Archiv für den Monat: September 2010

Und nochmal Beweisantrag: Lass mich in Ruhe mit weiteren Beweisanträgen, oder: Verschieben der Antragstellung auf den nächsten HV-Tag

Der BGh hat jetzt ausgeführt, dass die Versagung der Stellung weiterer Beweisanträge in einem HV-Termin, in dem bereits mehrere Beweisanträge gestellt waren und der Verweis auf den HV-Folgetag zulässig ist. Es stelle keine unzulässige Beeinträchtigung des Rechts eines Angeklagten auf Stellung von Beweisanträgen dar, wenn der Vorsitzende die Stellung weiterer Beweisanträge an einem Hauptverhandlungstag ablehne, an dem der Angeklagte bereits über 20 Beweisanträge gestellt habe und ihn darauf verweise, dass er am folgenden Hauptverhandlungstag (hier entsprach dieser unmittelbar dem Folgetag) ohne Rechtsverlust weitere Beweisanträge stellen könne. In einer derartigen Konstellation sei keine Einschränkung der Verteidigung zu befürchten, wenn das Gericht sich am Folgetag auch an seine Zusage zur Erlaubnis der Stellung weiterer Beweisanträge hält (vgl. BGH, Beschl. v. 03.08.2010 – 4 StR 192/10). Etwas anderes wird m.E. jedenfalls gelten, wenn ein Beweismittelverlust zu befürchten ist.

Beweisbehauptung + Beweismittel = Beweisantrag

Ein ordnungsgemäßer Beweisantrag setzt die Behauptung einer bestimmten Beweistatsache voraus. Darauf sollte man als Verteidiger besondere Sorgfalt verwenden, wenn man nicht im Verwerfungsbeschluss des BGH so etwas lesen möchte:

„Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht den Antrag auf Vernehmung der Zeugin Kr. auch insoweit abgelehnt, als diese bekunden sollte, sie habe die ihr zugetragenen Erkenntnisse über Bedrohungen einzelner Gäste mit ei-nem Messer dem Zeugen M. mitgeteilt, der seinerseits „den Angeklagten R. entsprechend informierte“. Hierbei handelte es sich schon deswegen um keinen Beweisantrag, weil sich dem Beweisbegehren nicht entnehmen ließ, was genau Gegenstand der Wahrnehmung der Zeugin gewesen sein soll; damit fehlte es an der Bezeichnung einer bestimmten Beweistatsache (s. BGH, Urteil vom 6. Juli 1993 – 5 StR 279/93, BGHSt 39, 251, 253 f.).“

vgl. BGH-Beschl. v. 20.07.2010 – 3 StR 218/10

Zweimal Entbindungsantrag abgelehnt – Besorgnis der Befangenheit begründet

M.E. werden in der Praxis die Vorschriften der §§ 73, 74 OWiG häufig dazu missbraucht, eine Rücknahme des Einspruchs „anzuregen“ bzw. dessen Verwerfung vorzubereiten, indem nicht selten begründete Entbindungsanträge des Betroffenen abgelehnt werden mit der Begründung, die Anwesenheit des Betroffenen in der HV sei erforderlich. Zu der Problematik, wann das der Fall ist, oder wann der Betroffene von seiner Anwesenheitspflicht entbunden werden muss, gibt es eine umfangreiche oberlandesgerichtliche Rechtsprechung, die in Zusammenhang mit dem sog. Verwerfungsurteil steht.

Sehr schön jetzt dazu ein Beschl. des AG Recklinghausen v. 30.08.2010 – 29 OWi-56 Js 81/10-12/10. Dort hatte der Betroffene Einspruch eingelegt, bei dem es offenbar erkennbar nur um die Frage der Videomessung ging, also eine Rechtsfrage. Im Übrigen war aber wohl damit zu rechnen, dass der Betroffene zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen pp. keine Angaben machen würde. Jedenfalls hatte er zwei Entbindungsanträge gestellt, die das AG abgelehnt hat. Dagegen dann der Befangenheitsantrag, der beim AG dann durchging. Das AG führt aus:

Hat der Betroffene durch zwei Anträge auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen zu erkennen gegeben, dass er von der Möglichkeit, sich nicht zur Sache einzulassen, Gebrauch machen will und ist in der Hauptverhandlung nur noch eine Rechtsfrage zu erörtern, erscheint die Aufrechterhaltung der Anordnung des persönlichen Erscheinens des 570 km entfernt wohnenden Betroffenen aus Sicht eines Außenstehenden unverhältnismäßig und geeignet, Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richter zu begründen.“

M.E. zutreffend.

Kurz und knapp: Klauen mit ordnungsgemäßen Schlüssel rettet nicht vor erschwertem Fall

Kurz und knapp sagt der BGH in seinem Beschl. v. 05.08.2010 – 2 StR 385/10:  „Der Täter stiehlt auch dann eine durch ein verschlossenes Behältnis besonders gesicherte Sache, wenn er als Unberechtigter den ordnungsgemäß dafür vor-gesehenen Schlüssel verwendet.“ Im Fall hatte die Täterin eine  Tresor mit einem „ordnungsgemäßen Schlüssel“, den sie nicht benutzen durfte geöffent und aus dem Tresor dann eine größeren Geldbetrag entwendet. Lösung: BGH bejaht den § 243 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Immerhin eine Leitsatzentscheidung

Ist die Neuregelung der Vollstreckung ausländischer Geldsanktionen verfassungswidrig?

Der Bundestag hat Anfang Juli 2010 das Gesetz zur Vollstreckung ausländischer Geldsanktionen beschlossen, das derzeit noch im Bundesrat hängt und dort auf den Fortgang des Gesetzgebungsverfahren wartet. Das Inkrafttreten zum 01.10.2010 kann man wohl ernsthaft nicht mehr erwarten. Ganz interessant: Im Gesetzgebungsverfahren hatte einer der drei vom Bundestag gehörten Sachverständigen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes bezweifelt. Über die zweifel hat sich der Bundestag aber hinweggesetzt. Wer jetzt nachlasen will, warum und wo verfassungsrechtliche Zweifel bestehen, kann das in der neuen Ausgabe der ZIS 2010, 548 tun; vgl. hier. Dort ist der Beitrag „Die Karawane zur Europäisierung des Strafrechts zieht weiter Zur demokratischen und rechtsstaatlichen Bresthaftigkeit des EU-Geldsanktionengesetzes“ von Prof. Schünemann, München, der der zweifelnde Sachverstädnige war, abgedruckt. Sollte man sich als Verteidiger schon mal ausdrucken. Denn die angesprochenen Fragen werden sicherlich in der Anwendung des Gesetzes eine nicht unerhebliche Rolle spielen. M.E. wird letztlich das BVerfG entscheiden (müssen).

Zur der Problematik auch hier, hier und hier.