Archiv für den Monat: Februar 2014

Herr Burhoff, „Sie erhalten einen Doktortitel“; – nun lieber doch wohl (so) nicht

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Ich freue mich immer wieder über Werbe-/Spammails, tragen sie doch manchmal zur Erheiterung bei, manchmal aber auch zum Nachdenken und Überlegen, wer denn wohl darauf antwortet bzw. schon geantwortet hat. So ist es mir mal wieder bei einer Mail ergangen, die mich vor einigen Tagen erreicht hat. In der hieß es kurz, zunächst: „Sie erhalten einen Doktortitel„. Oh habe ich gedacht, schön, aber: Ich habe zwar schon viel geschrieben, aber eine Doktorarbeit noch nicht.

Und weiter dann:

„Guten Tag,

Werden Sie zum V.I.P – sichern Sie sich jetzt Ihren echten Doktortitel:

In nur wenigen Tagen werden Sie zum Doktor ernannt und dürfen die Bezeichnung zzgl. zu Ihrem Namen führen.

Erhalten Sie jetzt völlig legal Ihren echten Doktortitel.

Lesen Sie hier wie es geht >

Mit freundlichen Grüssen,

Ihr Doktortitel-Team!“

Ah, man ist „VIP“, wenn man „Doktor“ ist, das wusste ich auch nicht. Und es gibt ein „Doktor-Titel-Team“? Auch schön. Schreibt man die Doktorarbeit dann im Team. Haben ja in der letzten Zeit einige „Doktors“ gemacht und sind aufgefallen.

Nein, ich melde mich dann doch lieber nicht. Ist sicher eine Finte, oder? Und „VIP“ will ich auch nicht sein/werden 🙂 .

Nachträgliche Pflichtverteidigerbestellung – zumindest dann, wenn das AG „schummeln“ will

Ich mag die – vor allem landgerichtlichen Entscheidungen -, die sich gegen die obergerichtliche Rechtsprechung stellen, wonach eine Pflichtverteidigerbeiordnung nach Abschluss des Verfahrens nicht mehr möglich sei (vgl. die Nachweise bei Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 6. Aufl., 2013, Rn., Rn. 2326), immer wieder gern. Diese Entscheidungen sind nämlich zumindest dann zutreffend, wenn die AG durch „Untätigkeit“ die Pflichtverteidigerbestellung umgehen wollen. Und die die Annahme liegt nahe, wenn ein AG wie in einem gerade vom LG Potsdam entschiedenen Fall (vgl. LG Potsdam, Beschl. v. 31.01.2014 – 25 Qs 8/14) mehr als sechs Monate „herumgedoktert“, ohne einen zeitnah mit Beginn des Verfahrens gestellten Pflichtverteidigerantrag zu bescheiden. Solches Vorgehen sehen die LG nicht gern und bestellen nachträglich dann einen Pflichtverteidiger.

1. Die gemäß § 304 StPO statthafte Beschwerde ist zulässig.

a) Zwar ist in großen Teilen die Rechtsprechung eine nachträgliche und mit Rückwirkung versehende Pflichtverteidigerbestellung, wie sie der Angeschuldigte mit seiner nach erfolgter Einstellung des Strafverfahrens erhobenen Beschwerde gegen die Ablehnungsentscheidung des Amtsgerichts Nauen begehrt, „schlechthin unzulässig“ und mithin grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. nur OLG Hamm, 5. Strafsenat, 5 Ws 184/08 vom 27. Mai 2008 — zitiert nach Juris).

Denn nach h. M. mangelt es in solchen Fällen in der Regel am Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers.

 b) Von diesem Grundsatz ist jedoch nach Ansicht der Kammer jedenfalls dann abzuweichen, wenn das Amtsgericht den rechtzeitig beantragten Beiordnungsbeschluss nicht zeitnah bescheidet und aus nicht nachvollziehbaren Gründen über Monate hinweg von der Entscheidung absieht. So ist die Sachlage hier.

Das Amtsgericht hat den am 19. Juli 2013 gestellten Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers nahezu sechs Monate im Wesentlichen unbearbeitet gelassen und ihn erst an 7. Januar 2014 zusammen mit dem Einstellungsbeschluss beschieden.

