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Selbstleseverfahren, oder: Kann man 12.000 Seiten „selbst“ lesen?

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Die zweite verfahrensrechtliche Entscheidung des heutigen Tages betrifft das sog. Selbstleseverfahren (§ 249 Abs. 2 StPO). Im BGH, Beschl. v. 09.11.2017 – 1 StR 554/16 – geht es (noch einmal) umdie Anforderungen an die Verfahrensrüge (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) in diesen Fällen und um die Durchführung des Selbstleseverfahrens. Verfahrensgeschehen und Angriffsrichtung der Rüge ergeben sich aus dem „Zusatz“ des BGH zur „OU-Verwerfung“:

Ergänzend bemerkt der Senat zu einer Rüge des Angeklagten W. , mit der dieser die Art und Weise der Durchführung des Selbstleseverfahrens beanstandet:

„Mit der auf die Verletzung von § 249 Abs. 2 StPO gerichteten Verfahrensrüge macht dieser Angeklagte geltend, den an der Entscheidungsfindung beteiligten Schöffinnen sei wegen der Anzahl der vom Selbstleseverfahren erfassten Urkunden und dem für die Lektüre zur Verfügung stehenden Zeitraum ein „letztlich unmögliches Selbststudium“ auferlegt worden. Der Beanstandung liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Am 20. Januar 2016, dem ersten Hauptverhandlungstag, verfügte die Vorsitzende die Durchführung des Selbstleseverfahrens hinsichtlich einer Vielzahl von der Revision durch Einrücken der Selbstleseliste näher bezeichneter Urkunden. Erklärungen zu dieser Verfügung wurden nicht abgegeben. Am zweiten Hauptverhandlungstag, dem 29. Januar 2016, erging eine weitere Selbstleseverfügung der Vorsitzenden. Die davon betroffenen Urkunden hat die Revision ebenfalls durch Einrücken der diesbezüglichen Selbstleseliste bezeichnet.

Im Anschluss an die zweite Selbstleseverfügung widersprach dieser der Verteidiger des Angeklagten und beantragte gemäß § 238 Abs. 2 StPO eine gerichtliche Entscheidung. Dem lag das Vorbringen zugrunde, „nach dem derzeitigen Stand“ müssten etwa 12.000 Blatt selbst gelesen werden. Unter Berücksichtigung des insbesondere für die Schöffinnen für das Lesen zur Verfügung stehenden Zeitraums sei ein solches Selbstleseverfahren letztlich unmöglich. Am 26. Februar 2016, dem vierten Hauptverhandlungstag, beschloss die Strafkammer den Umfang der ersten Selbstleseverfügung vom 20. Januar 2016 um näher bezeichnete Teile zu reduzieren. Im Übrigen wurden mit ausführlicher Begründung die Selbstleseverfügungen der Vorsitzenden bestätigt. Am 6. April 2016, dem zehnten Hauptverhandlungstag, wurde festgestellt, dass „das Gericht und die Schöffen“ vom Wortlaut der von den Selbstleseverfügungen – bezüglich derjenigen vom 20. Januar 2016 im nachträglich durch den genannten Gerichtsbeschluss reduzierten Umfang – erfassten Urkunden und Schriftstücken Kenntnis genommen haben.

2. Die Rüge dringt im Ergebnis nicht durch.

a) Der Senat versteht ihre Angriffsrichtung dahin, dass im Hinblick auf die Anzahl vom Selbstleseverfahren erfasster Urkunden und Schriftstücke jedenfalls für die beteiligten Laienrichterinnen kein ausreichender Zeitraum zur Verfügung stand, um vom Inhalt Kenntnis zu nehmen. Damit wird die Art und Weise der Durchführung des Selbstleseverfahrens beanstandet (vgl. LR/Mosbacher, 26. Aufl., StPO, § 249 Rn. 105; SK-StPO/Frister, 5. Aufl., § 249 Rn. 117b). Die für die Zulässigkeit einer darauf gerichteten Rüge erforderliche gerichtliche Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO (BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 – 1 StR 422/10, NStZ 2011, 300, 301) ist herbeigeführt worden.

Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob eine derartige Rüge überhaupt zulässig erhoben werden kann, weil sie notwendig die Behauptung impliziert, dass die protokollierte Feststellung, Richter und Schöffen haben vom Inhalt der betroffenen Urkunden Kenntnis genommen, inhaltlich unrichtig ist (vgl. zu diesem Aspekt BGH, Beschluss vom 23. Mai 2012 – 1 StR 208/12, NStZ 2012, 584, 585). Zwar wird durch den entsprechenden Passus in der Niederschrift lediglich die Protokollierung der Feststellung als solche, nicht aber bewiesen, dass tatsächlich gelesen worden ist (BGH, Beschluss vom 14. September 2010 – 3 StR 131/10, NStZ-RR 2011, 20 f.; SK-StPO/Frister aaO § 249 Rn. 117b mwN). Ungeachtet dessen geht mit dem Vorwurf eines verfahrensfehlerhaft unangemessen kurzen Zeitraums für das Selbstleseverfahren (dazu näher LR/Mosbacher aaO § 249 Rn. 79 f.) die Behauptung einher, wegen der nicht ausreichenden Zeit sei auch tatsächlich nicht alles gelesen worden, was Gegenstand des Selbstleseverfahrens war. Deshalb bedarf es bei einer den unzureichenden Zeitraum des Selbstleseverfahrens beanstandenden Rüge Vortrags zu den konkreten tatsächlichen Umständen, aus denen sich das Unterbleiben der Selbstlesung oder die nicht ausreichende Zeit dafür ergeben kann (LR/Mosbacher aaO § 249 Rn. 111; SK-StPO/Frister aaO § 249 Rn. 117b und Rn. 118 jeweils mwN; vgl. auch BGH, Beschluss vom 14. September 2010 – 3 StR 131/10, NStZ-RR 2011, 20, 21). Ob die Revision vor diesem Hintergrund den aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO resultierenden Anforderungen genügt, kann dahinstehen. Die pauschalen Angaben über den regelmäßigen Umfang des Inhalts von Leitzordnern und der sich daraus ergebenden Blattzahl reichen dafür jedenfalls nicht. Immerhin ermöglicht das Einrücken der Selbstleselisten, die Angaben zu den Blattzahlen der erfassten Schriftstücke enthalten, dem Senat, die Gesamtblattzahl grob selbst zu berechnen.

b) Die Beanstandung erzielt jedenfalls in der Sache keinen Erfolg. Der für das Selbstlesen den Schöffinnen zur Verfügung stehende Zeitraum selbst zwischen der zweiten Selbstleseverfügung am 29. Januar 2016 und dem Abschluss des Verfahrens am 6. April 2016 bei sieben dazwischen liegenden Verhandlungstagen eröffnet erst recht unter Berücksichtigung der Reduktion des Umfangs des ersten Selbstleseverfahrens am 26. Februar 2016 einen ausreichend langen Zeitraum, um die betroffenen Schriftstücke und Urkunden zu lesen. Ausweislich der von der Revision vorgelegten Selbstleselisten handelt es sich bei zahlreichen der Schriftstücke um listenmäßige Aufstellungen, auf die sich die von der Revision geltend gemachten durchschnittlichen Zeiten für das Erfassen einer Seite nicht ohne Weiteres übertragen lassen. In der Person der beiden Schöffinnen liegende konkrete tatsächliche Umstände, die dem Lesen der beiden Selbstlesekonvolute in dem genannten Gesamtzeitraum entgegengestanden haben könnten, teilt die Revision nicht mit.

Daher fehlt es an Anknüpfungstatsachen, die die Angemessenheit der Dauer des Selbstleseverfahrens in Frage stellen. Angesichts dessen war der Senat nicht veranlasst, freibeweislich zu klären, ob die protokollierte Feststel-lung über das erfolgte Lesen durch die Schöffinnen materiell zu Unrecht erfolgt ist.

Das misslungene/fehlgeschlagene Selbstleseverfahren – und was man daraus lernen kann

© Avanti/Ralf Poller

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Das LG Berlin verurteilt den Angeklagten egen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern u.a. zu einer Freiheitsstrafe. Im Verfahren sind die Beweise zu einem wesentlichen Teil durch im Selbstleseverfahren eingeführte Urkunden (§ 249 Abs. 2 StPO) erhoben worden. Der Angeklagte hat insoweit die Inbegriffsrüge erhoben. Die greift durch. Der BGH, Beschl. v. 04.09.2013 – 5 StR 306/13 beanstandet, dass das Hauptverhandlungsprotokoll keinen Eintrag über den Abschluss des Selbstleseverfahrens nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO enthält und das das Selbstleseverfahren insoweit fehlgeschlagen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2010 – 5 StR 169/09, BGHSt 55, 31, 32, und vom 20. Juli 2010 – 3 StR 76/10, NStZ 2010, 712, 713).

