Da habe ich mal eine schöne Haftentscheidung, die einen Bericht lohnt, und zwar der Beschluss des OLG Naumburg vom 21.07.2010 – 1 Ws 398/10, den mir der Verteidiger gerade zugeschickt hat. Die Entscheidung – noch der Vorwurf des Diebstahl mit einem Beutewert von unter 200 € – lässt sich etwa in folgenden Leitsätzen zusammenfassen:
- Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit in U-Haft-Sachen ist nur auf die Tat abzustellen, die Gegenstand des Haftbefehls ist.
- Je nach Sachlage kann in Haftsachen eine Verzögerung von drei Monaten zu beanstanden sein, wobei schon eine vermeidbare Verfahrensverzögerung von rund zwei Monaten mit dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen unvereinbar sein kann.
- Insbesondere in Haftsachen ist die Vorlagefrist des § 306 Abs. 2 StPO besonders zu beachten.
Bemerkenswert und von allgemeinem Interesse ist m.E der Punkt 3. Dzu heißt es im Beschluss wörtlich:
„Der Senat sieht sich ferner veranlasst, darauf hinzuweisen, dass auch im Beschwerdeverfahren Verfahrensverzögerungen verursacht worden sind. Zunächst ist auf § 306 Abs. 2 StPO hinzuweisen, wonach die Beschwerde sofort, spätestens vor Ablauf von drei Tagen dem Beschwerdegericht vorzulegen ist. Vorliegend hat das Beschwerdegericht trotz des dortigen Akteneingangs am 25. März 2010 erst am 20. April 2010 über die Haftbeschwerde vom 17. März 2010 und trotz des Akteneingangs am 22. Juni 2010 erst am 01. Juli 2010 über die Haftbeschwerde vom 18. Juni 2010 entschieden, wodurch insgesamt eine vermeidbare Verfahrensverzögerung von mehr als 1 Monat verursacht worden ist.“
Dem ist im Grunde nichts hinzuzufügen, außer: Das OLG Hamm hatte die Problematik der zögerlichen/verzögerten Vorlage der Akten beim Beschwerdegericht gerade auch für Haftsachen schon in der Vergangenheit mehrfach beanstandet (vgl. OLG Hamm StV 2000, 153; 2002, 492; 2006, 91) und darauf hingewiesen, dass eine Verletzung der Vorlagefrist des § 306 Abs. 2 StPO zu einer Verletzung des Beschleunigungsgebotes führen können. In die Richtung geht nun auch das OLG Naumburg.
Verteidiger sollten die Einhaltung dieser Frist anmahnen und Verletzungen als rechtswidrig beanstanden. Im Übrigen: Ich habe während meiner richterlichen Tätigkeit nie verstanden, warum Informationen an Richter, wie z.B. über die Änderungen von Beihilfevorschriften, durch Sonderwachtmeister transportiert/zugetragen werden, Haftsachen aber auf „normalen Wegen“. Die Väter/Mütter der StPO sind jedenfalls – und das unter Berücksichtigung der Transportverhältnisse bei Erlass der StPO im Jahr 1870 (?)1877 – davon ausgegangen, dass die Akten in drei Tagen beim Beschwerdegericht sein können.
Ja, mit (Rechts-)Geschichte tun sich dem Vernehmen nach schon die Jurastudenten schwer. Aber dass die StPO – ursprünglich ja Reichs(!)strafprozessordnung – nicht von 1870 sein kann, ist eigentlich auch bei rechtshistorischen Defiziten leicht zu erschließen. „Mütter“ hatte sie natürlich auch keine, da es in Deutschland vor 1919 weder weibliche Reichstagsabgeordnete noch Juristinnen/Ministerialbeamtinnen gab.
1Ws am OLG Naumburg? Das war doch der Senat, der die Strafbarkeit der Rechtsbeugung seiner Kollegen verneint hat.
Von dem können wir sicher alle noch viel lernen.
