Archiv für den Monat: Dezember 2011

Von wegen: Geheim….. Karten/Bedienungsanleitung müssen auf den Tisch….

Ziemlich unbeachtet geblieben ist bislang der VerfGH Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 29. 10. 2010, VGH B 27/10, der zur Verletzung des rechtlichen Gehörs im Bußgeldverfahren Stellung nimmt.

Im Ausgangsverfahren hatte der Verteidiger eine Geschwindigkeitsmessung für unverwertbar gehalten, weil vor der Messung eine neue Eichung des eingesetzten Lasermessgeräts aufgrund einer neuen Bedienungsanleitung mit einem erweiterten Entfernungsbereich für den Aligntest (Einrichtung des Visiers) hätte erfolgen müssen. Das AG hatte einen entsprechenden Beweisantrag mit der Begründung zurückgewiesen, es sei von einer einwandfreien Funktion des Geräts auszugehen, da die neue Bedienungsanleitung von der  Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zugelassen worden sei. Der Verteidiger beantragte daraufhin zweimal vergeblich die Einsichtnahme in die dem Gericht aus anderen Verfahren vorliegenden Unterlagen der PTB. Das AG ver weigerte die Akteneinsicht und verurteilte den Beschwerdeführer. Im Urteil führte es aus, zu einer Beziehung der Unterlagen und der Gewährung von Einsichtnahme „ins Blaue hinein“ sei das Gericht mangels nachvollziehbarer Gründe nicht gehalten gewesen. Der Verteidiger hatte Verfassungsbeschwerde eingelegt und im Beschl. v. 29. 10. 2010, VGH B 27/10 Recht bekommen.

Der VGH stellt fest, dass dann, wenn sich das Gericht zur Ablehnung eines Beweisantrags auf Unterlagen bezieht, die ihm aus anderen Verfahren vorliegen, hier die Zulassung einer Bedienungsanleitung des Geschwindigkeitsmessgerätes durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt, es einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör darstelle, wenn die beantragte Einsichtnahme in diese Unterlagen vom Gericht verweigert wird. An sich m.E. eine Selbstverständlichkeit, die der VerfGH da zum Ausdruck bringen muss. Die Entscheidung betrifft leider nicht den Fall der derzeit ja heftig diskutierten Frage der allgemeinen Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung. Aber: Die Ausführungen der VerfGH zum Akteneinsichtsrecht sind lesenswert und man kann sie m.E. auch übertragen. Zumindest kann man damit argumentieren.


Dämliche Diebe

In der Tageszeitung wurde heute über „Dämliche Einbrecher“ berichtet, vgl. hier. Dämlich deshalb, weil: „Die Tat-Fahrräder hatten nämlich eindeutige Reifenspuren im frisch gefallenen Schnee hinterlassen. Die Beamten folgten ihnen bis zu einer Wohnung, wo die drei Verdächtigen samt der Beute entdeckt wurden. Die Männer wurden festgenommen.“

Auf der Suche nach dem Link für diesen Artikel bin ich dann auf andere „dämliche Diebe“ gestoßen, und zwar:

 

Fahrverbot nach Rotlichtverstoß an Fußgängerampel

Nicht ganz so häufig sind die Entscheidungen zu Rotlichtverstößen. Daher ist dann der OLG Celle, Beschl. v. 1. 11.2011 – 311 SsBs 109/11 – berichtenswert. Die Leitsätze:

1. Nimmt ein Zeuge zunächst das Grünlicht einer Fußgängerampel und erst im Anschluss daran das von links kommende Fahrzeug des Betroffenen beim Überfahren der Haltelinie wahr, ist die Beiziehung eines Ampelschaltplans zur Feststellung des Rotlichtverstoßes entbehrlich, wenn keine Anhaltspunkte für eine Fehlschaltung der Ampelanlage bestehen.

2. Der Querverkehr aus einer unmittelbar nach einer Fußgängerampel einmündenden Straße fällt in den Schutzbereich der Ziff. 132.2 BKat. Ob die Regelsanktion nach §§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 1 Nr. 3 BKatV i. V. m. Ziff. 132.2 BKat zu verhängen ist, bedarf jedoch der Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Mitverschuldens des unfallbeteiligten Dritten.

