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Haftungsverteilung nach Zusammenstoß Bus/Pkw, oder: Wer haftet wie?

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Die zweite Entscheidung, das OLG Celle, Urt. v. 10.11.2021, Az. 14 U 96/21 – behandelt dann noch einmal einen „Busunfall“. Nach dem Sachverhalt wollte der klagende Pkw-Fahrer an einem Linienbus linksseitig vorbeifahren. Gerade in dem Moment fuhr der Bus schräg nach links auf die Straße. Noch beim Anfahren des Linienbusses kam es zu einer Kollision zwischen beiden Fahrzeugen. Zwischen den Parteien war streitig, ob der Busfahrer vor dem Anfahren den linksseitigen Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt hat, um sein Einfahren auf die Fahrbahn anzuzeigen.

Das LG war von einer hälftigen Schadensteilung ausgegangen. Die Berufung des Klägers hatte teilweise Erfolg. Das OLG hat den Schaden dann 25 zu 75 % verteilt:

„b) Im Rahmen der deshalb nach §§ 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG vorzunehmenden Haftungsabwägung hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Zunächst ist das Gewicht des jeweiligen Verursachungsbeitrages der Kfz-Halter bzw. -Führer zu bestimmen, wobei zum Nachteil der einen oder anderen Seite nur feststehende, d. h. unstreitige oder bewiesene Umstände berücksichtigt werden dürfen, die sich auch nachweislich auf den Unfall ausgewirkt haben (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß, 26. Aufl. 2020, StVG § 17 Rn. 12). In einem zweiten Schritt sind die beiden Verursachungsanteile gegeneinander abzuwägen (Senat, Urteil vom 22. Januar 2020 – 14 U 150/19 –, Rn. 66 m.w.N., juris).

aa) Der Fahrer des Linienomnibusses hat gegen § 10 Abs. 1 StVO verstoßen, dessen Verschulden sich die Beklagte zurechnen lassen muss. Halter und Fahrer bilden insoweit eine Zurechnungseinheit (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß, 26. Aufl. 2020, StVG § 17 Rn. 5). Den gegen sie sprechenden Anscheinsbeweis für eine schuldhafte Unfallverursachung konnte die Beklagte nicht erschüttern.

(1) Gem. § 10 Satz 1 StVO muss sich der Einfahrende vom Fahrbahnrand auf eine Fahrbahn so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Der Vorrang des fließenden Verkehrs gilt grundsätzlich auch gegenüber dem Fahrer eines Omnibusses des Linienverkehrs.

Um derartigen Fahrzeugen, die an feste Fahrpläne und an die Einhaltung bestimmter Fahrzeiten gebunden sind, aber das Anfahren und Einordnen in den fließenden Verkehr zur Sicherstellung der zeitlichen Vorgaben zu erleichtern, bestimmt § 20 Abs. 5 StVO, dass diesen das Abfahren von gekennzeichneten Haltestellen zu ermöglichen ist und andere Fahrzeuge, wenn nötig, warten müssen.

Diese dem fließenden Verkehr auferlegte Verpflichtung schränkt den sich aus § 10 StVO ergebenden Vorrang des fließenden Verkehrs insoweit ein, als dieser eine durch das Anfahren der Linienfahrzeuge entstehende Behinderung hinzunehmen hat (König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 45. Aufl. 2019, § 20 StVO Rn. 12 m.w.N.).

Diese Einschränkung des Vorrangs des fließenden Verkehrs gilt aber erst dann, wenn der Fahrer eines Omnibusses des Linienverkehrs sein Vorhaben ordnungsgemäß und rechtzeitig angezeigt hat (§ 10 Satz 2 StVO). In diesem Fall muss sich der fließende Verkehr auf das Einfahren des Busses einstellen, eine Behinderung hinnehmen und nötigenfalls auch mit einer mittelstarken Bremsung anhalten (vgl. König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 45. Aufl. 2019, § 20 StVO Rn. 12 a.E.; BayObLG, Beschluss vom 22.2.1990 – 2 Ob OWi 519/89NZV 1990, 402, 403).

