Archiv für den Monat: Januar 2018

Wochenspiegel für die 4. KW, das war beA-Gate, widernatürlicher Beweisantrag, schon wieder StPO-Reform und Negativzinsen

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Die 4. KW aus dem Jahr 2018 liegt hinter uns. Und was war wieder das Thema: Das beA, jetzt besser das beA-Gate. Man frgat sich, was noch alles kommt in dem Trauerspiel. Jedenfalls scheint das weiterhin das Thema zu sein/zu bleiben. Daneben hat es dann aber doch auch anderes gegeben, so dass ich berichten kann:

  1. Die un­wirk­same Unter­zeichn­ung des Ur­teils durch den Richter,

  2. Widernatürlicher Beweisantrag,

  3. und schon wieder: StPO-Reform für kürzere Verfahren,
  4. Winterreifen sind Pflicht!,

  5. OLG Dresden: Meinungsäußerungen in einem sozialen Netzwerk,

  6. AG Jülich: Messungen mit Leivtec XV3 unverwertbar, PTB-Zulassung beruht auf fehlerhafter EMV-Prüfung,

  7. Schreckgespenst Negativzinsen: Für Banken wird es nicht so einfach,

  8. und dann war da noch: Machst du diese 7 unnötigen Fehler in deiner Klausur?

Ausparker versus Bussonderstreifen, oder: Bussonderstreifen gewinnt

entnommen wikimedia.org Autor: Urheber Mediatus

Und als zweite „Zivilentscheidung“ weise ich auf das KG, Urt. v. 14.12.2017 – 22 U 31/16 – hin. Es behandelt einen „Ausparkerunfall“ mit folgendem Unfallgeschehen. Der Beklagte zu 1) versuchte mit dem zuvor geparkten Fahrzeug von der rechten, zum Parken benutzten Spur einer Straße auf die mittlere Spur anzufahren. Dabei stieß er mit dem auf der als Bussonderfahrstreifen (Zeichen 245 der Anl. 2 zu § 41 Abs. 1 StVO mit Zusatzzeichen nach lfd. Nr. 25 Nr. 2 der Anl. 2 zu § 41 Abs. 1 StVO) ausgewiesenen mittleren Fahrspur fahrenden KfZ des Klägers zusammen. Das LG ist bei der vorzunehmenden Haftungsabwägung von einer Verursachungs- und Verschuldensqoute von 2/3 zu Lasten der Beklagten und 1/3 zu Lasten des Klägers ausgegangen. Während dem Beklagten zu 1) ein Verstoß gegen die Pflichten aus § 10 Satz 1 StVO vorzuwerfen sei, habe der Kläger unberechtigt den Bussonderfahrstreifen benutzt.

Das KG sieht das anders. Es geht davon aus, dass der Beklagte die Folgen des Unfalls allein zu tragen habe.

„a) Es kann dahinstehen, ob der Entscheidung des 29. Zivilsenats vom 8. Juni 2015 (Az.: 29 U 1/15 – juris) zu folgen ist. Dort hat die Einzelrichterin ausgeführt, dass das Befahren der Busspur ein Mitverschulden begründe, weil die Übersichtlichkeit der Verkehrslage beeinträchtigt werde, so dass der Linksabbieger, der in eine Grundstückseinfahrt abbiegen will, nicht den gesamten Schaden allein tragen müsse. Denn im vorliegenden Fall geht es um die Frage, ob derjenige, der sich unter Verstoß gegen § 10 Satz 1 StVO in den fließenden Verkehr einreihen will, sich darauf berufen kann, dass der andere Unfallbeteiligte die Fahrspur unberechtigt befahren hat.

