Schlagwort-Archive: sexuelle Handlung

Nackter Autofahrer

© AllebaziB - Fotolia.com

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In der Tagespresse ist eine Kurzmeldung über eine nächtliche Verkehrskontrolle der Polizei auf der A 27 im Bereich Cuxhaven überschrieben mit „Nackte Tatsachen bei Pkw-Kontrolle“ (vgl. auch hier in den „Braunschweiger Nachrichten„). Nach der Meldung hatte die Polizei rund 350 Pkw auf Alkohol- und Drogenverstöße kontrolliert. Dabei war sie dann in einem Pkw auf „nackte Tatsachen“ gestoßen und erstaunt, dass der Kraftfahrzeugführer nackt am Steuer saß. Die Nacktfahrt würde ihn stimulieren, begründete der Mann nach Angaben der Polizei vom Montag sein Verhalten.

Und nun? Strafbar sei es nicht, unbekleidet am Steuer zu sitzen, sagte – so die Zeitungs-Meldung – eine Sprecherin der Polizei. Na ja, ohne näheren Sachverhalt wird man die Frage, ob nicht ggf. doch ein Verstoß gegen § 183a StGB vorliegt, nicht beantworten können. Denn: Handelt es sich allein bei dem „nackten Sitzen im Pkw“ um eine sexuelle Handlung i.S. des § 184g StGB? Eins kann man aber auf jeden Fall sagen: Vermutlich wird es kalt gewesen sein 🙂

Überraschende sexuelle Handlung – keine Gewalt-Nötigung

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Das LG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„Während eines gemeinsamen Urlaubsaufenthalts im Juli 2007 legte sich der damals 18-jährige Angeklagte zu dem 16-jährigen H. ins Bett und berührte ihn im Intimbereich. In der Folge drückte der Angeklagte den vor Überraschung zunächst wie gelähmt wirkenden H. an den Schultern in Richtung seines Genitalbereichs, so dass sich dessen Kopf auf das Glied des Angeklagten zubewegte. Zu einem weiteren körperlichen Kontakt kam es nicht, weil H. aus dem Bett sprang und flüchtete (Fall II.2 der Urteilsgründe).“

Der BGH hat im BGH, Beschl. v. 04.06.2013 – 2 StR 3/13 darin noch keine sexuelle Nötigungshandlung § 177 StGB) gesehen:

„a) Im Fall II.2 der Urteilsgründe war der geschädigte H. von der Situation völlig überrascht und wirkte deshalb wie gelähmt. Das bloße Drücken an der Schulter des Geschädigten ist für sich genommen nicht ohne weiteres als Mittel zur Überwindung eines Widerstands des überraschten Opfers zu werten, der in der konkreten Situation einen Abwehrwillen offenkundig noch nicht gebildet hatte. Die bloße – möglicherweise überraschende – Vornahme einer sexuellen Handlung gegen den Willen eines anderen ist keine „Gewalt-Nötigung“ zur Duldung dieser Handlung (BGHSt 31, 76; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 177 Rn. 14). Zudem spricht gegen die gewaltsame Überwindung von geleistetem oder erwartetem Widerstand des Jugendlichen vor allem, dass dieser – ohne dass der Angeklagte ihn daran zu hindern versuchte – aus dem Bett sprang und das Zimmer verlassen konnte. Auch mit diesem Umstand hätte sich die Kammer auseinandersetzen müssen.“

(Bloße) Wahrnehmung einer sexuellen Handlung durch ein Kind – ist das sexueller Missbrauch?

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In der Rechtsprechung des BGH zum sexuellen Missbrauch von Kindern scheint sich ein Streit zwischen den Senaten zu entwickeln. Ausgangspunkt ist u.a. das BGH, Urt. v. 12. 05. 2012 – 4 StR 699/10 – NStZ 2011, 633. In diesem hatte der 4. Strafsenat ausgeführt, dass es zur Erfüllung des Tatbestandes des sexuellen Missbrauchs von Kindern in der Form der Vornahme sexueller Handlungen vor einem Kind (§ 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB) nicht ausreicht, dass das Kind die sexuelle Handlung (nur) wahrnimmt und der Täter dies erkennt. Erforderlich soll vielmehr sein, dass der Täter das Kind in der Weise in das sexuelle Geschehen einbezieht, dass für ihn gerade die Wahrnehmung der sexuellen Handlung durch das Kind von Bedeutung ist (vgl. auch noch BGH, Urt. v.14. 12.2004 – 4 StR 255/04).

