Archiv für den Monat: August 2012

Freispruch vergessen – kann schon mal passieren; der BGH repariert es.

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Kann in der Eile und der „Hitze des Gefechts“ passieren, dass man als Tatrichter übersieht, dass der Angeklagte – auch im Urteilstenor – zumindest teilweise frei zu sprechen war, weil ihm z.B. ein selbständig angeklagtes Delikt nicht nachgewiesen werden konnte usw. Kann passieren, darf aber natürlich nicht. Aber der BGH richtet es dann, wie man im BGH, Beschl. v.17.07.2012 – 3 StR 217/12 – nachlesen kann.

„Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 23. Januar 2012 wird die Urteilsformel dahingehend ergänzt, dass der Angeklagte im Übrigen freigesprochen wird.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Was mich natürlich noch interessieren würde: Was hatte die Strafkammer vergessen? Nur die Aufnahme des Freispruchs in den Urteilstenor oder hatte sie ggf. auch den Freispruch bei der Kostenentscheidung übersehen. Wenn ja und er dort Auswirkungen hätte, wäre der BGH-Beschluss nicht vollständig.

Kein Vorratshaftbefehl wegen versäumter Hauptverhandlung

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Der Angeklagten wird gemeinschaftlicher Betrug vorgeworfen. Nachdem eine erste Hauptverhandlung nicht zu Ende geführt werden konnte, beraumte das AG neuen Hauptverhandlungstermin auf den 25.9.2009 an.  In diesem Termin erschien die Beschwerdeführerin nicht. Ihr Verteidiger erklärte im Termin, dass die Angeklagte erkrankt sei und daher den Termin nicht wahr­nehmen könne. Das AG forderte darauf hin die Angeklagte auf, ihre Erkrankung und ihre Verhandlungsunfähigkeit binnen einer Woche durch Vorlage eines ärztlichen Attests zu belegen. Dieser Nachweis erfolgte bis zum 10.10.2008 nicht; der Verteidiger der Angeklagten hatte zwischenzeitlich um eine ent­sprechende Verlängerung der Frist nachgesucht.  Unter dem 4.11.2008 erließ das AG einen Haftbefehl gegen die Beschwer­deführerin und ordnete gleichzeitig an, dass dieser nicht vor dem 20.1.2009 vollstreckt werden dürfte, weil ein neuer Termin vor diesem Tag nicht stattfinden könne. Dagegen das Rechtsmittel der Angeklagten.

Der schon etwas ältere LG Kleve v. 12.02.2009 – 110 Qs-303 Js 826/06-16/09 -, den mir der Kollege, der ihn erstritten hat, aber erst jetzt geschickt hat, führt dazu aus:

Der angefochtene Haftbefehl ist auf das Rechtsmittel der Beschwerdeführerin hin aufzuheben. In diesem Zusammenhang kommt es auf die von dem Verteidiger der Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage, ob die Angeklagte der ihr vorgeworfenen Tat dringend verdächtig ist, nicht an. Selbst wenn man dies bejaht, kann der Haftbe­fehl, der allein deshalb ergangen ist, weil die Beschwerdeführerin in einem Hauptverhandlungstermin unentschuldigt nicht erschienen ist (§ 230 Abs. 2 StPO), jedenfalls im vorliegenden Fall nicht bestehen bleiben, solange ein neuer Hauptverhandlungstermin noch nicht bestimmt ist. Das Amtsgericht hat dies im Ansatz ebenfalls so ge­sehen, als es angeordnet hat, dass der Haftbefehl vor dem 20.1.2009 nicht vollstreckt werden dürfte. Es erscheint jedoch angesichts des bisherigen Verlaufs des Verfahrens fraglich, ob ein neuer Hauptverhandlungstermin zeitnah anberaumt wer­den kann; dagegen spricht schon der Umstand, dass das vorliegende Verfahren sehr umfangreich ist, weil eine Vielzahl von Zeugen zu vernehmen ist. Bereits der Termin vom 25.9.2008 war ein Fortsetzungstermin gewesen, nachdem in einem früheren Termin am 17.7.2008 Zeugen nicht vernommen werden konnten, weil sie verhindert waren. Im Termin vom 25.9.2009 hat das Amtsgericht darüber hinaus das Verfahren nicht nur terminslos vertagt, weil die Angeklagten nicht erschienen waren, sondern auch angeordnet, dass ein Zeuge durch den ersuchten Richter vernommen werden sollte. Diese Vernehmung ist zwar zwischenzeitlich (am 14.1.2009) erfolgt, jedoch hat das Amtsgericht gleichwohl noch keinen neuen Hauptverhandlungstermin be­stimmt. Bei dieser Sachlage ist der Erlass eines Haftbefehls zur Sicherung des Ver­fahrens unverhältnismäßig. ….

