Der Verteidiger des Betroffenen im Verfahren 1 SsBs 2/10 hat mir gerade den Beschluss des OLG Zweibrücken vom 16.08.2010 geschickt, in dem das OLG Zweibrücken erstmals zum Beweisverwertungsverbot bei Verletzung des Richtervorbehalts bei der Blutentnahme (§ 81a Abs. 2 StPO) Stellung genommen hat.
Das OLG lehnt eine Beweisverwertungsverbot ab, im Grunde weitgehend mit der schon aus anderen OLG-Beschlüssen bekannten Argumentation. Insoweit also nichts Neues. Interessant ist aber der Hinweis des OLG darauf, dass man in Zukunft nach dieser Entscheidung anders entscheiden könnte. Ähnlich hatte ja vor einiger Zeit schon das KG argumentiert.
Und: Das OLG weist – m.E. zutreffend – darauf hin, dass es eine Vorlage zum BGH wohl kaum geben wird. Es handelt sich bei diesen Verfahren um Einzelfallentscheidungen. Da scheidet eine Vorlage aus.
Tja. Teils wird ein Verwertungsverbot bejaht, teils verneint. Willkommen im Flickenteppich Deutschland. Wie soll man eigentlich einem Mandanten erklären, daß er nur deshalb verurteilt oder nicht verurteilt wird, weil er zufällig diesseits oder jenseits der Grenze eines OLG-Bezirks kontrolliert worden ist?
Vielleicht gilt demnächst der alte Satz aus amerikanischen Gangsterfilmen: „Laß uns über die Staatsgrenze flüchten, da können sie uns nichts!“.
Zur Argumentation: wenn ein Verwertungsverbot nicht ausdrücklich gesetztlich normiert ist, darf grundsätzlich verwertet werden – ein Ansatz, der unglücklicherweise ja auf eine Entscheidung des BVerfG zurückgeht – fällt mir nur ein, daß ich die Vorlesungen Staatsrecht I+II damals gründlich mißverstanden haben muß. Ich dachte immer, der Gag an einem demokratischen Rechtsstaat sei, daß der Bürger alles darf, soweit es nicht verboten ist und der Staat nichts darf, soweit es nicht gesetzlich erlaubt ist.
Ich nehme aber zur Kenntnis, daß das BVerfG, und ihm folgend die Obergerichte, der Auffassung sind, daß der Staat auch alles darf, was ihm nicht ausdrücklich verboten ist. Dann stellt sich die Frage nach dem Vorhandensein einer Ermächtigungsgrundlage demnächst wohl nicht mehr, sondern nur noch die Frage nach einer Verbotsnorm.
Dogmatisch ist dieser Ansatz völlig verfehlt und nicht mit dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes vereinbar, wie Schwabenbauer in NJW 2009, 3207, dem BVerfG sehr schön nachgewiesen hat.
Jetzt bin ich mal ketzerisch. Wenn interessiert Dogmatik, wenn es um die knappen Ressourcen der Justiz und den Nachtschlaf geht 🙂 🙂
@Burhoff
Genau. Juristische Fakultäten abschaffen und wieder nach Bauchgefühl richten lassen. Die wissenschaftliche Durchdringung der Rechtsprechung ist, wie das Beispiel zeigt, auf dem Nullpunkt angelangt. Die „Begründung“ für die Ansicht eines Gerichts wird durch Hinweise auf andere Gerichtsentscheidungen geliefert, die ebenfalls keine Begründung enthalten. Ein Student oder Referendar würde sich dafür seine verdienten 0 Punkte abholen. Vgl. auch Fezer in HRRS 2010, 281 (http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/archiv/10-06/hrrs-6-10.pdf).
Die Urteilsbegründung ist ja lustig… Stark vereinfacht ausgedrückt, sagt das OLG doch, dass kein schwerwiegender Verstoß gegen den Richtervorbehalt vorliegt, weil die Polizeibeamten angesichts der unklaren Rechtslage kaum willkürlich gehandelt haben können. (Man verzeihe mir die verkürzte Darstellung) Dies gelte umso mehr, als das OLG Zweibrücken bislang keine Möglichkeit gehabt habe, eine solche Sache zu entscheiden. Meint doch wohl: Wir haben das hier in Zweibrücken noch nicht entschieden, woher sollen die ermittelnden Beamten wissen, wie wir das handhaben mit dem Richtervorbehalt. Der Hinweis des OLG, dass die Sache zukünftig, nachdem ja jetzt eine Entscheidung des OLG vorliegt, auch anders entschieden werden kann (pro Beweisverwertungsverbot), soll dann wohl zu entsprechendem Wissen der Polizeibeamten führen. So lese ich das jetzt mal ganz frei zwischen den Zeilen.
Das ist ja völlig absurd!
