Schlagwort-Archive: vorbereitendes Verfahren

Gebühren nach Rücknahme des Strafbefehlsantrags, oder: Entsteht ggf. auch die „Befriedungsgebühr“?

Daumen

Das zweite Posting ist dann auch ein „Noch-einmal-Posting“. Denn es geht noch einmal um die Gebühren des Verteidigers nach Rücknahme des Strafbefehlsantrags. Darüber habe ich ja schon häufiger berichtet.

Dem dazu ergangegen LG Gießen, Beschl. v. 04.11.2024 – 7 Qs 147/24 – liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Rechtsanwalt hat den Beschuldigten in einem gegen diesen geführten Verfahren wegen des Vorwurfs des Landfriedensbruchs vertreten. Gegen den Mandanten war in einem Strafbefehl des AG vom 12.04.2021 eine Geldstrafe festgesetzt worden. Mit Schriftsatz vom 21.04.2021 zeigte der Beschwerdeführer unter beigefügter Vollmacht vom 21.04.2021 die Verteidigung des Mandanten an, beantragte Akteneinsicht und legte gleichzeitig Einspruch gegen den Strafbefehl ein.

Mit Schriftsatz vom 01.02.2022 hat der Rechtsanwalt für den Beschuldigten zu den Tatvorwürfen Stellung genommen und beantragt, die Klage gemäß § 411 Abs. 3 StPO zurückzunehmen sowie das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO einzustellen, da das seinem Mandanten vorgeworfene Verhalten keine Straftat darstelle. Unter dem 23.02.2022 nahm die Staatsanwaltschaft die öffentliche Klage nach Maßgabe des § 411 Abs. 3 S. 1 StPO unter Bezugnahme auf die rechtlichen und tatsächlichen Ausführungen des Rechtsanwalts zurück. Mit Schreiben vom 29.03.2022 und 16.05.2022 erkundigte sich der Rechtsanwalt bei der Staatsanwaltschaft nach dem Sachstand und verwies darauf, dass das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO ohne Verzögerungen einzustellen sei und dieses nicht in der Schwebe gehalten werden dürfe. Zur Begründung wurde auf die Ausführungen in dem Schriftsatz vom 01.02.2022 Bezug genommen. Mit Verfügung vom 24.08.2022 hat die Staatsanwaltschaft dann das Verfahren gegen den Beschuldigten gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Das AG hat am 01.02.2023 die notwendigen Auslagen des Beschuldigte der Staatskasse auferlegt.
Im Rahmen der Kostenfestsetzung hat der Rechtsanwalt die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG, die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG und eine Verfahrensgebühr für das Ermittlungsverfahren nach Nr. 4104 VV RVG sowie die Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG geltend gemacht. Die Vertreterin der Staatskasse hat ablehnend Stellung genommen. Nach ihrer Auffassung soll die Nr. 4104 VV RVG nicht entstanden sein, weil der Verteidiger keine Tätigkeit im Ermittlungsverfahren ausgeübt habe.
Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Rechtsanwalts hatte Erfolg:

„Die Verfahrensgebühr nach Nr. 4104 VV RVG ist in Höhe von 181,50 € netto entstanden.

Die Gebühr Nr. 4104 VV RVG entsteht für eine Tätigkeit des Verteidigers im vorbereitenden Verfahren bis zum Eingang u.a. des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls bei Gericht. Der Beschwerdeführer wurde hier zwar erstmals nach Eingang des Antrages auf Erlass eines Strafbefehls bei Gericht für den Mandanten tätig.

Nach übereinstimmender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur wird ein Verfahren jedoch nach Rücknahme des Antrags auf Erlass des Strafbefehls durch die Staatsanwaltschaft in den Stand des Ermittlungsverfahrens zurückversetzt (vgl. Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., 2023, § 411 Rn. 8). War der Verteidiger bereits zuvor tätig, kann er die Gebühr für das vorbereitende Verfahren nach Nr. 4104 VV RVG nicht erneut verdienen (§ 15 Abs. 2 RVG), da es sich insoweit um dieselbe Angelegenheit handelt. War der Anwalt dagegen — wie hier — im vorbereitenden Verfahren noch nicht tätig, dann verdient er mit der „Zurückversetzung“ des Verfahrens in das Ermittlungsverfahren nunmehr die dortige Verfahrensgebühr nach Nr. 4104 VV-RVG, wenn er entsprechend tätig wird.