Diese Zeitdauer, die sich mit dem Strafverfahren nicht erklären lässt und sich auch mit den Verfügungen des Richters nicht erklären lässt, lässt die Vermutung befürchten, dass das Gericht mit seiner Pflichtverteidigerbestellung ablehnenden Entscheidung — zeitgleich mit dem Einstellungsbeschluss — die Anfechtungsmöglichkeit seines Beschusses zu negieren beabsichtigte.

Dieses Prozedere steht im Grunde einer Nichtentscheidung gleich (vgl. dazu Landgericht Potsdam, 4. Strafkammer, Beschluss vom 25. August 2004, 24 Qs 90/03, StV 2/2005, 83). Die Möglichkeit, das Verfahren einzustellen, steht der Verpflichtung über einen rechtzeitig vor der möglichen Verfahrensbeendigung gestellten Beiordnungsantrag zeitnah zu entscheiden, nicht entgegen.“

Dazu passen dann übrigens auch die OLG Entscheidungen, die in der letzten Zeit eine zeitnahe Entscheidung über den Beiordnungsantrag angemahnt haben (vgl. OLG Hamm StV 2011, 658; OLG Stuttgart StRR 2011, 64).

„Fahrradhelm – mit oder ohne? “ Wenn ohne: Mitverschulden?

FahrradhelmFür mich als Münsteraner ist das OLG Celle, Urt. v. 12. 2. 2014 – 14 U 113/13 – von Bedeutung, Daher mal außer der Reihe in der Woche Zivilrecht. Warum? Nun, es geht in dem Urteil um eine Frage, die für Fahrradfahrer von erheblicher Bedeutung ist, und davon haben wir in Münster ja eine Menge. Im Streit war die noch immer nicht geklärte Frage: Trifft den Fahrradfahrer, der keinen Fahrradhelm getragen hat, bei einem Unfall ein Mitverschulden hinsichtlich erlittener Verletzungen? Die Frage ist ja im vorigen Jahr im Sommer vom OLG Schleswig im OLG Schleswig, Urt. v. 05.06.2013 – 7 U 11/12 – bejaht worden (vgl. dazu: “Helmpflicht durch die Hintertür”? – das OLG Schleswig und der Fahrradhelm…). Das OLG Celle sieht es jetzt für den „normalen Radfahrer“ anders:

„d) Nicht zu folgen vermag der Senat auch der Auffassung des Erstgerichts, den Kläger treffe an der Entstehung der unfallbedingt eingetretenen Verletzungen wegen Nichttragens eines Fahrradhelms ein Mitverschulden im Sinne von § 254 BGB, durch das sich seine Ersatzforderung mindere.

aa) Diesem vom Landgericht nur im Rahmen des Schmerzensgeldanspruchs berücksichtigten Mitverschuldensgesichtspunkt, der – wenn er zu bejahen wäre – bei allen Schadenspositionen, bei denen sich das Unterlassen des Tragens eines Helms ausgewirkt hätte, zu berücksichtigen wäre, steht entgegen, dass jedenfalls die noch immer vorherrschende Auffassung in der Rechtsprechung (OLG Hamm, NZV 2001, 86 sowie NZV 2002, 129; OLG Stuttgart, VRS 1997, 15; OLG Nürnberg, DAR 1991, 173; OLG Karlsruhe, NZV 1991, 25; OLG Saarbrücken, NZV 2008, 202, 203) eine Obliegenheit zum Tragen eines Schutzhelms durch einen Fahrradfahrer im Straßenverkehr jedenfalls dann nicht annimmt, wenn dieser weder zu schnell, noch den herrschenden Straßenbedingungen unangepasst gefahren ist, sich lediglich auf einer Trainingsfahrt befunden hat und dabei völlig unauffällig gefahren ist, ohne besondere Risiken einzugehen.

Unter dieser Maßgabe ist ein Radfahrer aus Eigenschutzgesichtspunkten daher nur gehalten, einen Schutzhelm zu tragen, wenn er sich als sportlich ambitionierter Fahrer auch außerhalb von Rennsportveranstaltungen besonderen Risiken aussetzt oder infolge seiner persönlichen Disposition – etwa aufgrund von Unerfahrenheit im Umgang mit dem Rad oder den Gefahren des Straßenverkehrs – ein gesteigertes Gefährdungspotential besteht (Saarländische OLG, Urteil vom 9. Oktober 2007 – 4 U 80/07; OLG Düsseldorf, Urteil vom 12. Februar 2007, NJW 2007, 3075 ff.).