Das OLG (übrigens ca. 500 m Luftlinie von unserer Kanzlei entfernt) entscheidet doch gerade contra Verwertungsverbot. An diesen Tenor werden sich die Polizeibeamten auch halten und auf diesen Tenor werden die sich auch berufen, denn wie das OLG ausführt, kann den armen ermittelnden Beamten ja nichts weiter zugemutet werden (höchstens den Dienstherren, was sich dann aber erstaunlicherweise nicht auf die Verwertbarkeit auswirken soll). Wenn nun also eine neue Entscheidung in einer solchen Sache ansteht, wird das OLG an seiner eigenen Urteilsbegründung zu knabbern haben. Wie wollen die denn, nachdem nun eine eindeutig contra Verwertungsverbot tenorierte Entscheidung vorliegt und nachdem auf das Wissen der ermittelnden Beamten abgestellt wird, begründen, dass diese willkürlich (und darum geht es doch im Grunde) gehandelt haben? Die werden doch sagen: „Wir haben uns an das Urteil des OLG gehalten!“
Richtig wäre doch wohl gewesen, dass die Beamten gerade angesichts der umstrittenen Thematik des Richtervorbehalts, die nun an keinem vorbeigehen kann, verpflichtet gewesen, den Amtsrichter anzurufen. Eine ganz unmögliche Begründung!
Noch viel schlimmer ist dabei, dass es um Drogen ging und die Blutentnahme am frühen Nachmittag durchgeführt wurde. Eigentlich
DER Paradefall pro Verwertungsverbot. Das ist ja zum k…!
Und das ausgerechnet von „unserem“ OLG …
tragen Sie es mit Fassung, „mein“ OLG gefällt mir auch nicht immer 🙂 🙂
@ 3.:
Prozessökonomisch sinnvoll ist diese Entscheidung meines Erachtens nicht. Denn jetzt wird jeder Polizeibeamte wild drauf los zapfen und sich auf den Tenor berufen und jeder Verteidiger wird, wenn es denn im Einzelfall überhaupt Sinn macht mit dem Beweisverwertungsverbot zu kommen, mit der Begründung hausieren gehen, das OLG habe ja gesagt, es könne auch anders entscheiden … Ich bin mal gespannt, wie die nächste Entscheidung des OLG in einer solchen Sache aussieht, nachdem es nicht einmal auf das Wissen des Dienstherren ankommt …
Wenn man schon ein Hintertürchen einbaut, sollte man dieses doch wohl auch offen lassen …
@ 5: ich gebe Ihnen Recht: Ich halte die Argumentation auch für nicht so ganz gelungen. So hätte man m.E. 2007 argumentieren können, aber nicht mehr nach 3 Jahren, in denen um diese Fragen ja heftigst gestritten worden ist. Das sollten auch Polizeibeamte mitbekommen haben. Und die Frage des nächtlichen richterlichen Eildienstes muss man m.E. auch anders sehen. Aber siehe das Posting zu 3 und 4.
@ 8 Wer fragt denn nach „Prozessökonomie“ .-)
@9.:
Hatte Ihren Kommentar unter 3. mit dem Nachtschlaf und den Ressourcen wohl etwas falsch verstanden.:-)
Ich habe das kürzlich einmal ausführlich zum Gegenstand einer Hauptverhandlung gemacht. Die Polizeibeamten sagten, es sei ihnen selbstverständlich bekannt, daß es eines richterlichen Beschlusses bedürfe. Da aber das Amtsgericht erst vor wenigen Wochen einen richterlichen Bereitschaftsdienst eingerichtet habe (Großstadt, Gerichtsbezirk mit 600.000 Einwohnern!), habe man vergangenen Sommer noch keinen Richter erreichen können. Aber auch der nunmehr eingerichtete Eildienst umfasse nicht die Nachtstunden zwischen 21.00 Uhr und 6.00 Uhr, in denen die meisten Straftaten passierten, so daß immer noch 70% der Anordnungen durch Polizeibeamte durchgeführt würden.
Ein klares Organisationsverschulden des Präsidiums des AG, das 9 bzw. 3 Jahre nach den maßgeblichen Entscheidungen des BVerfG noch immer keinen (ausreichenden) richterlichen Bereitschaftsdienst eingerichtet hat und die Nachtruhe des Richters über die verfassungsmäßigen Rechte der Bürger stellt.
Urteil des Amtsgerichts: Rechtswidrig ja, Verwertungsverbot nein.
Urteil des Verteidigers: Rechtsmittel ja, abgekürzte Urteilsgründe nein.
wenn einmal das BVerfG zu einem Beweisverwertungsverbot käme und sich nicht immer vornehm daran vorbei drücken würde, wäre der ganze Spuk beendet. Nicht nur bei § 81a StPO, sondern auch bei Durchsuchung und Beschlagnahme.
