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Wann beginnt die Wartepflicht des Linkabbiegers?, oder: Erkennen des Rechtsabbiegevorgangs

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Heute dann „Kessel-Buntes-Tag“. Und in dem Kessel köcheln heute zwei Entscheidungen aus dem Zivilrecht.

Zunächst kommt hier etwas zur Unfallverursachung, nämlich der OLG Nürnberg, Beschl. v. 03.06.2024 – 3 U 746/24 – zur sog. Wartepflicht des Linksabbiegers. Gestritten wird um die Ersatzpflicht aus folgendem Unfall-/Verkehrsgeschehen:

Zwischen dem PKW VW Tiguan des Klägers, welcher zu dem Unfallzeitpunkt von seiner Ehefrau (Zeugin) gesteuert wurde, und dem im Eigentum des Beklagten zu 1) stehenden PKW Toyota kam es am 08.02.2023 gegen 14:00 Uhr in pp. auf der, unmittelbar hinter der Einmündung der pp. und der pp. Straße, zu einer Kollision. Die Zeugin bog, von der pp. her kommend, nach links in die – stadteinwärts gerichtet – ein, die Beklagte zu 1) aus der entgegenkommenden Straße nach rechts in dieselbe Richtung. Der von der Beklagten zu 1) gesteuerte PKW beschädigte dabei den PKW des Klägers im Bereich der vor der Vordertüre, der Hintertüre und des Heckkotflügels rechts.

Der Kläger begehrt vollständigen Ersatz des durch die Beschädigung seines PKW verursachten Schadens, den er auf rund 8.600 EUR beziffert hat. Das LG hat der Klage nur im Umfang von rund 4.300 EUR entsprochen und sie im Übrigen als unbegründet abgewiesen. Das LG ist von einer Schadensteilung ausgegangen. Dagegen die Berufung des Klägers, der weiterhin vollen Schadensersatz begehrt.

Das OLG hat in dem Hinweisbeschluss nach § 522 ZPO dargelegt, dass nach seiner Überzeugung die Berufung unbegründet ist:

„2. Das Landgericht hat aber zu Recht diesem Umstand nicht die Bedeutung beigemessen, die die Berufung für geboten hält.

a) Nach § 9 Abs. 4 S. 1 StVO hat derjenige, der nach links abbiegen will, entgegenkommende Fahrzeuge, die ihrerseits nach rechts abbiegen wollen, durchfahren zu lassen. Entsprechendes ordnet § 9 Abs. 3 StVO im Hinblick auf entgegenkommende Fahrzeuge an. Den Linksabbieger trifft mithin grundsätzlich eine Wartepflicht gegenüber dem entgegenkommenden Verkehr. Die in § 9 Abs. 3 u. 4 StVO geregelten Fälle stellen zwar keine Fälle der Vorfahrt im eigentlichen Sinn dar, da sie die Begegnung mit einem auf derselben Straße Entgegenkommenden betreffen, sind mit diesen aber nahe verwandt und unterliegen im Allgemeinen den gleichen Rechtsgrundsätzen (Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/ Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 9 Rn. 26; für den Charakter als echte Vorfahrtsregeln MüKoStVR/Bender, 1. Aufl. 2016, StVO § 9 Rn. 28).

Die sich aus dem vorfahrtsähnlichen Recht des Rechtsabbiegers ergebende Wartepflicht des Linksabbiegers entfällt noch nicht dadurch, dass sich der Linksabbieger in den Bereich der Vorfahrtstraße, in die er einbiegen will, begeben hat, weil er allein dadurch noch nicht zum Benutzer der Vorfahrtstraße und damit gegenüber dem Gegenverkehr bevorrechtigt wird (Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 9 Rn. 27; BeckOK StVR/Grabow, 23. Ed. 15.4.2024, StVO § 9 Rn. 49). Zu einem solchen wird er erst, wenn der Linksabbiegevorgang vollständig abgeschlossen ist, was angenommen werden kann, soweit keine Schrägstellung mehr vorliegt (OLG Karlsruhe, Urteil vom 18. Dezember 1996, 14 U 203/95, DAR 1997, 26).

