Archiv für den Monat: Juni 2013

Aufruf zu Lynch-Justiz bei Facebook – (nochmal) zwei Wochen Jugendarrest…

Wir erinnern uns: Im Februar/März 2012 gab es in Emden den Mordfall Lena. In dem nach dem Mord an der Schülerin irrtümlich ein junger Mann aus Emden unter Verdacht geraten und verhaftet worden. In Zusammenhang damit hatte es Aufrufe zur Lynchjustiz gegeben. Einer davon hat jetzt noch einmal das AG Aurich beschäftigt. „Ab zur Polizeiwache, lasst uns das Schwein mit Steinen beschmeißen“, hatte der dort Angeklagte auf seiner Seite bei Facebook gepostet. Anschließend hatten sich dann bis zu 50 Menschen vor dem Emder Polizeikommissariat versammelt, in dem der Verdächtige saß und gefordert: „Schickt das Schwein raus. Dann werden wir uns um ihn kümmern.“

Wegen des Aufrufs ist dann heute der inzwischen 19-jährige Angeklagte, der über Facebook gepostet hatte wegen des öffentlichen Aufrufs zu einer Straftat zu zwei Wochen Jugendarrest verurteilt worden. (vgl. auch schon das AG Emden hier: Der Lynch-Aufruf bei Facebook bringt zwei Wochen Jugendarrest, wegen weiterer Einzelheiten vgl. u.a. hier bei FAZ „Jugendarrest nach Aufruf zur Selbstjustiz“. Damit sind dann wohl alle Verfahren erledigt.

Strafzumessung: Die Anwendung des § 31 BtMG – drei Macken im Urteil…

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Die Vorschrift des § 31 BtMG spielt in BtM-Verfahren für die Angeklagten ggf. eine große Rolle im Hinblick auf die Höhe der Strafe, also die Strafzumessung. Im Grunde steht immer die Frage im Vordergrund: Reicht das, was der Angeklagte zur Aufklärung beigetragen hat, für die Anwendung des § 31 BtMG und damit für eine geringere Strafe?

Wie mit dem § 31 BtMG umzugehen ist, zeigt sehr schön der BGH, Beschl. v. 23.04.2013 – 1 StR 131/13. Das LG hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Strafe hat es dem Strafrahmen des § 30 Abs. 1 BtMG entnommen. Das Vorliegen eines minderschweren Falls gemäß § 30 Abs. 2 BtMG hat es geprüft und dabei auch erwogen, ob ein solcher sich aus dem Eingreifen des vertypten Milderungsgrunds gemäß § 31 Satz 1 BtMG ergeben kann. Die Anwendung dieser Vorschrift hat es dann allerdings mit der Erwägung abgelehnt, der Angeklagte habe „zumindest versucht, Aufklärungshilfe zu leisten, indem er vor der Zeugin KHK’in S. der KPI Hof aussagte“; dies reiche „zur Bejahung der Voraussetzungen des § 31 BtMG nicht aus, da hierdurch keine weiteren Taten aufgedeckt werden konnten“.

Der BGH findet gleich „mehrere Haare in der Suppe“ bzw. Macken im Urteil und hebt auf, und zwar weil:

b) Diese Ausführungen genügen nicht, um die Anwendbarkeit von § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG auszuschließen. Liegen Angaben eines Angeklagten vor, die möglicherweise Grundlage der Annahme eines Aufklärungserfolges im Sinne der genannten Vorschrift sein können, ist der Tatrichter gehalten, diese in nachvollziehbarer Weise darzulegen, um dem Revisionsgericht die Prüfung zu ermöglichen, ob ein Aufklärungserfolg zutreffend angenommen oder abgelehnt wurde (Senat, Beschluss vom 28. August 2002 – 1 StR 309/02, NStZ 2003, 162 f. mwN). Dem wird das angefochtene Urteil weder mit der Bemerkung von der „versuchten Aufklärungshilfe“ noch mit dem Hinweis auf das Ausbleiben der Aufdeckung von „weiteren Taten“ gerecht. Auf welche tatsächlichen Umstände sich das Tatgericht dabei stützt, kann dem Urteil auch in seinem Gesamtzusammenhang nicht entnommen werden. Die bloße Wertung, es habe keine Aufklärungshilfe festgestellt werden können, genügt zur Ermöglichung der revisionsgerichtlichen Überprüfung ersichtlich nicht (BGH, Beschluss vom 1. März 2011 – 3 StR 496/10).

