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Dem Verfall verfallen – außer Spesen nichts gewesen…

Das AG hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und den Verfall des bei einer Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten  aufgefundenen und sichergestellten Bargeldes im Gesamtwert von 2.499,20 € angeordnet.  Das LG verwirft die Berufung des Angeklagten und bestätigte die Anordnung des Verfalls der „sichergestellten 2.499,20 €“. Dagegen die Revision des Angeklagten, die keinen – wirtschaftlichen – Erfolg hat.

Zwar hat der OLG Hamm, Beschl. v. 28.02.2012 – III-3 RVs 7/12 – die Verfallsanordnung, die auf § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB gestützt war, aufgehoben, denn:

Die getroffene Anordnung findet keine Grundlage in § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB. Der Verfall von Bargeld nach § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB erfordert, dass das in Rede stehende Bargeld als solches – also unmittelbar – für die Tat oder aus ihr erlangt wurde (BGH, NStZ 2010, 85; 2003, 198). Da Gegenstand des Rechtsverkehrs nicht ein „Sammelbestand“ an Bargeld ist, sondern die einzelnen Banknoten und Münzen als jeweils eigenständige körperliche Gegenstände (§ 90 BGB), setzt die auf § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB gestützte Anordnung des Verfalls einer – wie im vorliegenden Falle – aus mehreren Banknoten und Münzen bestehenden Bargeldmenge mithin voraus, dass für jede einzelne Banknote und für jede einzelne Münze die Feststellung getroffen wird, dass diese für die Tat oder aus ihr erlangt wurde.

Entsprechende Feststellungen hat das Landgericht indes nicht getroffen. Nach den Feststellungen in dem angefochtenen Urteil stammte das sichergestellte Bargeld „überwiegend“ – eine konkrete Bezifferung enthält das Urteil nicht – aus dem Weiterverkauf des an den Angeklagten gelieferten Kokains und im Übrigen aus Unkostenbeiträgen für Speisen und Getränke, die der Angeklagte von den Gästen einer von ihm kurz vor der Wohnungsdurchsuchung veranstalteten Party erhalten hatte. Auf der – allein entscheidenden – Ebene der einzelnen Banknote bzw. der einzelnen Münze muss nach diesen Feststellungen in jedem Einzelfall nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ davon ausgegangen werden, dass die jeweils konkret betrachtete Banknote oder Münze nicht aus dem Drogenverkauf, sondern aus den – strafrechtlich unbedenklichen – Unkostenbeiträgen der Partygäste stammte. Eine auf § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB gestützte Anordnung des Verfalls des sichergestellten Bargeldes scheidet damit aus.“

Aber:
Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen ermöglichen indes die Anordnung des Verfalls des Wertersatzes (§ 73a Satz 1 StGB) in Höhe von 2.499,20 € (in der Formulierung des § 73a Satz 1 StGB: die Anordnung des Verfalls eines Geldbetrages von 2.499,20 €), also die Titulierung eines staatlichen Zahlungsanspruches gegen den Angeklagten in der vorgenannten Höhe.

Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte aus dem Weiterverkauf der an ihn gelieferten Drogen einen Bruttoerlös – das „Erlangte“ im Sinne der §§ 73 Abs. 1 Satz 1, 73a Satz 1 StGB bemisst sich nach dem Bruttoprinzip (Fischer, a. a. O., § 73 Rdnrn. 7 ff m. w. N.) – von mehr als 30.000 € erzielt. Der Anordnung des Verfalls des Wertersatzes in einer derartigen Höhe stünde indes das Verschlechterungsverbot nach § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO entgegen. Der Verfall des Wertersatzes kann daher nur in Höhe von 2.499,20 € angeordnet werden. Die Änderung des Verfallsinhaltes (Verfall des Wertersatzes statt Verfall bestimmter Gegenstände) als solche stellt keine für den Angeklagten nachteilige Änderung des angefochtenen Urteils dar.“

Also: Außer Spesen nichts gewesen.