Hinzu kam noch, dass die Angeklagte ihr fernbleiben inzwischen auch entschuldigt hatte.

Lesetipp: Neue Krankheitslehre für gefährliche Straftäter? aus StRR 2012, 297

Ich weise auf folgenden Volltext hin, der seit heute zum kostenlosen Download bereit steht, und zwar auf „Neue Krankheitslehre für gefährliche Straftäter? – Anmerkungen zur Anwendung des Therapieunterbringungsgesetzes“ von Dr. med. Reinhold Dannhorn, Unna, aus StRR 2012, 297. Mal eine etwas andere Materie, die aber in der Praxis zunehmend eine Rolle spielt.

 

So einfach gehts wohl doch nicht: Unmittelbarer Zwang in der Sitzung zur Anfertigung von Identifizierungsgutachten?

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Der Beck-Blog hat vor einigen Tagen unter der Überschrift: „So geht`s: Unmittelbarer Zwang in der Sitzung bei Identifizierungsgutachten“ über den LG Zweibrücken, Beschl. v. 31.05.2012 – Qs 55/12, berichtet, der sich mit der Zulässigkeit von Lichtbildaufnahmen im Bußgeldverfahren zur Identifizierung des Betroffenen und der Zulässigkeit der Anwendung von Zwangsmaßnahmen auseinander setzt. Das LG Zweibrücken sieht das als zulässig an. Der Beck-Blog wohl auch, denn er schließt sein Posting mit einem „Sehr gut!„

Als ich den Beschluss gelesen habe, war ich dann doch mehr oder weniger erstaunt, ja sogar ein wenig erschrocken. Warum? Der Beschluss führt u.a. aus:

 „Wie die Kammer bereits mit Beschluss vom 16.03.2012 (Qs 26/12) entschieden hat, bestehen vorliegend aufgrund der hier drohenden Rechtsfolge eines Fahrverbots sowie einer nicht unerheblichen Geldbuße keine Bedenken gegen die Anwendbarkeit von § 81 b StPO gemäß § 46 OWiG. Dies entspricht, entgegen der Auffassung der Verteidigung, auch der ganz herrschenden Auffassung (vgl. Lampe in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 3. Aufl., § 46 Rn. 27; Göhler, OWiG, 15. Aufl. § 46 Rn. 32; so auch für den Fall eines drohenden Fahrverbots Burhoff, Handbuch straßenverkehrsrechtliches Ordnungswidrigkeitenverfahren, 3. Aufl. Rn. 2011). „

Bei Lektüre dieser Passage habe ich mir zunächst gedacht: Hast du das wirklich so geschrieben im OWi-Handbuch? Als ich dann nachgelesen habe, war ich etwas beruhigt. Denn dort steht es bei Rn. 2011 m.E. – ein wenig (?) – anders. Es findet sich nämlich der der Hinweis auf die Verhältnismäßigkeit und der Hinweis, dass eine erkennungsdienstliche Behandlung – darum geht es letztlich – nur „i.d.R“. „und wenn der Betroffene sonst nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten ermittelt werden kann,“ zulässig ist. Auch bei Göhler steht es an der angegebenen Stelle ähnlich, nämlich nur „ausnahmsweise“ und „andere Maßnahmen haben Vorrang“. Fast ebenso bei KK-Lampe. Also so einfach und so „sehr gut!“ ist es dann ja wohl nicht.

Denn, die h.M. sagt: Zulässig grds. ja, aber: Weniger einschneidende Maßnahmen haben Vorrang. Und dazu verhält sich die Entscheidung des LG Zweibrücken nun gar nicht. Kein Wort dazu, ob nicht ggf. schon der Vergleich eines bei dem Verkehrsverstoß gefertigten Lichtbildes – das gibt es offenbar, denn was soll sonst ein (weiteres) Lichtbild – mit dem in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen zur Identifizierung durch das Gericht genügt oder warum ggf. nicht. Kein Wort, ob nicht ggf. schon der Vergleich eines bei der Tat gefertigten Lichtbildes mit dem in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen zur Identifizierung einem Sachverständigen für die Erstellung seines Gutachtens in der Hauptverhandlung ausreicht. Auch dürfte von Bedeutung sein, ob seitens des Betroffenen eine konkrete andere Person als Fahrer benannt worden ist, die eine Ähnlichkeit mit ihm aufweist, sodass es ggf. deshalb zur genauen Identifizierung der Anfertigung von Lichtbildern bedarf.

Das LG erörtert dann auch nicht den Vorrang anderer, gleich effektiver, aber weniger belastender Mittel. Wie ist es mit der Heranziehung von und dem Vergleich mit Pass- oder Ausweisbildern nach § 22 PassG, was nach der Rechtsprechung ja zulässig sein soll?