Entscheidung passt wohl. Denn in der Rspr. ist es anerkannt, dass bei Regelfällen, die wie Nr. 132.1, 132.2, 132.3.1 und 132.3.2 BKat für die Anordnung eines Fahrverbots die Verursachung einer Gefährdung oder Sachbeschädigung erfordern, der Tatbestand entfällt, wenn der Gefährdete/Geschädigte nicht in den Schutzbereich der Verbotsnorm fällt. Auch ein erhebliches Mitverschulden des Geschädigten kann den Tatbestand des Regelfahrverbots ausschließen.Kann man alles bei Deutscher in: Burhoff (Hrsg.) Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 3. Aufl., 2011, nachlesen :-).


Gewogen und zu leicht befunden…….“von Verfassungs wegen nicht haltbar“

so kann man den BVerfG, Beschl. v. 2 BvR 15/11 überschreiben, in dem das BVerfG zum (nicht) ausreichenden Tatverdacht für die Annahme einer Unterhaltspflichtverletzung, die Grund für eine Durchsuchung beim Beschuldigten war, Stellung genommen hat. Das AG, bestätigt vom LG, hatte den Tatverdacht u.a. auf das Lichtbild vom Beschuldigten auf der Homepage der Firma, bei der er nach seinen Angaben unentgeltlich als Praktikant tätig war, gestützt. Das sei sonst so nicht üblich. Dem BVerfG hat das nicht gereicht:

Die Annahme eines ausreichenden Tatverdachts ist von Verfassungs wegen nicht haltbar. Der Verdacht der Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170 Abs. 1 StGB) beinhaltet als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal die Leistungsmöglichkeit des Täters, denn dieser muss tatsächlich zu einer mindestens teilweisen Leistung imstande sein (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl. 2011, § 170 Rn. 8). In den angegriffenen Entscheidungen finden sich schon keine Angaben darüber, in welcher Höhe eine Unterhaltspflicht bestand und welche Einkünfte der Beschwerdeführer erzielt haben soll. Der Tatverdacht wird allein auf die pauschale Behauptung weiterer Einkünfte in der Strafanzeige der von dem Beschwerdeführer getrennt lebenden Ehefrau und den Internetauftritt eines Unternehmens gestützt, in welchem der Beschwerdeführer als Praktikant im Rahmen einer Umschulungsmaßnahme beschäftigt war. Hierbei handelt es sich indes nicht um zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer über dem notwendigen Selbstbehalt liegende Einkünfte erzielt. Allein aus dem Internetauftritt der >Firma P… kann nicht auf das Zahlen einer Vergütung geschlossen werden, zumal die Verantwortlichen des Unternehmens der Staatsanwaltschaft gegenüber mitgeteilt haben, dass dem Beschwerdeführer im Rahmen seines Praktikums gerade kein Entgelt gezahlt worden sei. Tatsachenfundierte Anhaltspunkte dafür, dass das Landgericht an den Angaben des Beschwerdeführers und der Firma P… hinsichtlich der fehlenden Entlohnung zweifeln durfte, zeigt das Landgericht nicht auf. Der pauschale Verweis auf die Lebenswirklichkeit reicht dafür nicht aus. Die Annahme einer Unterhaltspflichtverletzung beruhte daher auf bloßen Vermutungen, die den schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre nicht zu rechtfertigen vermögen.“

Von Verfassungs wegen nicht haltbar“ ist schon ganz schön dicke.

 

Erkennungsdienstliche Behandlung nach Drogenfahrt?