Nicht einheitlich beurteilt wird hingegen die Frage, welche Anforderungen an das erneute Tätigwerden des Verteidigers in diesem Stadium zu stellen sind, und ob hierunter auch eine Tätigkeit fallen kann, welche zugleich die Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG auslöst. Das Landgericht Nürnberg-Fürth geht diesbezüglich (wohl) davon aus, dass es nach der Rücknahme des Strafbefehls zunächst erneuter Ermittlungen seitens der Staatsanwaltschaft bedarf und erst ein hierauf reagierendes Verhalten des Verteidigers die Verwirklichung des Tatbestands des Nr. 4104 VV RVG begründen kann und daher ein etwaiges Gespräch des Verteidigers mit seinem Mandanten oder der Staatsanwaltschaft im Hinblick auf die Einstellung des Verfahrens hierfür nicht genügt, sondern gebührenrechtlich vielmehr in Nr. 4141 VV RVG als die dort erforderliche Mitwirkung abgegolten ist (vgl. LG Nürnberg-Fürth Beschl. v. 13.10.2020 — 7 Qs 56/20, BeckRS 2020, 28998 Rn.10-12).

Die vorgenannte Auffassung teilt die Kammer jedoch nicht. Vorliegend hat der Beschwerdeführer in dem „wiederaufgelebten“ Ermittlungsverfahren, also nach Rücknahme der öffentlichen Klage am 23.02.2022, gegenüber der Staatsanwaltschaft auf die Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO hingewirkt und diese erneut unter Verweis auf die zuvor dargelegte Rechtsauffassung beantragt. Insoweit handelt es sich zutreffend auch um eine Mitwirkung i.S. der Nr. 4141 VV RVG. Das RVG honoriert auf diesem Weg Tätigkeiten des Verteidigers, die zu einer Vermeidung der Hauptverhandlung und damit beim Verteidiger zum Verlust der Terminsgebühr führen (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, 26. Aufl. 2023, RVG VV 4141 Rn. 1, 2.). Es ist jedoch nicht ersichtlich, warum dieser Umstand verhindern sollte, dass zusätzlich eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4104 VVRVG ausgelöst werden kann. Diesbezügliche Anhaltspunkte sind dem Gesetz nicht zu entnehmen. Vielmehr gilt, dass die Verfahrensgebühr Nr. VV 4104 RVG grundsätzlich unabhängig von der Wertigkeit oder dem Umfang der Tätigkeit entsteht. Die Verfahrensgebühr entsteht für alle Tätigkeiten des Rechtsanwalts, also zum Beispiel auch für Besprechungen/Telefonate mit dem Mandanten, die sich gerade nicht aus der Verfahrensakte ergeben. Es werden insoweit keine hohen Anforderungen gestellt (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, 26. Aufl. 2023, RVG VV 4104 Rn. 6, 7). Daher überzeugt es nicht, diese Anforderungen deshalb und nur für den Fall zu stellen, weil es sich hier nicht um ein „originäres“, sondern vielmehr um ein nachträgliches/ zurückversetztes Ermittlungsverfahren handelt. Demzufolge dürften bereits die Entgegennahme der Mitteilung über die Rücknahme des Strafbefehlsantrags und die daraufhin stattfindende Besprechung oder Unterrichtung des Mandanten hinsichtlich des weiteren Verfahrensverlaufs genügen, um die zusätzliche Gebühr nach Nr. 4104 VV RVG auszulösen.

In der Folge kann die Entgeltpauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen auch in diesem Verfahrensstadium zusätzlich eingefordert werden, da Nr. 7002 Anm. 1 VV RVG vorgibt, dass diese in jeder Angelegenheit gefordert werden kann und § 17 Nr. 10 RVG klarstellt, dass das Ermittlungsverfahren/vorbereitende Verfahren und das erstinstanzliche Verfahren verschiedene Angelegenheiten sind.“

Zutreffend: So z.B. auch: LG Bamberg, Beschl. v. 8.11.2023 – 13 Qs 79/23, AGS 2023, 556 ; LG Berlin, RVGreport 2017, 106 = AGS 2017, 80) und ja grds. auch das LG Nürnberg-Fürth im zitierten LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 13.10.2020 – 7 Qs 56/20, AGS 2021, 174. Nur bei der Nr. 4141 VV RVG irrt das LG Nürnberg-Fürth aus den dargelegten Gründen.

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Was verdiene ich denn noch nach Rücknahme der Anklage?

© haru_natsu_kobo Fotolia.com

© haru_natsu_kobo Fotolia.com

Die Frage vom vergangenen Freitag – Ich habe da mal eine Frage: Was verdiene ich denn noch nach Rücknahme der Anklage? –habe ich dann wie folgt beantwortet:

„Hallo, ich glaube da kann der Papst helfen. Durch die Rücknahme der Anklage wird das Verfahren in den Stand des Ermittlungsverfahrens zurückversetzt:

Folge: Es entsteht für den RA, der bis dahin im vorbereitenden Verfahren nicht tätig war, die Nr. 4104 VV RVG und natürlich wegen der Einstellung die Nr. 4141 VV RVG. Ich hänge mal die dazu gehörenden Entscheidungen an.