Das LG Zweibrücken belässt es vielmehr bei allgemeinen Ausführungen und einem – nicht passenden – Hinweis auf eine „h.A.“. So geht es nicht! Manchmal ist weniger eben nicht mehr.

Im Übrigen: Auf die Qualität der Lichtbilder bzw. deren Geeignetheit zur Identifizierung, wenn sie unter Zwang angefertigt worden sind, bin ich gespannt. Und noch gespannter, wie sich das AG damit dann ggf. auseinander setzt.

„Polizeipräsident legt nach“ – auch keine Polizei mehr bei nächtlichen Ruhestörungen?.

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Unter der Überschrift „Polizeipräsident legt nach“ berichten die Westfälischen Nachrichten heute auf der Titelseite – also vor Euro-Krise und anderen politischen Highlights – über einen weiteren Vorschlag des münsterischen Polizeipräsidenten. Der hatte ja gestern schon Aufsehen mit seinem Vorschlag erzielt, in Zukunft zu Blechschadenunfällen keine Polizeibeamten mehr zu schicken. Ebenso hatte er vorgeschlagen, dass die Polizei keine Schwertransporte mehr begleiten und auch nicht mehr für die Sicherung von Fußballspielen zuständig sein soll. So weit, so gut (?).

Nun hat H.Wimber noch einmal nachgelegt. Er schlägt jetzt nämlich vor, dass die Bürger auch (nächtliche) Ruhestörungen selbst regeln sollen und will zu nächtlichen Ruhestörungen daher keine Polizeibeamten mehr ausrücken lassen. In dem WN-Bericht heißt es:

„Nicht nur bei Bagatellunfällen im Straßenverkehr, sondern auch bei nächtlicher Ruhestörung wegen ausufernder Partys appelliert Münsters Polizeipräsident Hubert Wimber an die Eigenverantwortung der Bürger. Die Polizei könne nicht der Friedensstifter für alle sein und jeden Konflikt vor Ort bewältigen. „In dieser Vielzahl sind nächtliche Ruhestörungen keine Aufgabe der Polizei. Dafür ist die Ausbildung der Beamten zu teuer“, sagte Wimber gestern.

Die Ordnungsämter, deren Mitarbeiter tagsüber bereits Streife laufen, sieht er allerdings nicht in der Pflicht. „Eigentlich müssen die Leute das untereinander lösen“, sagte er. Es sei eine Frage der Gewöhnung und Erziehung. Wenn zu Hause jemand das gute Porzellan fallen lässt, werde auch nicht die Polizei gerufen. „Wir sind für Strafverfolgung und Gefahrenabwehr da“, betonte Wimber.“

Also „Eigenverantwortung der Bürger“ und „eine Frage der Gewöhnung und Erziehung„. Das mag sich ja in der Presse schön lesen und mag ja auch am grünen Tisch sicherlich lösbar sein. Aber in der Praxis? Man stelle sich das Szenario vor, das im Nachbarhaus eine Studentenfete stattfindet und ausufert. Ich wage zu behaupten, dass es dem Nachbarn dann kaum selbst gelingen wird, dort für Ruhe zu sorgen. Das schafft ja heute schon kaum die herbeigerufene Polizei. Oder: In einem Haus, in dem die Parteien zerstritten sind, kommt es zu einer nächtlichen Ruhestörung auf Grund einer Feier bei einer Mietpartei. Glaubt der Polizeipräsident wirklich, dass es aufgrund von „Gewöhnung und Erziehung“ anderen Mietparteien selbst gelingen wird, selbst für Ruhe zu sorgen. Folge dieses Vorschlags – wenn er denn umgesetzt würde, wird m.E. vielmehr sein, dass es zu erheblichen Streitigkeiten zwischen den Ruhe-Störenden und den Ruhe-Stiftern kommen wird. Wenn ich zurückdenke und mir überlege, wie viele Strafverfahren ich beim LG hatte, die daraus entstanden waren, dass nächtliche Ruhestörungen abgestellt werden sollten, dann wird m.E. das Ergebnis dieser vorgeschlagenen Änderungen letztlich nur ein Ansteigen von Strafverfahren – Schlägereien, Beleidigungen und Körperverletzungen – sein. Aber dann wird ja wohl die Polizei noch eingreifen dürfen. Es sei denn H.Wimber kommt morgen mit dem Vorschlag, dass die Bürger auch das selbst regeln sollen.

Nur zur Klarstellung: Ich bin kein Verfechter zu starker Polizeipräsenz.  Nur, wo sie -m.E. erscheinen muss, da sollte sie auch erscheinen. Das ist im Ergebnis einfacher und auch billiger als die Bürger das selbst regeln zu lassen. Das ist m.E. auch ureigenste Gefahrenabwehraufgabe der Polizei. Aber nach H.Wimber sollen die Polizeibeamten offenbar nur noch Internetkriminalität und Korruption verfolgen.