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Tätscheln des bekleideten Knies, oder: Sexuelle Belästigung oder bloße Ungehörigkeit?

Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den OLG Hamm, Beschl. v. 31.01.2019 – 4 RVs 1/19 – zur Abgrenzung zwischen sexueller Belästigung und bloßen Ungehörigkeiten. Gegenstand der OLG-Entscheidung ist eine  Verurteilung wegen sexueller Belästigung in Tateinheit mit Beleidigung durch – verkürzt Tätscheln des bekleideten Knies. Dazu das OLG:

„Nur soweit das Landgericht den Angeklagten wegen sexueller Belästigung für schuldig befunden hat, weist das Urteil durchgreifende Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten auf. Im Übrigen ist es frei von solchen Rechtsfehlern.

Zu Unrecht geht das Landgericht auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen davon aus, dass der Angeklagte die Zeugin H durch das Tätscheln des bekleideten Knies und des Liegenlassens der Hand in „sexuell bestimmter Weise“ körperlich berührt habe (§ 184i Abs. 1 StGB). Das Landgericht führt – im Ausgangspunkt zwar zutreffend – dazu aus, dass eine Berührung sowohl objektiv – nach dem äußeren Erscheinungsbild – als auch subjektiv – nach den Umständen des Einzelfalls – sexuell bestimmt sein könne. Die sexuelle Bestimmung der Berührung zeige sich vorliegend daran, dass die Zeugin zuvor das sexuelle Interesse des Angeklagten erregt habe, was daran erkennbar geworden sei, dass er sie zuvor bereits „im Bereich des Hinterteils“ angefasst habe. Dadurch, dass er sich eng neben die Zeugin gesetzt und ihr Knie getätschelt habe und durch die Bezeichnung der Zeugin als seine „Frau“, was das Landgericht mit der Bezeichnung als „Sexualpartnerin“ gleichsetzt, sei für einen unbefangenen Betrachter die Berührung des Knies in einem sexuellen Kontext gemeint gewesen.

1. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Dass die Zeugin bereits unmittelbar nach dem Zusteigen des Angeklagten das sexuelle Interesse des Angeklagten erregt hatte, wovon das Landgericht in seiner rechtlichen Würdigung ausgeht, ist in der Beweiswürdigung nicht belegt. Der Angeklagte hat sich nach den Urteilsgründen nicht in einer solchen Weise eingelassen. Soweit das Landgericht dies möglicherweise aus objektiven Umständen schließen will, geht es von einem Geschehensablauf aus, der den Feststellungen zum Tatgeschehen widerspricht, wenn es möglicherweise darauf abstellen will, dass der Angeklagte die Zeugin bereits zuvor „im Bereich des Hinterteils“ berührt habe. Nach den Feststellungen zum Tatgeschehen hatte der Angeklagte die Zeugin hingegen „an beiden Seiten an den Hüften“ angefasst. Selbst wenn man die Hüften noch als im „Bereich des Hinterteils“ liegend ansehen wollte, wäre fraglich, ob allein daraus geschlossen werden kann, dass die Berührung Ausdruck des sexuellen Interesses war. Im Rahmen der Beweiswürdigung wird dazu ausgeführt, dass der alkoholisierte Angeklagte bereits beim Einsteigen in den Zug getorkelt habe und die Zeugin H ihn bei der Erstberührung einfach für betrunken gehalten habe (UA S. 6). Insoweit setzt sich das Landgericht nicht mit der Möglichkeit auseinander, dass der Angeklagte sich lediglich festhalten wollte. Die Beweiswürdigung ist daher lückenhaft. Als eigenständige Berührung „in sexuell bestimmter Weise“ hat das Landgericht dieses erste Geschehen offenbar selbst nicht gewertet.

2. Auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen ist die Berührung des Knies der Zeugin durch den Angeklagten auch keine Berührung in sexuell bestimmter Weise. Eine nähere Definition dieses Begriffs enthält das Gesetz nicht. Der Gesetzgeber wollte aber durch Schaffung des § 184i StGB erreichen, dass auch Handlungen, die unterhalb der Erheblichkeitsschwelle des § 184h StGB liegen, bestraft werden können. Er hatte dabei Handlungen, wie zum Beispiel den flüchtigen Griff an die Genitalien einer bekleideten Person sowie das Berühren im Vaginalbereich über der Kleidung, ferner auch das Küssen des Nackens, der Haare und des Kopfes der von hinten umfassten Geschädigten sowie das feste Drücken der behandschuhten Hand der Geschädigten auf das Geschlechtsteil des Täters im Blick (BT-Drs. 18/9097 S. 29 f.). Als typische Fälle schwebten ihm das Küssen des Mundes oder des Halses oder das „Begrapschen“ des Gesäßes als Tathandlungen vor, während bloße Ärgernisse, Ungehörigkeiten oder Distanzlosigkeiten wie das einfache „In-den-Arm-Nehmen“ oder der schlichte Kuss auf die Wange nicht ohne Weiteres dazu geeignet sein sollten, die sexuelle Selbstbestimmung zu beeinträchtigen (BT-Drs. 18/9097 S. 30). Für den vorliegenden Fall lässt sich zunächst einmal festhalten, dass die Tathandlung jedenfalls nicht zu den Fallgestaltungen zählt, welche dem Gesetzgeber vorschwebten. Sie ist auch – gemessen an dem mit einer bestimmten körperlichen Berührung vorausgesetzten Grad der Intimität – nicht vergleichbar mit den o.g. Berührungen an Sexualorganen oder dem Gesäß bzw. mit dem Küssen.

Allerdings können auch ambivalente Berührungen den Straftatbestand des § 184i StGB erfüllen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es – anders als nach der Vorstellung des Gesetzgebers (vgl. BT-Drs. 18/9097 S. 30: „Die körperliche Berührung erfolgt in sexuell bestimmter Weise, wenn sie sexuell motiviert ist“) – nicht allein auf die Motivation des Täters an. Eine Berührung in sexuell bestimmter Weise ist nach seiner Rechtsprechung – was auch das Landgericht zutreffend erkennt – zu bejahen, wenn sie einen Sexualbezug bereits objektiv, also allein gemessen an dem äußeren Erscheinungsbild, erkennen lässt. Darüber hinaus können auch ambivalente Berührungen, die für sich betrachtet nicht ohne Weiteres einen sexuellen Charakter aufweisen, tatbestandsmäßig sein. Dabei ist auf das Urteil eines objektiven Betrachters abzustellen, der alle Umstände des Einzelfalles kennt; hierbei ist auch zu berücksichtigen, ob der Täter von sexuellen Absichten geleitet war (BGH, Beschluss vom 13. März 2018 – 4 StR 570/17 -, BGHSt 63, 98-107, Rn. 35; vgl. auch Drohsel NJOZ 2018, 1521, 1524). Grundsätzlich können daher auch das Streicheln von Armen und Beinen tatbestandsmäßig sein (Renzikowski in MK-StGB, 3. Aufl., § 184i Rdn. 8). Jedoch muss bei der Auslegung der Begrifflichkeiten des § 184i Abs. 1 StGB dafür Sorge getragen werden, dass die in ihnen tendenziell angelegte Unbestimmtheit nicht zu einem Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot führt (vgl. Ziegler in: BeckOK-StGB, 40. Ed., § 184i Rdn. 6). Deswegen muss die Intensität der Handlung nach Auffassung des Senats wenigstens annähernd mit den Handlungen vergleichbar sein, welche der Gesetzgeber bei Schaffung des Straftatbestands als strafwürdiges Unrecht und nicht als bloße Ungehörigkeiten etc. vor Augen hatte (s.o.). Nicht jede körperliche Berührung, bei der ein sexueller Zusammenhang nicht völlig ausgeschlossen werden kann, erfüllt bereits den Straftatbestand des § 184i StGB.

