Archiv für den Monat: April 2016

Fragen und Antworten zu: Kurios, der BGH entscheidet über einen Urteilsentwurf, oder: Neue Technik

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Mein heutiger „Mittagsbeitrag“ zum BGH, Beschl. v. 10.09.2015 – 4 StR 24/15 (vgl. dazu Kurios, der BGH entscheidet über einen Urteilsentwurf, oder: Neue Technik) hat dann in den Kommentaren – hier im Blog und auch bei Facebook – ein paar Fragen aufgeworfen, auf die ich dann doch eben eingehen will.

1. Für einige Leser stellte sich die Frage bzw. sie sahen die Möglichkeit, dass die Strafkammer nun ja die Gelegenheit habe, ihr Urteil „nachzubessern“ und damit die Revision ins Leere laufen lassen könne.

Nun, das geht nicht (mehr). Im BGH, Beschl. heißt es: „Die vom Berichterstatter der Strafkammer des Landgerichts auf der Grundlage der Beratung verfasste, fünfzehn Seiten umfassende und zur Zustellung an die Verfahrensbeteiligten bestimmte Urteilsurkunde wurde von den berufsrichterlichen Mitgliedern der Strafkammer unterschrieben und gelangte am 26. November 2014 und damit rechtzeitig zur Geschäftsstelle.“ Es hat also ein (unterschriebenes) Urteil gegeben. Nur bei der Zustellung hat es einen Fehler gegeben: „Entgegen der Zustellungsverfügung des Vorsitzenden vom 26. November 2014 wurde dem Verteidiger nicht die fünfzehnseitige Urteilsurkunde, sondern der neunseitige Urteilsentwurf, der als Ausfertigung nicht als Entwurf erkennbar war, zugestellt.“ Das Revisionsverfahren ist also auf falscher Grundlage durchgeführt worden.

Es muss jetzt auf der richtigen Grundlage, nämlich dem fünfzehnseitigen „richtigen“ Urteil neu durchgeführt werden. An dem Urteil kann aber die Kammer nichts mehr ändern. Denn die Urteilsbegründungsfrist des § 275 StPO ist abgelaufen und wird nicht neu in Lauf gesetzt.

Die Revisionsbegründungsfrist läuft allerdings für den Angeklagten neu. Er kann also neu/noch einmal die Revision begründen.

Im Übrigen: Bis auf den Zustellungsfehler ein völlig normaler Vorgang. Es gibt einen Urteilsentwurf, der dann in das endgültige Urteil mündet. Und da ist auch nichts „ausgetauscht“, sondern an dem Entwurf wird gearbeitet.

2. Auch gebührenrechtlich ist der Fall ganz interessant. Denn:

Die Revisionsgebühren sind entstanden. Die Revisionsinstanz beginnt mit der Einlegung des Rechtsmittels. Sie fallen nicht nachträglich wieder weg. Das folgt aus § 15 Abs. 4 RVG.

Durch die Aufhebung des „Urteilsentwurfs“ und die Zurückverweisung ist ein neuer Rechtszug entstanden. Die bei den Verteidigern hier ggf. bereits entstandenen Gebühren sind m.E. durch die Aufhebung der Aufhebung nicht weggefallen. Das ist ebenfalls der Rechtsgedanke des § 15 Abs. 4 RVG.

Wir befinden uns jetzt aber wieder in der Revisionsinstanz. M.E. ist es aber dieselbe Angelegenheit wie die ursprüngliche Revision, die mit der Aufhebung des Urteilsentwurfs geendet hatte. Das bedeutet, dass die Gebühr Nr. 4130 VV RVG nach den Grundsätzen des § 15 RVG nicht noch einmal entsteht. Wenn der Verteidiger Wahlanwalt ist, muss er den Mehraufwand durch die „doppelte Revision“ über § 14 RVG geltend machen. War er Pflichtverteidiger bleibt ggf. nur der Weg über eine Pauschgebühr nach § 51 RVG.

3. Erstattungsfragen stellen sich m.E. nicht. Denn der BGH hatte aufgehoben und zurückverwiesen. Es gab also noch keine endgültige Kostengrundentscheidung, die die Staatskasse zur Erstattung verpflichtet hätte. M.E. wird man aber den durch die Aufhebung der Aufhebung entstandenen Mehraufwand in der endgültigen Kostenentscheidung der Staatskasse auferlegen können/müssen. Falsche Sachbehandlung.