Dies ist nach Auffassung des Senats in einem Fall, wie dem Vorliegenden zu verneinen. Etwas andere könnte nur dann gelten, wenn das Verbot für den allgemeinen Verkehr den durch Zeichen 245 ausgewiesenen Bussonderfahrstreifen zu befahren, der Unfallverhütung diente. Das ist nicht der Fall. So sollen mit der Einführung von Bussonderfahrstreifen Störungen des Linienverkehrs vermieden und soll der geordnete und zügige Betriebsablauf mit Taktfahrplänen gewährleistet werden (BR-Drucks. 428/12, S. 155). Ein Zweck, unfallverhütend eine besondere Übersichtlichkeit der Verkehrslage herbeizuführen, wie dies in der Entscheidung des 29. Zivilsenats ausgeführt wird, lässt sich daraus nicht ableiten. Der Beklagte zu 1) durfte nicht damit rechnen, dass auf dem Bussonderfahrstreifen kein Fahrzeug anzutreffen sein wird. Die – besonderen – Anforderungen des § 10 Satz 1 StVO haben ihn unabhängig davon getroffen, ob die Spur, auf die er einfahren wollte, zunächst nur für besonderen Verkehr zugelassen ist oder nicht. Aber auch der Kläger musste nicht damit rechnen, dass ein Fahrzeug aus der Parkreihe ohne ausreichende Versicherung über herannahenden Verkehr in die mittlere Spur einfährt. Denn insoweit war die Spur nicht für den Verkehr allgemein gesperrt, sondern lediglich für Sonderverkehr freigegeben, der aber auch unstreitig stattfand. Soweit in der Entscheidung des 29. Zivilsenats auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. Januar 2007 (Az.: VI ZR 248/05 – juris) hingewiesen wird, ändert dies nichts. Der Bundesgerichthof lässt zwar offen, ob bei dem dortigen Auffahrunfall die vom Auffahrenden verletzte Vorschrift des § 4 Abs. 1 StVO vom Schutzzweck auch (unmittelbar) den unfallverursachenden, aber vom Unfall nicht betroffenen Linksabbieger erfasst, der den Vorausfahrenden zu einer Vollbremsung zwingt. Die Vorschrift des § 4 Abs. 1 StVO hat aber – anders als das Zeichen 245 – ersichtlich unfallverhütenden Charakter.

Dem Kläger kann auch nicht vorgehalten werden, dass er sich überhaupt am Unfallort befunden hat, wie der 29. Zivilsenat und ihm folgend das Landgericht meinen. Denn insoweit ist anerkannt, dass der notwendige Zurechnungszusammenhang nur gegeben ist, wenn neben der naturwissenschaftlichen Kausalität und der Eintritt des Schadens nach allgemeiner Lebenserfahrung absehbar ist, dass auch der Schutzzweck der verletzten Norm, diesen Schadensfall vermeiden will. Dies ist in Bezug auf das Verbot des Privatverkehrs zur Nutzung des Bussonderfahrstreifens gerade nicht der Fall.

Insoweit kommt auch ein Mitverschulden des Klägers nach den §§ 9 StVG, 254 Abs. 1 BGB an der Schadensentstehung nicht in Betracht. Den genannten Vorschriften geht die Regelung des     § 17 StVG über die Haftungsabwägung vor (vgl. Scholten in JurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 17. August 2016, § 9 Rdn. 6; wohl auch Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl., § 9 StVG Rdn. 1). Im Übrigen gilt im Rahmen der Vorschriften der Schutzzweckgedanke ebenso (vgl. BGH, Urteil vom 08. Oktober 1985 – VI ZR 114/84 –, BGHZ 96, 98-103, Rdn. 14). Die als Ausprägung des Gebots von Treu und Glauben anzusehende Berücksichtigung des Verhaltens des Geschädigten ist dabei nur dann gerechtfertigt, wenn die Schadensvermeidung durch den Geschädigten in besonderer Weise erschwert worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. September 1971 – VI ZR 122/70 –, juris Rdn. 21). Insoweit ist allerdings richtig, dass ein verständiger und ordentlicher Verkehrsteilnehmer den Bussonderstreifen wegen des Verbots nicht befahren würde. Dies beruht aber darauf, dass die unberechtigte Nutzung bußgeldbewehrt ist. Sie beruht nicht darauf, dass die Nutzung mit einem erhöhten Unfallrisiko verbunden ist.