Bedenken gegen dies Rechtsprechung hat jetzt der 3. Strafsenat des BGH im BGH, Beschl. v. 13. 11. 2012 – 3 StR 370/12 – angemeldet, und zwar bei folgendem Sachverhalt:

Der Angeklagte vergewaltigte nachts in der Wohnung seine Lebensgefährtin. Dies wurde von ihrem gemeinsamen fünfjährigen Sohn Christophe beobachtet. Er hatte in dem als Wohn- und Schlafzimmer genutzten Raum geschlafen, war aufgewacht und rief nun: „Papa macht Mama Aua“. Der Angeklagte nahm darauf keine Rücksicht und setzte die erzwungene sexuelle Handlung noch für ungefähr zehn Minuten fort

Dazu der 3. Strafsenat in seiner Entscheidung:

Diese Einschränkung des Tatbestands durch eine einengende Auslegung des Merkmals „wahrnehmen“ in § 184g Nr. 2 StGB in subjektiver Hinsicht mag in bestimmten Situationen (z.B. sexuellen Handlungen von Eltern in Anwesenheit des Kindes bei beengten Wohnverhältnissen) geboten sein, um einer Ausdehnung der Strafbarkeit entgegenzuwirken, die dadurch entstanden ist, dass der Gesetzgeber bei der Neufassung der Vorschrift durch das 6. Strafrechtsreformgesetz auf das Erfordernis der Tatmotivation einer sexuellen Erregung verzichtet hat (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 2004 – 4 StR 255/04, BGHSt 49, 376, 380). Der Senat hat allerdings Zweifel, ob dem auch für eine Konstellation zu folgen wäre, in der das Kind Zeuge einer Vergewaltigung der Mutter wird (anders indes BGH aaO).

Der Senat musste die Frage allerdings nicht entscheiden, da der Generalbundesanwalt einer Beschränkung der Strafverfolgung auf den Vorwurf der Vergewaltigung gemäß § 154a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO zugestimmt hatte. So geht es dann manchmal im Revisionsrecht.

 

Berührung des Geschlechtsteils über der Kleidung – Erheblichkeitsschwelle erreicht?

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Das Landgericht hatte in einem Verfahren wegen des Vorwurfs der sexuellen Nötigung u.a. – Tatbegehung in einer JVA – angenommen, dass kurze oder flüchtige Berührungen an einem Geschlechtsorgan für das Erreichen der sog. „Erheblichkeitsschwelle“ einer sexuellen Handlung grundsätzlich nicht ausreichend sind, wenn diese Berührungen über der Kleidung erfolgen. Das sieht das BGH, Urt. v. 20.03.2012 – 1 StR 447/11 – in einer Segelanweisung anders:

Zwar sind nach § 184g Nr. 1 StGB sexuelle Handlungen nur solche, die im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind. Auch kurze Berührungen über der Kleidung können aber diese Erheblichkeitsschwel-le überschreiten.
Die Beurteilung einer Handlung als erheblich im Sinne des § 184g Nr. 1 StGB hängt in erster Linie von Art, Intensität und Dauer ihres sexualbezogenen Teils ab. Von wesentlicher Bedeutung sind aber auch der Handlungsrahmen, in dem der unmittelbar sexualbezogene Akt begangen wird, und die Beziehung der Beteiligten untereinander. Denn auch sie können dem sexuellen Zugriff im engeren Sinne mehr oder weniger Gewicht verschaffen. Ob die Erheblichkeitsschwelle überschritten wurde, bestimmt sich somit nach dem Grad der Gefährlichkeit der Handlung für das jeweils betroffene Rechtsgut; lediglich unter die-sem Gesichtspunkt belanglose Handlungen scheiden aus (BGH, Urteil vom 3. April 1991 – 2 StR 582/90, BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 4 mwN; BGH, Urteil vom 6. Mai 1992 – 2 StR 490/91, NStZ 1992, 432; BGH, Beschluss vom 8. September 1999 – 3 StR 357/99, StV 2000, 197).