Aufgepasst! Verlust der Einbürgerung droht. Und daher: Erhöhter Beratungsbedarf beim ausländischen Mandanten

Das BVerwG hat mit zwei Pressemitteilungen vor einigen Tagen über zwei Entscheidungen berichtet, die m.E., wenn es sich um einen ausländischen Mandanten handelt, die anwaltlichen Beratungs-/Hinweispflichten bei Übernahme des Mandats erweitern bzw. diese konkretisieren.

Einmal geht es um das BVerwG,  Urt. v. 20.03.2012 – 5 C 1.11 -, in dem das BVerwG ein Verwertungsverbot nach Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens im Einbürgerungsverfahren nach dem StAG verneint hat. Danach darf bei der Entscheidung über die Einbürgerung das Verhalten eines Ausländers berücksichtigt werden, das Gegenstand eines eingestellten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens war. Zur PM – Volltext liegt noch nicht vor – geht es hier.

Zum anderen geht es um das BVerwG, Urt. v. 20.03.2012 – 5 C 5.11. Danach besteht kein Anspruch auf die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit, wenn der Einbürgerungsbewerber zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt worden ist. Ein Einbürgerungsanspruch bestehe grundsätzlich nicht, wenn der Ausländer wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt worden sei (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 d StAG). Eine Ausnahme macht das Gesetz für Verurteilungen zu Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen oder drei Monaten Freiheitsstrafe (§ 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 StAG**). Übersteigt die Strafe diese sogenannten Bagatellgrenzen, könne sie die Einbürgerungsbehörde zwar als weitere Ausnahme noch im Wege einer Ermessensentscheidung außer Betracht lassen. Dies setze aber voraus, dass die Strafe den vorgegebenen Rahmen (von 90 Tagessätzen) nur „geringfügig“ übersteige (§ 12a Abs. 1 Satz 3 StAG). Das ist nach Ansicht des BVerwG bei einer Überschreitung um 30 Tagessätze und damit um ein Drittel nicht der Fall. Die PM – Volltext ebenfalls noch nicht vorhanden – dann hier.

Die Rechtsprechung wird man bei ausländischen Mandanten bei Einstellungsentscheidungen und Verständigungen im Auge behalten müssen. Sonst kommt das dicke Ende für den Mandanten an der Stelle dann doch hinterher.

LG Bonn: Speichelprobe auch beim Wohnungseinbruchsdiebstahl

Und noch mal LG Bonn, und zwar zur Entnahme von Körperzellen in Form der Entnahme einer Speichelprobe, im LG Bonn, Beschl. v. 14.03.2012 . 22 Qs 15/12. Der Beschluss behandelt die sich häufig in Zusammenhang mit der Entnahme von Körperzellen stellenden Fragen. Zulässig ist die Anordnung auch im Fall der Verurteilung wegen eines Wohnungseinbruchsdiebstahls.

Täter-Opfer-Ausgleich: Wie wahrscheinlich ist eine Schmerzensgeldzahlung

Ich hatte ja schon auf den BGH; Beschl. v. 12.01.2012 – 4 StR 290/11 – hingewiesen (vgl. hier). Der BGH hat in Zusammenhang mit der Beanstandung der landgerichtlichen Strafzumessung auch noch einmal zum Täter-Opfer-Ausgleich nach § 46a StGB Stellung genommen. Das LG hatte das Vorliegen der Voraussetzungen bejaht. Der BGH hat jedoch Beanstandungen, und zwar:

  1. Bei mehreren Opfern müssen die Voraussetzungen für einen TOA gegenüber allen Geschädigten erfüllt sein.
  2. Es muss ein kommunikativer Prozess mit ganzer oder überwiegender Schadenswiedergtumachtung vorliegen.
  3. Bei einem geschlossenen Vergleich muss es auch einigermaßen wahrscheinlich sein, dass das Opfer die finanziellen Leistungen erhält.

