Gott, ja, ist ja in Ordnung, wenn man das macht – dafür sind Obergerichte ja – auch – da), nein nein, das reicht ja nicht ..
Das über mir sitzende Landgericht z.B. (eine Institution, die sich als „Obergericht“ fühlt, aber deren Meinung nun mal spätestens an der Grenze ihres Bezirks niemanden mehr ernsthaft interessiert) sieht sich gern mal dazu berufen, dem Erstgericht (mir und/oder meinen Kollegen) in den Beschluss zu schreiben, man würde sich „vorsätzlich gegen die bindende(!) Rechtsauffassung des Landgerichts stellen“.
(unterstellen wir bitte mal als Dikussionsgrundlage, dass die angegriffenen Entscheidungen jeweils absolut vertretbar – wenngleich vielleicht nicht unbedingt populär – waren, mal abgesehen davon, dass man ja juristische Ansichten nicht immer teilen muss. Aber bis zur Willkür ist es doch selbst von „falsch“ meist noch ein weiter Weg…)
Wenn mir also mein Rechtsmittelgericht durch die mehr oder weniger transparente Blume hindurch reinschreibt, dass ich offenbar dauernd das Recht mindestens biege, wenn nicht beuge … dann fällt es dem ein oder anderen (mir nicht) evtl. auf Dauer schwer, es „im Kreuz zu haben“, seine Rechtsauffassung beizubehalten.
Affig wird´s wenn der Beschwerdeberichterstatter „oben“ selbst erst drei Tage zur Probe im Amt ist, aber meint, man müsse sich gegen jahrzehntelange Berufserfahrung und aktuellste OLG-Rechtsprechung mit einer seit langem überholten NJW-Fundstelle von 1960 stellen… man kämpft mitunter gegen Windmühlen. Aber der Kampf ist es wert – mein Landgericht fängt langsam an, einzukicken und hält meine Beschlüsse – auch wenn bei der StA hier und da Tränchen kullern.
Es ist nicht mein Job, die Anklagen und Anträge der StA abzunicken, sondern sie zu prüfen und im Einzelfall auch mal deutlich zu sagen, wenn was Schwachsinn ist… gut, damit wird man halt nicht unbedingt befördert, aber darum geht es ja auch nicht. Integrität geht vor Gehaltserhöhung. (Zumal man mit R1, 2 oder 3 sowieso jeweils nicht reich wird ….)
„Immer wieder dieser Blödsinn mit dem Fahrer …“ – besser kann man es nicht auf den Punkt bringen – sehr geehrter Herr Burhoff! Dabei geht es nicht mal nur darum, durchzurechnen, was ein Fahrer monatlich kosten würde. Die Sache ist haftungsrechtlich, abeitsrechtlich und sozialversicherungsrechtlich nicht nur kompliziert, sondern für einen isolierten Monat fast nicht in den Griff zu bekommen. Davon hat der „Oberrichter“ aber keine fundierten Kenntnisse und es auch nicht nötig, einmal in diese Richtung zu denken. In dessen Vorstellung läuft das so, dass man dem Rentner aus der Nachbarschaft einen Hunni in die Hand drückt und der kutschiert den „Sünder“ dann einen Monat lang – ggf. unter Nutzung des dem Arbeitgeber gehörenden Dienstwagens – zur Arbeit und zu den Kunden.
Sorry – aber was mit dem Fahrverbot als Denkzettel aufgebaut werden soll, wird mit solchen dämlichen Sprüchen wieder eingerissen.