Schlagwort-Archive: Richterliche Unabhängigkeit

StGB III: Freispruch vom Vorwurf der Volksverhetzung, oder: Politische Meinungsäußerung im Urteil

Bild von John Hain auf Pixabay

Und als dritte Entscheidung dann ein Urteil des BGH, und zwar des Dienstgerichts des Bundes, betreffend ein Urteil des Dienstgerichts für Richter beim LG Leipzig.

Gestritten worden ist darüber, ob der Antragsteller, der Richter am Amtsgericht ist, durch einen Bescheid des Präsidenten des LG G., mit dem dieser eine Passage in einem Urteil des Richters als eine mit den Dienstpflichten eines Richters nicht mehr vereinbare Äußerung bezeichnete, in seiner richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigt wird. Dabei ging es um Folgendes:

Der antragstellende Richter war 2016 am Amtsgericht tätig und dort mit Straf-, Jugend-und Bußgeldsachen befasst. Mit Urteil vom 14.06.2016 hat er eine Angeklagte vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen. Im Urteil hat er zunächst das Ergebnis der Hauptverhandlung – Freispruch aus tatsächlichen Gründen -, die Einlassung der Angeklagten und die nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen mitgeteilt. Danach hatte sich die Angeklagte auf einer der Partei NPD zuzurechnenden Seite in dem sozialen Netzwerk Facebook mit einem Kommentar an einer Diskussion beteiligt, in der verschiedene Nutzer unter der Überschrift: „Flüchtlingsunterkünfte: 36 Fertighäuser für Flüchtlinge in Berlin“auf eine Meldung von der Errichtung von Fertighäusern als Flüchtlingsunterkünften in Berlin reagiert hatten. In den Kommentaren wurde u.a. geäußert, dass Deutschen vergleichbare Unterkünfte auch gefallen würden, „wir … überrannt“ würden und man auf den Tag warte, „an dem es richtig knallt“ bzw. sich fragte, wann „wir Deutschen“endlich aufwachten. Ein Nutzer schrieb dann: „Ich spende das Benzin!“ Auf diesen Kommentar antworteten drei Nutzer, unter ihnen die Angeklagte, die schrieb: „Ich bring den Brandbeschleuniger mit.“

Auf der Grundlage dieser Feststellungen hatte der Antragsteller das Vorliegen der Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB verneint, weil weder aus der Überschrift noch aus der Meldung oder dem Verlauf der Kommentare ersichtlich sei, dass gegen eine der in der Vorschrift genannten Gruppen, Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer der Gruppen oder einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufgestachelt bzw. zu Gewalt oder Willkürmaßnahmen aufgefordert werde. Dabei sei schon nicht zu erkennen, gegen welche Gruppe sich die Kommentare richten sollten, die dahin zu verstehen seien, dass die Nutzer mit der politischen Entscheidung, Fertighäuser für Flüchtlinge errichten zu lassen, nicht einverstanden gewesen seien. Der Kommentar „Ich spende das Benzin!“ sei ohne ersichtliche Bezugnahme gepostet worden; aus dem Verlauf ergebe sich nicht, wofür dieses Benzin sein solle.

Sodann hieß es in den Urteilsgründen:

„Des Weiteren ist auch nicht ersichtlich, inwieweit der Kommentar der Angeklagten geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

Nach der Rechtsprechung des BGH handelt es sich bei dem Merkmal der Eignung zur Friedensstörung um ein abstraktkonkretes Gefährdungsdelikt (vgl. BGH 46, 212 ff. m.w.N.).

Für die Eignung zur Friedensstörung genügt es danach, dass berechtigte, – mithin konkrete Gründe – für die Befürchtung vorliegen, der Angriff werde das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttern.

Allerdings vermag das Gericht nicht zu erkennen, inwieweit das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit durch den Diskussionsbeitrag der Angeklagten erschüttert wird, oder werden soll.

In diesem Zusammenhang ist nach Ansicht des Gerichts die Entscheidung der Bundeskanzlerin, eine bisher nicht bekannte Anzahl von Flüchtlingen unkontrolliert ins Land zu lassen, viel mehr geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, als der facebook-Kommentar der Angeklagten […].

Allerdings verstößt diese Entscheidung der Kanzlerin nicht gegen § 130 StGB.

