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Verkehrsrecht III: Zeitablauf nach FE-Entziehung, oder: Zwei Jahre und ein Monat unvertretbar

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Und dann zum Schluss noch etwas zur (vorläufigen) Entziehung der Fahrerlaubnis

Gegen den Angeschuldigten ist ein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung anhängig. In dem ist die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen worden. Das AG hat jetzt im AG Bad Homburg, Beschl. v. 12.08.2024 – 7a Ds 117/24 – aufgehoben. Grund: Unverhältnismäßig:

„Die Beschwerde des Verteidigers vom 23. Juni 2024 (BI. 264 ff. d.A.) war, nachdem nunmehr Anklage erhoben worden ist, umzudeuten in einen Antrag auf Aufhebung der Maßnahme nach § 111a StPO.

Dem zulässigen Antrag des Verteidigers auf Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis war stattzugeben. Zwar liegt nach Aktenlage nach wie vor der von § 111a Abs. 1 StPO geforderte dringende Tatverdacht hinsichtlich der fahrlässigen Tötung bzw. der Gefährdung des Straßenverkehrs vor. Jedoch gebieten der Beschleunigungsgrundsatz sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis.

Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ist wie alle strafprozessualen Zwangsmaßnahmen verfassungsrechtlichen Schranken unterworfen, die sich besonders im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und in dem Beschleunigungsgebot konkretisieren. Die Belastung aus einem Eingriff in den grundrechtlich geschützten Bereich eines Beschuldigten muss in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen stehen. Dieses Übermaßverbot kann im Einzelfall nicht nur der Anordnung und Vollziehung, sondern auch der Fortdauer einer strafprozessualen Maßnahme zeitliche Grenzen setzen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2005 — Az. 2 Ws 15/05 mwN).

Diese zeitliche Grenze ist im vorliegenden Fall nunmehr erreicht.

Zwischen der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis vom 6. Juli 2022 und dem heutigen Tag liegen zwei Jahre und ein Monat. Der zeitliche Abstand zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis ist mittlerweile derart groß, dass unter Berücksichtigung der übrigen Umstände des Einzelfalls eine Fortdauer der vorläufigen Fahrererlaubnisentziehung nicht mehr vertretbar erscheint. Hierbei wurde maßgeblich berücksichtigt, dass der Angeschuldigte zwischenzeitlich weder strafrechtlich- noch straßenverkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist und er in der Zeit vom 12. Dezember 2022 bis 17. April 2023 an einer verkehrspsychologischen Intensivmaßnahme beim TÜV teilgenommen hat.

Angesichts dieser Umstände ist trotz des fortbestehenden Vorliegens eines von § 111a StPO geforderten dringenden Tatverdachts die Aufhebung des Beschlusses über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis geboten.“

Nach 1 Jahr und 4 Monaten keine weitere „vorläufige“ Entziehung der Fahrerlaubnis

© Andrey - Fotolia.com

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Der LG Hannover, Beschl. v. 24.02.2016 – 40 Qs 18/16 – ist zwar nicht in einem verkehrsstrafrechtlichen Verfahren ergangen, sondern in einem Verfahren wegen eines Verstoßes gegen das WaffG, er ist aber sicherlich vor allem (auch) für die Verkehrsstrafrechtler von Bedeutung. Das LG sagt nämlich, dass bei einem Zeitablauf von einem Jahr und 4 Monaten seit Anordnung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a StPO) die weitere Aufrechterhaltung der Maßnahme als unverhältnismäßig anzusehen ist:

„Unbeschadet des fortbestehenden dringenden Tatverdachts und unabhängig von der Frage, ob der mutmaßliche Eignungsmangel im Sinne des § 69 StGB weiter besteht und deshalb gemäß § 111 a StPO dringende Gründe für die Annahme sprechen, dass dem Angeklagten die Fahrerlaubnis zu entziehen sein wird, erscheint die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis vorliegend wegen auf einer sachwidrigen Behandlung unter Verletzung des Beschleunigungsgebots beruhenden Verzögerung des Verfahrens unverhältnismäßig (vgl. dazu OLG Karlsruhe, NStZ 2005, 402 f.).

Der verfahrensgegenständliche Vorfall datiert vom 27.10.2014. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 12.11.2014 wurde dem Angeklagten die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen. Am 17.04.2015 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage zum Strafrichter. Eine auf den 12.10.2015 terminierte Hauptverhandlung wurde wegen Abwesenheit eines Zeugen ausgesetzt. Am 13.10.2015 wurde Termin für die neue Hauptverhandlung auf den 10.03.2016 bestimmt.

Den Angeklagten auf geraume Zeit auf der Grundlage vorläufiger Erkenntnisse ohne Fahrerlaubnis zu belassen, widerspricht vor dem Hintergrund dieser zögerlichen Sachbehandlung dem Rechtsstaatsgebot. Die Belastung aus einem Eingriff in den grundrechtlich geschützten Bereich muss in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenen Vorteilen stehen. Das gilt sowohl hinsichtlich der Anordnung und der Vollziehung als auch hinsichtlich der Fortdauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (vgl. LG Stuttgart, Beschluss vom 13. März 2013 — 18 Qs 14/13 —, juris). Bei einem Zeitablauf von einem Jahr und 4 Monaten seit Anordnung der Maßnahme bis zur Hauptverhandlung ist ein solches vernünftiges Verhältnis im vorliegenden Fall nicht mehr gegeben. Aus diesem Grunde ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis als unverhältnismäßig aufzuheben.“

Recht so…..