Hieran vermag nach Auffassung des Senats auch die Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig vom 5. Juni 2013 (Az. 7 U 11/12) nichts zu ändern. Zutreffend ist zwar, dass – wie dort ausgeführt – Radfahrer heutzutage auch im täglichen Straßenverkehr vielfältigen Gefahren ausgesetzt sind. Der vorliegende Fall belegt jedoch geradezu exemplarisch, dass entsprechend schwerwiegende Verletzungen auch unabhängig von der Dichte des Straßenverkehrs auf vergleichsweise ruhigen Seitenstraßen eintreten können, sodass mithin die Zunahme der Verkehrsdichte allein nicht als Argument für einen Sorgfaltspflichtverstoß gegen sich selbst für den Fall des Unterlassens des Tragens eines Schutzhelms herangezogen werden kann.

Richtig ist auch, worauf das Oberlandesgericht Schleswig ebenfalls abstellt, dass die von der bisherigen Rechtsprechung, insbesondere des Oberlandesgerichts Düsseldorf ( a. a. O.), vorgenommene Differenzierung zwischen verschiedenen Arten von Radfahrern – nämlich denjenigen das Fahrrad lediglich als Fortbewegungsmittel nutzenden einerseits sowie den sportlich ambitionierten Fahrern andererseits – durchaus Abgrenzungsschwierigkeiten bereiten kann, zumal aufgrund der technischen Entwicklung auch mit solchen Fahrrädern, bei denen es sich nicht um Rennräder handelt, hohe Geschwindigkeiten erzielt werden können. Gleichwohl vermag jedoch eine solche Differenzierung, die auf eine Einzelfallbetrachtung hinausläuft, den tatsächlichen Verhältnissen im Straßenverkehr am besten gerecht zu werden.

Dabei mag, wie das Oberlandesgericht Schleswig ausführt, zwar das Tragen von Sturzhelmen bei Fahrradfahrern heutzutage bereits mehr verbreitet sein als noch vor einigen Jahren. Eine solche allgemeine Verkehrsauffassung hat der 50. Deutsche Verkehrsgerichtstag allerdings noch 2012 nicht festzustellen vermocht (Scholten, Aktuelles und Bekanntes zum Mitverschulden im Straßenverkehr, DAR Extra 2013, 748, 749 unter Verweis auf Verhandlungen des 50. Verkehrsgerichtstages, AK II, Hamburg 2012). Nach den regelmäßigen Erhebungen der Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST) waren im Jahr 2011 lediglich 11 % und im Jahr 2012 13 % der Fahrradfahrer innerorts mit Helm unterwegs (Scholten, a. a. O., unter Verweis auf BAST, Forschung kompakt, Nr. 06/13: Gurte, Kindersitze, Helme und Schutzkleidung – 2012). Mithin zeigt sich gerade im täglichen Straßenbild, dass die weit überwiegende Zahl von Fahrradfahrern – und dies dürften insbesondere die weniger dem sportlich ambitionierten Personenkreis, als mehr dem der „Alltagsfahrer“, die das Fahrrad als schlichtes Fortbewegungsmittel benutzen, zuzurechnenden sein – eben keinen Helm benutzen. Diesen Personen grundsätzlich im Fall einer Kopfverletzung ein Mitverschulden ausschließlich infolge des Nichttragens eines Helms anzulasten, ohne dass sie durch ihre Fahrweise zu dem Unfall Anlass gegeben hätten, erscheint dem Senat unangemessen. Hierauf würde allerdings die vom Oberlandesgericht Schleswig vertretene Auffassung hinauslaufen, obwohl auch weiterhin keine gesetzlich geregelte und bußgeldbewehrte Verpflichtung für Fahrradfahrer, selbst für Nutzer bestimmter Arten von E-Bikes, die nicht der Bestimmung des § 21 a Abs. 2 S. 1 StVO unterfallen, zur Nutzung eines Sturzhelms besteht.

Das OLG Celle hat die Revision zugelassen. Vielleicht bekommen wir in der Frage ja dann jetzt bald eine Entscheidung des BGH. Die Helmhersteller wird es vielleicht freuen 🙂 .