Des Weiteren müssen auch Kommentare, die sich kritisch mit bestimmten Entscheidungen von Regierung und Verwaltung auseinandersetzen, unter besonderer Berücksichtigung von Artikel 5 Grundgesetz betrachtet werden, wobei eine diesbezügliche Betrachtung nach Ansicht des Gerichts nicht mehr erforderlich ist, da bereits der Tatbestand nicht erfüllt wird.“

Der Präsident des LG vertrat gegenüber dem Richter die Auffassung, „dass es sich hierbei um eine mit den Dienstpflich-ten eines Richters nicht mehr vereinbare Äußerung“ handele und hat darum gebeten, dass dieser solche Äußerungen im Rahmen der Ausübung seiner richterlichen Tätigkeit künftig unterlasse. Dagegen ist der Richter beim Dienstgericht vorgegangen. Er hatte keinen Erfolg. Auch seine Revision ist ohne Erfolg geblieben. Der BGH führt im BGH, Urt. v. 27.10.2020 – RiZ(R) 4/20 – u.a. aus:

„…..

So verhält es sich hier. Die vorgehaltene Passage findet sich zwar in den Gründen eines Strafurteils, in dem sie sich an die Verneinung des Tatbestandsmerkmals der Eignung der Tathandlung der Angeklagten zur Störung des öffentlichen Friedens anschließt. Auch nach der Urteilspassage finden sich weitere Ausführungen, mit denen die Entscheidung allerdings nicht mehr tragend begründet wird.

Die vorgehaltene Urteilspassage unterliegt gleichwohl der Dienstaufsicht. Denn mit der objektiv in keinem Zusammenhang mit der eigentlichen Rechtsfindung stehenden, politischen Meinungsäußerung des Antragstellers in den Urteilsgründen hat er zwar eine richterliche Tätigkeit entfaltet; diese ist aufgrund ihrer fehlenden Anbindung an die tatsächliche Begründung der Entscheidung dem Kernbereich der Rechtsprechungstätigkeit aber so weit entrückt, dass sie nur noch als zur äußeren Ordnung gehörig angesehen werden kann. Im Einzelnen:

a) Wie bereits das Dienstgericht zutreffend ausgeführt hat, konnte es für die Frage, ob die Äußerung der Angeklagten geeignet war, den öffentlichen Frieden zu stören, nicht darauf ankommen, ob die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung oder eine diesbezügliche „Entscheidung der Bundeskanzlerin“ ihrerseits den öffentlichen Frieden zu stören geeignet wäre. Die Bezugnahme darauf konnte also zur Prüfung eines Tatbestandsmerkmals des § 130 StGB, insbesondere zu dem der Eignung zur Friedensstörung nichts beitragen. Dies stellt auch der Antragsteller in seiner Revisionsbegründung nicht in Abrede. Er vertritt dazu lediglich die Auffassung, dies habe nicht von der Dienstaufsicht, sondern allein von dem Rechtsmittelgericht geprüft werden dürfen (dazu unten d)).

b) Ohne Rechtsfehler ist das Dienstgericht weiter davon ausgegangen, dass in der vorgehaltenen Urteilspassage die persönliche politische Meinung des entscheidenden Richters und damit des Antragstellers zum Ausdruck gebracht wurde. Soweit der Antragsteller mit der Revision diese Auslegung als „abwegig“ angreift, verkennt er, dass die Feststellung des Inhalts einer dienstlichen Äußerung und die Würdigung der darin im Einzelfall verwendeten Formulierungen grundsätzlich Sache der Tatgerichte ist. Sie unterliegt im Revisionsverfahren nur einer eingeschränkten Prüfung (§ 80 Abs. 1 Satz 1 DRiG i.V.m. § 137 Abs. 2 VwGO). Das Revisionsgericht ist grundsätzlich an die im Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, sofern in Bezug auf diese Feststellungen keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe vorgebracht werden. Die tatrichterliche Würdigung einer Äußerung oder Erklärung ist nur darauf zu überprüfen, ob sie gegen anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt, ob wesentlicher Tatsachenstoff, der für die Auslegung von Bedeutung sein kann, außer Betracht gelassen wurde, oder ob sie sonst auf Rechtsfehlern beruht (BGH, Urteile vom 30. Oktober 2017 – RiZ(R) 1/17, DRiZ 2018, 184 Rn. 20 m.w.N. [zum Inhalt dienstlicher Äußerungen]; vom 26. Juli 2017 – RiZ(R) 3/16, juris Rn. 25 m.w.N. [zum Inhalt dienstlicher Beurteilungen]). Nach diesen Maßstäben ist die Auslegung des Inhalts der Urteilspassage mit Blick auf die sprachliche Überleitung und des Bezugspunkts der „Ansicht des Gerichts“ – einer politischen Entscheidung der Exekutive – revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Antragsteller zeigt Rechtsfehler auch nicht auf, sein Vortrag beschränkt sich auf eine eigene abweichende Würdigung, mit der er im Revisionsverfahren nicht durchdringen kann. Dasselbe gilt auch, soweit er beanstandet, dass das Dienstgericht in der vorgehaltenen Urteilspassage eine Kritik an der Bundeskanzlerin gesehen hat.

