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Schattendasein – „kürzere Tilgungsfrist“ im OWi-Verfahren

Manche Vorschriften führen ein Schattendasein und werden deshalb häufig übersehen. Dazu gehört § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG – wer liest eine Vorschrift schon bis Absatz 8 und dann auch noch Satz 2 :-)? Geregelt ist dort, dass Entscheidungen, die nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVG einer zehnjährigen Tilgungsfrist im Verkehrszentralregister unterliegen nach Ablauf eines Zeitraumes, der einer fünfjährigen Tilgungsfrist entspricht, nur noch für ein Verfahren verwertet werden dürfen, das die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand hat. Das ist ein Bußgeldverfahren, in dem ein Fahrverbot nach § 25 StVG droht nicht. In den Verfahren wird das Register also ggf. so behandelt, als wenn es „sauber“ wäre bzw. darf die Entscheidung nicht mehr verwertet werden

So auch der OLG Hamm, Beschl. v. 02.07.2012 – III-3 RBs 133/12:

Die Entscheidung vom 20. Juni 2006 unterliegt nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVG einer zehnjährigen Tilgungsfrist im Verkehrszentralregister und darf gemäß § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG nach Ablauf eines Zeitraumes, der einer fünfjährigen Tilgungsfrist entspricht, nur noch für ein Verfahren verwertet werden, das die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand hat. Die demnach hier für die Verwertbarkeit der Entscheidung maßgebende Frist von fünf Jahren begann entweder nach § 29 Abs. 4 Nr. 1 StVG mit dem Tag des ersten Urteils – hier wohl dem 20. Juni 2006 – oder – falls dem Betroffenen in der Entscheidung vom 20. Juni 2006 die Fahrerlaubnis entzogen worden sein sollte oder eine Sperre für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis angeordnet worden sein sollte – nach § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG erst mit der Neuerteilung der Fahrerlaubnis, hier also mit dem 4. September 2007. Im erstgenannten Fall wäre die fünfjährige Frist zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht bereits abgelaufen gewesen, da die Bußgeldentscheidung des Landkreises Wolfenbüttel hinsichtlich der strafgerichtlichen Verurteilung vom 20. Juni 2006 nach § 29 Abs. 6 Satz 3 StVG nicht zu einer Ablaufhemmung im Sinne des § 29 Abs. 6 StVG führen konnte. Im zweiten Fall (Fristbeginn erst mit der Neuerteilung der Fahrerlaubnis) wäre die Entscheidung vom 20. Juni 2006 zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung hingegen noch verwertbar gewesen. Dass in der Entscheidung vom 20. Juni 2006 eine Entziehung der Fahrerlaubnis oder eine Sperre für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis angeordnet worden ist, lässt sich dem angefochtenen Urteil indes nicht entnehmen. Dies mag zwar sehr wahrscheinlich sein, ist aber nicht zwingend der Fall.

Ja, aber, oder: Messwinkelabweichung bei Traffipax, aber verwertbar

Messfehler bei (Geschwindigkeits)Messungen führen nicht unbedingt zur Unverwertbarkeit der Messung. Vielmehr kann die Messung ggf. verwertet werden, dann aber mit einem höheren Sicherheitsabschlag. Das macht der OLG Hamm, Beschl. v. 05.04.2012 – III 3 RBs 41/12 – in einem Zusatz noch einmal deutlich. Da heißt es:

Das Ergebnis der Geschwindigkeitsmessung mit dem Radarmessgerät Traffipax speedophot ist entgegen der Auffassung des Betroffenen verwertbar. Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat zwar – unter Berücksichtigung der „Schrägfahrt“ des vom Betroffenen geführten Fahrzeuges zum Messzeitpunkt – eine Messwinkelabweichung zuungunsten des Betroffenen von 2,1° (tatsächlicher Messwinkel 17,9°, vorgeschriebener Messwinkel 20°) festgestellt (vgl. allgemein zu den Auswirkungen von Messwinkelabweichungen auf das Messergebnis bei Radarmessgeräten Böttger in: Burhoff [Hrsg.], Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 2. Aufl. [2009], Rdnr. 1397 ff). Diese Messwinkelabweichung führt indes nicht zu einer Unverwertbarkeit des Messergebnisses. Das sachverständig beratene Amtsgericht hat diese Abweichung dadurch berücksichtigt, dass es von der vom Messgerät angezeigten Geschwindigkeit von 103 km/h zunächst 2 km/h wegen der Messwinkelabweichung in Abzug gebracht und sodann den „allgemeinen“ Toleranzabzug von 3% (vgl. Böttger, a.a.O., Rdnr. 1395) – hier zu Gunsten des Betroffenen aufgerundet auf 4 km/h – berücksichtigt hat, so dass es seiner Entscheidung im Ergebnis eine gefahrene Geschwindigkeit von nur 97 km/h zugrundegelegt hat. Ein Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen liegt hierin nicht.“

Anmerkung: Es freut mich als Herausgeber natürlich, dass das OLG auf „unser“ OWi-Handbuch verweist: Nur: Ist das Land NRW denn so klamm, dass es dem OLG Hamm noch nicht mal die aktuelle Auflage zur Verfügung stellen kann? Das sollte doch dran sitzen :-). Und die Vorlage 🙂 nehme ich dann gern für Werbung.