„Schuster – ähh Bezirksrevisor – bleib bei deinen Leisten“

entnommen wikimedia.org Urheber Asio otus

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Die Kollegin Rueber hat in ihrem Blog die schöne Serie: „Wir überprüfen Sprichwörter…“ (hätte man auch selbst drauf kommen können 🙂 ; vgl. hier z.B. zuletzt: Wir überprüfen Sprichwörter Heute: Nicht die erste Instanz muss gewonnen werden, sondern die letzte). An die Serie habe ich beim Lesen des OLG Celle, Beschl. v. v. 22.01. 2014 – 1 Ws 19/14 – gedacht. Eine gebührenrechtliche Entscheidung, in der- man liest es selten – das OLG den Bezirksrevisor in die Schranken weist. Warum?

Im Verfahren hatte das AG hat den Angeklagten zu mehreren Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt. Dagegen hat der Angeklagte durch seinen ihm beigeordneten Verteidiger Berufung eingelegt. In der Folgezeit hat der Verteidiger die Rücknahme der Berufung für den Fall in Aussicht gestellt, dass die Staatsanwaltschaft die Vollstreckungsreihenfolge der gegen den Angeklagten zu vollstreckenden Freiheitsstrafen in der Weise abändere, dass die Strafvollstreckung nach Teilverbüßung gemäß § 35 BtMG zurückgestellt werden könnte. Hierzu hat er mit der zuständigen Abteilungsleiterin der Staatsanwaltschaft ein persönliches Gespräch geführt und mit zwei Schreiben um Abänderung der Vollstreckungsreihenfolge ersucht. Nachdem die Staatsanwaltschaft diesem Ersuchen nachgekommen war, hat der Verteidiger dann die Rücknahme der Berufung erklärt, ohne dass die Akten bis dahin dem Berufungsgericht vorgelegen hatten.

Der Verteidiger hat die Festsetzung der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nrn.  4141 Abs. 1 Nr. 1, 4124 VV RVG beantragt. Diese Verfahrensgebühr hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle für das Berufungsverfahren abgesetzt.  Das AG hat aber die Festsetzung der Gebühr beschlossen. Dagegen dann das Rechtsmittel der Bezirksrevisorin. Sie war der Auffassung, dass nach dem Wortlaut der Nr.  4141 Abs. 1 Nr. 3 VV RVG die Befriedungsgebühr nur entstehe, wenn sich das gerichtliche Verfahren durch Rücknahme der Berufung erledige. Dies setze den Eingang der Verfahrensakten beim LG als Berufungsinstanz voraus, weil erst dann eine Hauptverhandlung vermieden werden könne. Dies sei bei der entsprechenden Konstellation im Revisionsverfahren anerkannt und müsse auch für das Berufungsverfahren Anwendung finden, um einen eindeutigen Anknüpfungspunkt für das Entstehen der Befriedungsgebühr zu bieten. Zudem sei die erhobene Berufung aufgrund sachfremder Beweggründe erhoben worden. Das Anliegen des Verteidigers hätte auch nach Rechtskraft des Urteils im Vollstreckungsverfahren erreicht werden können, sodass eine entsprechende Tätigkeit des Verteidigers durch Ziffer 4205 VV RVG abgegolten hätte werden können.

Das OLG hat dem eine volle Absage erteilt: Zutreffend sei darauf abgestellt worden, dass es im Berufungsverfahren anders als im dabei auf den Eingang der Akten beim Rechtsmittelgericht nicht ankomme. Die Durchführung einer Hauptverhandlung sei im Berufungsverfahren der Regelfall. Da auch der Wortlaut der Nr.  4141 Abs. 1 Nr. 3 nur zwischen begonnener und nicht begonnener Hauptverhandlung, nicht aber zwischen Anhängigkeit und Nichtanhängigkeit des Verfahrens in der Rechtsmittelinstanz differenziere, komme es für das Entstehen der Befriedungsgebühr in der Berufungsinstanz allein darauf an, ob eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit ersichtlich gewesen sei (Nr.  4141 Abs. 2 VV RVG). Angesichts der dargelegten Verhandlungen mit dem Ziel der Abänderung einer Vollstreckungsreihenfolge als Voraussetzung für die Rücknahme der Berufung sei dies – so das OLG – der Fall.