Bis zu der Ankündigung, die die Absicht in den fließenden Verkehr einzufahren mittels Fahrtrichtungsanzeiger rechtzeitig anzeigt, bleibt auch in Bezug auf einen Linienbus das Vorrecht des fließenden Verkehrs bestehen. Dies hat zur Folge, dass der Anscheinsbeweis, der auf einen Verstoß gegen die in § 10 StVO normierten Sorgfaltsanforderungen schließen lässt, bis zur Betätigung eines Fahrtrichtungsanzeigers durch den Fahrer eines Linienomnibusses, auch gegenüber diesem gilt, wenn sich in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Einfahren eine Kollision mit dem fließenden Verkehr ereignet (a.A. KG Berlin in den Entscheidungen vom 24. Juli 2008 – 12 U 142/07 – und vom 1.11.2018 – 22 U 128/17, juris; sowie LG Saarbrücken, Urteil vom 05. April 2012 – 13 S 209/11, Rn. 13, juris, wonach keinem der Fahrer ein Verstoß nachgewiesen werden könne, was eine hälftige Schadensteilung nach sich ziehe).

Erst wenn der Fahrer des Linienbusses sichergestellt hat, dass den Anforderungen des § 10 Satz 2 StVO Genüge getan ist, also der Fahrtrichtungsanzeiger rechtzeitig zuvor gesetzt war und nach Rückschau nicht anzunehmen ist, dass andere Verkehrsteilnehmer mehr als nur mittelstark bremsen müssten, entsteht sein Vorrecht gem. § 20 Abs. 5 StVO (vgl. BGH, Beschluss vom 06. Dezember 1978 – 4 StR 130/78 –, BGHSt 28, 218-224, Rn. 10, juris: in der Entscheidung stand allerdings fest, dass der Fahrzeuglenker des Linienomnibusses geblinkt hatte), was in der Folge den Anscheinsbeweis gegen den Einfahrenden entfallen lässt (vgl. Spelz in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 20 StVO (Stand: 27.04.2017), Rn. 39 m.w.N.).

Ist – wie hier – streitig, ob der Fahrer des Linienomnibusses den Fahrtrichtungsanzeiger überhaupt gesetzt hat, um seine Absicht, in den fließenden Verkehr einzufahren, anzukündigen, dann trifft ihn auch die Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme seines Vorrechts tatsächlich vorliegen.

Denn § 20 Abs. 5 StVO erlaubt es nur unter der Voraussetzung einer rechtzeitigen und ordnungsgemäßen Anzeige, das ansonsten bestehende Vorrecht anderer Verkehrsteilnehmer im fließenden Verkehr zu „missachten“. Wenn das Vorrecht des Fahrers eines Linienomnibusses aber erst ab der Anzeige gilt, muss er auch beweisen, dass die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Vorrechts, einer Ausnahmeregelung in der Straßenverkehrsordnung, vorgelegen haben.

Eine andere Beweislastverteilung sieht die Straßenverkehrsordnung auch nicht bei anderen Ausnahmeregelungen vor, die ein Vorrecht zu Lasten des eigentlich bevorrechtigten Verkehrs begründen. Auch im Rahmen der Inanspruchnahme des § 38 Abs. 1 StVO trifft den Halter des Einsatzfahrzeuges die Darlegungs- und Beweislast für die Umstände, aus denen er die Berechtigung herleitet, das sonst bestehende Vorrecht anderer Verkehrsteilnehmer zu „missachten“ (BGH, Urteil vom 09. Juli 1962 – III ZR 85/61 –, BGHZ 37, 336-341; Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 21. Juli 2011 – 4 U 23/11 –, Rn. 30; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11. November 1991 – 1 U 129/90 –, Senat, Urteil vom 29. September 2010 – 14 U 27/10 –, Rn. 15, juris). Gem. § 38 StVO hat der Halter die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass Blaulicht und Horn rechtzeitig eingeschaltet waren und der Sonderrechtsfahrer seine verkehrsrechtlichen Sorgfaltspflichten erfüllt hat (König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 45. Aufl. 2019, § 38 StVO Rn. 9 m.w.N.; KG Berlin, Urteil vom 14. Juli 1997 – 12 U 1541/96 –, juris). Erst dann ist der Fahrer unter Beachtung größtmöglicher Sorgfalt berechtigt, sein Vorrecht wahrzunehmen. Kann er sein Vorrecht nicht beweisen, kann dies zur Alleinhaftung des Rettungswagenhalters führen (Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 21. Juli 2011 – 4 U 23/11 –, juris).