Das BVerfG ist immer dort mutig, wo es der Rechtsflege als Ganzes nicht besonders weh tut. Verfassungsbeschwerden sind zwar häufig „offensichtlich begründet“, weil eine Verletzung der Grundrechte ohne weiteres ins Auge steche. Von dieser Feststellung haben die Beschwerdeführer jedoch regelmäßig nichts, weil die Aufhebung durch das BVerfG für das weitere Verfahren oftmals keine Rolle spielt.
Wenn das BVerfG auf eine offensichtliche Grundrechtsverletzung erkennt, der Grundrechtsverstoß weder dienst- noch verfahrensrechtliche Konsequenzen hat, fühlt sich der Beschwerdeführer natürlich veralbert. Die Entscheidung vom 02.07.2009, 2 BvR 2225/08, hat der Antiverwertungverbotsfraktion wieder neuen Auftrieb gegeben. Verfahrensrechtswidrige Handlungen gibt es doch nur deshalb so viele, weil Staatsanwaltschaft und Polizei wissen, daß ihre Rechtsverstöße keine Konsequenzen haben.
Neulich las ich in einer Akte fassungslos folgenden Sachverhalt. Die Polizei bittet den Bereitschaftsrichter um einen Durchsuchungsbeschluß. Der Richter lehnt ab. Die Polizei wendet sich an den Bereitsschaftsstaatsanwalt und klagt, der Richter habe eine Durchsuchung abgelehnt. Der StA ordnet die Durchsuchung daraufhin an. Weshalb bei dieser Sachlage Gefahr in Verzug vorgelegen haben soll, wurde – wie üblich – natürlich ebenfalls nicht dokumentiert. Ergebnis: kein Verwertungsverbot, keine Willkür feststellbar. Auch dienstrechtlich also im grünen Bereich.
Ein schöner Rechtsstaat.
Ich bin dabei, mich vom Beruf des Strafverteidigers zu verabschieden. Für mein Verständnis ist es für einen Juristen mit wissenschaftlichem Anspruch kaum noch vertretbar, im Strafrecht zu praktizieren, kaum noch möglich, seriös zu arbeiten. Ich beklage nicht die Ergebnisse. Die waren früher auch nicht „besser“ oder „schlechter“, gerechter oder ungerechter.
Aber die Begründung der Entscheidungen offenbart heutzutage oftmals, leider auch – oder gerade? – bei den Obergerichten, ein Höchstmaß an Unernsthaftigkeit und Unwissenschaftlichkeit. Freunde, die andere wissenschaftlichen Karrieren eingeschlagen haben und Physiker, Historiker, Mediziner und Mathematiker geworden sind, fragen mich häufig, was Rechtswissenschaft mit Wissenschaft zu tun habe. Früher habe die Rechtswissenschaft leidenschaftlich verteidigt. Angesichts der dogmatisch wenig überzeugenden Ausführungen der meisten Strafgerichte – um es zurückhaltend auszudrücken -, habe ich heute keine Antwort mehr auf die Frage. Die Strafjustiz arbeitet nicht mehr wissenschaftlich. Sie entscheidet ergebnisorientiert, liefert nur noch apodiktische Gründe, aber keine wissenschaftlich fundierten Begründungen. Die Entscheidungsgründe, gespickt mit unrichtigen Blindzitaten, wahllos und ungeprüft aus „juris“ zusammengetragen, bereiten mitunter körperliche Schmerzen, auch wenn das Ergebnis – zufällig? – „paßt“ oder zumindest vertretbar ist (was ist schon unvertretbar?).
Für mich als Wissenschaftler, als der ich mich weiterhin verstehe, ein nicht mehr tragbarer Zustand.
Zu diesem Mißstand haben viele Triebkräfte beigetragen. Ich nehme die Strafverteidigung dabei nicht aus, die zwar vielfach professioneller geworden ist, aber nicht von allen seriös betrieben wird. Die Entwicklung in der Strafverteidigung scheint mir jedoch keine ausreichende Erklärung dafür, daß sich die Strafjustiz mehr und mehr von jedem wissenschaftlichem Anspruch verabschiedet und es nicht einmal zu merken scheint. Aber vielleicht bin ich auch nur hoffnungslos altmodisch und ein Fossil des 20. Jahrhunderts, das mit den wissenschaftlichen Idealen des 19. Jahrhunderts aufgewachsen ist.
@ frieder
zu der kritik an den gerichten sage ich lieber nichts.
aber die kritik an der strafverteidigung wirft für mich zumindest eine frage auf: welche form von mangelnder „seriosität“ soll es denn sein, die dazu beigetragen haben soll, die richter vom pfad der tugend abzubringen?
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