c) Das angefochtene Urteil lässt zudem eine rechtsfehlerhafte Ablehnung der Anwendung des § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG auch insoweit besorgen, als das Landgericht auf das Ausbleiben der Aufdeckung „weiterer Taten“ abgestellt hat. Darauf kommt es jedoch nicht an. Es genügt vielmehr für den erforderlichen Aufklärungserfolg, dass ein Angeklagter wesentlich zur Aufdeckung der Tat über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus beigetragen hat (BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2010 – 3 StR 339/10 und vom 28. Dezember 2011 – 2 StR 352/11, StV 2013, 160). Der in § 31 BtMG verwendete Begriff der „Tat“ ist da-bei weder mit dem materiell-rechtlichen Begriff der Tat gemäß §§ 52, 53 StGB noch mit dem prozessualen Tatbegriff (§§ 155, 264 StPO) identisch (vgl. Maier in Münchener Kommentar zum StGB, Band 6, 2. Aufl., § 31 BtMG Rn. 107 f. mwN). Tat gemäß § 31 BtMG ist vielmehr der geschichtliche Vorgang, der das strafbare Verhalten des Angeklagten und strafrechtlich relevante Beiträge an-derer Personen umfasst (BGH, Urteil vom 20. Februar 1991 – 2 StR 608/90, NStZ 1991, 290 f.). Es genügt daher bereits ein auf die verfahrensgegenständ-liche Tat in dem vorgenannten Sinne bezogener Aufklärungserfolg, was das Landgericht möglicherweise verkannt hat.

d) Das Tatgericht durfte auch nicht im Hinblick auf die in § 31 Satz 2 BtMG in Verbindung mit § 46b Abs. 3 StGB angeordnete Präklusion einer erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens geleisteten Aufklärungshilfe von der gebotenen Erörterung der Voraussetzungen des § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG absehen. § 31 Satz 2 BtMG ist zwar vorliegend grundsätzlich anwendbar, weil sowohl die Tat als auch der Eröffnungsbeschluss nach dem aufgrund § 316d EGStGB maßgeblichen 1. September 2009 (zum anwendbaren Recht bei vor diesem Zeitpunkt begangenen Taten und danach ergangenem Eröffnungsbeschluss siehe BGH, Beschlüsse vom 17. April 2012 – 3 StR 79/12 und vom 3. Mai 2011 – 3 StR 123/11, NStZ 2012, 44 f.) erfolgten. Die Feststellungen bieten jedoch Anhaltspunkte für eine durch den Angeklagten vor der Eröffnung des Hauptverfahrens möglicherweise erbrachte Aufklärungshilfe. Das Landgericht teilt näm-lich im Zusammenhang der Ablehnung der Anwendung von § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG mit, der Angeklagte habe bereits gegenüber einer Polizeibeamtin der Kriminalpolizeiinspektion in Hof ausgesagt. Das lässt eine Aufklärungshilfe während des vorbereitenden Verfahrens möglich erscheinen.“

 

Der BGH, der Kronzeuge und die Katalogtat

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Zu streng hat eine Strafkammer des LG Frankfurt/Main bei der Strafzumessung den § 46b StGB gesehen und ist daher nach Auffassung des BGH von einem falschen Strafrahmen ausgegangen. Das führt dann zur Aufhebung der Strafzumessung durch den BGH, Beschl. v. 25.04.2013 – 2 StR 37/13.

Das LG hat den Angeklagte wegen Untreue in Tateinheit mit Computerbetrug in 71 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Hinsichtlich des gewerbsmäßig begangenen Computerbetrugs war das LG wegen Vorliegens der Voraussetzungen des § 46b StGB von einen gemäß § 49 Abs. 1 StGB reduzierten Strafrahmen ausgegangen.  Eine Strafrahmenverschiebung hinsichtlich des jeweils tateinheitlich gewerbsmäßig begangenen Untreuetatbestands hat es jedoch abgelehnt mit der Begründung, insoweit handele es sich nicht um eine Katalogtat im Sinne von § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB in Verbindung mit § 100a Abs. 2 StPO. Dazu der BGH, der den GBA eingerückt hat:

