Jeder Verteidiger in Haftsachen kennt das Problem: Der Mandant wird am Anfang des Verfahrens in U-Haft genommen, dann wird im weiteren Verlauf der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt. Das Problem, das dann entsteht ist: Wie lässt sich für den Fall der Verurteilung eine Invollzugsetzung des Haftbefehls verhindern? Man ist zwar von der Unschuld des Mandanten überzeugt, man merkt aber in der Hauptverhandlung, dass der Wind aus einer anderen Richtung bläst. Also berät und belehrt man den Mandanten, dass er mit einer Verurteilung rechnen muss, obwohl man von der Unschuld überzeugt ist. Der Mandant kommt auch weiterhin zur Hauptverhandlung. Dann wird er verurteilt: 6,5 Jahre und natürlich wird der Haftbefehl wieder in Vollzug gesetzt. Fluchtgefahr wegen der hohen Strafe und der Hinweis darauf, dass das Schreiben an den Mandanten, in dem man auf die Verurteilungsgefahr hingewiesen habe, „keinen Beleg dafür [sei], dass er tatsächlich mit einer Verurteilung und einer solchen Strafe rechnete, wenn dies schon sein Verteidiger bis nach Ende der Beweisaufnahme nicht tat“. Und: „Jedenfalls widerspricht dieses Schreiben „dem gesamten Einlassungs- und Verteidigungsverhalten des Angeklagten und den Darlegungen seines Verteidigers …..“ So ausgeführt im Beschluss des OLG München v. 07.09.2009 – 3 Ws 745/09.
Da fragt man sich, was soll ich eigentlich als Verteidiger noch tun. Weise ich den Mandanten nicht auf die Verurteilungsgefahr hin, wird mir/ihm entgegengehalten, er habe die Verfahrenssituation nicht gekannt, weise ich ihn auf den „stürmischen Wind“ aus der Kammer hin, dann heißt es (verklausuliert): Alles nur vorgeschoben, um argumentieren zu können…
Man nennt so etwas wohl Teufelskreis.
Nix kann man da machen. Dass aber eine erstinstanzliche Verurteilung zu sechseinhalb Jahren ein Datum ist, an dem man schwer vorbeikommt (und das vorher nunmal nicht da war), ist doch wohl auch schlecht zu bestreiten.
Zu diesem Thema eine Entscheidung des LG Freiburg vom 26.5.2009 – 2 Qs 75/09 (der Mandant war am 13.5.2009 wegen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren o.B. verurteilt und im Saal verhaftet worden, hat weiteres Verfahren, in dem ihn nochmals 2 Jahre o.B. erwarten):
„Auf die Beschwerde des D.S. wird der Haftbefehl des AG Freiburg vom 13.5.2009 aufgehoben.
Gründe:
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Nach Auffassung der Kammer besteht auch unter Berücksichtigung der Gründe der angefochtenen amtsgerichtlichen Entscheidung keine Fluchtgefahr. Die Kammer teilt insoweit die Auffassung des Verteidigers. Hierbei wird nicht verkannt, dass D.S. durch amtsgerichtliches Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt wurde, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde, weder soziale Bindungen noch einen Arbeitsplatz hat und gegen ihn eine neue Anklage anhängig ist. Entscheidend ist jedoch, dass er sich trotz dieser Umstände dem Verfahren beim Amtsgericht Freiburg gestellt hat, obwohl ihm diese Umstände bekannt waren.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.“
So geht es also auch.
Beste Grüße
Klaus Malek
Offenbar wurde vom Verteidiger irgendwo auch vorgetragen, dass ein belehrendes und warnendes Schreiben an den Mandanten den Tipps eines Praxisratgebers („Hinweis an den Verteidiger“) entspricht. Das kann natürlich auch so aufgefasst werden, dass das Schreiben nur zur Absicherung und zur Argumentation im Beschwerdeverfahren Verwendung finden soll. So verstehe ich jedenfalls das OLG München. Also besser Quelle weg lassen!!
Was das OLG München aber nicht thematisiert, ist die niedrige Quote von Freisprüchen (auch wenn die Verteidigung dies beantragt). Argument für die Verteidigung wäre auch (wenn es hier so war), dass die StA bereits mit dem Strafantrag im Plädoyer den Antrag auf Erlass des Haftsbefehls gestellt hat, und der Angeklagte trotzdem – nach Unterbrechung zur Urteilsberatung – auch zur Urteilsverkündung gekommen ist.
so war es offensichtlich :-). ich habe auch schon Bedenken wegen der Fluchtgefahr. Was brauche ich denn noch an „sozialen Bindungen“?.
Dem Mann stehen über vier Jahre reale Haftzeit bevor, und das als „Kinderschänder“. Wie kann man auf die Idee kommen, dass das kein wirksamer Fluchtanreiz sein soll? Dass jemand nicht geflohen ist, solange er noch die Hoffnung auf einen Freispruch hatte, hat da doch kaum eine Aussagekraft.