Zu beachten ist weiter, dass die Wartepflicht gegenüber dem Entgegenkommenden besteht, wenn dieser so nahe gekommen ist, dass er durch das Abbiegen gefährdet oder auch nur in der zügigen Weiterfahrt wesentlich behindert würde; ihn trifft die Wartepflicht, wenn für ihn bei Beginn des Abbiegevorgangs der Gegenverkehr bereits sichtbar war (Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 9 Rn. 28). Eine Pflicht, am Straßenrand der Gegenrichtung stehende Kraftfahrzeuge daraufhin zu beobachten, ob sie alsbald anfahren, trifft den Linksabbieger nicht (Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 9 Rn. 28). Der Wartepflichtige muss allerdings in gewissem Umfang damit rechnen, dass sich der Entgegenkommende selbst verkehrswidrig verhält, so etwa, dass dieser bei entsprechenden Straßenverhältnissen die zulässige Geschwindigkeit mäßig überschreitet (Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 9 Rn. 26a; BeckOK StVR/ Grabow, 23. Ed. 15.4.2024, StVO § 9 Rn. 41; MüKoStVR/Bender, 1. Aufl. 2016, StVO § 9 Rn. 30).

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Landgericht zutreffend nicht als maßgeblich angesehen, dass im Moment der Kollision der PKW des Klägers bereits vollständig parallel zur ausgerichtet war und damit den Linksabbiegevorgang bereits beendet hatte. Die Zeugin hatte zu diesem Zeitpunkt bereits gegen die Wartepflicht verstoßen, was zu dem Unfall führte.

Aus den oben dargestellten Grundsätzen ergibt sich, dass die Wartepflicht einsetzt, sobald der Linksabbieger erkennen kann, dass das sich aus der Gegenrichtung nähernde Fahrzeug nach rechts abbiegen will und es daher zu einer Überschneidung der Fahrwege im Einmündungsbereich oder auf der nachfolgenden Straße kommen wird. Trifft den Linksabbieger danach eine Wartepflicht, entfällt diese nicht dadurch, dass er seinen Abbiegevorgang fortsetzt und so eine Situation herstellt, bei der er zum Benutzer der vorfahrtsberechtigten Straße wird. Dies folgt schon daraus, dass andernfalls ein Anreiz geschaffen würde, den an sich nicht zulässigen Linksabbiegevorgang möglichst schnell (und damit in einer die Unfallgefahr insgesamt steigerten Weise) zu vollziehen, um dann in den Genuss des Vorfahrtsrechts zu kommen. Die Wartepflicht beinhaltet gerade, dass der entgegenkommende Rechtsableger seinen Abbiegevorgang ungestört unternehmen darf, während der Linksabbieger sich nach diesem auszurichten hat; dies verbietet die Annahme, dass der Linksabbieger, der diesen Vorgang einmal verkehrswidrig begonnen oder fortgesetzt hat, im weiteren Verlauf das Vorrecht erlangen kann und nunmehr der Rechtsableger zum Warten gezwungen wird.

Im Übrigen spricht bereits der Wortlaut der Bestimmung dafür, dass für den Zeitpunkt, auf den wegen der Wartepflicht abzustellen ist, der Beginn des Abbiegevorgangs und dessen Verlauf, nicht aber ein etwaiger Kollisionszeitpunkt ist. § 9 Abs. 4 S. 1 StVO stellt insoweit darauf ab, dass jemand nach links abbiegen „will“.

c) Davon, dass die Zeugin eine Wartepflicht traf, weil sie vor Beginn des Linksabbiegevorgangs die Annäherung und die Absicht der Beklagten zu 1), nach rechts abzubiegen, erkennen konnte, ist das Landgericht aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen fehlerfrei ausgegangen.

