Archiv für den Monat: Mai 2013

Nicht beim ersten Mal lebenslanges Berufsverbot für Gruppenleiter eines Kinderheims wegen sexuellen Missbrauchs?

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Ein scharfes Schwert unter den Maßregeln der Sicherung und Besserung im StGB ist das Berufsverbot nach § 70 StGB. Sicher, es gibt noch schärfere, aber: Das Berufsverbot greift nicht unerheblich in die Lebensumstände des Angeklagten ein, vor allem, wenn es sich um ein lebenslanges Berufsverbot handelt. Bei seiner Verhängung und bei erstmaliger Straffälligkeit ist besondere Vorsicht geboten. Darauf weist jetzt noch einmal das BGH, Urt. v. 25.03.2013 – 4 StR 296/12 – hin.

Da ist der Angeklagte vom LG u.a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden. Nach den landgerichtlichen Feststellungen missbrauchte der Angeklagte als verantwortlicher Gruppenleiter eines Kinderheims im Zeitraum von Februar 1994 bis in den Sommer 2005 in insgesamt 15 Fällen fünf minderjährige, ihm anvertraute Mädchen, indem er unterschiedliche sexuelle Handlungen an ihnen vornahm und in zwei Fällen je ein männliches Kind hierbei einbezog. Das LG hat die von der Staatsanwaltschaft beantragte „Verhängung eines (lebenslangen) Berufsverbots“ abgelehnt, weil die in § 70 Abs. 1 Satz 1 StGB vorausgesetzte Wiederholungsgefahr nicht gegeben sei. Dagegen die Revision der StA, die der BGH zurückgewiesen hat.

„Ein Berufsverbot ist ein schwerwiegender (BGH, Urteil vom 12. Juni 1958 – 4 StR 147/58, VRS 15, 112, 115) Eingriff, mit dem die Allgemeinheit, sei es auch nur ein bestimmter Personenkreis (BGH, Urteil vom 23. Juni 1959 – 5 StR 221/59, GA 1960, 183), vor weiterer Gefährdung geschützt werden soll (BGH, Urteil vom 12. Mai 1975 – AnwSt (R) 8/74, NJW 1975, 1712). Deshalb darf der Strafrichter es nur verhängen, wenn die Gefahr besteht, dass der Täter auch in Zukunft den Beruf, dessen Ausübung ihm verboten werden soll, zur Verübung erheblicher Straftaten missbrauchen wird (RGSt 68, 397, 398 f.; BGH, Beschluss vom 17. Mai 1968 – 2 StR 220/68, BGHSt 22, 144, 145 f.; BGH, Urteil vom 1. November 1955 – 5 StR 442/55, MDR 1956, 143 bei Dallinger). Voraussetzung ist, dass eine – auf den Zeitpunkt der Urteilsverkündung abgestellte (BGH, Urteil vom 5. August 1975 – 1 StR 356/75, NJW 1975, 2249 f.) – Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten den Richter zu der Überzeugung führt, dass die Gefahr, das heißt die Wahrscheinlichkeit künftiger ähnlicher erheblicher Rechtsverletzungen durch den Täter besteht (BGH, Beschluss vom 2. August 1978 – StB 171/78, BGHSt 28, 84, 85 f.; Urteil vom 22. Oktober 1981 – 4 StR 429/81, wistra 1982, 66, 67).

Diesen Rechtsgrundsätzen entspricht das angefochtene Urteil; das Landgericht ist bei der Ablehnung eines Berufsverbots von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen: Der Angeklagte war zur Zeit der Begehung der hier abgeurteilten Taten strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten. Wird ein Täter erstmalig wegen einer Anlasstat straffällig, sind an die Annahme seiner weiteren Gefährlichkeit im Sinne des § 70 Abs. 1 Satz 1 StGB ganz besonders strenge Anforderungen zu stellen; insbesondere ist zu prüfen, ob bereits die Verurteilung zur Strafe den Täter von weiteren Taten abhalten wird (BGH, Beschlüsse vom 30. Oktober 1987 – 3 StR 414/87, BGHR StGB § 70 Abs. 1 Wiederholungsgefahr 1, und vom 12. September 1994 – 5 StR 487/94, NStZ 1995, 124).“

Nicht gelten lassen hat der BGH auch den Hinweis der StA, auf die „erhebliche(n) präventive(n) Aspekte“ der Eintragung eines Berufsverbots im Bundeszentralregister. Denn bereits die Regelung in § 34 Abs. 1 Nr. 2 BZRG gewährleiste eine hinreichende Information potentieller Arbeitgeber.

