Auf die (einfache) Formel/Gleichung/Aussage „“Herr Verteidiger, merken Sie sich: Keine Akteneinsicht = kein Haftbefehl“ bzw. (= Aufhebung des Haftbefehls) kann man den AG Halle/Saale, Beschl. v. 26.06.2012 – 395 Gs 275 Js 16282/12 (300/12) – bringen und damit einen Gegenpunkt setzen zu den Erlebnissen der Kollegen vom strafblog, über die diese gestern berichtet haben (vgl. „Herr Verteidiger, merken Sie sich mal endlich: Ich bin Haftrichter, nicht Ent-Haftrichter!“ – Schlusspunkt eines Lebens mit der Dienstpistole„.
Der Sachverhalt – wenn nicht alltäglich – so aber sicher doch häufiger in der Praxis: Der Mandant ist in Haft, der Verteidiger beantragt Akteneinsicht, die ihm bis zu einem Haftprüfungstermin nicht gewährt wird. Im Termin wir dem Verteidiger Akteneinsicht (im Termin) angeboten, die der Verteidiger ablehnt. Das AG hat den Haftbefehl aufgehoben:
Aus dem Recht des Beschuldigten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren und seinem Anspruch auf rechtliches Gehör folgt ein Anspruch des inhaftierten Beschuldigten auf – zumindest teilweise — hinsichtlich der für die Haftentscheidung relevanten Tatsachen und Beweismittel — Einsicht seines Verteidigers in die Akten, wenn und soweit er die darin befindlichen Informationen benötigt, um auf die gerichtliche Haftentscheidung effektiv einwirken zu können (vgl. BVerfG, NJW 1994, 3219). Diese Akteneinsicht ist dem Verteidiger, der einen entsprechenden Antrag mit Schriftsatz vom 30.05.2012 per Telefax am 06.06.2012 bei der Staatsanwaltschaft Halle gestellt hat (vgl. BI. 25 Bd. 2 HSH III), bis zum Haftprüfungstermin am 22.06.2012 — wie auf telefonische Nachfrage durch die zuständige Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft Halle am 25.06.2012 bestätigt wurde — nicht gewährt worden. Unter dem 11.06.2012 wurde dem Verteidiger lediglich mitgeteilt, dass die angeforderten Akten zur Zeit nicht verfügbar seien und nicht übersandt werden könnten. Die vom Gericht im Haftprüfungstermin angebotene Akteneinsicht hat der Verteidiger, nach Auffassung des Gerichts durchaus gerechtfertigt, als ungeeignet abgelehnt (vgl. Protokoll).
Aufgrund der nicht gewährten Akteneinsicht, die durch die Fertigung einer ausreichenden Anzahl von Haftsonderbänden hätte gewährleistet werden können, kann das Gericht auf die Tatsachen und Beweismittel, die deshalb nicht zur Kenntnis des Beschuldigten gelangten, seine Entscheidung nicht stützen und sieht sich daher veranlasst, den Haftbefehl aufzuheben (vgl. BVerfG, NJW 1994, 3219).
M.E. zutreffend. Denn das Gericht kann auf die Tatsachen und Beweismittel, die nicht zur Kenntnis des Beschuldigten gelangten, eine Haftentscheidung nicht stützen. So der Rechtsgedanke des § 147 Abs. 2 Satz 2 StPO, das BVerfG, einige OLG und in der Vergangenheit auch schon das AG Halberstadt. Das wird nur nicht immer konsequent umgesetzt.
Interessant auch der Hinweis des AG, dass die Akteneinsicht im Haftprüfungstermin „durchaus gerechtfertigt als ungeeignet abgelehnt“ worden ist.
Abschließend: Es geht also auch anders als es der Kollege vom Strafblog erlebt hat.
Es ist erfreulich, Herr Kollege Burhoff, dass auch solche Haftentscheidungen getroffen werden. Natürlich erlebe auch ich als Verteidiger immer wieder mal Richter, welche die haftrechtlichen Grundsätze ernst nehmen und konsequente und richtige Entscheidungen treffen. Auch darüber lohnt es zu berichten. Im strafblog schreiben wir ja durchaus auch über unsere positiven Erlebnisse mit der Justiz und wollen nicht den Eindruck erwecken, der Rechtsstaat bleibe durchgängig auf der Strecke. Aber manchmal muss man sich auch empören oder seiner Verwunderung Ausdruck verleihen, dass gehört dazu. Menscheln tut es bekanntlich überall, auch in und vor der Justiz.
wir arbeiten dran :-). ich berichte natürlich lieber über AG-Halle Entscheidungen als über die, die „Ent-Haftrichter“ treffen
Muss mal ein wenig trommeln: BVerfG ( 2. Kammer des Zweiten Senats ), Beschluß vom 11-07-1994 – 2 BvR 777/94 habe ich „erkämpft“, war damals ein „Riesenkracher“.
Congratulations :-), ich mache eine Sternchen an die Entscheidung in meinen Handbüchern :-).