In den beiden von ihm exemplarisch modellierten Varianten war zu dem Zeitpunkt, als die Zeugin den Abbiegevorgang durch Überfahren der gestrichelten Seitenlinie begann, sowohl der PKW der Beklagten zu 1) als solcher zu erkennen als auch der Umstand, dass diese entweder nach rechts abbiegen oder gerade aus fahren werde. So befand sich die Beklagte zu 1) selbst dann, wenn sie relativ schnell (50 km/h) an die Kreuzung herangefahren wäre, dann maximal verzögert hätte und wieder beschleunigt hätte, bei Beginn des Abbiegevorgangs durch die Zeugin 5 1/2 – 6 Sekunden vor dem Zusammenstoß bereits (aus ihrer Sicht) hinter der Ein-/Ausfahrt zu dem Supermarkt, so dass die Zeugin gewärtigen musste, dass dieser PKW entgegenkommt und alsbald in die Kreuzung einfahren werde. Die Angaben der Zeugin, die den PKW der Beklagten zu 1) nicht gesehen haben will, können damit kaum zutreffen; dies kann auch ohne Weiteres damit erklärt werden, dass sie sich noch in erheblicher Distanz hinter dem PKW des Klägers befunden hatte, weshalb ihre Sicht eingeschränkt war und eine Abschätzung von Distanzen noch schwieriger war. Wäre die Beklagte zu 1) langsamer, etwa mit 30 km/h, an die Kreuzung herangefahren, errechnet sich der Beginn des Abbiegevorgangs durch die Zeugin rund 4 1/2 Sekunden vor der Kollision; zu diesem Zeitpunkt musste sich dann die Beklagte zu 1) aber bereits noch näher an der Kreuzung befunden haben und ihr Fahrzeug noch deutlicher nach rechts ausgerichtet gewesen sein.

Bei beiden Annahmen wäre es auch so gewesen, dass während des Abbiegevorgangs der Zeugin, als dieser PKW noch nicht in parallel Richtung zur ausgerichtet war, die Annäherung und die Abbiegeabsicht der Beklagten zu 1) erkennbar gewesen sein muss. All dies löste jeweils die Wartepflicht für den PKW des Klägers aus.

Selbst wenn, was der Sachverständige in technischer Hinsicht nicht ausschließen konnte, die Beklagte zu 1) zunächst aus dem Supermarktparkplatz ausgefahren wäre, ergäbe sich nichts entscheidend anderes. Zwar wäre der PKW der Beklagten zu 1) dann in dem Moment, in dem die Zeugin ihren Abbiegevorgang begonnen hat, noch nicht auf der Straße gewesen; gemäß den oben dargestellten Grundsätzen hätte sie nach vorläufiger rechtliche Bewertung des Senats nicht ohne weiteres damit rechnen müssen, dass Fahrzeuge aus angrenzenden Grundstücken in die Straße einfahren und dann sogleich nach rechts abbiegen. Jedoch wäre wiederum während des weiteren Verlaufs des Linksabbiegens für die Zeugin zu erkennen gewesen, dass sich die Beklagte zu 1) mit der Absicht, nach rechts abzubiegen, der Kreuzung näherte. Dies wäre auch deutlich vor Beginn der Phase der Fall gewesen, in der die Zeugin bereits so in die eingefahren gewesen wäre, dass sie sich in dieser Fahrtrichtung bewegte und damit ein Vorfahrtsrecht erlangt hätte. Mit einer schnellen Annäherung der Beklagten zu 1) an den Kreuzungsbereich, d.h. eine Ausschöpfung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, musste die Zeugin dabei grundsätzlich rechnen.

3. Das Landgericht hat damit zutreffend bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge auf Seiten des Klägers einen Vorfahrtsverstoß nach § 9 Abs. 4 S. 1 StVO eingestellt. Die Beklagte zu 1) trifft demgegenüber der Vorwurf, gegen das allgemeine Gebot der Rücksichtnahme verstoßen zu haben. Wenn das Landgericht beide Verschuldensanteile als gleichwertig angesehen hat, stellt dies jedenfalls keinen Fehler zum Nachteil des Klägers dar. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Verstöße gegen konkrete Verkehrsregeln und Wartepflichten grundsätzlich höheres Gewicht besitzen als die Verletzung der allgemeinen Vorsichts- und Rücksichtnahmepflichten. Eine gleich hohe Gewichtung beschwert daher den Kläger nicht.