@ 1 Es ist schön, dass man durch das Internet und interessante Kommentare immer noch/wieder dazulernen kann; besten Dank. die Jahreszahl habe ich dan in 1877 geändert. „Väter und Mütter“ ist eine Redewendung, die allgemeine gebräuchlich ist und die daher so stehen lasse. Mich wundert allerdings, dass Ihnen diese Dinge wichtiger zu sein scheinen als die Sache. Dazu hätte ich aus berufenem (?) Mund dann gerne was gehört. Aber da wird lieber geschwiegen :-(.
@ 2: Es ist der 1. Strafsenat des OLG Naumburg, ob der auch für die Rechtsbeugungssache zuständig war, kann ich nicht sagen. Von OLGs kann man im Übrigen immer lernen :-). Im Internet übrigens auch (siehe den Kommentar zu 1).
Eine andere Frage veranlaßt mich immer, jeden historischen StPO-Kommentar durchzuwälzen, den ich in die Hände bekomme.
Seit jeher heißt es in den Kommentaren zur StPO, die 3-Tage-Frist in § 306 Abs. 2 StPO sei nur eine „Sollvorschrift“. Begründung: Fehlanzeige. Jeder Kommentar verweist nur auf andere Kommentare, in denen sich auch keine Begründung findet. Dabei ist die Sache bei grammatischer Auslegung der Norm doch eindeutig. Wenn dort steht, daß der Vorgang binnen 3 Tagen dem Beschwerdegericht vorzulegen „ist“, handelt es sich nach der üblichen Lesart um eine zwingende Vorschrift. Wer ist zuerst auf die unsinninge Idee gekommen, die Norm sei dahingehend zu lesen, es handele sich nur um eine Sollvorschrift? Oder ergibt sich das aus den Motiven zur StPO (die ich mangels Nähe zu einer Uni-Bibliothek bislang nicht gelesen habe)?
Interessant ist, daß es einzig und allein im Kommentar zur Strafprozeßordnung der DDR, 2. Auflage, Berlin 1987, zu dem wortgleichen § 306 Abs. 3 StPO-DDR heißt: „Hält das Gericht die Beschwerde für nicht oder nicht in vollem Umfang begründet, HAT es seine Stellungnahme in den Akten zu vermerken und die Beschwerden mit den Akten innerhalb von drei Tagen dem Beschwerdegericht vorzulegen.“ Kein Wort von einer „Sollvorschrift“… War man da in der DDR (zumindest auf dem Papier) rechtsstaatlicher als in der Bundesrepublik?
§ 306 STPO wird oft missachtet obwohl die Gesetzliche Vorgabe eindeutig ist.Wenn es heißt“SOFORT“spätestens innerhalb 3 Tagen dem Beschwerdegericht vorzulegen, dann heisst es,möglichst am selben Tag,auf alle Fälle innerhalb der 3 Tagefrist wobei der Tag des Eingangs als Erster Tag zählt.Hab Grad das“Problem das dass AG Paderborn als Sachlich unzuständiges Gericht-Zuständig AG Brakel-,einen Durchsuchungs und Beschlagnahmebeschluß erlassen hat,dagegen Beschwerde eingelegt wurde,und der Richter am AG über der 3 Tageweise hinaus weder seinen Beschluss aufgehoben hat,aber ganz offensichtlich dem LANDGERICHT Paderborn zur Entscheidung noch nicht vorgelegt oder LG anschreiben hat.Abwarten und Nichtvorlage rügen?Da AG Paderborn erkennen müßte das es für den Bezirk Kreis Hx eindeutig nicht zuständig ist ist,Frage ich mich ernsthaft ob ein solcher Richter seine eigene Entscheidung aufhebt-vom Gesetz her schon-,oder dabei verbleibt dem LG die Beschwerde zur Entscheidung vorzulegen.Leider gibt es auch solche Richter weil der Richter keine Nachteile für sich zu befürchten hat,selbst wenn er Wochen warten würde um jemanden einen“gefallen“ zu tun.Leider ist es in Deutschland so.Mann sollte die STPO so ändern, das Richter haftbar gemacht werden können.