Und zum „Schuster und seinen Leisten“:

„Die Berufung ist entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin auch kein unsachgemäßes prozessuales Mittel gewesen, um den erwünschten Erfolg zu erzielen. Hätte die Staatsanwaltschaft nämlich der Abänderung der Vollstreckungsreihenfolge nicht zugestimmt, wäre es legitim gewesen, die Berufung mit dem Ziel einer geringeren, die Anwendung des § 35 BtMG im Vollstreckungsverfahren ermöglichenden Sanktion zu erreichen. Wäre die Berufung bereits vor einer solchen Zusage von Seiten der Staatsanwaltschaft zurückgenommen worden, wäre der Angeklagte Gefahr gelaufen, im Fall einer fehlenden Bereitschaft der Staatsanwaltschaft, die Vollstreckungsreihenfolge abzuändern, sein Ziel nicht mehr erreichen zu können. Im Übrigen obliegt es nicht dem Vertreter der Landeskasse darüber zu befinden, ob ein erhobenes Rechtsmittel sachgerecht ist, wenn damit jedenfalls die Möglichkeit einer Besserstellung des Angeklagten erzielt werden kann.“

Wie gesagt, liest sich gut.

Kann der Pflichtverteidiger auf gesetzliche Gebühren verzichten? – Yes he can

© AllebaziB - Fotolia.com

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Die Frage, ob der Pflichtverteidiger auf Gebühren verzichten kann, stellt sich immer in den Fragen der sog. „Umbeiordnung“, also der Entpflichtung eines Rechtsanwalts und der Beiordnung eines anderen Verteidigers über die Gründe der Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses hinaus. Das Problem stellt sich häufig, wenn dem Beschuldigten über § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO ein Pflichtverteidiger bestellt worden ist, sich dann aber der „Verteidiger des Vertrauens“ meldet. Dann wird ggf. „umbeigeordnet“, die Umbeiordnung soll aber „kostenneutral“ erfolgen. Wenn der neue Verteidiger dann auf Gebühren, i.d.R. die Grundgebühr und (jetzt) die Verfahrensgebühr, verzichtet, heißt es bei einigen Gerichten (s. die Nachweise im verlinkten Beschluss): Geht nicht, dem steht § 49b BRAO entgegen, der auch für Pflichtverteidiger gilt. So auch vor einiger Zeit beim AG Osnabrück. Die Kollegin, die „Anwältin des Vertrauens“ werden sollte/wollte hat sich aber mit der Ablehnung der Umbeiordnung durch das AG nicht zufrieden gegeben und die Frage beim LG Osnabrück „zum Spruch gestellt“. Und das LG Osnabrück hat ihr Recht gegeben. Die Kollegnin hat mir den Beschluss zukommen lassen und mich gebeten, ihn zu veröffentlichen. Tue ich dann (auch) hier gerne, vor allem auch deshlab weil ich im Vorfeld mit der Kollegin über die Argumentation korrespondiert hatte. Freut einen dann ja, wenn der Kollege damit dann Erfolg hatte. Lag aber nicht nur an meinem Rat, sondern die Kollegin hatte auch unabhängig davon eine „schöne Beschwerdebegründung gebastelt“. 🙂 😀

Das LG führt im LG Osnabrück, Beschl. v. 12.02.2104 – 10 Qs – 1366 Js 49405/13 – 4/14 – zu der Problematik aus:

1. Gebührenrechtliche Gründe stehen dieser Auffassung nicht entgegen.
…..
Das Amtsgericht Osnabrück hat sich in der angefochtenen Entscheidung der letztgenannten Auffassung angeschlossen.

b) Die Kammer schließt sich im Ergebnis — nicht zuletzt im Hinblick auf die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Oldenburg — der erstgenannten Auffassung an.

(1)  Dem Gesetzeswortlaut des § 49b BRAO ist nicht eindeutig zu entnehmen, dass die Vorschrift für sämtliche Gebührentatbestände Geltung beansprucht oder eben nur für solche, die auf vertraglicher Grundlage entstehen. § 49b Abs. 1 Satz 1 BRAO spricht vom „Vereinbaren“ oder „Fordern“ von Gebühren und Auslagen. Die Gerichte, die einen Verzicht für unzulässig halten, sehen in dem Antrag des beigeordneten Verteidigers auf Festsetzung seiner Gebühren (§ 55 RVG) ein „Fordern“ im Sinne des § 49b Abs. 1 Satz 1 BRAO (vgl. nur OLG Naumburg, a.a.O., juris Rn 11).

