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StPO II: Keine Beschuldigtenvernehmung im EV, oder: Eröffnung wird abgelehnt

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Und als zweite Entscheidung dann hier der OLG Celle, Beschl. v. 10.02.2023 – 2 Ws 336/22.

Das LG hatte die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, weil im Ermittlungsverfahren das rechtliche Gehör der Beschuldigten verletzt worden ist. Das OLG hat die Entscheidung bestätigt. Hier die Leitsätze des Beschlusses:

    1. Wird im Ermittlungsverfahren entgegen § 163a Abs. 1 StPO eine Beschuldigtenvernehmung nicht durchgeführt, ist das Gericht nicht verpflichtet, auf eine unter Verletzung des rechtlichen Gehörs erhobene Anklage hin das Hauptverfahren zu eröffnen.
    2. Dies gilt entsprechend bei einer Antragsschrift im Sicherungsverfahren.
    3. Werden anlässlich eines Explorationsgesprächs durch den psychiatrischen Sachverständigen die Vorwürfe mit dem Beschuldigten erörtert, stellt dies keine Vernehmung im Sinne des § 163a Abs. 1 StPO dar.

Versterben des Beschuldigten während der Revision im Sicherungsverfahren, oder: Auslagenentscheidung

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Am vergangenen Freitag habe ich über den BGH, Beschl. v. 21.07.2020 – 2 StR 319/19 – und den BGH, Beschl. v. 25.08.2020 – 6 StR 124/20 berichtet. Behandelt wird in den Beschlüssen die Thematik der Auslagenentscheidung beim Versterben des Angeklagten während des Revisionsverfahrens (vgl. Versterben des Angeklagten während des Revisionsverfahrens, oder: Auslagenentscheidung).

Auf die Problematik komme ich heute noch einmal zurück, wenn ich den BGH, Beschl. v. 08.09.2020 – 4 StR 167/20 – vorstelle. Allerdings mit einer kleiner Abwandlung. Entschieden hat der BGH in dem Beschluss nicht im Strafverfahren, sondern im Sicherungsverfahren, in dem die Unterbringung des Beschuldigten in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden war. Der Beschuldigte ist dann während des Verfahrens über seine Revision verstorben. Der BGH stellt nach § 206a StPO ein. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschuldigten werden aber der Staatskasse auferlegt:

„2. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschuldigten beruht auf § 467 Abs. 1 StPO. Die Vorschrift des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO, wonach das Gericht von der Auferlegung der notwendigen Auslagen des Angeschuldigten absehen kann, wenn er wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht, ist vorliegend weder unmittelbar noch analog anwendbar.

a) Einer unmittelbaren Anwendung dieser Vorschrift steht entgegen, dass der Beschuldigte unabhängig vom Bestehen des Verfahrenshindernisses nicht wegen einer Straftat verurteilt worden wäre. Eine Verurteilung wegen einer Straftat kam hier nicht in Betracht, da es sich um ein Sicherungsverfahren gemäß § 413 StPO handelt und sich der Beschuldigte bei Begehung der ihm zur Last gelegten Anlasstat im Zustand der Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB befand.

b) § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO kommt hier auch nicht entsprechend zur Anwendung. Zwar gelten gemäß § 414 Abs. 1 StPO die Vorschriften über das Strafverfahren sinngemäß, und damit auch die Kostenvorschriften. Die Ausnahmevorschrift des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO ist jedoch nach ihrem Sinn und Zweck vorliegend nicht anwendbar. Sinn und Zweck der Regelung besteht darin, dass es grob unbillig sein kann, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zu überbürden, wenn eine Verurteilung nur daran scheitert, dass nachträglich ein Verfahrenshindernis eingetreten ist (zum Beispiel im Falle der Verjährung, vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. September 1992 – 2 BvR 1941/89, NStZ 1993, 195). Grundlage der Bewertung einer Auslagenerstattung als grob unbillig oder ungerecht kann allerdings nur ein dem Beschuldigten vorwerfbares Verhalten sein. Daran fehlt es etwa bei einem Beschuldigten, der aufgrund einer andauernden psychiatrischen Erkrankung schuldunfähig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 5. April 2016 – 5 StR 525/15, NStZ-RR 2016, 263).

Aber auch im vorliegenden Fall eines nicht andauernden Zustands kann ein vorwerfbares Verhalten nicht festgestellt werden, so dass die Überbürdung der Auslagen auf die Staatskasse nicht grob unbillig erscheint. Der Beschuldigte war zur Tatzeit nicht ausschließbar schuldunfähig, da er eine versuchte schwere Brandstiftung unter einem akuten Alkoholrausch sowie einer Alkoholpsychose begangen haben soll. Aufgrund der Alkoholabhängigkeit des Angeklagten ist ihm auch der Alkoholrausch nicht vorzuwerfen. Es hat deshalb bei der Regelung des § 467 Abs. 1 StPO zu verbleiben, wonach im Falle der Einstellung die notwendigen Auslagen des Beschuldigten der Staatskasse zur Last fallen.“

Einziehung im Sicherungsverfahren?, oder: Das geht nicht

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Die 45. KW. beginnt. Ich eröffne sie mit zwei Entscheidungen zur Einziehung (§§ 73 ff. StGB).

