Der 3. Strafsenat des OLG Hamm hatte in seinem Urteil v. 18.08.2009 – 3 Ss 293/08 – für den LG-Bezirk die Einrichtung eines richterlichen Eildienstes für erforderlich gehalten und aus dem Umstand, dass das JM NRW den über Jahre nicht eingerichtet hatte, ein BVV abgeleitet. In dem Zusammenhang hate der 3. Senat auch auf die hohe Anzahl nächtlicher Blutentnahmen abgestellt. Dazu jetzt die Antwort aus dem eigenen Haus. Der 4. Strafsenat führt in seinem Beschluss vom 10.09.2009 – 4 Ss 316/09 aus:
„Ferner ist es unerheblich, ob ein Organisationsverschulden der Justiz darin gesehen werden könnte, dass ein richterlicher Eildienst nicht auch für die Zeit zwischen 21:00 Uhr und 6:00 Uhr eingerichtet worden ist. Zwar ist der 3. Senat des OLG Hamm für den Bezirk des LG Bielefeld von der Notwendigkeit eines solchen Eildienstes ausgegangen (Urteil vom 18.08.2009 – 3 Ss 293/08). Der Senat teilt diese, im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung zur Nachtzeit ergangenen Entscheidung und die dort angestellten Überlegungen nicht. Jedenfalls können sie nicht auf die Anordnung einer Blutentnahme gem. § 81 a StPO übertragen werden. Dies folgt schon daraus, dass im Gegensatz zu dem im Grundgesetz angeordneten Richtervorbehalt für die Wohnungsdurchsuchung, Art. 13 Abs. 1 Satz 1 GG, der Vorbehalt des § 81 a StPO ein einfachgesetzlicher ist. Dies ist sowohl bei der Frage, ob aus einer Verletzung des Vorbehaltes ein Beweisverwertungsverbot folgen kann, wertend mit heranzuziehen, als auch schon bei der Vorfrage, ob wegen der Anzahl der Blutentnahmen zur Nachtzeit ein Eildienst zwingend erforderlich ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass wegen der Eilbedürftigkeit ohnehin nur ein telefonischer Antrag und eine entsprechende Entscheidung möglich sind. Eine sachliche richterliche Kontrolle, ob die Voraussetzungen für die Anordnung gegeben sind, könnte nur sehr eingeschränkt stattfinden. Der Sinn des Richtervorbehalts, dem betroffenen Bürger einen möglichst effektiven Rechtsschutz im Sinne des Art. 19 IV GG zu gewähren, ließe sich auf diesem Wege kaum erreichen. Der mit der Einrichtung eines Eildienstes einhergehende erhebliche personelle Aufwand – bei den knappen Ressourcen der Justiz – stünde damit in keinem Verhältnis zu dem erreichen Erfolg hinsichtlich des Rechtsschutzes des Bürgers vor Strafverfolgungsmaßnahmen. – Der 1., 2. und 5. Senat haben auf Anfrage mitgeteilt, dass sie diese Ansicht teilen.“
An dem Beschluss ist einmal interessant, dass der Senat die Frage in einem „Zusatz“ klärt; das zeigt, was man von der Auffassung des 3. Strafsenats hält. Zudem: Die anderen Senate teilen die Ansicht; der 3. Senat steht also allein. Und: M.E. passt die Argumentation nicht ganz: Bei der Frage, ob ein nächtlicher richterlicher Eildienst eingerichtet werden muss oder nicht, spielt die Anzahl der nächtlichen Blutentnahmen m.E. schon eine Rolle. Das kann/darf man m.E. nicht isoliert für Durchsuchungen bzw. für jede Zwangsmaßnahme einzeln sehen. Erst im Hinblick auf ein BVV kann man dann m.E. dann anders argumentieren. Letztlich kann man aus dem Beschluss nur den Schluss ziehen: Entscheiden wird die Fragen wahrscheinlich erst Karlsruhe oder der Gesetzgeber, wenn er den Rufen zur Abschaffung des Richtervorbehalts in § 81a StPO folgt. Mal sehen, was die neue Regierung daraus macht.
Es ist eine Tendenz erkennbar, daß der Rechtsschutz des Bürgers hinter den finanziellen Interessen des Staates zurückzustehen hat. Ausmaß und Qualität des Rechtsschutzes sollen abhängig sein von der jeweiligen Kassenlage. In guten Zeiten hat der Bürger mehr Rechte als in Zeiten knapper Kassen. Es darf aus Sicht der Justiz anscheinend nicht sein, daß ein Beschuldigter nur deshalb seiner „gerechten Strafe“ entgeht, weil die Justiz personell unterbesetzt ist. Die Konsequenz dieser Logik: Personalabbau und die Beschneidung von Bürgerrechten gehen Hand in Hand. Je weniger Geld der Staat der Justiz zur Verfügung stellt, desto mehr „darf“ er in die Rechte der Bürger eingreifen.
Tip für die Innenminister: keine neuen Gesetze, sondern einfach den Justizhaushalt stark kürzen. Dann erledigt sich die Frage des Rechtsschutzes nach Auffassung vieler Richter ganz allein.
Die Richter, die die Folgen der Personalnot nicht dem Bürger, sondern durch Bejahung von Beweisverwertungsverboten, Verfahrenshindernissen, usw., dem Staat in die Schuhe schieben, scheinen leider in der Minderheit zu sein. Würde die Mehrheit der Richter so reagieren, wäre die Politik gezwungen, die Justiz besser auszustatten, zumal die Justizhaushalte gegenüber anderen Haushaltsposten kaum ins Gewicht fallen. Die Mehrheit der Richter sieht jedoch nicht, daß sie sich durch eine solche Rechtsprechung ins eigene Fleisch schneiden. Weshalb sollte die Politik die Justiz personell und finanziell besser ausstatten, wenn sie auch unter immer schlechter werdenden Bedingungen in erster Linie die Interessen des Staates und nicht die Rechte der Bürger stärkt?