„Charmeoffensive“ des OLG München im NSU-Verfahren

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Über den Ticker bei LTO ist gerade eine Meldung gelaufen, die sich zur PM des OLG München vom 22.05.2013 im NSU-Verfahren verhält. Darin geht es um verbesserte Arbeitsbedingungen im NSU-Verfahren, die für den nächsten Verhandlungstag angekündigt werden. Darin heißt es u.a.

Sehr geehrte Damen und Herren!

Während der ersten beiden Verhandlungswochen im NSU-Prozess sind von Ihnen einige Bitten zur weiteren Verbesserung Ihrer Arbeitsbedingungen an uns herangetragen worden. In Absprache mit der Hausverwaltung sollen dementsprechend folgende Änderungen ab dem nächsten Verhandlungstag (04.06.2013) vorgenommen werden:

1. Die Lüftungsanlage im Bereich der Empore wird nochmals verstärkt, um auch dort gezielt mehr Kühlung zu ermöglichen und die erheblichen Temperaturunterschiede zwischen dem unteren und dem oberen Teil des Sitzungssaals zu vermindern.

2. Um Umwege und Doppelkontrollen für Sie zu vermeiden, können in Zukunft Journalisten, die als Zuhörer in der Verhandlung anwesend sind und sich mit einem Akkreditierungs-, Dienst- oder Presseausweis ausweisen können, bei Sitzungsende direkt aus dem Sicherheitsbereich im zweiten Stock in den angrenzenden Presseraum A 206 außerhalb des Sicherheitsbereichs gehen. Ein Wachtmeister wird Sie gegebenenfalls durch die Schiebetür der Sicherheitsabsperrung hinauslassen.

3. Im Sicherheitsbereich vor der Empore werden wie bereits angekündigt einige Tische und Stühle aufgestellt werden, um Ihnen auch dort das Arbeiten in den Sitzungspausen zu ermöglichen. Wir bitten Sie von „Reservierungen“ dieser Arbeitsplätze abzusehen, damit sie von möglichst vielen Kollegen genutzt werden können.

4. Schließlich wird im Sicherheitsbereich vor der Empore (2. Stock) zusätzlich zu dem bereits vorhandenen Wasserspender ein Kaffeeautomat aufgestellt.“

Gerne greife ich aus dem LTO-Artikel den Begriff der „gerichtlichen Charmeoffensive“ auf :-). Vielleicht gibt es ein solche für Verteidiger und Nebenklägervertreter ja auch (noch).

BGH watscht Strafkammer und Sachverständigen ab: Rechtsprechung aus 1994 sollte man kennen

Im BGH, Beschl. v. 11.04.2013 – 2 StR 442/12 findet der BGH mehr als deutliche Wort zu einem Urteil des LG Frankfurt/Main. Das hatte den Angeklagten wegen Mordes verurteilt und seine Unterbringung  in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB angeordnet. Und zu letzterem findet der BGH eben mehr als deutliche Worte, man könnte auch sagen: Ihm springt der Draht aus der Mütze“ oder: Er watscht die Strafkammer ab. Und der Sachverständige bekommt auch gleich noch einen mit. So geht es:

Der Maßregelausspruch kann nicht bestehen bleiben. Das Landgericht hat zur Prognose im Sinne von § 64 StGB ausgeführt, die Behandlung sei „nicht völlig aussichtslos“, auch der Sachverständige Dr. B. habe darauf hingewiesen, „dass von einer Aussichtslosigkeit nicht gesprochen werden könne“.

Das ist rechtsfehlerhaft. Bereits im Jahr 1994 hat das Bundesverfassungsgericht die damalige Regelung des § 64 Abs. 1 aF StGB für verfassungswidrig erklärt (BVerfGE 91, 1). In einer großen Vielzahl von Entscheidungen haben danach alle Strafsenate des Bundesgerichtshofs immer wieder Urteile aufgehoben, die auf einer Anwendung des verfassungswidrigen Kriteriums der „Aussichtslosigkeit“ beruhten. Bei der ab 20. Juli 2007 geltenden Neufassung des § 64 StGB hat der Gesetzgeber auch den Wortlaut des § 64 Satz 2 StGB angepasst und klargestellt, dass es einer „hinreichend konkreten Erfolgsaussicht“ bedarf; dies ist mit dem Fehlen von „Aussichtslosigkeit“ ersichtlich nicht gleichbedeutend. Wenn Tatgerichte beinahe 20 Jahre nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und mehr als fünf Jahre nach der Gesetzesänderung immer noch auf das vom Bundesgerichtshof vielfach bemängelte verfassungswidrige Kriterium abstellen, mag das auch darauf be-ruhen, dass fehlerhafte, ihrerseits uninformierte Sachverständigengutachten kritiklos übernommen werden. Dies zeigt zunächst – jedenfalls hier – eine die Sachkunde in Frage stellende Unkenntnis des Sachverständigen von den nor-mativen Grundlagen seines Gutachtensauftrags. Verantwortlich ist aber in je-dem Fall das Gericht, das den Sachverständigen anzuleiten und Fehler seines Gutachtens kritisch zu hinterfragen hat.