Der Senat verkennt nicht, dass die unzulässige Nutzung der Busspur und die damit zusammenhängenden Besonderheiten unfall- (mit-) verursachend wirken können. Dies ist etwa im gleichgerichteten Verkehr der Fall, wenn ein Rechtsabbieger den auf der Busspur Fahrenden übersieht. Denn diesem steht das Durchfahrtsrecht nach § 9 Abs. 3 Satz 2 StVO nicht zu (vgl. 12. Zivilsenat, Beschluss vom 03. Dezember 2009 – 12 U 32/09 –, juris Rdn. 20). Ähnliches gilt, wenn ein Linksabbieger an einer Kreuzung oder Einmündung, in diese einfahren will und wegen des Staus auf der Vorfahrtsstraße sich eine Lücke bildet. Hier hat der die Busspur Befahrende damit zu rechnen, dass jemand unzureichend aufmerksam in die Busspur einfährt (vgl. 12. Zivilsenat, Beschluss vom 03. Dezember 2007 – 12 U 191/07 –, juris; 22. Zivilsenat, Hinweisbeschluss vom 10. Oktober 2017 – 22 U 55/16 -, S. 3 der UA – nicht veröffentlicht). Auch das Ausweichen auf den Bussonderstreifen, um den gestauten Verkehr durch Rechtsüberholen zu entgehen, und späterem Fahrstreifenwechsel in den gestauten Verkehr ist mit besonderen Gefahren verbunden, die aber auf dem Fahrstreifenwechsel beruhen. Gerade diese Besonderheiten rechtfertigen eine Mit- oder sogar Alleinhaftung. Anderes gilt in den Fällen, in denen ein Linksabbieger die mit einer Lichtzeichenanlage versehene Vorfahrtsstraße überqueren will, ohne auf den für ihn geltenden Räumpfeil zu warten. In diesem Fall ist wie in dem hier zu entscheidenden Fall allein die Nutzung der Busspur als Grund für eine Mithaftung unzureichend (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 03. Dezember 2007 – 12 U 191/07 –, juris Rdn. 16 mwN).“

Mehrspuriges paralleles Abbiegen, oder: „Die Beklagtenvertreter versagen sich eine gedankliche Auseinandersetzung“

Author nach den drei verschiedenenen TGLs entnommen wikimedai.org
interpretiert und digital umgesetzt durch Mediatus

Heute ist Samstag, dh.: Es gibt zivilrechtliche Entscheidungen zum Verkehrsrecht. Und ich eröffne mit dem OLG München, Urt. v. 01.12.2017 – 10 U 3025/17. Problematik: Wie wird die Haftung nach einem Verkehrsunfall infolge Spurwechsels beim mehrspurigen parallelen Abbiegen verteilt. Das LG hatte die vom Kläger erhobene Klage abgewiesen, das OLG sihet die Rechtslage anders und den Beklagten verurteilt. Begründung:

Das Landgericht ist davon ausgegangen (EU 2/3 = Bl. 42/43 d. A.), dass der Kläger für den Verkehrsunfall vom 24.05.2015 gegen 15.00 Uhr an der Kreuzung der O.straße mit der P.straße keinen Schadensersatz verlangen könne, weil er selbst die Schäden jedenfalls ganz überwiegend verursacht und mitverschuldet habe (§§ 17 I, II, 9 StVG, 254 I BGB), so dass der Verursachungsbeitrag und (fehlende) Verschuldensanteil des Beklagtenfahrzeugs zu vernachlässigen seien (BGH NJW-RR 2007, 1077; Senat, Urt. v. 13.11.2015 – 10 U 3964/14 [juris]; Urt. v. 12.06.2015 – 10 U 3673/14 [juris], jeweils m.w.N.).

Dieses Entscheidungsergebnis erweist sich hinsichtlich der rechtlichen Bewertung der die Unfallbeteiligten treffenden straßenverkehrsrechtlichen Sorgfaltspflichten als weder zutreffend, noch überzeugend begründet, ohne dass eine erneute Beweisaufnahme durch den Senat notwendig gewesen wäre. Die notwendige Richtigstellung bringt zu Tage, dass der Kläger wegen einer Verkehrslage bei „mehrspurigem parallelen Abbiegen“ (BGH NZV 2007, 185) auf der von ihm gewählten Linksabbiegespur Vorrang hatte. Dagegen ist dem Fahrer des Beklagtenfahrzeugs ein Verstoß gegen die Gefahrvermeidungspflicht beim Spurwechsel (§ 7 V StVO) unterlaufen, deswegen hat der Kläger gegen den Beklagten Anspruch auf Schadensersatz in voller Höhe, einschließlich Zinsen und verzinster vorgerichtlich entstandenen Anwaltskosten, mit Ausnahme der auf letztere entfallenden Umsatzsteuer…………….