Die persönliche politische Meinung eines Richters, die für die eigentliche Rechtsfindung ohne Bedeutung ist, hat in den Entscheidungsgründen eines Urteils indes nichts zu suchen; es liegt ein Fall der Zweckentfremdung einer grundsätzlich in den Schutzbereich der richterlichen Unabhängigkeit fallenden richterlichen Tätigkeit vor. Dadurch, dass der Richter sein Urteil zur Verbreitung seines politischen Standpunkts nutzt, verlässt er letztlich den der Dienstaufsicht entzogenen Kernbereich der richterlichen Tätigkeit (vgl. Schmidt-Räntsch, DRiG 6. Aufl. § 26 Rn. 30). Denn die richterliche Unabhängigkeit verleiht Richtern keinen Freibrief, im Rahmen der Urteilsbegründung zu allgemeinen politischen Problemen Stellung zu beziehen (vgl. Schmidt-Räntsch, Dienstaufsicht für Richter 1985 S. 154).

c) Ein Bezug zur Rechtsfindung kann – entgegen dem Revisionsvorbringen – auch nicht dadurch hergestellt werden, dass der Staatsanwaltschaft habe verdeutlicht werden sollen, dass nicht jede Äußerung im Internet die Eignung zur Friedensstörung habe und dazu „auf ein Beispiel“ zurückgegriffen worden sei, mit dem habe aufgezeigt werden sollen, dass für das Merkmal der Eignung zur Friedensstörung nicht jedes Verhalten geeignet sei. Tatsächlich ist mit der vorgehaltenen Urteilspassage gerade keine Handlung beispielhaft aufgeführt worden, die die Eignung zur Friedensstörung nicht hatte, vielmehr ist eine politische Entscheidung genannt worden, die nach Auffassung des Antragstellers – auch noch in der Revisionsbegründung – die Eignung zur Friedensstörung gehabt haben soll, die aber gleichwohl – aus einer Vielzahl von anderen Gründen – den Tatbestand der Volksverhetzung offensichtlich nicht erfüllen konnte.

d) Nach alledem ist auch die abschließende Würdigung des Dienstgerichts, es handele sich bei der vorgehaltenen Urteilspassage um ein von der eigentlichen Rechtsfindung losgelöstes politisches Statement des Antragstellers, das in die Urteilsgründe lediglich aufgenommen wurde, aber keinen Bezug zur Begründung der Entscheidung aufweist, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Die mit der Revisionsbegründung vertretene Rechtsauffassung des Antragstellers, einen solchen fehlenden Bezug, der sich unter anderem daraus ergibt, dass mit der vorgehaltenen Urteilspassage das Tatbestandsmerkmal der Eignung zur Friedensstörung denknotwendig nicht verneint werden konnte (siehe oben a)), habe nicht die Dienstaufsicht zu prüfen, sondern allein die Rechtsmittelgerichte, geht fehl. Gerade wenn eine richterliche Äußerung in Entscheidungsgründen von der eigentlichen Rechtsfindung völlig losgelöst gemacht wird, kann sie der Dienstaufsicht unterfallen; dann ist es aber auch erforderlich, dass sich die Prüfungskompetenz der Dienstaufsicht führenden Stellen und in der Folge der Dienstgerichte darauf erstreckt.

„Langsamer Richter“, oder: Im Schneckentempo zur Entscheidung über das Entscheidungstempo