So, ich hoffe, dass dann keine Fragen mehr offen sind.

Kurios, der BGH entscheidet über einen Urteilsentwurf, oder: Neue Technik

© Maksim Kabakou Fotolia.com

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Sachen gibt es, von denen man an sich glaubt, dass es sie nicht gibt. Jedenfalls: Sollte es nicht geben. Es gibt sie aber doch. Und so wird es dann kurios, was der BGH im BGH, Beschl. v. 10.09.2015 – 4 StR 24/15 – zu entscheiden hatte. Nach dem BGH-Beschluss folgender Sachverhalt:

„Die vom Berichterstatter der Strafkammer des Landgerichts auf der Grundlage der Beratung verfasste, fünfzehn Seiten umfassende und zur Zustellung an die Verfahrensbeteiligten bestimmte Urteilsurkunde wurde von den berufsrichterlichen Mitgliedern der Strafkammer unterschrieben und gelangte am 26. November 2014 und damit rechtzeitig zur Geschäftsstelle. Aus nicht mehr aufklärbaren Gründen verblieb neben dieser Urteilsfassung auch ein lediglich neun Seiten umfassender – nicht handschriftlich unterschriebener – Urteilsentwurf im Protokoll- und Urteilsband der Sachakten. Entgegen der Zustellungsverfügung des Vorsitzenden vom 26. November 2014 wurde dem Verteidiger nicht die fünfzehnseitige Urteilsurkunde, sondern der neunseitige Urteilsentwurf, der als Ausfertigung nicht als Entwurf erkennbar war, zugestellt. Nach Eingang der Revisionsbegründung, mit der der Verteidiger sachlich-rechtliche Fehler des ihm zugestellten „Urteils“ beanstandete, gelangte – aus ebenfalls nicht mehr aufklärbaren Gründen – auch nur die neunseitige Fassung als „beglaubigte Ab-lichtung“, versehen mit den Unterschriften der mitwirkenden Berufsrichter in Maschinenschrift, zum Senatsheft sowie zu den Handakten des Generalbundesanwalts. Auf dieser Grundlage stellte der Generalbundesanwalt seinen auf § 349 Abs. 4 StPO gestützten Aufhebungsantrag, dem der Senat gefolgt ist.

Eine nachträgliche Überprüfung beim Landgericht ergab ausweislich eines Vermerks des Vorsitzenden der Strafkammer vom 29. April 2015, dass in dem von den Gerichten in Nordrhein-Westfalen benutzten Textverarbeitungssystem „Judica“ lediglich der erwähnte Urteilsentwurf, nicht jedoch die unterschriebene Endfassung des Urteils abgespeichert war, weshalb versehentlich der Urteilsentwurf und nicht das Originalurteil zur Zustellung gelangte und zur Grundlage der Revisionsakten wurde.“

Und nun? Der GBA meint: Das war es. Aufgehoben ist aufgehoben. Der BGH sieht es anders und hebt seinen Aufhebungsbeschluss auf und setzt das Verfahren fort:

„2. Im vorliegenden Fall hat der Senat über das Rechtsmittel des Angeklagten weder in Verkennung der prozessualen Lage noch aus Rechtsirrtum entschieden, sondern auf einer unzutreffenden tatsächlichen Grundlage, die ihren Grund allein in einer Unregelmäßigkeit im Geschäftsgang des Landgerichts hatte. Denn die dem Senat vorliegende Urteilsfassung, die lediglich einen Entwurf darstellte und die sich – anders als die Endfassung – auch im gerichtlichen Textverarbeitungssystem befand, wurde aus letztlich ungeklärten, im Geschäftsablauf des Landgerichts zu suchenden Gründen – entgegen der Anordnung des Vorsitzenden – dem Verteidiger des Angeklagten zugestellt, zu den Senatsakten genommen und so zur Grundlage der Senatsentscheidung.

3. Der Senat hat daher seinen Beschluss vom 24. März 2015 aufgehoben. Da die Zustellung der neunseitigen Entwurfsfassung des landgerichtlichen Urteils an die Verfahrensbeteiligten die Revisionsbegründungsfrist nicht in Lauf setzen konnte (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 1981 – 4 StR 13/81, StV  1981, 170), ist dem Verfahren nunmehr durch Zustellung der richtigen Fassung Fortgang zu geben.“

Wegen der sich ergebenden Fragen siehe hier: Fragen und Antworten zu: Kurios, der BGH entscheidet über einen Urteilsentwurf, oder: Neue Technik

Die Vergütungsvereinbarung (des Pflichtverteidigers), oder: Beweislast im Streit über Wirksamkeit der Vergütungsvereinbarung?

