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Der angeschnittene Bremsschlauch und § 315b StGB

Manchmal denkt man, wenn man Tatbestände in BGH-Entscheidungen liest: Das gibt es nur in einer Strafrechtsklausur, nicht aber im „wirklichen Leben“. So auch in BGH, Beschl. v. 26.07.2011 – 3 StR 340/11, der von folgendem Sachverhalt ausgeht:

Das Landgericht hat sich rechtsfehlerfrei davon überzeugt, dass die Angeklagte am 21. September 2008 entweder den rechtskräftig freigesprochenen Mitangeklagten K. , den Zeugen D. oder beide gemeinsam dazu veranlasste, an dem Pkw ihres Vaters einen Bremsschlauch anzuschneiden. Dadurch wurde die Wirkung des Bremssystems bei scharfen Bremsungen um bis zu 50 % vermindert. Außerdem kam es zu einer Verlängerung des Bremspedalweges. Die Angeklagte und der auf ihre Aufforderung hin handelnde Haupttäter wollten auf diese Weise erreichen, dass der Vater der Angeklagten bei seiner nächsten Autofahrt einen Verkehrsunfall erleidet und sich dabei Verletzungen zuzieht. Dass die Angeklagte eine Tötung ihres Vaters anstrebte oder zumindest billigend in Kauf nahm, vermochte das Landgericht nicht festzustellen.

Am 22. September 2008 verließ der Vater der Angeklagten mit dem Fahrzeug den Innenhof seines Wohnanwesens und fuhr in eine öffentliche Straße ein, auf der die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h beschränkt war. Als er hinter parkenden Fahrzeugen anhalten wollte, um Gegenverkehr passieren zu lassen, bemerkte er bei der Betätigung des Bremspedals zunächst keine Bremswirkung. Er bremste deshalb stärker und zog die Handbremse an. Sein Fahrzeug kam daraufhin zum Stillstand, ohne dass andere Fahrzeuge berührt wurden. Anschließend fuhr er vorsichtig zurück zu seinem Wohnanwesen und veranlasste eine fachkundige Überprüfung, bei der die Beschädigung des Bremsschlauches entdeckt wurde. Weitere Feststellungen hat das Landgericht nicht zu treffen vermocht.“

Das hatte das LG als eine Anstiftung zum vollendeten gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB) gewertet. Der BGH sagt: Nein, nur Versuch, weil es zu keiner konkreten Gefährdung eines der in § 315b Abs. 1 StGB bezeichneten Individualrechtsgüter gekommen ist:

Die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache ist erst dann konkret gefährdet, wenn durch die Tathandlung ein so hohes Verletzungs- oder Schädigungsrisiko begründet worden ist, dass es nur noch vom Zufall abhängt, ob es zu einer Rechtsgutsverletzung kommt. Kritische Verkehrssituationen erfüllen diese Voraussetzungen im Allgemeinen nur, wenn sie sich aus der Perspektive eines objektiven Beobachters als ein „Beinahe-Unfall“ darstellen (Senatsurteil vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131; SSW-StGB/Ernemann § 315b Rn. 16). Aus den landgerichtlichen Feststellungen ergibt sich dazu nur, dass der Vater der Angeklagten bei der Betätigung des Bremspedals zwar anfänglich keine Bremswirkung verspürte, dann aber sein Fahrzeug doch noch mit der eigenen Bremsanlage rechtzeitig zum Stehen brachte. Dass es dabei zu einer hochriskanten, praktisch nicht mehr beherrschbaren Verkehrssituation gekommen wäre, die dem Bild eines „Beinahe-Unfalls“ entspricht, kann weder den weiteren Feststellungen, noch dem Gesamtzusammenhang des Urteils entnommen werden. Die bloße Inbetriebnahme eines Fahrzeuges, dessen Bremsanlage be-schädigt worden ist, reicht für die Annahme einer konkreten Gefahr nicht aus. Das dadurch begründete besondere Unfallrisiko stellt sich nur als eine – wenn auch möglicherweise erhebliche – Steigerung des allgemeinen Unfallrisikos dar, ohne die darin liegende abstrakte Gefahr bereits im Sinne von § 315b StGB zu konkretisieren (Senatsurteil vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131).“

Skimming: Noch Vorbereitung oder schon Versuch?

Neue Techniken 🙂 führen zu neuen Problemen, wie die Rechtsprechung damit umgehen soll/kann. So auch beim sog. Skimming. Da spielt insbesondere die Abgrenzung „noch Vorbereitungshandlung/schon Versuch“ eine Rolle. Zu der Frage äußert sich dann noch einmal der BGH, Beschl. v. 15.03.2011 – 3 StR 15/11:

„a) Ein derartiges unmittelbares Ansetzen liegt nur bei solchen Handlungen vor, die nach der Vorstellung des Täters in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen oder mit ihr in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „Jetzt geht es los“ überschreitet, es eines weiteren Willensimpulses nicht mehr bedarf und er objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzt, so dass sein Tun ohne Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestandes übergeht, wobei auf die strukturellen Besonderheiten der jeweiligen Tatbestände Bedacht zu nehmen ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 7. November 2007 – 5 StR 371/07, NStZ 2008, 409, 410).