Allerdings ist der Entstehungsgeschichte des § 49b BRAO zu entnehmen, dass der Gesetzgeber das „Fordern“ nicht auf die Festsetzung von Gebühren eines beigeordneten Verteidigers aus der Staatskasse bezogen hat, sondern eher als Unterfall des „Vereinbarens“, nämlich eines einseitigen Aktes des Rechtsanwalts im Zusammenhang mit dem „Vereinbaren“. Denn Hintergrund der gesetzlichen Regelung war die Erwägung, ein Mandant solle sich nicht aus fiskalischen Gründen einen besonders preisgünstigen Rechtsanwalt suchen müssen (Begründung der Bundesregierung zum Gesetzesentwurf, BT-Drucksache 12/4993, Seite 31). Dass der Gesetzestext bei seiner Entstehung auf zivilprozessuale Gegebenheiten bezogen war, ist schon daraus zu ersehen, dass die Gesetzesbegründung in diesem Zusammenhang einzig von „Prozeßkostenhilfe“, „Beratungshilfe“ und „Aufträge erteilen“ spricht (BT-Drucksache 12/4993, Seite 31). Sprachlich finden sich in der Gesetzesbegründung keine Anknüpfungspunkte dafür, dass die gesetzliche Regelung auch für den Strafprozess gelten soll, soweit Gebühren aus der Staatskasse zu zahlen sind. Für einen Mandanten, also den Beschuldigten, wird es im Falle einer „Umbeiordnung“ im Übrigen auch nicht „preisgünstiger“.

Dies erhellt, dass es sich bei der Gleichsetzung des „Forderns“ mit dem Festsetzungsantrag des beigeordneten Verteidigers eher um eine sprachliche Finesse denn um ein inhaltliches Argument handelt.

(2) Soweit die ratio der Vorschrift ins Feld geführt wird, um einen Gebührenverzicht für unwirksam zu erklären, teilt die Kammer diese Bedenken nicht. § 49b Abs. 1 BRAO soll einen Wettbewerb unter Rechtsanwälten verhindern oder zumindest begrenzen, soweit er über Gebühren geführt wird und nicht über die Qualität anwaltlicher Arbeit (BT-Drucksache 12/4993, Seite 31).

Diesem Gesetzeszweck ist dadurch Genüge getan, dass der bisherige Verteidiger der „Umbeiordnung“ zustimmen muss. Es ist damit ausgeschlossen, dass er gegen seinen Willen aus der Verteidigung gedrängt wird.

Die dieser Auffassung entgegen tretenden Gerichte weisen für ihren Standpunkt darauf hin, dass auch der neu zu bestellende Verteidiger sein neues Mandat dadurch „erkaufe“, dass er den gesetzlich vorgesehenen Preis unterbiete (so ausdrücklich OLG Bremen, Beschluss vom 12. Juli 2013 — Ws 184/12; OLG Jena JurBüro’2006, 365).

Die Kammer beobachtet den „Kampf um Pflichtverteidigermandate“ schon seit längerem. Hierbei hat sie festgestellt, dass es in aller Regel die etablierten und wirtschaftlich stärkeren Kanzleien bzw. Rechtsanwälte sind, die eine Beiordnung auch um den Preis des teilweisen Verzichts auf Gebühren erstreben. Es ist mitnichten so, dass wirtschaftlich schwache Anwälte sich um den Preis eines teilweisen Gebührenverzichts den Zugang zu neuen Mandaten „erkaufen“. Ein ruinöser Preiswettbewerb zu Lasten von wirtschaftlich schwächeren Anwälten ist deshalb nicht zu befürchten. Dass der ursprüngliche Verteidiger, bei dem es sich in aller Regel um den wirtschaftlich schwächeren handelt, gegen seinen Willen von dem Zustandekommen weiterer, erst im Laufe eines Strafverfahrens anfallender Gebühren abgehalten wird, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Denn es bedarf seiner Zustimmung zu dem Verteidigerwechsel.“

M.E. muss man in den Fällen, in den der Beschuldigte sein Auswahlermessen nicht hat ausüben können, sogar noch einen Schrift weiter gehen und die Gebührenfragen völlig außen vor lassen. Denn dann war das Verfahren nicht ordnungsgemäß. Warum sollen die daraus entstehenden Nachteile den neuen Verteidiger treffen?