© yvon52 - Fotolia.com

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Beweislastentscheidungen sind für die unterlegene Partei immer misslich. Das gilt für den Rechtsanwalt vor allem dann, wenn es um die Frage der Wirksamkeit einer Vergütungsvereinbarung (§ 3a RVG) geht. Zu der Frage, wie in diesem Streit die Beweislast verteilt ist, hat jetzt noch einmal das OLG Karlsruhe im Urt. v. 17.03.2016 – 17 U 4/16 – Stellung genommen.

Im Streit war die Wirksamkeit der Vergütungsvereinbarung eines Pflichtverteidigers. Dieser hatte für seine Tätigkeiten bis zum Abschluss der ersten Instanz mit dem Mandanten einen Betrag von 7.000 € zuzüglich Umsatzsteuer und Auslagen vereinbart. Inhalt und Ablauf des beim Abschluss der Vergütungsvereinbarung geführten Gespräches war zwischen den Rechtsanwalt und dem Mandanten streitig. Der Rechtsanwalt hat verschiedene Tätigkeiten zur Bearbeitung des Mandats und zur Verteidigung des Beklagten erbracht. Auf Veranlassung der Familie des Beklagten wurde ein Vorschuss von 2.000 € gezahlt. Später kündigte dann ein neuer Verteidiger des Beklagten gegenüber dem Rechtsanwalt für den Beklagten die Kündigung das Mandat. Der Beklagte beantragte daraufhin die Entpflichtung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger. Das AG hat dem Antrag entsprochen. Der Beklagte hat in der Folgezeit (vergeblich) die Rückzahlung des geleisteten Vorschusses sowie die Erstattung der ihm außergerichtlich entstandenen Anwaltskosten verlangt. Der Rechtsanwalt hat die Zahlung der weiteren Vergütung in Höhe von 5.000 € geltend gemacht.  Das LG hat im Verfahren Beweis erhoben und dann die Klage über 5.000 € und die Widerklage auf Rückzahlung der 2.000 € abgewiesen. Nach der Beweisaufnahme habe es ein non-liquet hinsichtlich des freiwilligen Zustandekommens der Honorarvereinbarung gegeben. Da die Beweislast beim jeweiligen Anspruchssteller liege, seien Klage und Widerklage abzuweisen. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Dagegen ist die Anschlussberufung des Beklagten erfolgreich gewesen.

Das OLG geht (ebenfalls) davon aus, dass der Rechtsanwalt den Beweis für den Abschluss einer wirksamen Vergütungsvereinbarung nicht erbracht hat. In dem Zusammenhang macht das OLG ganz interessante Ausführungen zur Wirksamkeit einer Vergütungsvereinbarung zwischen Pflichtverteidiger und Beschuldigtem:

„a) Eine wirksame Honorarvereinbarung zwischen Pflichtverteidiger und Beschuldigtem setzt voraus, dass der Beschuldigte sie freiwillig abgeschlossen hat. Die Freiwilligkeit des Vergütungsversprechens oder der Vergütungsleistung gehört zu den Voraussetzungen ihrer Wirksamkeit. Von einem freiwilligen Abschluss kann in diesem Zusammenhang nur gesprochen werden, wenn der Beschuldigte die gebührenrechtliche Lage richtig übersieht, soweit sie für ihn von Bedeutung ist. Erforderlichenfalls ist der Rechtsanwalt zu einer Belehrung verpflichtet. Der Mandant muss nicht nur wissen, dass er bei Abschluss einer Honorarver­einbarung mehr verspricht oder zahlt, als er nach dem Gesetz leisten muss, sondern auch, dass der Pflichtverteidiger eine Vergütung von der Staatskasse erhält und zur Führung der Verteidigung daher kraft Gesetzes verpflichtet ist, auch wenn ihm der Beschuldigte keinerlei Vergütung entrichtet (BGH, Urt. v. 03.05.1979 – III ZR 59/78, MDR 1979, 1004, juris Rn. 25 ff.). Für die notwendige Kenntnis dieser besonderen gebührenrechtlichen Lage trägt, anders als etwa für den allgemeinen Unwirksamkeitseinwand der Nichtigkeit wegen Sitten­widrigkeit durch unlautere Ausnutzung einer Drucksituation, der Rechtsanwalt die Beweis­last (BGH, a.a.O., Rn. 34).

