Archiv für den Monat: Juli 2013

„Venire contra factum proprium“ bei der Ablehnung von Beweisanträgen.

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Immer wieder stößt man in der Rechtsprechung des BGH auf Entscheidungen, die sich mit unzureichender Ablehnung von  Beweisanträgen befassen. Breiteren Raum nehmen dabei die Fälle ein, in denen die Erhebung des Beweises wegen (tatsächlicher) Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache (§ 244 Abs. 2 Satz 2 StPO) abgelehnt wird. An dieser Stelle werden häufig Fehler gemacht, auf die der BGH jetzt noch einmal in dem BGH, Beschl. v. 14.05.2013 – 5 StR 143/13 – hingewiesen hat. Ein wenig: Abteilung kleiner Grundkurs, was die Schwurgerichtskammer des LG Bautzen da lesen muss. Die hatte nämlich einen Beweisantrag der Verteidigung wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit abgelehnt., der sich auf die Glaubhaftigkeit der Angaben einer Zeugin richtete. Der BGH beanstandet die Begründung der Kammer:

„a) Bereits die Begründung, mit der das Landgericht den auf eine Indiztatsache gerichteten Beweisantrag abgelehnt hat, genügt nicht den insoweit bestehenden Anforderungen. Der Beschluss, mit dem die Erhebung eines Beweises wegen Unerheblichkeit der Beweistatsache abgelehnt wird, ist mit konkreten Erwägungen zu begründen, warum das Tatgericht aus der Beweistatsache keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen ziehen will. Die Anforderungen an diese Begründung entsprechen grundsätzlich denjenigen, denen das Gericht genügen müsste, wenn es die Indiz- oder Hilfstatsache durch Beweiserhebung festgestellt und sodann in den schriftlichen Urteilsgründen darzulegen hätte, warum sie auf seine Entscheidungsbildung ohne Einfluss blieb. Dies nötigt zu einer Einfügung der Beweistatsache in das bisher gewonnene Beweisergebnis (BGH, Beschluss vom 27. November 2012 – 5 StR 426/12 mwN). Das Landgericht hätte sich daher in der Beschlussbegründung ausdrücklich damit auseinandersetzen müssen, weshalb der für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit jedenfalls nicht von vornherein unerhebliche Umstand der Übereinstimmung kurz nach der Tat gegenüber einer Bekannten getätigter Angaben mit einer zwei Wochen später stattfindenden Aussage bei der Polizei im konkreten Fall keinen Einfluss auf die Bewertung der das Tatgeschehen weitgehend im Einklang mit der Einlassung des Angeklagten darstellenden Angaben der Zeugin Wi. haben kann, sei es, weil es der Zeugin ohnehin Glauben schenkt, sei es, weil es deren Angaben auch bei einer zu unterstellenden Richtigkeit der Beweisbehauptung aus bestimmten Gründen als unglaubhaft bewerten würde. Demgegenüber erweckt die Beschlussbegründung den Eindruck, das Landgericht halte den – tatsächlich bestehenden – Zusammenhang der Beweistatsache mit dem Gegenstand der Urteilsfindung nicht für gegeben.“

Also: Quasi Urteilsbegründung bereits im Verfahren.

An dem Mangel hat der BGH allerdings den Bestand des Urteils nicht scheitern lassen. Dann aber daran, dass sich die Kammer an die Annahme nicht gehalten hat, sondern sich im Urteil zu der Ablehnungsbegründung in Widerspruch gesetzt hat und die Urteilsgründe auf das Gegenteil der unter Beweis gestellten Tatsache gestützt hat. Also: Schuldrecht – „Venire contra factum proprium“ trifft Strafrecht.

Ehemann bei Rattenjagd über Hund gestolpert, Frau erschossen – Unglück oder Totschlag?

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LTO berichtet über ein Verfahren beim LG Coburg, in dem ein (Ehe)Mann gestanden hat, seine Ehefrau mit einer Schrotflinte erschossen zu haben. Es habe sich allerdings um einen tragischen Unfall und nicht um Absicht gehandelt, sagte der 55-Jährige beim Prozessauftakt am Montag. Er habe mit dem Gewehr Ratten jagen wollen und sei über seinen Hund gestolpert – dabei habe sich ein Schuss gelöst und seine Frau getroffen. Mehr dazu hier bei LTO.

Urteilsverkündung ist am 05.08.2013. Man darf gespannt sein. Denn ein Motiv für einen Totschlag gibt es wohl, allerdings haben Sachverständige einen anderen Tathergang rekonstruiert. Auf der anderen Seite: Die Einlassung ist so ungewöhnlich, dass man daraus schon auf die Richtigkeit schließen könnte.