2. Dagegen ist der sachlich-rechtliche Ansatz des Erstgerichts (§§ 513 I 1. Alt., 546 ZPO) im entscheidenden Punkt zu beanstanden: In Fällen „mehrspurigen parallelen Abbiegens“ im Sinne der BGH-Rechtsprechung werden das Recht der freien Fahrstreifenwahl des am weitesten rechts eingeordneten Abbiegers und das Rechtsfahrgebot ersetzt durch das Gebot, die Spur zu halten (BGH NZV 2007, 185: „An die Stelle des Rechtsfahrgebots tritt die Pflicht zum Spurhalten … Ziel der Richtungspfeile und der Möglichkeit zum parallelen Abbiegen ist nämlich die Schaffung von mehr Verkehrsraum, der auch genutzt werden soll. Dem liefe der Vorrang des am weitesten rechts Eingeordneten entgegen, weil dadurch die ausgewiesene zweite Abbiegespur nur erschwert zum Abbiegen verwendet und unbenutzt bleiben könnte. … grundsätzlich kein Vorrang des am weitesten rechts eingeordneten Fahrzeugs … Die für einen Spurwechsel geltende Sorgfalt ist auch in einem solchen Fall zu beachten“).

a) Die Unfallörtlichkeit im Streitfall weist unstreitig im Kreuzungsbereich Fahrbahnmarkierungen, insbesondere Leitlinien (Anlage 3 zu § 42 II StVO, Zeichen 340) für den Rechtsabbiegerverkehr nicht auf. Ebenso unstreitig trägt die in Fahrtrichtung des Beklagtenfahrzeugs von rechts gesehen zweite Fahrbahn der Oettingen Straße einen kombinierten Rechts- und Geradeauspfeil (Anlage 2 zu § 41 I StVO, Zeichen 297).

b) Der Senat bleibt bei seiner den Parteien bereits mitgeteilten Rechtsauffassung (Verfügung v. 20.09.2017, S. 1/2 = Bl. 57/58 d. A.), dass das vorgenannte Urteil des Bundesgerichtshofs in folgendem Sinne auszulegen ist: Die Erwägung, dass „in einem solchen Fall“ in mehreren Reihen nebeneinander gefahren werden dürfe, ohne zu überholen oder sich stets vor dem weiter rechts Fahrenden einordnen zu müssen, gilt auch dann, wenn der in zweiter Reihe nach rechts Abbiegende einem solchen Richtungspfeil folgen darf (aber auch geradeaus weiterfahren dürfte). Dieses Ergebnis ist nach dem Regelungszweck der Ge- und Verbotspfeile zwingend, da auch der kombinierte Rechtsabbieger- und Geradeauspfeil das Ziel verfolgt, mit der Möglichkeit zum parallelen Abbiegen mehr Verkehrsraum zu schaffen, den Verkehrsfluss zu erhöhen und das Abbiegen zu beschleunigen. Dies gilt im Streitfall umso mehr, als die Prinzregenten Straße in Fahrtrichtung der Beteiligten ebenfalls mehrspurig fortgeführt wird. Der übrige Verkehr wird durch den kombinierten Pfeil nicht weniger unterrichtet und gewarnt als durch einen ausschließlich nach rechts weisenden Pfeil.

c) Erneut ist darauf hinzuweisen, dass der Senat diese Frage nicht bereits abweichend entschieden hat (Bl. 28/30 d. A.). Abgesehen davon, dass nicht Urteile, sondern Beschlüsse nach § 522 II ZPO vorlagen, betrafen diese Entscheidungen nicht die Ausgangslage, dass das mehrspurige Abbiegen durch Richtungspfeile vorgesehen oder geboten war. Auch neuere Urteile (10 U 1963/15 [n.v.] und 10 U 3295/15 [n.v.]) hatten – bei grundsätzlich zulässigem mehrspurigen Abbiegen – keine Fahrbahnmarkierungen oder Richtungspfeile zur Grundlage, die faktisch zwei voneinander unabhängige Abbiegespuren geschaffen hätten.

d) Die Beklagtenvertreter versagen sich eine gedankliche Auseinandersetzung und nachvollziehbare Begründung ihrer gegenteiligen Auffassung, was umso mehr geboten gewesen wäre, als ihre Rechtsmeinung eine den in zweiter Spur rechts Abbiegenden verwirrende und die Sicherheit des Straßenverkehrs insgesamt beeinträchtigende Folge hätte: Es entstünde der Eindruck, gleichzeitig mit und neben dem ganz rechts Eingeordneten abbiegen zu dürfen, wobei die jederzeit mitwirkende Pflicht, dessen Recht auf freie Fahrstreifenwahl zu achten, keineswegs gleichwertig naheliegt.

e) Der Senat hält deswegen die Berufung des Klägers für begründet, denn dem Fahrer des Beklagtenfahrzeugs ist ein Verstoß gegen die umfassenden Sorgfaltspflichten beim Fahrstreifenwechsel (§ 7 V StVO) vorzuwerfen.“

Schöne (?) Formulierung: „Die Beklagtenvertreter versagen sich eine gedankliche Auseinandersetzung„.