Der Senat legt deshalb aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).“

Motorradfahrer mit 70 km/h zu tief geflogen: Haftung bei Unfall trotz Vorfahrt zu 70 %

entnommen wikimedi.org Urheber Noop1958

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Ein bisschen „tief geflogen“ war ein Motorradfahrer in dem dem OLG Hamm, Urt. v. 23.02.2016 – 9 U 43/15 – zugrunde liegenden Verkehrsgeschehen. Er war nämlich anstatt der erlaubten 50 km/h mit 121 km/h geflogengefahren. An einer Autobahnfahrt kam es zum Zusammenstoß mit dem aus der rechtsseitig gelegenen, untergeordneten Autobahnabfahrt nach links hin abbiegenden PKW des Beklagten. Motorradfahrer bzw. dessen Versicherung und Beklagter haben dann um die Haftungsverteilung gestritten. Das OLG verteilt: 70% zu 30 % zu Lasten des (vorfahrtberechtigten) Motorradfahrers. Begründung:

„aa) Auf beiden Seiten ist zunächst die Betriebsgefahr des jeweiligen Fahrzeugs zu berücksichtigen.

bb) Darüber hinaus ist aus Sicht des Senats auf beiden Seiten ein die Betriebsgefahr weiter erhöhendes unfallursächliches Verschulden der beteiligten Fahrzeugführer anzunehmen.

(1) Auf Seiten des Versicherten der Klägerin liegt – dies stellt die Klägerin nicht in Abrede – eine massive Tempoüberschreitung (nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen feststellbares Mindesttempo von 121 km/h statt erlaubter 50 km/h) vor. Diese Geschwindigkeitsüberschreitung hat sich nach den auch insoweit nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen T (vgl. dazu schon S. 6 f. des im Ermittlungsverfahren erstatteten schriftlichen Gutachtens, Bl. 36 f. der BeiA 312 Js 340/11 Staatsanwaltschaft Arnsberg, sowie die diesbezüglichen Ausführungen vor dem Senat, S. 4 des Berichterstattervermerk i. V. m. der Anlage E 15) auch unfallursächlich ausgewirkt; danach hätte, wäre das Motorrad – namentlich zum Zeitpunkt der Reaktion seines Fahrers – nur mit den zulässigen 50 km/h bewegt worden, der PKW des Beklagten zu 1) den Kollisionsbereich bei Eintreffen des Motorrades in jedem Fall längst verlassen.

(2) Soweit das Landgericht in die Abwägung zu Lasten der Klägerin auch einen Verstoß ihres Versicherten gegen das Rechtsfahrgebot eingestellt hat, begegnet dies – unabhängig von der Frage der Vorwerfbarkeit der diesbezüglichen Ausweichreaktion – jedenfalls deshalb Bedenken, weil das Rechtsfahrgebot nicht den Schutz von aus Einmündungen einbiegender Verkehrsteilnehmer bezweckt (vgl. dazu nur Geigel/Freymann, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 27, Rdn. 58 f. m. w. Nachw. aus der Rechtsprechung). Auch eine relevante weitere Betriebsgefahrerhöhung vermag der Senat insoweit bei der hier gegebenen Konstellation nicht zu erkennen.

