Der Newsletter von LexisNexis meldete in den letzten Tagen, dass die BRAK Thesen zur Praxis der Verteidigerbestellung nach §§ 140 Absatz 1 Ziffer 4, 141 Absatz 3 Satz 4 StPO i. d. F. des Gesetzes zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29.07.2009 erarbeitet hat. Darin fordert die BRAK u. a., dass der Beschuldigte ausreichend Zeit zur Auswahl eines Verteidigers seines Vertrauens haben müsse. In der Meldung heißt es:
„Das Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts (BGBl. I 2009, S. 2274) ist am 01.01.2010 in Kraft getreten. Die Rechte der Inhaftierten werden in diesem Gesetz u. a. durch die Verpflichtung gestärkt, einen Pflichtverteidiger ab dem ersten Tag der U-Haft beizuordnen, den Beschuldigten unverzüglich schriftlich über seine Rechte zu belehren sowie Beschuldigten, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, eine schriftliche Übersetzung des Haftbefehls auszuhändigen.
Erste Erfahrungen mit der neuen Rechtslage zeigen nach Ansicht der BRAK jedoch, dass sich die Praxis schwer damit tut, das Recht des Beschuldigten, vor der Bestellung eines Verteidigers Gelegenheit zu haben, einen Verteidiger seiner Wahl zu bezeichnen (§ 142 Absatz 1 Satz 2 StPO) mit dem Gebot der Unverzüglichkeit der Verteidigerbeiordnung in Einklang zu bringen. Dazu trage auch der Umstand bei, dass die eilbedürftige Kontaktaufnahme zwischen inhaftierten bzw. einstweilig untergebrachten Beschuldigten und Verteidigern zur Klärung der konkreten Verteidigungsübernahme verschiedentlich durch Gerichte und Staatsanwaltschaften erschwert und im Einzelfall sogar unterbunden werde. Auch in den Fällen, in denen der Beschuldigte nicht willens oder in der Lage sei, einen ihm beizuordnenden Verteidiger seiner Wahl zu bezeichnen, dürfe trotz der Eilbedürftigkeit der Beiordnungsentscheidung der Anspruch des Beschuldigten auf konkrete und wirkliche Verteidigung nicht zu kurz kommen.
Diesen Problemen muss, so die BRAK, soweit möglich ohne Nachbesserung des neuen Rechtszustandes durch den Gesetzgeber durch eine optimierte praktische Handhabung der neuen gesetzlichen Möglichkeiten Rechnung getragen werden. Hierzu sollen die in ihrer Stellungnahme Nr. 16/2010 aufgestellten 7 Thesen mit Begründung Hilfestellung bieten.“
Die Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zur Praxis der Verteidigerbestellung findet man im kostenlosen Internetangebot der BRAK.
Zu der Problematik auch OLG Düsseldorf, LG Itzehoe und LG Saarbrücken.
In der forensischen Praxis ist man immer wieder erstaunt, welche sichtbar körperlichen Schmerzen es – insbesondere jungen – Haftrichtern bereitet, die gesetzlich verbrieften Rechte des Beschuldigten – und damit den Willen des Gesetzgebers – zu akzeptieren, geschweige denn, diesen Rechten Geltung zu verschaffen. Wer erkennbar darunter leidet, daß der Beschuldigte Rechte hat, auf deren Einhaltung das Gericht nicht nur zu achten, sondern zu drängen hat, ist in meinen Augen auf dem Stuhl des Haftrichters fehl am Platz.
Ich habe noch nie erlebt, daß ein Haftrichter mit freundlicher Miene den Beschuldigten eingehend über seine Rechte belehrt und diese im Sinne des Gesetzgebers großzügig ausgelegt hat. Der Wille des Gesetzgebers wird nicht – wie es der Pflicht und der Würde eines Richters entspräche – freudig und mit Nachdruck umgesetzt, sondern erkennbar widerwillig, nicht selten verbunden mit dem Hinweis, daß man keinen Haftrichter weit und breit kenne, der bei dieser Sachlage anders entschiede. Während dieser Mitteilungen hängt der junge Haftrichter mit saurer Miene und unmöglicher Kleidung (Schlabbersweatshirt und ausgebeulte Cordhose) lustlos in seinem Sessel und verkündet einem Bürger das Ende seiner Freiheit, an gesetzlichen Vorschriften demonstratives Desinteresse zeigend, gleichzeitig jeden Vorwurf nachlässigen Arbeitens forsch zurückweisend („Wollen Sie mir Rechtsbeugung unterstellen?“). Unmöglich und peinlich!
In diese ohnehin schon miese Grundstimmung traf die neue gesetzliche Bestimmung, dem Beschuldigten, gegen den U-Haft vollstreckt wird, sofort einen Pflichtverteidiger beizuordnen, viele Haftrichter wie ein Stich ins Herz. Und wenn jetzt auch noch Gelegenheit gegeben werden soll, einen Verteidiger des Vertrauens zu benennen, möglicherweise sogar den bereits bestellten Urteilsbegleiter auszuwechseln, ist der Untergang der haftrichterlichen Rechtskultur gewiß.
Welche justizinternen Umstände verhindern es eigentlich, daß ein seriöser Fan der Grund- und Menschenrechte, ein Achter der obergerichtlichen Rechtsprechung, ein demütiger Arbeiter im Weinberg des Bundesverfassungsgerichts Haftrichter wird?