Vorliegend lässt sich auch aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen, dass das Landgericht inhaltlich den richtigen Prognosemaßstab angewendet hat. Über die Maßregelanordnung ist daher neu zu entscheiden.“

Wie verärgert der BGH ist, kann man m.E. daran erkennen, dass er Belege/andere Entscheidungen erst gar nicht mehr anführt, sondern nur auf eine „große Vielzahl von Entscheidungen“ verweist. So nach dem Motto: Das sollte man wissen….

„Horrorverfahren“ mit 53.494 Geschädigten – wie geht man damit um?

Ein „Horrorverfahren“ war beim LG Stuttgart anhängig. Es ging um Betrügereien in Zusammenhaag mit Kreditvermittlungen in einer Vielzahl von Fällen, und zwar insgesamt 53.494. Im Verfahren hat das LG sich dann auf die Feststellungen und Beweisaufnahme zu 15 Fällen beschränkt und die Angeklagten wegen eines Betruges in jeweils tateinheitlich begangenen fünfzehn vollendeten und im Übrigen in 53.479 versuchten Fällen verurteilt. In der auf die Einvernahme von fünfzehn Kunden beschränkten Beweisaufnahme hat das LG eine Irrtumserregung  festgestellt. In den übrigen 53.479 Fällen über Rechnungsbeträge von insgesamt mehr als 2,8 Mio. Euro ist das LG mangels festgestellter Irrtumserregung lediglich von versuchter Täuschung der Kunden ausgegangen; es hat eine erstrebte Bereicherung von etwa 2,5 Mio. Euro angenommen.

Der Hintergrund dieser Vorgehensweise liegt auf der Hand: Das LG wollte nicht, was nachvollziebar ist, möglicherweise weitere 53.479 Zeugen vernehmen müssen.Der BGH hat das im BGH, Beschl. v. 06.02.2013 – 1 StR 263/12 – ergänzt durch einen Leitsatz hier – beanstandet, aber gleich auch „Handlungsanweisungen“ gegeben:

„Näherer Erörterung bedarf lediglich die Vorgehensweise des Landgerichts, nur fünfzehn Geschädigte zu vernehmen und im Übrigen hinsichtlich der weit überwiegenden Zahl der tateinheitlich begangenen Taten „aus verfahrensökonomischen Gründen“ lediglich Tatversuch anzunehmen (UA S. 914, 917). Das Landgericht sah sich ersichtlich nur auf diesem Wege in der Lage, die Hauptverhandlung, die bereits nahezu fünf Monate gedauert hatte, in angemessener Zeit zu beenden.

a) Die vom Landgericht mit dem Begriff der „Prozessökonomie“ be-schriebene Notwendigkeit, die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege zu erhalten (vgl. dazu auch Landau, Die Pflicht des Staates zum Erhalt einer funkti-onstüchtigen Strafrechtspflege, NStZ 2007, 121), besteht. Jedoch muss ein Tatgericht im Rahmen der Beweisaufnahme die in der Strafprozessordnung dafür bereit gehaltenen Wege beschreiten. Ein solcher Weg ist etwa die Beschränkung des Verfahrensstoffes gemäß den §§ 154, 154a StPO, die allerdings die Mitwirkung der Staatsanwaltschaft voraussetzen. Eine einseitige Beschränkung der Strafverfolgung auf bloßen Tatversuch ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft, wie sie das Landgericht hier – freilich im Rahmen gleichartiger Tateinheit mit vollendeten Delikten – vorgenommen hat, sieht die Strafprozessordnung jedoch nicht vor.

b) Es trifft allerdings zu, dass in Fällen eines hohen Gesamtschadens, der sich aus einer sehr großen Anzahl von Kleinschäden zusammensetzt, die Möglichkeiten einer sinnvollen Verfahrensbeschränkung eingeschränkt sind. Denn dann sind keine Taten mit höheren Einzelschäden vorhanden, auf die das Verfahren sinnvoll beschränkt werden könnte.