Ich habe da mal eine Frage: Der Kollege zahlt die Vorschüsse nicht zurück, richtig?

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So, zum Schluss dann die allwöchentliche Gebührenfrage. In dieser Woche verhältnismäßig frisch, und zwar:

„Der Grund meiner Mail ist aber, dass sich eine kurze Frage zur Problematik der fehlenden schriftlichen Vergütungsvereinbarung habe – und in dieser Problematik erreichte mich heute das Schreiben eines (wie ich immer dachte) erfahrenen und renommierten Kollegen, was ich aber inhaltlich nicht so recht nachvollziehen kann.

Der Einfachheit halber habe ich Ihnen das Schreiben mal angehängt:

Hintergrund dessen ist der Umstand, dass ich gegenüber dem Kollegen Vorschüsse, die mein Mandant an diesen geleistet hatte, zurückgefordert habe. Der Kollege trägt nun vor, zwar habe es keine schriftliche Vergütungsvereinbarung gegeben aber er könne die Vorschüsse trotzdem behalten – denn dem Beschuldigten sei bei Zahlung bewusst gewesen, dass die Beträge die gesetzlichen Gebühren übersteigen. Diese Rechtsauffassung wundert mich ehrlich gesagt sehr, denn wenn diese Argumentation richtig wäre dann bräuchte man ja gar keine schriftliche Vergütungsvereinbarung mehr, oder?

Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir eine kurze Rückmeldung hierzu geben könnten.“

„Wie? nur ne Geldstrafe?“ – „Dann brauchst du keinen Pflichtverteidiger mehr….

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Und als zweite Entscheidung heute dann den KG, Beschl. v. 20.12.2017 – 2 Ws 194/17. Leider keine Gebührenentscheidung, im Moment habe ich keine im Blogordner. Es handelt sich vielmehr um eine Pflichtverteidigerentscheidung, und zwar zur Zulässigkeit der Zurücknahme der Pflichtverteidigerbestellung. Der Angeklagte hatte beim AG einen Pflichtverteidiger. Im Berufungsverfahren gegen das amtsgerichtliche Urteil hat das LG dann die Pflichtverteidigerbestellung im Hinblick auf die verbleibende Maximalstraferwartung aufgehoben. Dagegen die Beschwerde, die keinen Erfolg hatte:

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat in ihrer Stellungnahme hierzu ausgeführt:

„Die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Rahmen des § 140 Abs. 2 StPO gilt grundsätzlich für das gesamte Verfahren bis zur Rechtskraft. Ist die Frage der Notwendigkeit der Verteidigung in irgendeinem Verfahrensstadium positiv beantwortet worden, muss es – abgesehen von den gesetzlich geregelten Ausnahmen nach den §§ 140 Abs. 3 Satz 1, 143 StPO – insbesondere dann bei der Bestellung bleiben, wenn das Gericht lediglich seine rechtliche Auffassung über das Vorliegen der Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung ändert (vgl. BGHSt 7, 69, 71; OLG Düsseldorf NStZ 2011, 653 und StV 1995, 117, 118; KG StV 2016, 485; wistra 2016, 423; Beschlüsse vom 28. Februar 2017 – 5 Ws 50/17 -, 28. Oktober 2016 – 3 Ws 575/16 – und 10. September 2013 – 4 Ws 116/13 -). Denn der Eintritt einer Änderung ist nach objektiven Kriterien zu bestimmen. Insofern ist es grundsätzlich unbeachtlich, wenn das Gericht im Laufe des Verfahrens nur seine subjektive Auffassung hinsichtlich der Notwendigkeit der Pflichtverteidigung durch eine andere Beurteilung ersetzen will oder ein während des Verfahrens neu zuständig werdendes Gericht die Auffassung des Vorderrichters nicht zu teilen vermag (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.). Dies gebietet der Grundsatz des prozessualen Vertrauensschutzes (vgl. BGH a.a.O.; OLG Düsseldorf a.a.O.; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 21. Oktober 1983 – 1 Ws 734-736/83, 1 Ws 842/83 – juris; KG a.a.O.).

