Die 37. Woche 2018 eröffne ich mit zwei Postings zu Pflichtverteidigungsfragen. Und ich starte mit zwei negativen Entscheidungen, die ich der Vollständigkeit halber vorstelle: Thema nachträgliche Beiordnung des Pflichtverteidigers.
Beide Entscheidungen verneinen die Zulässigkeit einer nachträglichen Bestellung, das LG Bremen (natürlich) wieder mit dem Argument: „Kosteninteresse“. Und mit der entgegenstehenden Rechtsprechung anderer Gerichte setzt man sich gar nicht auseinander.
Hier der Leitsatz zum LG Bremen, Beschl. v. 13.06.2018 – 1 Qs 184/18:
Eine rückwirkende Verteidigerbeiordnung ist unzulässig. Dies gilt selbst dann, wenn der Antrag auf Beiordnung noch vor Abschluss des Verfahrens gestellt und vom Gericht zunächst nicht beschieden wurde.
Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um den AG Dortmund, Beschl. v. 21.08.2018 – 704 Gs 1586/18. Da hatte die StA im Ermittlungsverfahren die Bestellung eines Pflichtverteidigers abgelehnt. Dagegen dann der „Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 98 Abs. 2 S. 2 StPO“, den das AG zurückweist:
„Zwar wendet die Verteidigung berechtigt ein, dass auch eine Beiordnung trotz zwischenzeitlich erfolgter Einstellung des Verfahrens rückwirkend erfolgen kann, soweit zum Antragszeitpunkt die Beiordnungsvoraussetzungen vorgelegen haben, allerdings lagen bereits im Zeitpunkt der Antragstellung auf Beiordnung keine Voraussetzungen dafür vor, dass die Staatsanwaltschaft gem. § 141 Abs. 3 S. 1, S. 2 StPO dazu verpflichtet gewesen wäre, eine Beiordnung bereits im Ermittlungsverfahren zu erreichen.
§ 141 Abs. 3 StPO regelt das Verfahren der Beiordnung von Pflichtverteidigern im Strafverfahren. § 141 Abs. 3 StPO regelt insoweit speziell den Fall der Beiordnung im Ermittlungsverfahren. Grundsätzlich statuiert § 141 Abs. 3 StPO hier ein Antragserfordernis der Staatsanwaltschaft. Ein Antragsrecht des Beschuldigten besteht nicht. Der Staatsanwaltschaft wird hier bei der Antragstellung, unabhängig von den explizit geregelten Fällen einer richterlichen Vernehmung sowie der Vollstreckung von Untersuchungshaft, Ermessen eingeräumt. Die Staatsanwaltschaft ist jedoch nach § 141 Abs. 3 S. 2 StPO verpflichtet, eine Beiordnung bereits im Ermittlungsverfahren herbeizuführen, wenn eine solche nach ihrer Auffassung in einem gerichtlichen Verfahren nach §§ 140 Abs. 1, Abs. 2 StPO notwendig ist.
Ein solches Beiordnungserfordernis hat im vorliegenden Verfahren jedoch nicht bestanden. § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO setzt eine terminierte Hauptverhandlung voraus, die – mangels Anklage- nicht vorgelegen hat. Andere Beiordnungsgründe gern. § 140 Abs. 1 StPO sind nicht ersichtlich. Auch war weder aufgrund der im vorliegenden Fall hypothetisch zu erwartenden Strafe, noch aufgrund einer Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage eine Pflichtverteidigung notwendig.“
Zutreffend ist m.E. die Auffassung, dass eine nachträgliche Bestellung nur in Betracht kommt, wenn die Voraussetzungen vorgelegen haben. Ob die Auffassung des AG, die Voraussetzungen für eine Beiordnung hätten nicht vorgelegen, zutrifft, kann man angesichts des nur knappen Sachverhalts hier dann aber nicht abschließend beurteilen; man kennt vom Verfahren nicht mehr als den Vorwurf „Erschleichen von Leistungen“.
Die Bremer Entscheidung ist eine unerträgliche Ohrfeige