Das macht den Beschluss m.E. aber nicht berichtenswert, sondern mehr die Ausführungen des BGH zum Beruhen des Urteils. Die kann man auch in anderen Verfahren, wenn es um Vorhalte pp. geht, heranziehen. Denn:

2. Anders als der Generalbundesanwalt vermag der Senat ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler (§ 337 Abs. 1 StPO) nicht auszuschließen.

a) Das Landgericht stützt seine Überzeugung von der Schuld des alle Vorwürfe bestreitenden Angeklagten sowohl hinsichtlich der einzelnen Taten als auch in der Gesamtwürdigung ausdrücklich auf eine Reihe von Urkunden, die im betreffenden Anlagenkonvolut enthalten waren. Das gilt unter anderem für den polizeilichen Ermittlungsbericht vom 21. August 2012 (UA S. 77, 78, 86, 94, 95, 96, 100, 106, 107, 109), den im Rahmen der Beweiswürdigung eine zentrale Rolle einnehmenden „Schleusungsvertrag“ der durch den Angeklagten betriebenen „Tourismus- und Ticketverkaufsagentur A. “ mit einer zu schleusenden Person, aus dem sich nach Auffassung der Strafkammer die Rahmenbedingungen auch für die anderen durch den Angeklagten durchgeführten Schleusungen ergeben (UA S. 19 f., 78 ff.), sowie eine Fülle von insgesamt 2.128 ausgewerteten E-Mails nebst Anhängen, die auf dem Account des Angeklagten gespeichert waren (UA S. 76) und wesentlich zu der Überzeugung des Landgerichts geführt haben, der Angeklagte habe sich ein „weit verzweigtes System von Einladern und Unterzeichnern von Verpflichtungserklärungen“ geschaffen und zunutze gemacht (UA S. 110 ff.).

b) Die insoweit verwerteten Umstände können auch nicht durch Vorhalte an den polizeilichen Ermittlungsführer oder auf andere Weise zum Gegenstand der Hauptverhandlung geworden sein. Angesichts des eine Vielzahl von Daten, Namen sowie anderen Details enthaltenden E-Mail-Verkehrs versteht sich das für diesen ebenso von selbst wie für Einzelangaben aus dem umfangreichen Ermittlungsbericht (vgl. auch BGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 – 5 StR 169/09, aaO, S. 36 mwN). Darüber hinaus hat das Landgericht sowohl den Inhalt der E-Mails nebst Anlagen (UA S. 76) als auch des Ermittlungsberichts (z.B. UA S. 77) herangezogen, um die Angaben des Ermittlungsführers auf ihre Zuverlässigkeit hin zu überprüfen. Zum „A. -Vertrag“, dessen wesentlicher Inhalt in den Urteilsgründen wiedergegeben ist, wobei aus der Übersendungsmail wörtlich zitiert wird, bezieht sich das Landgericht ausdrücklich nur auf die Einführung „im Wege des Selbstleseverfahrens“ (UA S. 78).“

Schiebetermin – ja oder nein? Nein, wenn Selbstleseverfahren angeordnet

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In der Praxis haben Verfahrensrüge häufig damit Erfolg, dass ein nach einer Hauptverhandlungsunterbrechung durchgeführter Hauptverhandlungstermin keine fristwahrende Sachverhandlung im Sinne des § 229 Abs. 1, 2 und 4 Satz 1 StPO darstellte, sondern es sich nur um einen sog. „Schiebetermin“ gehandelt hat, so dass die Fristen nicht unterbrochen worden sind und an sich mit der Hauptverhandlung neu hätte begonnen worden müssen.

Streitig ist in der Rechtsprechung des BGH nun, ob vom Vorsitzenden nach § 249 Abs. 2 StPO getroffenen Feststellungen zum Selbstleseverfahren fristwahrende Sachverhandlung darstellen oder nicht. Das hat der 3. Strafsenats des BGH im BGH, Beschl. v. 16. 10. 2007 – 3 StR 254/07 – verneint. Der 5. Strafsenat des BGH hat das im gestern auf der Homepage des BGH eingestellten BGH, Beschl. v. 28.11. 2012 – 5 StR 412/12 – (vorgesehen für BGHST) hingegen bejaht:

„b) Entgegen der Entscheidung des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 16. Oktober 2007 – 3 StR 254/07, BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 8) stellen allein die Feststellungen des Vorsitzenden nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO schon eine inhaltliche Sachverhandlung dar. Die Feststellung, dass außerhalb der Hauptverhandlung eine Beweiserhebung durch Selbstlesung einer Urkunde stattgefunden hat, erschöpft sich nicht in deren Protokollierung (vgl. hierzu Winkler, jurisPR-StrafR 6/2008 Anm. 1), sondern betrifft den Fortgang der zur Urteilsfindung führenden Sachaufklärung. Die Berufsrichter und die Schöffen geben auf Nachfrage des Vorsitzenden regelmäßig – wie auch hier – die festzustellende Erklärung ab, dass sie vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben; gleiches gilt für die Erklärung der übrigen Verfahrensbeteiligten, dass sie hierzu Gelegenheit hatten. Erst mit dem Akt der Feststellung durch den Vorsitzenden ist nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO dieser Teil einer Beweisaufnahme durch das Selbstleseverfahren abgeschlossen. Die Urkunde kann dann zum Gegen-stand von Erklärungen (§ 257 StPO) gemacht werden. Dem Tatgericht ist es ohne die abschließende Feststellung verwehrt, die Urkunde zur Urteilsfindung heranzuziehen (§ 261 StPO, vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 – 5 StR 169/09, BGHSt 55, 31, 32).“

Und? Da war doch noch was? Ja, die Frage: Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen nach § 132 GVG GVG. Die „Klippe“ – wer legt schon gerne vor? – umschifft der 5. Strafsenat „elegant“ und wie in der Praxis häufig damit, dass der von ihm entschiedene prozessuale Sachverhalt eine Besonderheit aufweise. Na ja, kann man so sehen. Jedenfalls liegen jetzt zu der Frage zwei Entscheidungen vor, was zur Folge hat, dass die Frage, wenn sie demnächst noch einmal zur Entscheidung anstehen sollte, der Große Senat wird mitreden müssen.

 

Kann ein Glasermeister 674 Seiten innerhalb von vier Tagen (selbst) lesen?

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Und dann den eben bereits vorgestellten BGH, Beschl. v. 23.-05.2012 – 1 StR 208/12 noch einmal. In dem Beschluss spielt noch einmal Zeit eine Rolle, und zwar in Zusammenhang mit dem vom LG durchgeführten Selbstleseverfahren (§ 249 Abs. 2 StPO). Da hatte die Revision geltend gemacht, „das angeordnete Selbstleseverfahren sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Innerhalb von vier Tagen, darunter ein Wochenende, hätte das Gericht insgesamt 674 Seiten (vielfach mit wenigen Zeilen beschriebene Rechnungen) nicht ordnungsgemäß zur Kenntnis nehmen können„.

Auch das greift beim 1. Strafsenat nicht. Er macht in dem Zusammenhang Ausführungen zu § 238 Abs. 2 StPO und zum Widerspruch bei der Verständigung.

Eine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO (vgl. allgemein zu Notwendigkeit der Herbeiführung eines Gerichtsbeschlusses als Zulässigkeitsvoraussetzung einer ein Selbstleseverfahren betreffenden Verfahrensrüge BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 – 1 StR 422/10, NStZ 2011, 300, 301) ist nicht herbeigeführt worden.

Die Revision ist der Auffassung, § 238 Abs. 2 StPO sei hier deshalb unanwendbar, weil es nur um die Frage gehe, ob die Mitglieder der Strafkammer, insbesondere die Schöffen, die Urkunden in der gebotenen Intensität zur Kenntnis genommen hätten. Darüber hinaus sei die sog. Widerspruchslösung hier schon im Ansatz unanwendbar, da dem Verfahren eine Verständigung zu Grunde liege.

Beides ist unzutreffend.
a) Ist, wie hier, eine ordnungsgemäße Durchführung des Selbstleseverfahrens durch das Hauptverhandlungsprotokoll belegt, kann erfolgreiches Revisionsvorbringen nicht auf Überlegungen zu einer – jedenfalls objektiv – fehlen-den „Wahrhaftigkeit“ der zu Grunde liegenden richterlichen Erklärungen gestützt werden (zum umgekehrten Fall, dass das Hauptverhandlungsprotokoll die gebotene Kenntnisnahme durch die Richter nicht belegt vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2011 – 1 StR 33/11, StV 2011, 462, 463).

b) Es ist auch nicht ersichtlich, warum eine vorangegangene Verständigung eine sonst für eine Verfahrensrüge notwendige Voraussetzung entfallen lassen könnte. Auch die Revision nennt keine Gründe, die nach ihrer Auffassung die von ihr aufgestellte gegenteilige Behauptung stützen könnten.
Im Übrigen entbehrte die Behauptung, es sei „nicht plausibel, dass u.a. ein Glasermeister, der an Werktagen in aller Regel arbeitet, von dem ihm zum Selbstlesen zugewiesenen Urkunden und Schriftstücken“ ordnungsgemäß im Selbstleseverfahren Kenntnis genommen hätte, jeglicher Grundlage.