Die gleiche Beweislastverteilung ist auch im Rahmen des § 20 Abs. 5 StVO anzusetzen. Denn denjenigen, der sich auf ein Vorrecht beruft, trifft nach den allgemeinen Darlegungs- und Beweislastregeln auch die Obliegenheit, dessen Voraussetzungen darzulegen und ggf. zu beweisen (vgl. zu § 38 StVO: Wern, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 38 StVO (Stand: 12.06.2020), Rn. 23).

Dies ist der Beklagten nach den vorgenannten Maßgaben nicht gelungen. Nach dem nicht zu beanstandenden Ergebnis der Beweisaufnahme des Landgerichts konnte nicht geklärt werden, ob der Zeuge R. als Fahrer des Linienomnibusses seine Absicht, nach links in den fließenden Verkehr einzufahren, durch einen Fahrtrichtungsanzeiger angekündigt hat, bevor er in diesen eingefahren ist.

Die Beklagte konnte insoweit nicht beweisen, dass ihr das Vorrecht aus § 20 Abs. 5 StVO zugestanden hat. Der Anscheinsbeweis, der im Rahmen des § 10 StVO grundsätzlich für das Verschulden des Ein- oder Ausfahrenden spricht, wenn es in einem unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Ein- oder Anfahren zu einem Unfall gekommen ist, bleibt daher bestehen.

(2) Der Beklagten ist indes kein Verstoß gegen § 9 Abs. 1 StVO anzulasten, wonach beim Abbiegen eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs auszuschließen ist. Der Begriff erfasst jede Fahrtrichtungsänderung im Längsverkehr, bei der der Fahrzeugführer seine Fahrbahn nach der Seite verlässt oder auf ihr in einem Bogen die Gegenrichtung oder den gegenüberliegenden Straßenrand zu erreichen versucht (Scholten in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 9 StVO (Stand: 07.08.2018), Rn. 8). Ausweislich der Feststellungen des Sachverständigen (Gutachten vom 9.2.2021, Seite 8) war der Linienomnibus bei der Kollision noch nicht in den Längsverkehr eingeordnet gewesen, sondern dabei, von der Haltestelle anzufahren.

bb) Seitens des Klägers kann kein Verschulden an dem Verkehrsunfall festgestellt werden.

(1) Der Kläger hat nicht gegen § 20 Abs. 5 StVO verstoßen. Die Inanspruchnahme ihres Vorrechts ist durch die Beklagte nicht bewiesen worden (s.o.).

(2) Dem Kläger kann darüber hinaus auch kein Verstoß gegen § 20 Abs. 1 StVO angelastet werden. Danach ist an haltenden Omnibussen des Linienverkehrs nur vorsichtig vorbeizufahren. Vorsichtiges Vorbeifahren setzt in der Regel eine mäßige Geschwindigkeit voraus, die im Einzelfall, etwa wenn mit dem Heraustreten von Kindern zu rechnen ist, auch Schrittgeschwindigkeit bedeuten kann (Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 17. Juli 2007 – 4 U 338/06 – 108 –, Rn. 41, juris). Wenn es keine weiteren Anhaltspunkte gibt, die eine deutliche Geschwindigkeitsreduzierung bis zum Anhalten gebieten, kann unter einer vorsichtigen Fahrweise eine Geschwindigkeit von jedenfalls nicht mehr als 30 km/h verstanden werden (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 13. April 2010 – 9 U 62/08 –, Rn. 26, juris; KG Hinweisbeschluss v. 1.11.2018 – 22 U 128/17, BeckRS 2018, 33246 Rn. 17, beck-online; Spelz, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 20 StVO (Stand: 27.04.2017), Rn. 20).