Strafzumessung: „Schon aus dem nemo-tenetur-Grundsatz…“

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Manchmal versteht man nicht, warum eigentlich im Grunde einfache Strafzumessungsgrundsätze, die sich wie ein roter Faden durch die Rechtsprechung des BGH ziehen, auf die der BGH also immer wieder hinweist, von den Tatgerichten nicht beachtet werden. So in einem Urteil des LG Essen, das der BGH, Beschl. v. 22.05.2013 – 4 StR 151/13 aufgehoben hat.

Es geht um die Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und die Frage: Minder schwerer Fall, ja oder nein?  Den hatte das LG abgelehnt mit der Erwägung „für die Annahme eines minder schweren Falles spreche zwar das teilweise Geständnis des Angeklagten; es könne allerdings nicht übersehen werden, dass dieser zugleich versucht habe, durch seine Einlassung die Folgen seiner Tat zu verharmlosen, indem er entgegen den späteren Feststellungen im angefochtenen Urteil behauptet habe, er hätte das Kokain wegen der (angeblich) schlechten Qualität wieder zurückerhalten. In Bezug auf alle festgestellten Taten hat das Landgericht ferner ausgeführt, gegen die Annahme minder schwerer Fälle spreche „letztlich“ der Umstand, dass der Angeklagte äußerst konspirativ vorgegangen sei. Die Strafkammer sei aufgrund einer Gesamtschau davon überzeugt, dass der Angeklagte offenbar von Anfang an beabsichtigt habe, die Ermittlungsmaßnahmen der Polizei in eine falsche Richtung zu lenken. Die polizeilichen Ermittlungen seien dadurch erheblich erschwert worden. Beispielsweise habe die wahre Identität des Angeklagten erst am 1. Februar 2012 durch die Polizei festgestellt werden können, nachdem der Telefonanschluss des Angeklagten für etwa 14 Tage überwacht und die Koordinaten seines Wohnsitzes unter Auswertung der Gesprächsinhalte aufwändig festgestellt worden seien.“

Dass das nicht gut gehen konnte, liegt m.E. auf der Hand. Der BGH hebt dann auch ohne viel Hin und Her den Strafausspruch auf:

„2. Schon aus dem nemo-tenetur-Grundsatz (§§ 136 Abs. 1 Satz 2, 163a Abs. 4 Satz 2, 243 Abs. 5 Satz 1 StPO) folgt, dass der Beschuldigte in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht verpflichtet ist, aktiv die Sachaufklärung zu fördern und an seiner eigenen Überführung mitzuwirken (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 364/03, BGHSt 49, 56, 59 f.). Dem-entsprechend darf ihm mangelnde Mitwirkung an der Sachaufklärung nicht strafschärfend angelastet werden (BGH, Beschluss vom 8. November 1995 – 2 StR 527/95, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 17 mwN). Darüber hinaus kann auch Prozessverhalten, mit dem der Angeklagte – ohne die Grenzen zulässiger Verteidigung zu überschreiten – den ihm drohenden Schuldspruch abzuwenden versucht, grundsätzlich nicht straferschwerend berücksichtigt werden, da hierin – unbeschadet einer Verletzung des nemo-tenetur-Grundsatzes – eine Beeinträchtigung seines Rechts auf Verteidigung läge. Dies gilt nicht nur dann, wenn er eine unrichtige Einlassung unverändert aufrechterhält, sondern auch, wenn er dem Anklagevorwurf mit jedenfalls teil-weise wahrheitswidrigem Vorbringen zu begegnen sucht (BGH, Beschluss vom 8. November 1995 aaO).

Gemessen daran kann der Senat vor dem Hintergrund des Gesamtzusammenhangs der Strafzumessungserwägungen nicht ausschließen, dass die Strafrahmenwahl des Landgerichts im Hinblick auf beide Umstände maßgeblich durch eine unzulässige Bewertung des Verteidigungsverhaltens des Angeklagten beeinflusst ist. Dies gilt umso mehr, als die von der Strafkammer herangezogene Erwägung, durch die äußerst konspirative Vorgehensweise des Angeklagten seien die polizeilichen Ermittlungen erheblich erschwert worden, mit dem bloßen Hinweis auf eine zweiwöchige Telefonüberwachung und die darauf gestützte Bestimmung der Wohnsitz-Koordinaten nicht hinreichend mit Tatsachen belegt ist.“

Hätte man drauf kommen können, oder? Die Formulierung „Schon aus dem nemo-tenetur-Grundsatz…“ zeigt sehr deutlich, was der BGH von landgerichtlichen Erwägungen hält. Wenn ein Revisionsgericht mit „schon“ formuliert, ist das schon nie so schön :-).