Auch daran gemessen, reichen die getroffenen Feststellungen nicht aus, um die Berührung des bekleideten Knies der Zeugin durch den Angeklagten als sexuell bestimmt anzusehen. Die Berührung des bekleideten Knies weist nicht ohne Weiteres einen sexuellen Charakter auf. Es handelt sich um eine ambivalente Handlung. Wie bereits dargelegt, ist der Intimitätsgrad einer solchen Berührung grundsätzlich deutlich entfernt von den anderen o.g. Beispielen, wobei hier allerdings auch die Art der Bekleidung und der Umfang der körperlichen Nähe, welche sie zulässt, eine Rolle spielt. So kann es im Einzelfall von Bedeutung sein, ob es sich um eine dicke Winterbekleidung oder etwa nur eine dünne Strumpfhose gehandelt hat. Über die konkrete Art der Bekleidung teilt das angefochtene Urteil indes nichts mit.

Zudem kann gerade im vorliegenden Fall die Berührung des Knies in Zusammenhang mit der Bezeichnung der Zeugin als „meine Frau“ unter Berücksichtigung der Herkunft des Angeklagten und angesichts seines geringen Bildungsgrads durchaus auch als Ausdruck eines patriarchalischen Macht- und Besitzanspruchs seiner Herkunftsverhältnisse sein. Dafür könnte auch sein Verhalten gegenüber den Zeuginnen I sprechen, welchen er „Respekt“ abverlangte. Mag ein solcher Macht- und Besitzanspruch auch beinhalten, dass generell die Frau dem Mann sexuell zur Verfügung zu stehen hat, so bedeutet dies doch nicht, dass die konkrete Berührung bereits sexuell bestimmt war.

Selbst wenn der Angeklagte die Vorstellung gehabt habe, die Geschädigte könne seine Sexualpartnerin (zukünftig) werden (was in tatsächlicher Hinsicht nicht hinreichend belegt ist, s.o.), so begründet dies für sich genommen noch nicht die sexuelle Bestimmung der hier relevanten Berührung. Nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Umstand, dass der Täter von sexuellen Absichten geleitet war, nur einer unter verschiedenen in Betracht kommenden zu berücksichtigenden Umständen. Allein diese Motivation für eine sexuelle Bestimmung der Berührung ausreichen zu lassen, würde bei einer Handlung wie der vorliegenden der oben dargestellten gesetzgeberischen Intention, bloße Ungehörigkeiten, Ärgernisse oder Distanzlosigkeiten nicht zu pönalisieren, zuwiderlaufen (vgl. insoweit auch: Hörnle NStZ 2017, 13, 20). Anders könnte es nach Auffassung des Senats etwa dann sein, wenn die Berührung des bekleideten Knies sich als Beginn eines beabsichtigten näheren körperlichen Kontaktes, der unmittelbar in sexuelle Handlungen münden sollte („Fummelei“), darstellen würde. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn der Angeklagte sodann weiter – etwa unterhalb eines Rocks – in die Nähe des Schambereichs der Zeugin hätte vordringen wollen. Ähnlich könnte es sich verhalten, wenn das Knie nur wenig bekleidet war (etwa nur durch eine dünne Strumpfhose) und insoweit ein nahezu direkter Körperkontakt hergestellt wurde, der auch im Hinblick auf seine Dauer eine gewisse Intimität aufwies. Nähere Feststellungen zur Art der Bekleidung enthält das angefochtene Urteil indes nicht.

Dass die Zeugin sich sexuell bedrängt fühlte, ist für die Frage, ob die Berührung sexuell bestimmt war, nicht entscheidend. Dass sich ein Opfer durch die Berührung belästigt fühlen muss, ist ein eigenständiges weiteres Tatbestandsmerkmal des § 184i Abs. 1 StGB – neben der sexuellen Bestimmung der Berührung.