Bei der ersten handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 22.08.2019 – 1 StR 352/19. Er hat eine Problematik zum Gegenstand, mit der man als Verteidiger wahrscheinlich nicht so häufig zu tun hat, aber: Es ist gut zu wissen, dass in einem Sicherungsverfahren (§ 413 StPO) die Anordnung einer Einziehung nicht in Betracht kommt. Im entschiedenen Fall hatte das LG Regensburg die die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen.

Die hat der BGH aufgehoben:

Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift Folgendes ausgeführt:

„Die umfassende Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat hinsichtlich der Unterbringung keinen den Beschuldigten belastenden Rechtsfehler aufgedeckt.

Die Einziehungsentscheidung kann dagegen keinen Bestand haben. Im Sicherungsverfahren nach § 413 StPO können nur Maßregeln der Besserung und Sicherung angeordnet werden. Einziehungsentscheidungen kommen bei schuldunfähigen Tätern dagegen allein im selbständigen Einziehungsverfahren in Betracht (§ 435 StPO), wenn die Voraussetzungen des § 76a Abs. 1 S. 1 StGB vorliegen. Der insoweit gemäß § 435 Abs. 1 StPO im Sinne einer Verfahrensvoraussetzung erforderliche gesonderte Antrag ist bislang nicht gestellt worden, er kann insbesondere nicht darin gesehen werden, dass der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft im Rahmen der Schlussanträge beantragt hat: ?Die Einziehung der sichergestellten Spraydose und des Messers anzuordnen? (SA Bl. 161; vgl. insoweit BGH Beschlüsse vom 11. Juli 2017 – 3 StR 121/17, BeckRS 2017, 120761 und vom 2. November 2017 – 3 StR 410/17, NStZ 2018, 235). Denn in dem Antrag, die Einziehung selbständig anzuordnen, sind nicht nur die betreffenden Gegenstände zu bezeichnen (§ 435 Abs. 2 Satz 1 StPO). Außerdem ist anzugeben, welche Tatsachen die Zulässigkeit der selbständigen Einziehung begründen; insoweit gelten die Vorschriften über den Inhalt der Anklageschrift nach § 200 StPO entsprechend (§ 435 Abs. 2 Sätze 2 und 3 StPO). Diesen Anforderungen genügt der Antrag des Sitzungsvertreters nicht.“

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Welche Gebühren gibt es denn im Sicherungsverfahren?

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Am vergangenen Freitag ging es bei Ich habe da mal eine Frage: Welche Gebühren gibt es denn im Sicherungsverfahren? um die Gebühren eines Sicherungsverfahrens nach den § 413 ff. StPO. Die Frage hatte mich etwas irritiert. Darum habe ich dann beim Fragesteller noch einmal rückgefragt nach dem Verfahrensstand und dazu folgende Antwort erhalten:

„Zur Rückfrage des Verfahrensstandes:

  1. Strafanzeige wegen schwerer Brandstiftung etc.
  2. Kreisverwaltung ordnet Unterbringung nach § 14 PsychKG an
  3. Antrag der StA hinsichtlich eines einstweiligen Unterbringungshaftbefehls gem. § 126 a StPO
  4. Termin: RA XYZ wird zum Pflichtverteidiger bestellt / Unterbringungshaftbefehl ergeht
  5. StA stellt Antrag im Sicherungsverfahren
  6. Eröffnungsbeschluss
  7. Urteil: Antrag der StA hinsichtlich Unterbringung abgelehnt, Entschädigung für erlittene vorläufige Unterbringung, Kosten + not. Auslagen = Landeskasse
  8. Abrechnung des beigeordneten Anwalts VV4101, 4100, VV 4105, 4104,VV 4113, 4114 [muss wohl 4113, 4112 heißen], Terminsgebühren, Abrechnung Besprechungstermine (Reisekosten)“

Danach war für mich dann „alles klar“ und ich konnte antworten:

„…..Ich war durch Ihren Hinweis auf Strafvollstreckung irritiert. Aber: Abgerechnet wird hier nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG. Denn es handelt sich um eine „Strafsache“ bzw. um ein besonderes Erkenntnisverfahren, das nach den Regeln der StPO läuft. Steht auch so im Kommentar bei Vorbem. 4 Rn. 7 VV und auch im GS….“

Für das Sicherungsverfahren gelten die normalen Regeln: Bis zum Urteil Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG, danach dann Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG.

Bei der Erstellung des Beitrags ist mir dann jetzt aufgefallen, dass der abrechnenden Kollege ggf. noch die Gebühr Nr. 4102, 4103 VV RVG „vergessen“ hat. Kommt ein wenig darauf an, was genau in dem „Termin: RA XYZ wird zum Pflichtverteidiger bestellt/Unterbringungshaftbefehl ergeht“ genau passiert.

Übrigens: Wer hat gefragt. Nun, der ein oder andere wird es nicht glauben (wollen). Es war ein Bezirksrevisor 🙂 . Das hat mich natürlich besonders gefreut.