Nach diesen Maßgaben ist ein Verschulden des Klägers nicht bewiesen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ist der Kläger eine Ausgangsgeschwindigkeit von etwa 30 km/h gefahren (Gutachten vom 9.2.2021, Seite 12). Die Beklagte hat im Rahmen ihrer Berufungserwiderung ohnehin keinen Angriff geführt, der zu einer Quotenverschiebung zu Lasten des Klägers hätte führen können.

c) Bei einer vorzunehmenden Abwägung verbleibt auf Seiten des Klägers eine erhöhte Betriebsgefahr seines Kraftfahrzeuges, die mit 25% zu bemessen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die allgemeine Betriebsgefahr durch besondere Umstände erhöht sein, was bei der Schadensteilung mit zu berücksichtigen ist (BGH, Urteil vom 27. Juni 2000 – VI ZR 126/99 –, Rn. 23, juris m.w.N.; König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 45. Aufl. 2019, § 17 StVG Rn. 11 m.w.N.). Erhöht ist die Betriebsgefahr, wenn die Gefahren, die regelmäßig und notwendigerweise mit dem Betrieb des Kraftfahrzeuges verbunden sind, durch das Hinzutreten besonderer unfallursächlicher Umstände vergrößert werden (Scholten, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 17 StVG (Stand: 28.03.2018), Rn. 21).

Dies war vorliegend der Fall. Bereits aus dem Wortlaut des § 20 Abs. 1 StVO folgt, dass an haltenden Linienomnibussen nur vorsichtig vorbeizufahren ist. Dies intendiert die gesetzgeberische Wertung, welche beinhaltet, dass es sich dabei um ein Fahrmanöver handelt, aus welchem eine abstrakt erhöhte Gefährlichkeit erwächst. Zu der dem Kraftfahrzeug ohnehin innewohnenden Betriebsgefahr von 20 % (st. Rspr. u.a. des Senats, vgl. etwa Urteil vom 15.05.2018 – 14 U 175/17 – juris, Urteil vom 27.09.2001 – 14 U 296/00 – juris) kommt insoweit ein weiterer gefahrträchtiger Umstand hinzu.

Dieser Umstand war auch erwiesenermaßen ursächlich für den Schaden, ansonsten hätte er außer Ansatz bleiben müssen (vgl. BGH, Urteile vom 10. Januar 1995 – VI ZR 247/94, VersR 1995, 357 f.; vom 21. November 2006 – VI ZR 115/05, VersR 2007, 263 Rn. 15 m.w.N.; König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 45. Aufl. 2019, § 17 StVG Rn. 5 f. m.w.N.), was eine erhöhte Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs in dieser konkreten Unfallsituation rechtfertigt.

Ausgehend von der gesetzgeberischen Wertung einer abstrakten Gefährdungssituation hat sich diese ausgewirkt, indem es zu einer Kollision zwischen dem vorbeifahrenden klägerischen Fahrzeug und dem Linienbus gekommen ist, der in den fließenden Verkehr einfahren wollte. Der Kläger ist insoweit mit den gutachterlich festgestellten 30 km/h zwar noch „vorsichtig“ im Sinne des § 20 Abs. 1 StVO gefahren, so dass ihm kein Verschulden zur Last gelegt werden kann. Er hatte mit dieser Geschwindigkeit aber dennoch die Obergrenze der vom Gesetzgeber geforderten vorsichtigen Fahrweise erreicht, was sich in der konkreten Situation gefahrerhöhend niedergeschlagen hat. Denn er konnte mit der gefahrenen Geschwindigkeit nicht mehr unfallvermeidend reagieren, als der Linienbus zum Einfahren in den fließenden Verkehr angesetzt hat, und ist seitlich in den Linienomnibus hineingefahren.“

Öffnen der Fahrzeugtür versus Seitenabstand des Vorbeifahrers, oder: Haftungsverteilung?