Da weitere Feststellungen (Art der Bekleidung der Zeugin, nähere Umstände der Berührung des Knies bzw. der vorangegangenen Berührung beim Einsteigen in den Zug etc.) möglich sind, war das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen. Der neue Tatrichter wird auch zu erwägen haben, ob der der Angeklagte nicht schlicht auf Streit aus war. Dafür könnte neben seinem angetrunkenen und bereits lädierten Zustand sprechen, dass er auch gegenüber den Zeuginnen I und dem Zeugen L aggressiv wurde.“

BtM II: Drogenkonsum auf einem Spielplatz, oder: Ungehörig?

entnommen wikimedia.org
Urheber Krd

Als zweite Entscheidung aus dem BtM-/Drogenbereich der schon ältere OLG Hamm, Beschl. v. 30.06.2017 – 1 RBs 60/17. Der kundige Leser wird wegen des Aktenzeichens – „RBs“ ist eine Bußgeldsache – stutzen und sich fragen: OWi und BtM, geht das? Ja, das geht. Gegenstand des Beschlusses ist nämlich eine § 118 OWiG betreffende Frage – mal abgesehen von der verfahrensrechtlichen Problematik. In § 118 OWiG – ich habe auch erst nachschauen müssen – ist Vornahme einer grob ungehörigen Handlung, die geeignet ist, die Allgemeinheit zu belästigen und die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen, bußgeldbewehrt. Das AG hat dazu festgestellt, dass die Betroffene in der Nähe eines Kinderspielplatzes Drogen mittels einer Crack-Pfeife konsumiert habe und hat wegen eines fahrlässigen Verstoßes verurteilt. Dagegen der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, mit dem u.a. geltend gemacht worden ist, dass das AG keinen rechtlichen Hinweis erteilt habe, dass es auch wegen fahrlässiger Begehungsweise verurteilen könne/wolle. Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg:

„Entgegen der mit der Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft vertretenen Auffassung handelt es sich bei der Geltendmachung des unterlassenen Hinweis gemäß der §§ 46 OWiG, 265 Abs. 1 StPO nicht lediglich um eine allgemeine Rüge der Verletzung formellen Rechts, mit welcher die Betroffene im Zulassungsverfahren nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG nicht gehört werden könnte. Vielmehr stellt sich das Unterlassen eines gebotenen rechtlichen Hinweises immer gleichzeitig auch als eine Verletzung des Grundsatzes der Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG dar, der in der Vorschrift des § 265 StPO eine (zusätzliche) einfachgesetzliche Ausprägung gefunden hat, wobei allerdings Art. 103 Abs. 1 GG eine noch darüber hinausgehende – und für die Zulassung der Rechtsbeschwerde maßgebliche – Gewährleistung enthält (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 22. Mai 2007 – 1 Ss 346/06 –, juris).

Es ist auch davon auszugehen, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht. Die Verteidigung hat hierzu vorgetragen, die Betroffene hätte im Fall eines entsprechenden Hinweises – zutreffend – geltend gemacht, dass eine fahrlässige Begehungsweise im Hinblick auf die Vorschrift des § 118 OWiG nicht möglich ist (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 14. Januar 2010 – 2 SsBs 68/09 –, juris). Es ist zumindest nicht fernliegend, dass das Amtsgericht nach entsprechendem Hinweis der Verteidigung und Überprüfung der Rechtslage dieser zutreffenden Auffassung gefolgt wäre.

Dementsprechend war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Dortmund zurückzuverweisen.

Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:

Das Verschlechterungsverbot der §§ 46 OWiG, 358 Abs. 2 S. 1 StPO stünde einer Verurteilung wegen vorsätzlicher Vornahme einer grob ungehörigen Handlung, die nach Bewertung des Senats in einem öffentlichen Drogenkonsum durchaus gesehen werden kann, nicht entgegen.

Soweit das Amtsgericht allerdings bisher die Eignung des Drogenkonsums der Betroffenen an der nicht näher beschriebenen Örtlichkeit zur Belästigung und/oder Gefährdung der Allgemeinheit vornehmlich mit der „Nähe“ zu einem Spielplatz begründet hat, dürften einerseits nähere Ausführungen zur genauen Lage der Spielplatzes und zur Einsehbarkeit des Aufenthaltsortes der Betroffenen sowie andererseits im Hinblick auf die notwendige subjektive Seite auch bezüglich einer etwaigen Kenntnis der Betroffenen von der Lage des Spielplatzes erforderlich sein.“