An den Punkten mangelt es in der landgerichtlichen Entscheidung. Daher also: Neuer Durchlauf.

Das „im Ansatz prozessordnungsgemäße Selbstleseverfahren“

Der gestern auf der Homepage des BGH veröffentlichte BGH, Beschl. v. 10.01.2012 – 1 StR 587/11 – befasst sich mit dem Selbstleseverfahren (§ 249 Abs. 2 StPO). Im Verfahren war das Selbstleseverfahren angeordnet und wegen früheren Geschehens sogleich als durchgeführt erklärt worden. Das hatte die Revision beanstandet.

Dazu der BGH:

Ein Selbstleseverfahren ist – auch – in der geschilderten Weise möglich. Ziel eines Selbstleseverfahrens ist es, den Inhalt von Urkunden auch ohne ihre Verlesung zum Gegenstand der Hauptverhandlung zu machen. Hierfür ist bedeutungslos, ob die Erklärung der Richter, vom Wortlaut der Urkunden Kenntnis genommen zu haben, darauf beruht, dass sie die Urkunden vor oder nach der Anordnung des Selbstleseverfahrens gelesen haben. Es genügt daher, wenn die Urkunden schon zuvor, etwa bei der Prüfung der Eröffnungsentscheidung, gelesen wurden. Soweit Richter die Urkunden nicht ohnehin unabhängig vom Selbstleseverfahren gelesen haben, wie z.B. möglicherweise ein zweiter Beisitzer oder ein Ergänzungsrichter und regelmäßig Schöffen, genügt es dem-entsprechend, wenn dies, etwa im Vorgriff auf ein beabsichtigtes Selbstleseverfahren schon vor dessen Anordnung, parallel zur Hauptverhandlung oder auch schon vor der Hauptverhandlung geschieht (vgl. Ganter in Graf, StPO § 249 Rn. 24; Diemer in KK 6. Aufl., § 249 Rn. 36).
Die übrigen Verfahrensbeteiligten müssen sich nicht darauf verweisen lassen, dass sie schon zuvor Gelegenheit zum Lesen der Urkunden gehabt hätten (Mosbacher in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 249 Rn. 79). Da sie aber auf die Kenntnisnahme vom Inhalt der Urkunden sogar ganz verzichten können (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 – 1 StR 422/10, NStZ 2011, 300 mwN), genügt – auch von der Revision nicht in Frage gestellt – die in der Hauptverhandlung unwidersprochen gebliebene Feststellung des Vorsitzenden, die übrigen Verfahrensbeteiligten hätten bereits ausreichende Gelegenheit zur Kenntnisnahme gehabt.

4. Nach alledem liegt im Ansatz ein prozessordnungsgemäßes Selbstleseverfahren vor.

Urkunden und sonstige Schriftstücke sind aber nur dann im Blick auf ein Selbstleseverfahren ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt, wenn nach dessen Durchführung (als wesentliche Verfahrensförmlichkeit, §§ 273, 274 StPO) zu Protokoll festgestellt ist, dass die Mitglieder des Gerichts vom Wortlaut der Urkunden und/oder sonstigen Schriftstücke Kenntnis genommen haben und die übrigen Verfahrensbeteiligten hierzu Gelegenheit hatten (§ 249 Abs. 2 Sätze 1 und 3 StPO). Die hier allein getroffene – auf Grund ihrer Eindeutigkeit auch keiner zu einem anderen Ergebnis führenden Auslegung zugängliche – Feststellung, die Mitglieder des Gerichts hätten Gelegenheit zur Kenntnisnahme gehabt, wird den Anforderungen des Gesetzes nicht gerecht (vgl. nur BGH, Beschluss vom 15. März 2011 – 1 StR 33/11, NStZ-RR 2011, 253, 255 mwN).

Fazit: Wann gelesen wird ist, egal. Allerdings gelesen werden muss, so dass ein Beschluss mit dem Inhalt, dass das Gericht nur Gelegenheit hatte, Kenntnis zu nehmen, nicht reicht .