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In den engen Straßen hier in Münster auch immer wieder ein Problem. Die Frage der Haftung, wenn bei einem am Fahrbandrand abgestellten Pkw eine Tür geöffent wird und es dann zu Schäden an einem vorbeifahrenden Pkw kommt. Dann stellen sich verschiedene Frage: War der Seitenabstand groß genug oder zu eng, welche Geschwindigkeit ist gefahren worden usw.  Zu den Fragen und zur Haftungsverteilung verhält sich der LG Saarbrücken, Beschl. v. 12.09.2017 – 13 S 69/17, ein Hinweisbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO, über den der Kollege Gratz ja auch schon berichtet hat. Das LG kommt in einer solchen Situation in seinem Verfahren zur Alleinhaftung. Verklagt war der „Parker“, geklagt hatte der „Vorbeifahrer, dessen Klage Erfolg gehabt hat. Die Berufung des Beklagten hatte dann keinen Erfolg:

„Insbesondere ist entgegen der Berufung nicht zu beanstanden, dass das Erstgericht eine alleinige Haftung der Beklagtenseite für das Unfallgeschehen bejaht hat.

1. Das Erstgericht ist zunächst davon ausgegangen, dass sowohl die Kläger- als auch die Beklagtenseite grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gem. §§ 7, 17, 18 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 115 VVG einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG darstellt. Dies ist zutreffend und wird mit der Berufung auch nicht angegriffen.

2. Keinen Bedenken begegnet es, dass das Erstgericht eine Verletzung des § 14 Abs. 1 Straßenverkehrsordnung (StVO) durch die Erstbeklagte festgestellt hat. Nach dieser Vorschrift muss, wer ein- oder aussteigt, sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer am Verkehr Teilnehmender ausgeschlossen ist. Wird – wie hier – beim Ein- oder Aussteigen ein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung des Ein- oder Aussteigenden (vgl. nur BGH, Urteil vom 6.10.2009-VI ZR 316/08, VersR 2009, 1641; OLG Köln VersR 2015, 999, jew. m.w.N.). Diesen Anscheinsbeweis hat die Beklagtenseite nicht zu entkräften vermocht. Insbesondere ist die Behauptung der Beklagten, die Tür sei lediglich einen Spalt breit geöffnet gewesen, als es zu dem Zusammenstoß mit dem vorbeifahrenden Klägerfahrzeug gekommen war, vom Erstgericht als widerlegt angesehen worden. Hiergegen wendet sich die Berufung nicht.

3. Das Erstgericht hat ferner angenommen, der Fahrerin des Klägerfahrzeuges, der Zeugin M, könne ein Geschwindigkeitsverstoß nicht beweissicher vorgeworfen werden. Auch dies ist zutreffend und wird von der Berufung nicht angegriffen.

4. Ohne Erfolg wendet sich die Berufung gegen die Annahme des Erstgerichts, wonach auch ein Mitverschulden der Zeugin M wegen der Nichteinhaltung eines ausreichenden Seitenabstands (§ 1 Abs. 2 StVO) nicht festgestellt werden kann.

a) Wer an einem stehenden Fahrzeug vorbeifährt, muss nach dem allgemeinen Gebot der Gefährdungsvermeidung ( 1 Abs. 2 StVO) einen angemessenen Seitenabstand einhalten. Für die Angemessenheit des Abstandes gibt es kein feststehendes Maß, sie ist abhängig von den jeweiligen Umständen, muss aber zumindest so bemessen sein, dass ein geringfügiges Öffnen der Wagentür noch möglich bleibt, wenn für den Vorbeifahrenden nicht mit Sicherheit erkennbar ist, dass sich im haltenden Fahrzeug und um das Fahrzeug herum keine Personen aufhalten (BGH, Urteil vom 24. Februar 1981 – VI ZR 297/79 = VersR 1981, 533; OLG Frankfurt NZV 2014, 454). Der beim Vorbeifahren einzuhaltende Seitenabstand darf nach den Umständen des Einzelfalles durchaus geringer sein als der beim Überholen und bei der Begegnung regelmäßig verlangte Mindestabstand von 1 m (vgl. etwa OLG Köln, Beschluss vom 10. Juli 2014 I-19 U 57/14 -, juris). Wie groß der Abstand zu sein hat, ist letztlich eine Frage des Einzelfalles, wobei es auf die Verkehrslage, Geschwindigkeit und die bauliche Situation, insbesondere die Breite der Straße, sowie die Art der beteiligten Fahrzeuge ankommt (zum Ganzen etwa Müther in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 14 StVO Rn. 18; Geigel/Freymann, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 27 Rn. 383, jew. m.w.N.).