„Indes beanstandet die Beschwerdeführerin zu Recht, dass das Landgericht eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 46b, 49 Abs. 1 StGB anders als im Fall des jeweils tateinheitlich begangenen Computerbetrugs ausgeschlossen hat, weil es sich bei dem Untreuetatbestand nicht um eine Katalogtat im Sinne von § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB i.V.m. § 100a Abs. 2 StPO handele (vgl. UA S. 12).
Die Strafkammer hat dabei übersehen, dass die Anlasstat keine Katalogtat sein muss, es vielmehr genügt, dass diese wie vorliegend mit einer im Mindestmaß erhöhten Freiheitsstrafe bedroht ist. Nach den Feststellungen hat die Angeklagte bereits bei ihrer polizeilichen Vernehmung die Zeugin M. glaubhaft als Mitwisserin und teilweise begünstigte Mittäterin Fälle 1, 8, 11, 19, 27, 32, 37, 47, 64, 69, 78 benannt, worauf diese ihre Tatbeteiligung eingestanden hat. Computerbetrug unter den in § 263 Abs. 3 Satz 2 StGB genannten Voraussetzungen stellt eine Katalogtat im Sinne des § 100a Abs. 2 Nr. 1 n) StPO dar. Für Täterschaft und Teilnahme gelten die allgemeinen Grundsätze (vgl. Wohlers in MünchKomm StGB § 263a Rn. 71), weshalb die Annahme von Mittäterschaft der Zeugin M. nahe liegt. Gleiches gilt unbeschadet der konkurrenzrechtlichen Einordnung der Taten (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 106) vor dem Hintergrund der häufi-gen Zahlungen auch für das Vorliegen des Merkmals der Gewerbsmäßigkeit. All dies hat das Landgericht nicht geprüft.“

 

Geschwindigkeitsüberschreitung – aber Rettung des Rettungshundes – deshalb Regelgeldbuße runter

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Verhältnismäßig großzügig hat m.E. das AG Koblenz entschieden, als es im AG Koblenz, Urt. v. 29.04.2013 – 2010 Js 43957/12.34 OWi – die an sich für eine Geschwindigkeitsüberschreitung verwirkte Geldbuße von 80 € auf 35 € gesenkt hat. Die Betroffene war außerorts um 28 km/ zu schnell gefahren. Sie befand sich auf der Fahrt zum Tierarzt, um dort ihren lebensbedrohlich erkrankten Rettungshund behandeln zu lassen. U.a. das hat das AG bewogen, die Regelgeldbuße zu senken:

„Die Verfehlung der Betroffenen war wie tenoriert zu ahnden. Es konnte von der Festsetzung der Regelgeldbuße gemäß § 11.3.5 BKat, der die Anordnung einer Geldbuße von 80,00 Euro vorsieht, im tenorierten Umfang abgesehen werden.

 Diese Reduzierung rechtfertigt sich aus der besonderen Stresssituation, in der sich die Betroffene befand aber auch im Hinblick auf den langen Zeitablauf seit Tatgeschehen, was die Betroffene nicht zu vertreten hat. Darüber hinaus wurde nach Auffassung des Gerichts bereits in ausreichendem Maße verkehrserzieherisch auf die Betroffene durch das vorliegende Gerichtsverfahren eingewirkt.“

Interessant ist die Frage, ob das AG mit derselben Begründung auch von einem Fahrverbot abgesehen hätte, wenn ein solche im Raum gestanden hätte. Passen würde die Argumentation auch da. Allerdings ist das so – so weit ich die Rechtsprechung im Blick habe – bisher noch nicht entschieden worden.

„For religious only“, oder: Fronleichnam ist ein Grund, Familienfreizeit ist kein Grund für Terminsverlegung…

Der Kollege Winter aus Kornwestheim – Verteidiger und Betroffener in einem straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren – hat mir den LG Gera, Beschl. v. 29.05.2013 – 1 Qs 183/13 – zugesandt mit der Bitte, ihn bekannt zu machen. Tue ich gerne, da er eine allgemein interessante Problematik behandelt und der Kollege auch gleich einen Kommentar in Reimform beigefügt hat.