Das „im Ansatz prozessordnungsgemäße Selbstleseverfahren“

Der gestern auf der Homepage des BGH veröffentlichte BGH, Beschl. v. 10.01.2012 – 1 StR 587/11 – befasst sich mit dem Selbstleseverfahren (§ 249 Abs. 2 StPO). Im Verfahren war das Selbstleseverfahren angeordnet und wegen früheren Geschehens sogleich als durchgeführt erklärt worden. Das hatte die Revision beanstandet.

Dazu der BGH:

Ein Selbstleseverfahren ist – auch – in der geschilderten Weise möglich. Ziel eines Selbstleseverfahrens ist es, den Inhalt von Urkunden auch ohne ihre Verlesung zum Gegenstand der Hauptverhandlung zu machen. Hierfür ist bedeutungslos, ob die Erklärung der Richter, vom Wortlaut der Urkunden Kenntnis genommen zu haben, darauf beruht, dass sie die Urkunden vor oder nach der Anordnung des Selbstleseverfahrens gelesen haben. Es genügt daher, wenn die Urkunden schon zuvor, etwa bei der Prüfung der Eröffnungsentscheidung, gelesen wurden. Soweit Richter die Urkunden nicht ohnehin unabhängig vom Selbstleseverfahren gelesen haben, wie z.B. möglicherweise ein zweiter Beisitzer oder ein Ergänzungsrichter und regelmäßig Schöffen, genügt es dem-entsprechend, wenn dies, etwa im Vorgriff auf ein beabsichtigtes Selbstleseverfahren schon vor dessen Anordnung, parallel zur Hauptverhandlung oder auch schon vor der Hauptverhandlung geschieht (vgl. Ganter in Graf, StPO § 249 Rn. 24; Diemer in KK 6. Aufl., § 249 Rn. 36).
Die übrigen Verfahrensbeteiligten müssen sich nicht darauf verweisen lassen, dass sie schon zuvor Gelegenheit zum Lesen der Urkunden gehabt hätten (Mosbacher in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 249 Rn. 79). Da sie aber auf die Kenntnisnahme vom Inhalt der Urkunden sogar ganz verzichten können (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 – 1 StR 422/10, NStZ 2011, 300 mwN), genügt – auch von der Revision nicht in Frage gestellt – die in der Hauptverhandlung unwidersprochen gebliebene Feststellung des Vorsitzenden, die übrigen Verfahrensbeteiligten hätten bereits ausreichende Gelegenheit zur Kenntnisnahme gehabt.

4. Nach alledem liegt im Ansatz ein prozessordnungsgemäßes Selbstleseverfahren vor.

Urkunden und sonstige Schriftstücke sind aber nur dann im Blick auf ein Selbstleseverfahren ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt, wenn nach dessen Durchführung (als wesentliche Verfahrensförmlichkeit, §§ 273, 274 StPO) zu Protokoll festgestellt ist, dass die Mitglieder des Gerichts vom Wortlaut der Urkunden und/oder sonstigen Schriftstücke Kenntnis genommen haben und die übrigen Verfahrensbeteiligten hierzu Gelegenheit hatten (§ 249 Abs. 2 Sätze 1 und 3 StPO). Die hier allein getroffene – auf Grund ihrer Eindeutigkeit auch keiner zu einem anderen Ergebnis führenden Auslegung zugängliche – Feststellung, die Mitglieder des Gerichts hätten Gelegenheit zur Kenntnisnahme gehabt, wird den Anforderungen des Gesetzes nicht gerecht (vgl. nur BGH, Beschluss vom 15. März 2011 – 1 StR 33/11, NStZ-RR 2011, 253, 255 mwN).

Fazit: Wann gelesen wird ist, egal. Allerdings gelesen werden muss, so dass ein Beschluss mit dem Inhalt, dass das Gericht nur Gelegenheit hatte, Kenntnis zu nehmen, nicht reicht .