Wenn noch fragen: Melden 🙂 „.

Die Nr. 4141 VV RVG hängt natürlich von „Mitwirkung“ des Kollegen ab. Ich gehe mal davon aus, dass er irgendetwas getan hat, so die Gebühr entstanden ist. Kein Problem auch wegen der Pflichtverteidigerbestellung. Die gilt bis zum Abschluss des Verfahrens, teilweise geht die Rechtsprechung davon aus, dass sogar noch das Wiederaufnahmeverfahren erfasst wird.

Im Übrigen: Immer schön, wenn man bei Antworten Entscheidungen anhängen kann. Und das war in diesem Fall möglich, nämlich:

  • LG Berlin,Beschl. v. 28.01.2016 – 536 Qs 22/16 – mit dem Leitsatz: Nimmt die Staatsanwaltschaft nach Erlass eines Strafbefehls und Einspruchseinlegung ihre Anklage zurück, versetzt sie damit das Verfahren in den Stand des Ermittlungsverfahrens zurück, mit der Folge, dass der Rechtsanwalt, der vom Beschuldigten erst nach Anklageerhebung beauftragt worden ist, die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG verdient.
  • AG Gießen, 29.06.2016 – 507 Ds – 604 Js 35439/13 –  mit den Leitsätzen: 1. Nimmt die Staatsanwaltschaft ihre Anklage, versetzt sie damit das Verfahren in den Stand des Ermittlungsverfahrens zurück, mit der Folge, dass der Rechtsanwalt, der vom Beschuldigten erst nach Anklageerhebung beauftragt worden ist, die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG verdient.
    2. Eine Einstellungsentscheidung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO ist auch nach Rücknahme der Anklage ein Anwendungsfall der Nr. 4141 Anm. 1 Satz 1 Nr. 1 VV RVG.

Auch Kleinvieh macht Mist – 20 € haben oder nicht haben…

© Ulf Gähme – Fotolia.com

Es gibt ein paar gebührenrechtliche Fragen, die beschäftigen Rechtsprechung und Literatur seit Inkrafttreten des RVG, also seit nunmehr acht Jahren. Dazu gehört die Frage, ob im Strafverfahren (Teil 4) das vorbereitende Verfahren und ein nachfolgendes gerichtliches Verfahren bzw. im Bußgeldverfahren (Teil 5)  das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und das gerichtliche Verfahren dieselbe oder verschiedene Angelegenheiten sind. Die Antwort hat Auswirkungen auf die Abrechnung des Verteidigers. Denn handelt es sich um verschiedene Angelegenheiten kann der Rechtsanwalt nach der Anm. zur Nr. 7002 VV RVG in jeder die Postentgeldpauschale in Höhe von 20 € abrechnen.

Welche Antwort richtig ist, ist höchst umstritten. Die Literatur geht weitgehend übereinstimmend davon aus, dass es sich um verschiedene Angelegenheiten handelt. Die Rechtsprechung kommt im Strafverfahren wohl überwiegend dazu, dass es sich um dieselbe Angelegenheit handelt, während im Bußgeldverfahren m.E. die Auffassung überwiegt, die von verschiedenen Angelegenheiten ausgehen. Und die RSV? Nun, die Antwort liegt, wie ich es von Kollegen immer wieder höre, auf der Hand: Natürlich dieselbe Angelegenheit.

Das Hin und Her hat nun demnächst ein Ende. Denn der Regierungsentwurf zum 2. KostRMoG sieht – abweichend vom Referentenentwurf – vor, die Frage gesetzlich zu regeln, und zwar durch einen neuen § 17 Nr. 10b bzw. Nr. 11 RVG. Danach handelt es sich um verschiedene Angelegenheiten. Demnächst kann dann immer mindestens zweimal die Nr. 7002 VV RVG abgerechnet werden. Ist nicht viel mehr, eben  nur 20 €. Aber auch Kleinvieh macht Mist.

Eins muss man allerdings beachten: Das gilt wegen der Übergangsregelungen in §§ 60, 61 RVG nur für die Mandate, in denen der unbedingte Auftrag ab 01.07.2013  erteilt worden ist. In den laufenden Mandaten gilt das noch nicht. Es sei denn, die Staatskasse, der Mandant und die RSV sind großzügig.

Ach so: Solche Änderungen machen natürlich auch RVG-Kommentatoren Freude. Zumal, wenn sie die Auffassung, die jetzt Gesetz werden soll, vertreten haben :-).