Nicht schutzwürdig ist das Vertrauen des Angeklagten auf die einmal getroffene positive Entscheidung des Gerichts, wenn sich die für die Anordnung der Pflichtverteidigung maßgeblichen Umstände wesentlich geändert haben oder das Gericht von objektiv falschen Voraussetzungen ausgegangen ist (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.; KG Beschlüsse vom 28. Oktober 2016 – 3 Ws 575/16 – und 10. September 2013 – 4 Ws 116/13 -). Dem steht es gleich, wenn das Gericht die Bestellung in grob fehlerhafter Verkennung der Voraussetzungen des § 140 StPO vorgenommen hat; denn auch in diesem Fall kann sich ein schützenswertes Vertrauen in den Bestand der Entscheidung nicht bilden (vgl. KG a.a.O.).

Bei Anlegung dieser Maßstäbe gebietet der Grundsatz des prozessualen Vertrauensschutzes im vorliegenden Fall die Aufrechterhaltung der vom Amtsgericht beschlossenen Bestellung nicht. Denn es haben sich jedenfalls die maßgeblichen Umstände wesentlich geändert.

Das Amtsgericht hat dem Angeklagten zwar unter Nennung des § 140 Abs. 2 StPO, jedoch ohne weitere Begründung einen Rechtsanwalt beigeordnet. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ergibt sich aus den prozessualen Umständen, dass Grund für die Beiordnung offensichtlich die Schwere der Tat in Form des drohenden Widerrufs der Aussetzung einer Freiheitsstrafe von acht Monaten und des dadurch in Verbindung mit der im vorliegenden Verfahren in Betracht kommenden Freiheitsstrafe möglichen Gesamtstrafenübels von mindestens einem Jahr war.

Vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte erstinstanzlich lediglich zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt worden ist und ihm somit als alleiniger Berufungsführer wegen des Verschlechterungsverbots des § 331 Abs. 1 StPO keine Freiheitsstrafe und damit auch unter Berücksichtigung eines möglichen Bewährungswiderrufs kein Gesamtstrafenübel von mindestens einem Jahr mehr droht, gebietet die Schwere der Tat keine Pflichtverteidigerbestellung im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO. Soweit die Verteidigung darauf abstellt, dass die maximal mögliche Geldstrafe von 120 Tagessätzen als 120 Tage Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt werden könnte, kann dieser Gesichtspunkt zur Begründung der Schwere der Tat im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO nicht herangezogen werden. Auch wenn für die Beurteilung der Schwere der Tat das drohende Gesamtstrafenübel maßgeblich ist und neben der Rechtsfolgenentscheidung auch die sonstigen schwerwiegenden Nachteile zu berücksichtigten sind, die der Angeklagte infolge der Verurteilung zu gegenwärtigen hat, so ist im Falle der Verhängung einer Geldstrafe grundsätzlich nicht per se davon auszugehen, dass die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe droht. Denn bei der Verhängung einer Geldstrafe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters die Höhe des Tagessatzes, vgl. § 40 Abs. 2 StPO, um so unter anderem sicherzustellen, dass der Verurteilte, gegebenenfalls durch die Gewährung von Zahlungserleichterungen gemäß § 42 StGB, wirtschaftlich in der Lage ist, die Geldstrafe tatsächlich zu tilgen. Besondere Umstände, die nicht im Einflussbereich des Angeklagten liegen und die es als zwingend erscheinen lassen, dass im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung des Angeklagten zu einer Geldstrafe von maximal 120 Tagessätzen diese Strafe tatsächlich als 120 Tage Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt wird, sind nicht ersichtlich.“

Der Senat macht sich diese zutreffenden Ausführungen zu Eigen. Die bei jeder Verurteilung zu Geldstrafe abstrakt stets bestehende Möglichkeit der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe prägt als vom Verurteilten regelmäßig abwendbarer Nachteil das Gesamtstrafübel nicht derart nachhaltig, dass eine grundsätzliche Berücksichtigung der Geldstrafe als gleichsam „verkappte Freiheitsstrafe“ bei der Prognose, ob Freiheitsentzug von mindestens einem Jahr droht, geboten wäre.“