Schon etwas älter ist der KG, Beschl. v. 03.03.2016 – 3 Ws (B) 106/16, hängt also auch schon etwas länger in meinem Blogordner. Das KG behandelt in seiner Entscheidung die Anforderungen an die Darlegungen im Urteil bei einem (unechtem Teil) Freispruch vom Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG im Falle der angeblich unbewussten Alkoholaufnahme. Das ist ja eine nicht seltene Einlassung. Hier hatte der Betroffene geltend gemacht, er habe in einer Gaststätte ein alkoholfreies Weizenbier bestellt, aber offenbar ein alkoholhaltiges erhalten, und auch vor und während der Fahrt habe er nicht bemerkt, alkoholisiert gewesen zu sein. Das hatte ihm die Amtsrichterin geglaubt und vom Vorwurf eines Verstoßes gegen § 24a StVG frei gesprochen.
Das KG hat Bedenken gegen die Beweiswürdigung, da das AG „vergessen“ hat „auch die gegen den Betroffenen sprechenden Umstände in gleicher Weise darzustellen und zu erörtern (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 338, NStZ 2012, 227; Meyer-Goßner/Schmidt, StPO 58. Aufl., § 267 Rn. 33). Auch enthält das Urteil, obwohl sich der Betroffene umfassend eingelassen hat, keine Angaben zum Zeitpunkt des Trinkendes. Daneben verhält sich das Urteil auch nicht zu weiteren Parametern, die dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung der Beweiswürdigung ermöglichen könnten.“
„Das Urteil lässt eine kritische Auseinandersetzung mit der Behauptung des Betroffenen vermissen, er habe nur „ein Weizenbier“ getrunken. Einer Erörterung hätte es bedurft, weil die beim Betroffenen um 2.22 Uhr und damit 42 Minuten nach einem von Polizeibeamten beobachteten Rotlichtverstoß gemessene Atemluft eine Alkoholkonzentration von 0,35 mg/l aufwies. Auch wenn sich in der Literatur Angaben über Konversionsfaktoren mit einer Schwankungsbreite in Extremen zwischen 1 : 0,7 und 1 : 6,0 finden (vgl. Haffner/Graw, NZV 2009, 209 mwN; Haffner/Dettling, Blutalkohol 52, 233) und mithin eine exakte Konvertierung von Atemalkohol in Blutalkohol im wissenschaftlich-arithmetischen Sinn ausgeschlossen ist, so ist die Wahrscheinlichkeit doch sehr hoch, dass eine um 2.22 Uhr entnommene Blutprobe einen deutlich höheren Blutalkoholwert (in Promille) ergeben hätte. Dies gilt umso mehr, als die Urteilsfeststellungen es in zeitlicher und örtlicher Hinsicht als denkbar oder sogar naheliegend erscheinen lassen, dass der Atemalkohol nicht in der Anflutungs-, sondern in der sog. postresorptiven Eliminationsphase gemessen wurde. In diesem Abschnitt steigen die Konversionsfaktoren gegenüber der Trinkphase deutlich an, nämlich auf durchschnittlich etwas über 1 : 2 (vgl. Haffner/Graw, aaO; Haffner/Dettling, aaO: zwischen 1 : 1,99 und 1 : 2,33). Auf dieser Grundlage geht auch der Gesetzgeber von einer „normativen Entsprechung“ der Messverfahren im Verhältnis von 1 : 2 aus. Dabei will er den Betroffenen, dessen Atemalkohol gemessen wird, eher etwas günstiger stellen als jenen, dessen Blut untersucht wird, so dass die (hier nicht gemessene) Blutalkoholkonzentration des Betroffenen, zumal die Trinkphase schon länger abgeschlossen war und ggf. die Phase überwiegender Alkoholelimination begonnen hatte, mit einiger Wahrscheinlichkeit sogar noch über dem verdoppelten Atemalkoholwert gelegen hätte.
Für die hier alleine in den Blick zu nehmende Bestimmung der erforderlichen Darstellungs- und Erörterungstiefe im Urteil ergibt sich daraus, dass eine Orientierung an der – zudem auf empirisch-wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgehenden – normativen Wertung des Gesetzgebers zulässig und geboten ist. Danach musste das Amtsgericht die Behauptung des Betroffenen, er habe nur „ein Weizenbier“ getrunken, mit der Möglichkeit abgleichen, dass um 2.22 Uhr eine Blutalkoholkonzentration von ca. 0,7 Promille auf ihn wirkte. Eine Erörterung dieses Umstands lag umso näher, als allein zwischen der Gestellung des Betroffenen und der Messung 42 Minuten lagen. Die vom Betroffenen zuvor besuchte Gastwirtschaft wiederum lag mehr als 15 im innerstädtischen Verkehr zurückzulegende Kilometer vom Gestellungsort entfernt, so dass von einem noch deutlich früheren Trinkende auszugehen und gegebenenfalls in Rechnung zu stellen war, dass die mit dem Genuss von 0,5 l Weizenbier aufgenommene Alkoholmenge (ca. 20 g) bereits ganz oder zumindest teilweise abgebaut gewesen wäre.
