Die Kollegen im Bezirk des OLG Celle scheinen besonders rührig zu sein hinsichtlich der mit der Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung im Bußgeldverfahren zusammenhängenden Fragen. Denn es kommen gerade aus dem OLG Bezirk Celle eine ganze Reihe von Entscheidungen, die sich mit der Problematik befassen, und zwar auch des OLG Celle selbst, mit denen man nicht immer konform gehen kann (vgl. zuletzt u.a. Akteneinsicht a la OLG Celle: Da mutet man dem Betroffenen aber ein wenig viel zu…). Aber vielleicht hat das „hohe Entscheidungsaufkommen“ ja auch damit zu tun, dass – was ich nicht beurteilen kann – die Verwaltungsbehörden und auch Amtsgerichte in dem Bezirk „besonders streng“ mit der Gewährung von Akteneinsicht in den Fällen sind. Dazu kann man nach Lektüre des OLG Celle, Beschl. v. 26.03.2013 – 322 SsBs 377/12, der erst jetzt veröffentlicht worden ist, aber nur anmerken/sagen: Verwaltungsbehörden überlegt euch, was ihr tut. Zieht euch warm an.
Der Beschluss des OLG hat es nämlich in sich. Im Verfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung war vom AG (!!) bei der Verwaltungsbehörde die Bedienungsanleitung des Messgerätes angefordert worden. Die Verwaltungsbehörde hatte die Herausgabe u.a. unter Hinweis auf das Urheberrecht des Herstellers der Bedienungsanleitung verweigert und dann den Betroffenen frei gesprochen. Dagegen (natürlich) die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, die dann auch Erfolg hatte.
Das OLG moniert beim AG eine nicht ausreichende Begründung des Freispruchs. So weit, so gut.
Der Hammer steckt dann aber in der „Segelanweisung“, in der es u.a. heißt:
„a) Sollte das Amtsgericht in der erneuten Hauptverhandlung erneut das Vorliegen einer Bedienungsanleitung für die Überzeugungsbildung für erforderlich halten, so darf es sich zur Begründung eines Freispruchs nicht darauf zurückziehen, dass die Bußgeldbehörde die Herausgabe eines in ihrem Besitz befindlichen Exemplars der Bedienungsanleitung verweigert…..
Das Amtsgericht kann seiner Sachaufklärungspflicht aber auch selbst genügen, sofern es die Vorlage einer Bedienungsanleitung im Einzelfall für erforderlich hält, um sich eine Überzeugung von der Schuld eines Betroffenen zu verschaffen. So hat es die Möglichkeit, die Verwaltungsbehörde unter Bezugnahme auf § 71 Abs. 2 Nr. 2 OWiG um Übersendung der Bedienungsanleitung zu ersuchen. Die Vorschrift dürfte auch für Unterlagen gelten, die nicht allein Erklärungen der Behörde betreffen, sondern auch andere Unterlagen, die zu Beweiszwecken benötigt werden (vgl. etwa Göhler a. a. O., § 71 Rdnr. 23 c i. V. m. § 69 Rdnr. 18). Die Behörde ist nach der gesetzlichen Intention verpflichtet, einem solchen Ersuchen des Amtsgerichts zu entsprechen (vgl. BT?Drucksache 10/2652 S. 19, Karlsruher Kommentar, a. a. O., § 71 OWiG Rdnr. 27; Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 71 Rdnr. 23 b), diese Verpflichtung kann auch nicht durch schlichte Verwaltungsanweisungen unterlaufen werden.
Zudem kann das Amtsgericht gemäß § 46 Abs. 1 OWiG, § 98 StPO eine bei der Verwaltungsbehörde vorhandene Bedienungsanleitung beschlagnahmen und zur Durchführung der Beschlagnahme auch einen Durchsuchungsbeschluss nach § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. §§ 103, 105 StPO in den Räumen der Behörde erlassen. Schließlich wäre der Erwerb eines Exemplars der Bedienungsanleitung bei der Herstellerfirma zu prüfen, die Kosten dafür sind Kosten des Verfahrens und von demjenigen zu tragen, der in die Kosten verurteilt wird.“
Na, das ist doch mal ein mehr als deutlicher Hinweis und wird sicherlich Leben in die Diskussion bringen, wenn die AG das umsetzen (müssen) und vor einem Freispruch erst mal eine Durchsuchung bei der Verwaltungsbehörde starten und dort dann morgens gegen 07.00 Uhr die ersten Polizeiwagen bei der Verwaltungsbehörde vorfahren und eine Hundertschaft die Durchsuchung beginnt :-). Und: Von hier aus ist es nur ein kleiner Schritt zu Durchsuchung und Beschlagnahme beim Hersteller der Geräte. Auch die werden sich sicherlich nach der ersten Durchsuchung ihrer Geschäftsräume überlegen, ob man vielleicht doch ein wenig anders mit den Rechten des Betroffenen umgeht.