BVB-Fahne darf weiter flattern…Nachbarrechtsstreit entschieden

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Am 23.02.2013 hatte ich über den beim VG Arnsberg anhängigen Nachbarrechtsstreit berichtet, (Kein Sonntagswitz: Der Nachbarschaftsstreit um die Borussia Dortmund Fahne), in dem es um die Frage ging, ob eine auf einem Nachbarschaftgrundstück wehende Fahne von Borussia Dortmund unzulässige Werbung ist, die dem Nachbarn untersagt werden kann/muss (Kläger ist wahrscheinlich ein Schalke-Fan). Zu dem Streit liegt jetzt seit dem 15.07.2013 eine Entscheidung des VG Arnsberg vor (vgl. hier die PM vom 22.07.2013 zum Urteil vom 15.07.2013 in 8 K 1679/12). In der PM dazu heißt es:

„Im Streit um die in einem Wohngebiet der Stadt Hemer gehisste Fahne des Fußballclubs Borussia Dortmund hat das Verwaltungsgericht Arnsberg die Beseitigungsklage eines Nachbarn durch Urteil vom 15. Juli 2013 abgewiesen.

BVB-Fans hatten die ca. 1 x 2 m große Fahne an einem etwa 5 m hohen Fahnenmast im hinteren Teil ihres Grundstücks angebracht. Die Kläger, deren Grundstück rund 11,50 m von dem Fahnenmast entfernt ist, verlangten – erfolglos – bauaufsichtliches Einschreiten von der Stadt Hemer. Sie machten u.a. geltend, dass die Fahne eine im Wohngebiet unzulässige Werbeanlage für den BVB als börsennotiertes Unternehmen darstelle und von ihr unzumutbare Störungen durch Lärm und Schlagschatten ausgingen.

Das Verwaltungsgericht folgte der Argumentation der Kläger nicht und führte in seinem Urteil aus: Der Fahnenmast mit der BVB-Fahne stelle keine wohngebietsfremde Nutzung dar. In dem Aufstellen des Masts liege keine eigene gewerbliche Betätigung. Auch handele es sich nicht um eine Werbeanlage im baurechtlichen Sinne, weil der Mast nicht als Träger für wechselnde Werbung vorgesehen sei; die aufgezogene Fahne bringe lediglich die innere Verbundenheit mit dem BVB zum Ausdruck. Mast und Fahne seien eine im Wohngebiet zulässige Nebenanlage. Von dieser gingen auch keine unzumutbaren Beeinträchtigungen aus. Dass die Fahne gerade bei Nässe und starkem Wind nicht unerhebliche Geräusche verursache, führe nicht zu einem Einschreitensanspruch der Kläger. Die Eigentümer des Nachbargrundstücks hätten glaubhaft versichert, die Fahne bei entsprechenden Wetterlagen einzuholen. Selbst wenn dies gelegentlich versäumt werde, sei ein zumutbares Maß an Beeinträchtigungen nicht überschritten. Auch der Blick auf die flatternde Fahne begründe keine unzumutbare Störung der Kläger. Nicht anders als bei den Lebensäußerungen der Bewohner selbst und den durch die Gartennutzung üblicherweise entstehenden Geräuschen gehe es auch hier um gelegentlich auftretende Beeinträchtigungen, die mit der Wohnnutzung zusammenhingen und im Nachbarschaftsverhältnis grundsätzlich hingenommen werden müssten.

Das Urteil ist (natürlich) nicht rechtskräftig. Fahne darf aber zunächst mal weiter flattern…Die BvB-Fans hoffen natürlich, dass die Fahne in der kommenden Saison auch Grund zum Flattern hat.

Wo bleibt das neue RVG/2. KostRMoG? Nehmen Sie bitte den Füller zur Hand Herr Gauck…

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Nun ist es schon fast drei Wochen her, dass der Bundesrat abschließend über das 2. KostRMoG entschieden hat (vgl. Juch-Hu: Es ist vollbracht – RVG-Reform im Bundesrat durch) und bislang ist noch nichts im BGBl. veröffentlicht. Das muss aber in diesem Monat noch geschehen, weil sonst das Gesetz nicht zum 01.08.2013 in Kraft treten kann.

Man fragt sich, woran es liegt, dass der Bundespräsident noch nicht unterschrieben und damit den Weg für die Veröffentlichung im BGBl frei gemacht hat. Ich habe mich mal ein wenig umgehört und aus – gewöhnlich gut unterrichteten  Kreisen 🙂 – gehört/erfahren:

Der Bundespräsident ist/oder war bis vor kurzem  auf Reisen in Lettland. In diesen Fällen  unterschreibt der Bundesratspräsident. Konnte er aber nicht, weil das BMJ von der Reise nichts wusste und „der Bundespräsident“ unter das Gesetz geschrieben hat.

Ob die „verrückte Sache :-)“ stimmt, weiß ich nicht. Aber, falls er wieder zu Hause sein sollte, der liebe Herr Gauck: Nehmen Sie einfach Füller in die Hand nehmen und schnell unterschreiben.  Ca. 160.000 Rechtsanwälte würden es ihnen danken.