Dies bedeutet aber nicht, dass es einem Gericht deshalb – um überhaupt in angemessener Zeit zu einem Verfahrensabschluss gelangen zu können – ohne weiteres erlaubt wäre, die Beweiserhebung über den Taterfolg zu unter-lassen und lediglich wegen Versuches zu verurteilen. Vielmehr hat das Tatgericht die von der Anklage umfasste prozessuale Tat (§ 264 StPO) im Rahmen seiner gerichtlichen Kognitionspflicht nach den für die Beweisaufnahme gelten-den Regeln der Strafprozessordnung (vgl. § 244 StPO) aufzuklären. Die richter-liche Amtsaufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) gebietet dabei, zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind...“

Um aus dem Dilemma herauszukommen, bieten sich nach Auffassung des BGH an:

  • Grds. kann in Fällen eines normativ geprägten Vorstellungsbildes es insgesamt ausreichen, nur einige Zeugen/Geschädigte zu vernehmen, wenn sich dabei das Ergebnis hinsichtlich Irrtumserregung und Vermeidung einer Schädigung des eigenen Vermögens bestätigt findet.
  • Ist die Beweisaufnahme auf eine Vielzahl Geschädigter zu erstrecken, besteht zudem die Möglichkeit, bereits im Ermittlungsverfahren durch Fragebögen zu ermitteln, aus welchen Gründen die Leistenden die ihr Vermögen schädigende Verfügung vorgenommen haben. Das Ergebnis dieser Erhebung kann dann – etwa nach Maßgabe des § 251 StPO – in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Hierauf kann dann auch die Überzeugung des Gerichts gestützt werden, ob und ggf.in welchen Fällen die Leistenden eine Vermögensverfügung irrtumsbedingt vorgenommen haben.
  • Ob es in derartigen Fällen dann noch einer persönlichen Vernehmung von Geschädigten bedarf, entscheidet sich nach den Erfordernissen des Amtsaufklärungsgrundsatzes (§ 244 Abs. 2 StPO) und des Beweisantragsrechts (insb. § 244 Abs. 3 StPO). In Fällen eines normativ geprägten Vorstellungsbildes kommt dabei die Ablehnung des Antrags auf die Vernehmung einer größe-ren Zahl von Geschädigten als Zeugen in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2009 – 5 StR 394/08, wistra 2009, 433, 434).

Ich habe da mal eine Frage: Die fehlende Genehmigung des Grundstückseigentümer – Beweisverwertungsverbot?

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Eine Kollege hat neulich im OWi-Bereich eine Frage gestellt, die ich hier mal weiter gebe.

Der Kollege sucht eine Entscheidung zu folgender Problematik: Geschwindigkeitsmessung von einem (Privat)Grundstück aus. Die Genehmigung des Grundstückseigentümers lag nicht vor. In dem Bußgeldverfahren vertritt der Kollege die Auffassung, dass die fehlende Genehmigung des Eigentümers zu einem Verwertungsverbot dieser Messung führt. Zu dem Punkt hat er nichts gefunden.

Ich meine, dass es dazu etwas gibt – leider aber auch nicht in meinen Handbüchern :-(-. Zumindest meine ich, dass ich irgendwo mal eine Entscheidung gesehen habe. Kann mich aber auch irren. Aber vielleicht habe ich ja hier eine Chance bei den vielen OWi-Rechtlern, die mitlesen.

Nur zur Klarstellung  Ich gehe auch nicht von einem BVV aus. Selbst wenn ein Beweiserhebungsverbot vorliegen sollte, führt das nicht automatisch zum BVV. Ich meine aber, dass es dazu eine Entscheidung gibt. Aber, vielleicht ist da auch mehr der Wunsch der Vater des Gedankens….

Ich hatte die Problematik übrigens auch schon im Forum bei Jurion Strafrecht zur Diskussion gestellt. Aber auch da war die Ausbeute mage.

Ein Kollege konnte allerdings von einem Kollegen berichten, der einmal ähnlich zu argumentieren versuchte. Da hatte der Richter dann bei dem Grundstückseigentümer angerufen und sich dessen Genehmigung „eingeholt“.