Ausgehend von diesen Maßstäben ist zwar bei Berührungen des Täters am Opfer die Erheblichkeitsschwelle des § 184g Nr. 1 StGB nicht ohne weiteres erreicht, wenn es sich um kurze Griffe über der Kleidung an Brust oder Gesäß handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 1983 – 3 StR 255/83, NStZ 1983, 553). Auch ist eine sexuell getönte Handlung gegenüber einem Kind eher erheblich als gegenüber einem Erwachsenen (BGH, Urteil vom 14. August 2007 – 1 StR 201/07, NStZ 2007, 700). In allen Fällen – auch solchen, in denen nicht eine am Opfer vorgenommene Handlung, sondern eine vom Opfer am Täter oder einem Dritten vorgenommene Handlung inmitten steht – kann aber nicht allein auf die Dauer und Stärke der sexualbezogenen Handlung abgestellt werden. Vielmehr bedarf es einer Gesamtbewertung der Umstände unter Berücksichtigung des Handlungsrahmens und der sonstigen Begleitumstände, in dem der unmittelbar sexualbezogene Akt begangen wird (vgl. dazu BGH, Urteil vom 3. April 1991 – 2 StR 582/90, BGHR StGB § 184c Nr. 1 StGB Erheblichkeit 4 mwN).

Dieser Handlungsrahmen ist hier nicht zuletzt durch eine über die voran-gehende Gewaltanwendung und das dadurch geschaffene „Nötigungsszenario“ sogar hinausgehende Ausweglosigkeit für das Opfer geprägt. Jedenfalls bei einer derart erzwungenen Vornahme einer sexualbezogenen Handlung an ei-nem anderen entfällt die Erheblichkeit der Handlung im Sinne von § 184g Nr. 1 StGB nicht schon deswegen, weil die Berührung nicht kräftig und nachhaltig war (vgl. auch BGH, Beschluss vom 30. Januar 2001 – 4 StR 569/00, BGH NStZ 2001, 370; Laufhütte/Roggenbuck in LK-StGB, 12. Aufl., § 184g Rn. 10 und Fn. 15 mwN).“

Ihr Kinderlein kommet, oder wann ist das „Stillen“ eines 6-jährigen sexueller Missbrauch?

Das OLG Oldenburg hat sich jetzt in einem brandaktuellen Beschluss vom 22.12.2009 – 1 Ss 210/09 – mit dem Begriff der sexuellen Handlung auseinandersetzen müssen. Die vietnamesische Angeklagte hatte es zugelassen habe, dass ihr zur Tatzeit 6jähriger Sohn mehrmals ihre unbekleidete Brust ergriff und an der Brust saugte bzw. leckte, ohne dass dies einem Stillvorgang gedient habe. Das LG hatte festgestellt, dass die Angeklagte bewusst in Kauf genommen habe, dass der Sohn ihre Bekleidung hochschob, um an die nackte Brust zu gelangen. Die Angeklagte habe ihn in seiner von ihm ausgehenden Initiative bestärkt, indem sie während des Vorgangs von je etwa 30 Sekunden Dauer ihre Hand zärtlich um den Kopf oder den Rücken des Kindes legte, ohne ihn zurückzuweisen. Bei der rechtlichen Würdigung hatte das Landgericht u. a. ausgeführt, das Verhalten der Angeklagten stelle nach seinem äußeren Erscheinungsbild eine eindeutig sexualbezogene Handlung von einiger Erheblichkeit dar. Die Duldung der Intimitäten im Brustbereich könne im Laufe der Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit der Kinder zu einer ungezügelten Sexualisierung des kindlichen Verhaltens führen.

Das OLG hat das Vorliegen einer sexuellen Handlung verneint. Eine solche liege objektiv vor, wenn die Handlung das Geschlechtliche im Menschen zum unmittelbaren Gegenstand hat und für das allgemeine Verständnis nach ihrem äußeren Erscheinungsbild eine Sexualbezogenheit erkennen lässt, Dies treffe zwar für das Betasten einer unbekleideten weiblichen Brust grundsätzlich zu, gelt jedoch nicht für diese festgestellten Vorgänge. Denn diese weisen in ihrem Erscheinungsbild keinen sexuellen Bezug auf. Die Erwägung des LG, dass die Duldung der ´Intimitäten im Brustbereich im Laufe der Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit der Kinder zu einer ungezügelten Sexualisierung des kindlichen Verhaltens führen´ könne, erschien dem OLG abwegig. Der Sohn habe äußerlich erkennbar aufgrund eines spielerischen Impulses gehandelt oder weil er Geborgenheit suchte, ohne dass Sexualität dabei irgendeine Rolle gespielt hätte. Das Verhalten der Angeklagten war nach seinem objektiven Erscheinungsbild in keiner Weise sexualbezogen.