b) Danach ist das Stadium des Versuchs des gewerbs- und bandenmäßigen Nachmachens von Zahlungskarten mit Garantiefunktion jedenfalls dann erreicht, wenn der Täter vorsätzlich und in der tatbestandsmäßigen Absicht mit der Fälschungshandlung selbst beginnt. Das bloße Anbringen einer Skimming-Apparatur an einem Geldautomaten in der Absicht, durch diese Daten zu erlangen, die später zur Herstellung von Kartendubletten verwendet werden sollen, stellt demgegenüber lediglich eine Vorbereitungshandlung zur Fälschung von Zahlungskarten dar (BGH, Urteil vom 13. Januar 2010 – 2 StR 439/09, NJW 2010, 623; Beschluss vom 14. September 2010 – 5 StR 336/10, NStZ 2011, 89; Urteil vom 17. Februar 2011 – 3 StR 419/10). Da die Angeklagten in den fraglichen Fällen durch das Skimming jeweils keine Daten erlangten, kann dahinstehen, ob ein Versuch des gewerbs- und bandenmäßigen Fälschens von Zahlungskarten auch dann zu bejahen ist, wenn der Täter im Rahmen des bandenmäßig eingespielten Systems die von ihm ausgespähten Daten innerhalb der Bandenstruktur zur baldigen Verwendung beim Herstellen falscher Zahlungskarten weitergibt (so BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 4 StR 338/10).“

Wenn das Handy zweimal klingelt,

und zwar bei der Tatausführung, dann kann das Auswirkungen auf die Frage der Abgrenzung beendeter/unbeendeter Versuch und eine damit zusammenhängende Rücktrittsproblematik haben.

Der BGH, Beschl. v. 16.03.2011 – 2 StR 22/11 beanstandet die Versagung eines strafbefreienden Rücktritts wegen unbeendeten Versuchs eines Tötungsdelikts durch das LG. Auch wenn der Täter – wie im Fall – nahezu 20-mal auf das Opfer einsteche, könne ein unbeendeter Versuch vorliegen, wenn das Opfer hiernach sein klingelndes Handy aus der Tasche ziehe, den Täter darauf hinweise, dass der Anrufer wisse, dass der Täter bei dem Opfer sei und das Opfer sodann selbst in Verkennung der Schwere seiner Verletzungen den Tatort verlasse. Auch wenn mit dem klingelnden Handy eine Beendigung des Versuchs angenommen werde, sei dies nur rechtlich haltbar, wenn der Täter hierdurch nicht mehr Herr seiner Entschlüsse ist.

Inwieweit das im konkreten Fall anzunehmen war, muss das LG nun neu prüfen.

Beendeter/unbeendeter Versuch – das ist richtig schwierig…

…und zwar so schwierig, dass es geradezu nach einer „Aufarbeitung“ für das 1. Staatsexamen schreit. Wann hat man denn auch schon mal einen schönen Strafrechts-AT-Fall in der Rechtsprechung. Und dann auch noch beim BGH (Beschl. v. 08.12.2010 – 2 StR 536/10). Ist aber nicht nur Studenten interessant :-).

(Kleine?) Sensation: Freispruch im Fall Wörz hält beim BGH – keine neue Runde…

Was lange währt, wird dann für den Angeklagten endlich gut: Der BGH teilt heute in einer PM mit, dass der Freispruch im Fall Harry Wörz rechtskräftig ist. In der PM heißt es:

„Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe legt dem Angeklagten Harry Wörz zur Last, derjenige gewesen zu sein, der in den frühen Morgenstunden des 29. April 1997 die Geschädigte (die vom Angeklagten getrennt lebende Ehefrau) in deren Wohnung mit einem Schal strangulierte und so versuchte, sie zu töten. Durch die Tat erlitt die Geschädigte schwerwiegende und dauerhafte gesundheitliche Schäden (Lähmungen, Verlust des Sprachvermögens), weil die Sauerstoffzufuhr zu ihrem Gehirn infolge des Strangulationsvorganges für längere Zeit unterbrochen war.

Der Angeklagte war zunächst durch Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 16. Januar 1998 wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt worden, die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten verwarf der Bundesgerichtshofes mit Beschluss vom 12. August 1998 (1 StR 394/98). Nach Wiederaufnahme des Strafverfahrens hob das dann zuständige Landgericht Mannheim mit Urteil vom 6. Oktober 2005 die Verurteilung aus dem Jahr 1998 auf und sprach den Angeklagten frei. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin hob der Bundesgerichtshof das Urteil des Landgerichts Mannheim wegen durchgreifender Mängel in der Beweiswürdigung auf und verwies die Sache zu erneuter Verhandlung zurück (Beschluss vom 16. Oktober 2006, 1 StR 180/06). Nach daraufhin durchgeführter neuer Hauptverhandlung hat eine andere Strafkammer des Landgerichts Mannheim den Angeklagten mit Urteil vom 22. Oktober 2009 erneut freigesprochen. Sie vermochte nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass der Angeklagte die Tat begangen hat.

Gegen diesen Freispruch richten sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der als Nebenklägerin zugelassenen Geschädigten, mit denen jeweils eine Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend gemacht wird.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Urteil vom 15. Dezember 2010 die Revisionen verworfen. Das Tatgericht habe alle relevanten Umstände in seine Würdigung einbezogen und seine Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten rechtsfehlerfrei begründet.“

Damit hat ein langes Hin und Her für den Angeklagten ein glückliches Ende gefunden…