Insoweit war der Kläger nach Auffassung des OLG beweisfällig geblieben. Anders als das LG geht das OLG dann aber davon aus, dass das Beweisergebnis eines non-liquet hinsichtlich der Frage einer hinreichenden Belehrung über die gebührenrechtliche Lage nach den Umständen des Falles hinsichtlich des Rückzahlungsanspruchs der gezahlten 2.000 € nicht dem Beklagten, sondern dem klagenden Rechtsanwalt zur Last fällt:

„Zwar ist mit dem LG grundsätzlich davon auszugehen, dass der Anspruchsteller – also der Beklagte – die Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, hier folglich die Rechtsgrundlosigkeit der Vorschussleistung zu tragen hat. Doch gilt hier unter dem Gesichtspunkt der Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit einer über ein Rechtsgeschäft aufgenommenen Urkunde etwas anderes, nachdem die Parteien ihre Vergütungsvereinbarung samt dazu erteilter Belehrungen in der schriftlichen Urkunde niedergelegt haben und die notwendige Belehrung über die Verpflichtung zur Fortführung der Verteidigung auch bei Nichtunterzeichnung der Vereinbarung in dieser Urkunde nicht enthalten ist. Wer – wie vorliegend der Kläger – behauptet, die mündlich erteilten Belehrungen seien über den Wortlaut und Inhalt der Urkunde hinausgegangen, ist für diesen Vortrag unabhängig von der prozessualen Rollenverteilung beweispflichtig (BGH NJW 99, 1702; Zöller/Geimer, ZPO, 31. Aufl., § 416 Rn. 10).“

Anzumerken ist:

  1. Die Verteilung der Beweislast durch das OLG ist m.E. zutreffend. Denn das OLG verweist zu Recht auf BGH NJW 1999, 1702. Danach folgt aus der Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der über ein Rechtsgeschäft aufgenommenen Urkunde, hier der Vergütungsvereinbarung, bei der Auslegung des Vereinbarten, dass die Partei, die ein ihr günstiges Auslegungsergebnis auf Umstände außerhalb der Urkunde stützt, hier der Kläger für die Belehrung, diese zu beweisen hat. Im Ergebnis bleiben damit dem Kläger nur die gesetzlichen Pflichtverteidigergebühren.
  2. Schlussfolgerung aus dieser – hier für den Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger – misslichen Entscheidung: Die dem Mandanten erteilte Belehrung muss auf jeden Fall in allen Einzelheiten in die schriftliche Vergütungsvereinbarung aufgenommen werden. Nur so lassen sich, wenn es zum Streit kommt, solche nachteiligen Beweislastentscheidungen vermeiden. Welchen Inhalt die Belehrung des Mandanten haben muss, hat das OLG ebenfalls festgestellt. Dazu wird auf die o.a. Entscheidungsgründe verwiesen.

Blitzmarathon 2016 – Wie bereite ich mich vor?. oder: Blitzer-Bibel

© Tim Reckmann

© Tim Reckmann

Morgen startet als nun der (erste) Blitzmarathon 2016. Es machen zwar wohl nicht alle Bundesländer mit (vgl. hier), aber stattfinden wird er. Und daher stellt sich sicher der ein oder andere die Frage: Wie bereite ich mich vor?

Für die Antwort muss man unterscheiden:

Als Verkehrsteilnehmer/potentieller Betroffener muss man nicht viel tun. Man muss nur die entsprechenden Geschwindigkeitsbeschränkungen beachten. Das hat aber an sich nichts mit einem Blitzmarathon zu tun, sondern auf die sollte man immer achten.

Und als Verteidiger: Nun, da bietet es sich an, sich die passende Literatur anzuschaffen. Und da kann ich aus meiner Palette eineiges anbieten, nämlich:

  • „Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 3. Aufl. 2013„; da beträgt der Preis in einer Mängelaktion 69,90 EUR statt regulär 98 EUR, das ist – wie ein Kollege neulich meinte, die „Blitzer-Bibel“,
  • „Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 6. Aufl., 2015„, für ein Mängelexemplar statt 139 EUR für nur 99,90 EUR
  • Burhoff (Hrsg), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 4. Aufl. 2014, 119 EUR.

Und damit dann auch später richtig abgerechnet werden kann

  • „Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, 4. Aufl. 2014″, als Mängelexemplar für nur 76,90 EUR statt 109 EUR.