Im Verfahren ging es um die Verlegung eines Termins in einem Bußgeldverfahren, das gegen den Kollegen anhängig war. Terminiert war beim AG Stadtroda – gelegen in Thüringen – auf den 3o.05.2013. Der Kollege wohnt in Kornwestheim, das ist Baden-Württemberg. In Baden-Württemberg ist/war der 30.05.2013 arbeitsfreier (kirchlicher) Feiertag, nämlich der katholische Feiertag „Fronleichnam„. In Thüringen ist der Tag kein Feiertag (gewesen). Der Kollege hat nun Terminsverlegung beantragt mit der Begründung: Der 31.05.2013 ist hier Feiertag und ich möchte den freien Tag mit meiner Familie verbringen, die hat eh schon kaum etwas von mir. Das AG Stadtroda lehnt ab, der Kollege geht in die Beschwerde. Und: Das LG Gera weist die Beschwerde zurück:

„Die Beschwerde des Betroffenen ist unzulässig, da die Ablehnung des Terminsverlegungsantrages des Betroffenen durch das Amtsgericht nicht grob ermessensfehlerhaft erfolgt ist.

Die Prozessbeteiligten haben grundsätzlich keinen Anspruch auf Verlegung eines Termins. Über einen Terminsverlegungsantrag entscheidet der Vorsitzende vielmehr nach pflichtgemäßem Ermessen. Dabei hat er auch unter Beachtung der prozessualen Fürsorgepflicht die Interessen der Beteiligten, das Gebot der Verfahrensbeschleunigung und die Terminsplanung — unter Berücksichtigung der Belastung angemessen zu berücksichtigen und alle Belange entsprechend gegenüber abzuwägen.

Für die Festsetzung des Terminstages sind auch die örtlichen Feiertage — am Sitz des Prozessgerichts -, auch wenn sie gesetzlich nicht anerkannt sind, von Bedeutung. Grundsätzlich können auch bei Personen, die außerhalb des Sitzungsortes wohnen, die dort örtlichen Feiertage berücksichtigt werden, insbesondere dann, wenn sie durch religiöse Konfessionen gebunden sind. Als bekannt vorausgesetzt, ist in Baden-Württemberg der 30. Mai Fronleichnam, ein katholischer Feiertag. Der Betroffene hat nicht vorgetragen, dass er wegen seiner religiösen Konfession an den kirchlichen Feierlichkeiten teilnehmen möchte, sondern trägt vielmehr vor, dass er den Feiertag nutzen wolle, den geringen Freizeitanspruch, der seiner Familie zugutekommen solle, durch die Terminierung völlig zu Nichte gemacht werde.

Unter dem Gesichtspunkt, dass in Thüringen der 30.05. ein regulärer Arbeitstag ist, hat das Amtsgericht in seinem Beschluss unter Abwägung der Interessen des Betroffenen einerseits und der Terminsplanung und Belastung des Gerichts andererseits, nicht grob ermessensfehlerhaft gehandelt.“

Was lernt man daraus? Nun, der Kollege hat es falsch gemacht. Er hätte nicht vortragen sollen, dass er den Feiertag mit seiner Familie verbringen will, sondern: „Ich möchte an den „kirchlichen Feierlichkeiten“ teilnehmen.“ Dann hätte es wahrscheinlich gereicht für die Verlegung. Also: „For religous only…“, oder: Mit der Wahrheit kommt man dann doch nicht weiter…

Der Kollege hat es allerdings mit Fassung ertragen, wie seine nachfolgenden Gedanken zeigen:

For religious only…

 Wand´rer kommst du nach Stadtroda,

egal, ob du wohnst fern, ob nah,

beachte, dass man dort verhandelt,

auch zu Zeiten, an denen wandelt,

der Normalbürger in Freizeit.

Denn dort übt man Gerechtigkeit,

auch an auswärtig´ Feiertagen…,

gegen die, welche es nicht wagen,

 zu lügen und zu Gottes Hohn,

vorschieben die Religion.

 Wer ehrlich ist, hat nichts zu lachen,

nein- er muss auf den Weg sich machen,

trotz Feiertag zum Amtsgericht

woanders gibt es sowas nicht.

Merk´also, Gerichte im Osten,

sind jederzeit auf ihrem Posten.

Ist dies gerecht, wird mancher fragen

ich lächle und werde nichts sagen.

Michael Winter, Rechtsanwalt und Betroffener