Schon etwas länger hängt in meinem Blogordner der BGH, Beschl. v. 28.03.2017 – RiZ(R) 1/15 -, auf den mich (auch) ein aufmerksamer Blogleser hingewiesen hat. Ergangen ist er – so heißt es in dem BGH-Beschluss – „in dem Prüfungsverfahren wegen Anfechtung einer Maßnahme der Dienstaufsicht“. Das liest sich ziemlich nüchtern. Aber aufmerksame Leser wissen, was sich hinter dieser „unprosaischen“ Kurzbezeichnung versteckt. Es ist das dienstrechtliche Verfahren des Richters am OLG Karlsruhe „K.“, dem die damalige dortige Präsidentin des OLG „vorgehalten“ hatte, er arbeite zu langsam. Dagegen hatte der Richter geklagt und hat – wenn ich es richtig sehe – bisher im Wesentlichen in allen Instanzen verloren. Zuletzt hatte der Dienstgerichtshof  des Landes Baden-Württemberg beim OLG Stuttgart im OLG Stuttgart, Urt. v. 17.04.2015 – DGH 1/13, DGH 2/13,  DGH 3/13 – die Ermahnungsmaßnahme der Präsididentin bestätigt und ausgeführt, dass damit nicht gegen die richterliche Unabhängigkeit verstoßen worden ist.

Das Verfahren ist jetzt in der Revision beim BGH, aber da geht es nicht so recht voran. Man streitet – so will ich es mal ausdrücken – um Verfahrensfragen bzw. um die richtige Besetzung des Senats. Dazu hat es bereits einen Beschluss gegeben, nämlich den BGH, Beschl. v. 02.12.2015 – RiZ(R) 1/15 (vgl. dazu Wenn der VorsRiBGH und der Präsident des OLG mit Kind und Kegel zusammen verreist sind: Besorgnis der Befangenheit).

Nun gibt es eben noch den BGH, Beschl. v. 28.03.2017, der sich auch/noch einmal zu Ablehnungsfragen verhält, und zwar zu folgendem Vorbringen – ich zitiere:

... In der Revisionsbegründung sowie in einem weiteren Schriftsatz hat er die Richter des Senats um eine dienstliche Erklärung zu folgenden Fragen gebeten:

„Welche Wahrnehmung haben die erkennenden Richter zu Zeit pro Fall und zu Erledigungszahlen einerseits und zu unterschiedlicher Rechtsanwendung andererseits, insbesondere für die richterliche Tätigkeit am Oberlandesgericht? Gibt es in der Wahrnehmung der Richter einen logi-schen Zusammenhang zwischen einer Forderung nach höheren Zahlen einerseits und einer anderen Rechtsanwendung andererseits?

Wie ist das Selbstverständnis der Richter des Senats im Hinblick auf Erledigungszahlen in ihrer eigenen richterlichen Tätigkeit am Bundesgerichtshof? Welche Rolle spielen „Erledigungszahlen“´ und „Rückstände“ für die eigene richterliche Tätigkeit?“

Mit Pressemitteilung vom 14. Juli 2016 hat der Bundesgerichtshof auf den in dieser Sache und in den beiden Parallelverfahren anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung vom 5. Oktober 2016 unter anderem mit folgendem Text hingewiesen:

„Der Antragsteller […] wendet sich u.a. gegen einen Bescheid der (da-maligen) Präsidentin […], der einen Vorhalt und eine Ermahnung gemäß § 26 Abs. 2 DRiG im Zusammenhang mit seinem Erledigungspensum zum Gegenstand hat.

Das Dienstgericht […] hat die Anträge des Antragstellers im Wesentli-chen zurückgewiesen. Die Berufungen […] hatten keinen Erfolg.“

Mit Schriftsatz vom 26. September 2016 hat der Antragsteller die zur Entscheidung berufenen fünf namentlich bezeichneten Mitglieder des Dienstgerichts des Bundes wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zum einen sei in der Pressemitteilung der Streitgegenstand des Verfahrens im Kern verkannt bzw. verfälscht, und zwar mit parteilicher Tendenz zu seinen Lasten. Es sei davon auszugehen, dass die abgelehnten Richter an der Erstellung der Pressemitteilung mitgewirkt hätten. Zudem habe der Senat auf seine Bitte, die Pressemitteilung zu korrigieren, nicht reagiert. Zum anderen hätten sich die Richter trotz wiederholter Bitte nicht dienstlich zu ihrem Vorverständnis erklärt.