Denn: Das OLG hat dann auch unter Hinweis auf § 45 UrhG entschieden, dass die Berufung auf das Urheberrecht nicht greift; Cierniak (vgl.hier “Prozessuale Anforderungen an den Nachweis von Verkehrsverstößen”) und KG (vgl. hier: Gerade herein bekommen: Auch das KG entscheidet positiv zur Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung) lassen grüßen.
Mit dem driten Leitsatz des OLG Celle: „Das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers nach § 147 StPO umfasst nicht die Bedienungsanleitung für das Messgerät, wenn diese nicht bereits Aktenbestandteil geworden ist.“ habe ich so meine Probleme. Da hat das OLG m.E. den Cierniak-Aufsatz nicht ganz gelesen. Aber, was soll es? Die Durchsuchungspassage ist schon aufregend genug :-D.
Ob sich diese Auffassung, man könne bei der Verwaltungsbehörde einfach mal durchsuchen, mit der des Schleswig-Holsteinischen OLG vom 20.02.2013 verträgt (keine Durchsuchung bei der Staatsanwaltschaft) ?
Da war und ist das AG wohl schlicht und einfach auf Krawall gebürstet. Nach meiner Erfahrubäng kann man die Anleitungen einfach beim Hersteller anfordern und dann bekommt man sie.
„Einfach anfordern“? Aus der Praxis wird es anders berichtet.
Tja, da ich ebenfalls Praktiker bin, kann ich nur von meiner Sichtweise berichten. Und danach rücken die Hersteller auf gerichtliche Anforderung ohne Weiteres die Anleitungen raus, die dann Bestandteil der Gerichtsakte werden.
Dann leben Sie auf einer Insel der Glückseligen. Ich höre von vielen Kollegen anderes und habe ja auch einige Entscheidungen, bei denen nicht herausgegeben worden ist, wie z.B. AG Kempen.
Zumal es gerade in einer Owisache aus Sicht des Gerichts nichts einfacheres gibt, als allen Beweisanträgen der Verteidigung nachzugehen. Irgendwann geht der Verteidigung die Luft aus.
Letztlich wird es ja so sein, dass Sie überwiegend die ablehnenden Entscheidungen zu Gesicht bekommen. Die Verfahren, in denen die Anleitung usw. angefordert werden, dürften in aller Regel in einer Einspruchsrücknahme oder in einem einzeiligen Beschluss des OLG enden.
die, die ich bekomme, sind interessanter
Eine Durchsuchung dürfte im Übrigen in aller Regel unverhältnismäßig sein.
M.E. nicht. Wird sich das OLG schon Gedanken drum gemacht haben.
Lesen Sie mal EGMR Nr. 41604/98 – Urteil vom 28. April 2005 zur Durchsuchung bei Dritten im OWi-Verfahren. Es soll OLGe geben, deren Entscheidungen gelegentlich aufgehoben werden, mithin nicht gottgleich sind.
Sie können sicher sein, dass ich einen guten Überblick über die Rechtsprechung habe. EGMR (VRR 2005, 311) betrifft die Durchsuchung der Privaträume eines Dritten, ob man die Grundsätze 1 : 1 auf die Durchsuchung bei einer Verwaltungsbehörde übertragen kann, kann man m.E. mit guten Gründen bezweifeln, zumal, wenn die Herausgabe von Unterlagen verweigert wird. Aber gedulden Sie sich. Ggf. bekommt der EGMR ja Gelegenheit, die Frage zu entscheiden.
Im Übrigen: „Gottgleich“. Haben Sie ein Problem mit den OLG?
Und damit schließ ich für mich die Diskussion.
Ich verstehe nicht, warum Sie sich persönlich angegriffen fühlen. Es muss doch möglich sein, über juristische Sachverhalte in einem angemessenen Ton zu diskutieren.
Dass die OLGe in D bei der Rechtsprechung nicht das letzte Wort haben, ist allgemein bekannt.
Woraus schließe Sie das? ich habe lediglich für mich die Diskussion geschlossen, weil ich nicht die Zeit habe, zu den Beiträgen auch noch jeweils umfangreich zu diskutieren.