Einer der Schnittpunkt von Verwaltungsrecht und Strafrecht (StPO) ist § 81b 2. Alt. StPO. „Für Zwecke des Erkennungsdienstes“ ist nicht Straf(prozess)Recht, sondern Polizeirecht. An der Stelle gibt es eine ganze Reihe verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen, die sich mit der Frage befassen, wann erkennungsdienstliche Maßnahme angeordnet werden dürfen. Dazu gehört jetzt auch ein Urteil, auf das gestern das VG Neustadt in einer PM hingewiesen hat (Urt. v. 29.11.2011 – 5 K 550/11). In der PM heißt es:

Wer unter Drogeneinfluss Auto fährt, muss damit rechnen, dass die Polizei von ihm trotz Einstellung des Strafverfahrens eine erkennungsdienstliche Behandlung verlangen darf. Eine entsprechende Verfügung des Polizeipräsidiums Rheinpfalz hat das Verwaltungsgericht Neustadt mit Urteil bestätigt.

Der Kläger wurde im Oktober 2010 mit seinem Pkw einer Verkehrskontrolle unterzogen. Aufgrund drogentypischer Ausfallerscheinungen führte die Polizei eine Blutprobe durch. Diese ergab, dass der Kläger Cannabis und Kokain konsumiert hatte. Das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen Besitz und Erwerb von Drogen stellte die Staatsanwaltschaft im November 2010 ein, weil eine auf Betäubungsmittel positive Blutprobe nicht mit der erforderlichen Sicherheit auf strafbaren Besitz oder Erwerb schließen lasse. Es sei von straflosem Konsum auszugehen. Daraufhin ordnete die Polizeibehörde gegenüber dem Kläger die erkennungsdienstliche Behandlung an und lud ihn zur Abnahme von Fingerabdrücken sowie der Fertigung von Lichtbildern mit der Begründung vor, es sei davon auszugehen, dass der Kläger sich die Drogen selbst beschafft habe. Da Drogenkonsum typischerweise zu einem Abhängigkeitsverhalten führe, das zu neuer Tatbegehung nahezu zwinge, sei damit zu rechnen, dass der Kläger sich auch künftig Drogen besorgen werde. Dagegen erhob der Kläger nach erfolgloser Durchführung eines Widerspruchsverfahrens Klage und berief sich darauf, er habe kein Suchtproblem. Das habe auch ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis bestätigt. Deshalb liege eine Wiederholungsgefahr als Voraussetzung für die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung nicht vor.

Die 5. Kammer des Gerichts wies die Klage ab. Zur Begründung führte das Gericht aus, da der Kläger Cannabis und Kokain konsumiert habe, sei nach kriminalistischer Erfahrung von einer gewissen Drogenerfahrenheit auszugehen. Die Polizei habe daher annehmen können, dass trotz Einstellung des Ermittlungsverfahrens der Kläger ausreichend verdächtig sei, Drogen in strafbarer Weise erworben oder besessen zu haben. Auch bestehe Wiederholungsgefahr. Es gehöre zu den Aufgaben der Polizei, geeignete Vorbereitungen zur Aufklärung von Straftaten zu treffen. Ein wichtiges Hilfsmittel stelle insoweit die Anfertigung und Aufbewahrung von Lichtbildern und Fingerabdrücken dar. Bei Drogendelikten sei die Wiederholungsgefahr groß, weil typischerweise der Drogenkonsum zu einem Abhängigkeitsverhalten führe, das die Begehung weiterer Verstöße gegen die Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes sehr wahrscheinlich mache. Das gelte vor allem, wenn im Einzelfall objektive Anhaltspunkte für eine weitergehende Involvierung in die Drogenszene bestünden.

Dies ist beim Kläger nach Überzeugung des Gerichts der Fall. Dieser sei seit Jahren drogenerfahren, habe regelmäßig Joints geraucht und sei auf Partys verkehrt, auf denen Kokain konsumiert worden sei. Er habe sich somit zumindest in einem Randbereich des Drogenmilieus bewegt und kenne Quellen, wo Drogen erhältlich seien. Dass er aufgrund eines positiven Gutachtens inzwischen wieder eine Fahrerlaubnis bekommen habe, stehe der Prognose, es bestehe Wiederholungsgefahr in Bezug auf Drogendelikte, nicht entgegen.“

Wirs sicherlich nicht rechtskräftig werden. Mal sehen, was das zuständige OVG dazu sagt.