b) Dass der von der Zeugin M eingehaltene Seitenabstand ausreichend war, um die Seitentür geringfügig öffnen zu können, ist nicht zweifelhaft. Ob dies allein die Einhaltung eines angemessenen Seitenabstands indiziert, zumindest wenn, wie hier, ein Seitenabstand selbst zwischen den Außenspiegeln beider Fahrzeuge von mindestens 50 cm eingehalten ist (so insbesondere KG NZV 2010, 343; a.A. offenbar OLG Frankfurt SVR 2017, 27; vgl. auch König in Hentschel u.a., Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., 14 StVO Rn. 8, jew. m.w.N.), kann hier letztlich dahinstehen. Denn zu Lasten der Beklagtenseite kann nämlich nur der Abstand als unfallursächlich zugrunde gelegt werden, der noch eingehalten worden sein muss, um eine Kollision zu vermeiden. Nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen war die Tür des Beklagtenfahrzeugs im Zeitpunkt der Kollision 85-90 cm geöffnet (S. 23 des Gutachtens unter W), so dass der Seitenabstand der beiden Fahrzeuge ohne Berücksichtigung der Spiegel ausweislich der maßstabsgetreuen Skizze des Sachverständigen (S. 23 des Gutachtens) bei cirka 80 cm lag. Dem widerspricht nicht die Feststellung des Sachverständigen, der einen Fahrabstand ohne Spiegel von 60-65 cm (S. 23 des Gutachtens unter S2) ermittelte. Insoweit ist nämlich zu berücksichtigen, dass das Beklagtenfahrzeug schräg stand, so dass lediglich im Heckbereich, nicht aber in dem entscheidenden Türbereich der beiden Fahrzeuge der ermittelte Abstand bestand. Ein Abstand von rund 80 cm erscheint auch angesichts der Breite der Straße – zwischen den Randsteinen der Straße besteht ein Abstand von etwas unter 7 Metern, so dass für jede Fahrspur etwas weniger als 3,5 Meter zur Verfügung steht – umständehalber noch angemessen, zumal der Sachverständige bestätigen konnte, dass die Türöffnung in die Vorbeifahrbewegung des Klägerfahrzeuges erfolgt, mithin so geöffnet wurde, dass sich die Zeugin M nicht rechtzeitig darauf einstellen konnte.

5. Lässt sich danach ein unfallursächliches Mitverschulden der Zeugin M nicht feststellen, bestehen keine Bedenken dagegen, dass das Erstgericht angesichts des schwerwiegenden Verstoßes gegen die nach § 14 StVO gebotene äußerste Sorgfalt von einer Alleinhaftung der Klägerin ausgegangen ist (vgl. etwa KG Berlin DAR 2004, 585). Dieses Ergebnis wäre selbst dann nicht in Frage gestellt, wenn man von einem – allenfalls geringfügigen – Verstoß gegen den einzuhaltenden Seitenabstand ausgehen würde. Denn das rücksichtslose, plötzliche Türöffnen durch die Erstbeklagte, die das herannahende Fahrzeug nach den Feststellungen Sachverständigen bei einem gebotenen Schulterblick vor dem Türöffnen hätte sehen müssen, wiegt derart schwer, dass selbst ein geringes Mitverschulden auf Klägerseite hierhinter zurücktreten würde (ähnlich auch LG Stuttgart NJW 2015, 2593 m.w.N.).“