Zwar bewertet es der nicht sachverständig beratene Senat nicht als Verstoß gegen die Denkgesetze, dass das Amtsgericht dem Betroffenen geglaubt hat, er habe nur „ein Weizenbier“ getrunken, und schon gar nicht ersetzt der Senat die Würdigung der Tatrichterin durch seine eigene. Die im Urteil geschilderten Umstände lassen die Einlassung jedoch als so überprüfungs- und klärungsbedürftig erscheinen, dass es einer vertieften Darstellung und Auseinandersetzung mit den Begleitumständen bedurft hätte. Hinzunehmen wäre die Bewertung des Amtsgerichts gegebenenfalls gewesen, wenn das Urteil ein ausgesprochen leichtes Körpergewicht des Betroffenen mitgeteilt hätte, so dass bereits geringe Mengen Alkohol zu der festgestellten, den Gefahrengrenzwert des § 24a StVG erheblich überschreitenden Alkoholisierung geführt haben könnten. Nach einer überschlägigen Berechnung des Senats und (sogar) unter Außerachtlassung möglichen Abbaus müsste der Betroffene allerdings zur Tatzeit weniger als 40 kg gewogen haben. Unter zusätzlicher Berücksichtigung begonnener Alkoholelimination dürfte die vom Betroffenen angegebene Trinkmenge indes kaum plausibel sein.
Daneben ist auch die Beweiswürdigung nicht frei von Rechtsfehlern. Eine einen Rechtsfehler im Sinn des § 79 Abs. 3 OWiG iVm § 337 Abs. 1 StPO darstellende Lücke liegt vor, wenn die Beweiswürdigung wesentliche Feststellungen nicht erörtert (vgl. etwa BGH NStZ-RR 2016, 54) oder nur eine von mehreren gleich naheliegenden Möglichkeiten prüft (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 147). Das ist hier der Fall. Der Senat versteht das Urteil so, dass es das Amtsgericht als Indiz für die Glaubhaftigkeit der Behauptung des Betroffenen, er habe eigentlich alkoholfreies Bier trinken wollen, gewertet hat, dass er an Krebs leidet und „seit ca. einem Jahr generell keinen Alkohol“ trinke. Zugleich hat das Amtsgericht dem Betroffenen geglaubt, dass er „vor Fahrtantritt sowie während der Fahrt nicht merkte, dass er unter dem Einfluss alkoholischer Getränke stand“. Es mag entfernt denkbar sein, dass ein seit einem Jahr alkoholabstinent Lebender den zu einer Atemalkoholkonzentration von 0,35 mg/l führenden Alkohol nicht spürt. Jedenfalls müsste das Urteil aber erkennen lassen, dass sich die Richterin der Besonderheit dieses Umstands bewusst war, und es wäre darzulegen gewesen, dass und warum dem Betroffenen gleichwohl geglaubt werden konnte.“
Solche Entscheidungen zeigen ja immer auch, was man als Verteidiger ggf. im Blick behalten muss. Und: Die Entscheidung passt so richtig schön zu dem heißen Wetter. Aber: Zu Fuß gehen!
Na denn prost!
Die Hefe-Expertise des AG lässt übrigens zu wünschen übrig. Selbst ich als gelgentlicher „Hefe“-Trinker (mit und ohne Allohol) weiß doch: sieht anders aus & schmeckt anders. Aus diesem Grund habe ich ein mir aufgetischtes „falsches“ Weizen auch schon zurückgehen lassen. Die sensorische Unkenntnis muss man dem Beschuldigen doch zumindest vorhalten. 🙂
Die Diktion des KG lässt besorgen, dass dem Senat nicht bewusst war, dass die Darstellung des Angeklagten keineswegs „glaubhaft“ gewesen sein muss bzw ihr „geglaubt werden konnte“. Es genügt vielmehr, dass sie nicht mit der erforderlichen Gewissheit zu widerlegen war. Unerheblich ist deshalb auch, dass bestimmte Umstände irgendetwas „als denkbar oder sogar naheliegend erscheinen lassen“.
Schade, dass es keine Instanz gibt, die den Revisionsgerichten solche Schlampigkeiten um die Ohren haut. Gar nicht zu verstehen ist, dass der Senat sowas offenbar auch noch selbst zur Publikation einsendet.
Da muss ich „Bolle“ vollkommen zustimmen. Es ist seitens des Angeschuldigten nicht notwendig, dass er seine Gegendarstellung belegen kann. Zweifel müssen genügen, er ist hier nicht in der Beweispflicht. Gleichsam muss ich persönlich „nachtreten“ weil nach meiner Überzeugung in den Gründen höhere Begründungs- und Nachweispflichten an den Verurteilungsfall zu stellen sind, als im Falle der Freisprechung. Zum einen hat dies rationale Gründe; -Zweifel sind nunmal eben gerade dort wo es keine gesicherten Erkenntnisse gibt-, zum anderen emotionale: Der Angeklagte hat die Vergolgung nicht gewünscht oder initiiert, insoweit muss man die höheren Aufgaben und Anforderungen für eine Verurteilung auch bei dem lassen, der ihn in diese Situation gebracht hat…. der Staat.
Ob das der BGH auch so sieht, wage ich zu bezweifeln 🙂
Kann es sein, dass Frau Amtsrichterin nicht damit rechnete, dass die üblicherweise ach so überlastete Amtsanwaltschaft in die Rechtsbeschwerde geht?