 

83 Minuten reichen für Geständnis und Zeugenvernehmungen

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Das LG verurteilt den Angeklagten nach einer Verständigung (§ 257c StPO) wegen Steu-rhinterziehung in acht Fällen (unberechtigter Vorsteuerabzug von fast 1,3 Mio. € aus „Abdeckrechnungen“ und unzutreffenden Gutschriften) zu drei Jahren und drei Monaten Gesamtfreiheitsstrafe. Dagegen die Revision, mit der der Angeklagte u.a. geltend macht,  die Bewertung des Geständnisses des Angeklagten als glaubhaft beruhe auf unzureichender Grundlage. Die maßgeblichen Vernehmungen des Angeklagten und von Zeugen hätten, wie sich aus der mit-geteilten jeweiligen Dauer der einzelnen Verfahrensabschnitte ergebe, insgesamt nur 83 Minuten gedauert, abzüglich noch der für zugleich durchgeführte formale Vorgänge benötigten Zeit. Dazu der 1. Strafsenat des BGH im BGH, Beschl. v. 23.-05.2012 – 1 StR 208/12:

Das Vorbringen versagt (Anmerkung: Interessante Formulierung :-))
Die Revision erwähnt in diesem Zusammenhang schon nicht, dass die Feststellungen auch auf ein umfangreiches Selbstleseverfahren gestützt sind. Auch unabhängig davon ist der Senat nicht der Auffassung, schon der genannte zeitliche Rahmen ergäbe, dass Feststellungen zu einem Geständnis hinsichtlich eines – zumal für eine Wirtschaftsstrafkammer – leicht erfassbaren Sachverhalts und zu dessen Überprüfung nicht Ergebnis der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) sein könnten. Sollte die Revision dahin zu verstehen sein, der Senat möge den Ablauf der Hauptverhandlung im Detail überprüfen, um so festzustellen, dass speziell vorliegend keine ordnungsgemäße Beweiserhebung vorliegen könne, wäre verkannt, dass das Revisionsgericht Gang und Inhalt der Beweisaufnahme nicht rekonstruiert (vgl. schon BGH, Urteil vom 7. Oktober 1966 – 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 151 mwN). Sollte darüber hinaus zum Ausdruck gebracht sein, ein im Rahmen einer Verständigung (§ 257c StPO) abgelegtes Geständnis sei schon im Ansatz intensiver zu überprüfen als ein nicht im Rahmen einer Verständigung abgelegtes Geständnis, wäre dem eben-falls nicht zu folgen. Die Beweiswürdigung hat stets auch solche Gesichtspunkte erkennbar zu erwägen, die auf Grund der Urteilsfeststellungen nahe liegen und die gegen das gefundene Ergebnis sprechen können.
Es gibt keine forensische Erfahrung, wonach bei einem Geständnis stets oder jedenfalls dann, wenn es im Rahmen einer Verständigung abgelegt wurde, ohne weiteres regelmäßig mit einer wahrheitswidrigen Selbstbelastung zu rechnen sei. Dies gilt auch dann, wenn – wie nach Auffassung der Revision möglicherweise hier – der Angeklagte durch ein unwahres Geständnis Sohn und/oder Lebensgefährtin vor einer Bestrafung schützen würde. Allein die gesetzlichen Wertungen in § 52 StPO, § 35 Abs. 1 Satz 1 StGB und § 258 Abs. 6 StGB können die für eine solche Annahme erforderlichen konkreten Anhaltspunkte nicht ersetzen. Derartige konkrete Anhaltspunkte sind hier weder vorgetragen noch ersichtlich. Allein die (theoretische) Denkbarkeit eines Geschehensablaufs führt nicht dazu, dass er zu erörtern wäre (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 20. September 2011 – 1 StR 120/11, NStZ-RR 2012, 72, 73 mwN).

Das „Vier-Augen-Prinzip“ – oder: Vier Augen sehen besser als zwei…

In einem kurz begründeten Beschluss betreffend die Zulassung einer Rechtsbeschwerde hat das OLG Köln zum sog. Vier-Augen-Prinzip“ Stellung genommen. Geltend  gemacht worden war mit dem Zulassungsantrag, dass nach einer Messung mit dem Gerät Riegl 21 der auf dem Display  angezeigte Messwert nicht richtig abgelesen und nicht korrekt in das Messprotokoll eingetragen worden ist: Begründung (offenbar): Der das Messegrät bedienende Beamte habe selbst eingetragen.

Dazu das OLG Köln, Beschl. v. 05.01.2012 – III-1 RBs 365/11:

Die Sache wirft materiell-rechtlich keine klärungsbedürftigen Rechtsfragen auf. Die Frage, ob nach einer Messung mit dem Gerät Riegl 21 der auf dem Display  angezeigte Messwert richtig abgelesen und korrekt in das Messprotokoll eingetra-gen worden ist, betrifft die richterliche Beweiswürdigung im Einzelfall.

Dass die Übertragung des angezeigten Messwertes in das Protokoll generell nicht zuverlässig sein soll, wenn die das Messgerät bedienende Person diese Übertra-gung selbst vorgenommen hat, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen.

„….System Leivtec X\/ 2 erscheint grundsätzlich ungeeignet zur Herstellung von prozessual verwertbaren Aufnahmen….

„Das System Leivtec X\/ 2 erscheint grundsätzlich ungeeignet zur Herstellung von prozessual verwertbaren Aufnahmen des Betroffenen.“ So steht es im AG Grimma, Beschl. v. 24.08.2011 –  9 OWi 151 Js 59374/10. Und der Kollege hat das OWi-Verfahren eingestellt. AG Grimma… wir erinnern uns. Von da kam auch eine der schönen Entscheidungen zur Umsetzung der Rechtsprechung des BVerfG in 2 BvR 941/08 – Stichwort Videomessung.