(3) Hauptstreitpunkt und für die Frage einer anteiligen Haftung der Beklagten entscheidend ist es, ob auch dem Beklagten zu 1) ein ins Gewicht fallendes unfallursächliches Verschulden, namentlich in Form einer Verletzung des – durch die massive Geschwindigkeitsüberschreitung nicht berührten – Vorfahrtrechts des Versicherten der Klägerin, anzulasten ist. Nach Auffassung des Senats ist dies nach dem Ergebnis der in dieser Instanz durchgeführten Parteianhörung und Beweisaufnahme – entgegen der Annahme des Landgerichts – zu bejahen.Der Beklagte zu 1) will – wie er letztlich bei seiner Anhörung durch den Senat auf Vorhalt seiner diesbezüglichen Angaben von Ende November 2012 beim Landgericht Arnsberg im Vorprozess (vgl. Bl. 98 R der beigezogenen Akten I-4 O 355/12 Landgericht Arnsberg) bestätigt hat und es aus Sicht des Senats auch geboten war – erst nach links, dann nach rechts und dann direkt vor dem tatsächlichen Abbiegebeginn nochmals nach links gesehen haben Der Sachverständige T hat nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, dass das nach seinen Feststellungen mit eingeschaltetem Fahrlicht von links aus der dortigen Kurve kommende Motorrad des Herrn D für den Beklagten zu 1) in jedem Fall zum Zeitpunkt des Anfahrentschlusses und des dabei gebotenen zweiten Linksblicks unmittelbar vor dem tatsächlichen Abbiegebeginn erkennbar war und der Beklagte zu 1) in jedem Fall auch bereits zum Zeitpunkt des von ihm angegebenen ersten Linksblicks das herannahende Motorrad hätte wahrnehmen können (vgl. dazu im Einzelnen die im Berichterstattervermerk auf S. 3 ff. niedergelegten Ausführungen hierzu i.V.m. den dort in Bezug genommenen Anlagen). Da der Beklagte zu 1) das Motorrad nach seinen Angaben erst deutlich nach Abbiegebeginn erstmals wahrgenommen hat, ist davon auszugehen, dass er vor dem Abbiegen überhaupt nicht hinreichend nach von links herannahenden Fahrzeugen Ausschau gehalten und auf solche Fahrzeuge – namentlich auf das hier in Rede stehende Motorrad des Versicherten der Klägerin – geachtet hat. Hätte er dies mit hinreichender Sorgfalt getan, hätte er das mit eingeschaltetem Fahrlicht herannahende Motorrad bereits bei seinem ersten Linksblick und nochmals bei dem gebotenen zweiten Linksblick unmittelbar vor dem Anfahren in jedem Fall erkennen können und müssen. Dabei hätte er bei der hinsichtlich der Beobachtung des Motorrades gebotenen Sorgfalt und Aufmerksamkeit – wie dem Senat die im Senatstermin von allen Prozessbeteiligten eingesehenen Videoaufnahmen, Slideshows und Simulationen des Sachverständigen T verdeutlicht haben und wie es auch der Sachverständige bestätigt hat (vgl. S. 5 des Berichterstattervermerks) – zudem jedenfalls erkennen können und müssen, dass das Motorrad erheblich schneller als mit den erlaubten 50 km/h fuhr. Zwar war es nach den Ausführungen des Sachverständigen aus der Perspektive des an der Einmündung wartenden Beklagten zu 1) schwieriger, einzuschätzen, ob das Motorrad tatsächlich mit den festgestellten mindestens 121 km/h oder nur mit gut 100 km/h fuhr, bei denen es – so der Sachverständige (vgl. S. 5 des Berichterstattervermerks) – ohne jegliche Abwehrhandlung des Motorradführers zu keiner Kollision gekommen wäre. Gleichwohl hätte nach Auffassung des Senats der Beklagte zu 1) unter den hier gegebenen Umständen – eine hinreichende Ausschau nach links mit den vorgenannten Wahrnehmungen unterstellt – im Zweifel zuwarten müssen, hätte er in dieser Situation jedenfalls keinesfalls in der tatsächlich erfolgten langsamen Weise mit der vom Sachverständigen festgestellten nur geringen Beschleunigung abbiegen dürfen; vielmehr hätte er, wenn überhaupt, sein Abbiegemanöver zwecks sicherer Vermeidung jeglicher Behinderung oder gar Gefährdung des erkennbar mit deutlich überhöhtem Tempo herankommenden Motorradfahrers allenfalls zügig durchführen dürfen, wodurch nach den auch insoweit überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen (vgl. S. 4 f. des Berichterstattervermerks) eine Kollision ebenfalls vermieden worden wäre.

cc) Bei dieser Sachlage ist es im Rahmen der Abwägung der vorgenannten beiderseitigen Verursachungsbeiträge nach Auffassung des Senats nicht gerechtfertigt, den Verursachungsbeitrag des Beklagten zu 1) ganz hinter dem in der Tat massiven Verschulden des Versicherten der Klägerin zurücktreten zu lassen. Vielmehr erachtet der Senat angesichts der nach dem Vorstehenden feststehenden unfallursächlichen Vorfahrtverletzung des Beklagten zu 1), welche unter den hier gegebenen, oben erörterten Umständen auch keineswegs nur von geringem Gewicht ist, eine Haftungsverteilung von 70 : 30 zu Lasten der Beklagten für angemessen.W