Alle Werke können hier über das Bestellformular direkt bei mir bestellt werden. Ich gehe bei eingehenden Bestellungen davon aus, dass die Mängelexemplare gewünscht sind. Sonst bitte das Gegenteil vermerken.

Und das war dann eins der beliebten Werbeposts 🙂 .

Täter-Opfer-Ausgleich: Bloß entschuldigen ist kein „kommunikativer Prozess“

© FotolEdhar Fotolia.com

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Und dann nach dem BGH, Urt. v. 23.12.2015 – 2 StR 307/15 (vgl. dazu vorhin:Täter-Opfer-Ausgleich: Kleine Checkliste vom 2. Strafsenat) eine weitere Entscheidung des BGH zum Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) nach § 46 Nr. 1 StGB, die zeigt, dass es so einfach nicht ist/geht. In dem BGH, Urt. v. 28.01.2016 – 3 StR 354/15 – geht es (auch) um die Frage des sog. kommunikativen Prozesses. Der Angeklagte ist wegen gefährlicher Körperverletzung seines Bruders verurteilt worden. Er hat in einem länger andauernden Streit nach einem erfolglosen Versöhnungsversuch aus einem Fenster der Wohnung seiner Mutter ein Messer in der Größe eines Brotmessers nach seinem Bruder geworfen, den er – wie beabsichtigt – im oberen Bereich des Rückens getroffen hat. In der Hauptverhandlung hat der Angeklagte sich bei seinem Bruder entschuldigt, der die Entschuldigung angenommen und die Sache damit als erledigt betrachtet hat. Das LG hat in den Urteilsgründen ohne Erörterung der Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB im Rahmen der Strafzumessung lediglich allgemein zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er sich bei seinem Bruder entschuldigt hat. Der BGH hat keine Bedenken:

a) Eine Strafmilderung nach § 46a Nr. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, die Tat „ganz oder zum überwiegenden Teil“ wiedergutgemacht oder dieses Ziel jedenfalls ernsthaft erstrebt hat. Dies erfordert grundsätzlich einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer, bei dem das Bemühen des Täters Ausdruck der Übernahme von Verantwortung sein und das Opfer die Leistung des Täters als friedenstiftenden Ausgleich akzeptieren muss. Die Wiedergutmachung muss auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen gerichtet sein (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juli 1995 – 1 StR 205/95, BGHR StGB § 46a Wiedergutmachung 1; Urteil vom 31. Mai 2002 – 2 StR 73/02, NStZ 2002, 646; Urteil vom 27. August 2002 – 1 StR 204/02, NStZ 2003, 29, 30).

b) Eine Wiedergutmachung in diesem Sinne liegt nach den Feststellungen fern. Zwar steht es grundsätzlich einer Bejahung der Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB nicht im Wege, wenn ein Opfer dem Täter den Ausgleich in der Weise leicht macht, dass es an das Maß der Wiedergutmachungsbemühungen keine hohen Anforderungen stellt und schnell zu einer Versöhnung be-reit ist (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2001 – 3 StR 41/01, StV 2001, 457). Doch liegt es angesichts des das Leben des Geschädigten jedenfalls abstrakt gefährdenden Messerwurfs nicht nahe, dass die bloße Entschuldigung des Angeklagten, auch wenn der Geschädigte diese angenommen hat, eine umfassende Versöhnung zwischen Täter und Opfer bewirkt hat. Der Angeklagte selbst hat in seiner Einlassung angegeben, dass eine Versöhnung nach dem Vorfall zunächst nicht gelungen sei, vielmehr erst ein Jahr später stattgefunden habe und das Verhältnis zu seinem Bruder auch weiterhin „nicht das beste“ sei, auch wenn man sich wieder vertrage. Es spricht nichts dafür, dass sich diese – ersichtlich weiterhin nicht unbelastete – Beziehung zwischen den Brüdern allein durch die später in der Hauptverhandlung ausgesprochene Entschuldigung im Sinne einer umfassenden Aussöhnung verändert hätte. Vor diesem Hintergrund musste sich das Landgericht allein durch die ausgesprochene Entschuldigung nicht gedrängt sehen, sich mit einer Strafmilderung nach §§ 46a, 49 Abs. 1 StGB auseinanderzusetzen. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Aufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO), die zu weiteren Feststellungen zu einem etwaigen Schadensausgleich geführt hätte, ist nicht gerügt worden (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2012 – 3 StR 276/12, BGHR StGB § 46a Wiedergutmachung 10).“