Zu diesen Ablehnungsgesuchen sind dienstliche Stellungnahmen der abgelehnten Richter sowie der Pressesprecherin und der (damaligen) stellvertretenden Pressesprecherin des Bundesgerichtshofs eingeholt und dem Antragsteller übersandt worden. Mit Schriftsatz vom 10. Februar 2017 hat er geltend gemacht, aus den dienstlichen Stellungnahmen ergäben sich neue Ablehnungsgründe. Es fehle an zusammenhängenden Stellungnahmen zu den äußeren und inneren Tatsachen. Dass die abgelehnten Richter am Zustandekommen der Pressemitteilung laut den dienstlichen Stellungnahmen nicht mitgewirkt hätten, sei nicht nachvollziehbar und auszuschließen. Außerdem sei keine Erklärung erfolgt, warum die abgelehnten Richter nicht auf eine Berichtigung der Pressemitteilung hingewirkt hätten.“

Der BGH hat dann im BGH, Beschl. v. 28.03.2017 das Ablehungsgesuch zurückgewiesen, und zwar wie folgt:

  • An der Pressemitteilung vom 14.07.2016 haben die Richter nicht mitgewirkt, „so dass ihnen deren Inhalt nicht zuzurechnen ist„.
  • Unbeschadet dessen gibt der Text der Pressemitteilung aus der maß-geblichen Sicht einer objektiv und vernünftig urteilenden Partei (vgl. BGH Beschluss vom 18. Dezember 2014 IX ZB 65/13 FamRZ 2015, 746 Rn. 11) keinen Anlass, eine Befangenheit zu besorgen. Anders als der Antragsteller meint, informiert die Terminankündigung knapp, aber zutreffend und nicht tendenziös über den Verfahrensgegenstand. Dass das Verfahren auf Betreiben des Antragstellers erfolgt, wird ebenso deutlich wie der Umstand, dass der Antragstel-ler in erster Instanz einen Teilerfolg erzielt hat. Im Zusammenspiel mit dem vollständig zitierten Wortlaut des § 26 DRiG kann auch kein Zweifel verbleiben, dass es sich um ein Prüfungsverfahren nach § 26 Abs. 3 DRiG handelt, in dem auf Antrag des Richters geprüft wird, ob eine Maßnahme der Dienstaufsicht seine Unabhängigkeit beeinträchtigt. Mit dem Bescheid, der den Vorhalt und die Ermahnung nach § 26 Abs. 2 DRiG beinhaltet, und dem Zusatz „u.a.“ wird benannt, wogegen sich der Antragsteller zur Wehr setzt, und mit dem „Erledigungspensum“ der Punkt angesprochen, den die Dienstvorgesetzte als Grund für die Maßnahme der Dienstaufsicht bezeichnet hatte. Auch mit Blick auf die Ausführungen des Antragstellers ist nicht ersichtlich, inwiefern diese Pressemit-teilung Misstrauen gegen die Unparteilichkeit begründen kann.“
  • Nachdem ein objektiver Bedarf für eine Korrektur der Pressemitteilung mithin nicht bestand, kann sich ein Grund im Sinne des § 42 Abs. 2 ZPO auch nicht daraus ergeben, dass eine solche Korrektur nicht, insbesondere nicht auf Betreiben der abgelehnten Richter, vorgenommen worden ist.“
  • Ebenfalls ohne Erfolg wird gerügt, dass die vom Antragsteller „erbetene Mitteilung zu den die Wahrnehmung und das Selbstverständnis der Richter betreffenden Fragen unterblieben ist. Denn die abgelehnten Richter sind zu einer dahingehenden Auskunft rechtlich nicht gehalten. Eine Anzeigepflicht be-steht nach § 48 ZPO nur für solche Umstände, die einen Ausschluss kraft Ge-setzes gemäß § 41 ZPO oder eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 42 Abs. 2 ZPO rechtfertigen könnten, was bei den vom Antragsteller erfragten Punkten nicht der Fall ist. Das Vorgehen des Antragstellers zielt vielmehr darauf ab, zu ermitteln, ob die mit dem Fall betrauten Richter seinem rechtlichen Standpunkt oder dem der Gegenseite zuneigen. Hierfür fehlt es jedoch an einer Rechtsgrundlage.“
  • Die Ablehnungsgesuche sind auch insoweit unbegründet, als der Antragsteller „sie darauf stützt, die dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter genügten nicht den Anforderungen des § 44 ZPO….. Nachdem die abgelehnten Richter nicht an der Erstellung der Pressemitteilung mitgewirkt hatten, waren keine darüber hinausgehenden Ausführungen hierzu veranlasst. Ebenso wenig bedurfte es einer Darlegung, weshalb die Senatsmitglieder nicht auf eine ohnedies sachlich nicht gebotene Berichtigung der ohne ihr Zutun erstellten Pressemitteilung hingewirkt haben. Auch soweit die Befangen-heitsgesuche den Vorwurf enthielten, es fehle an der erbetenen Mitteilung, sind die dienstlichen Stellungnahmen ausreichend.“

So, das war es dann jetzt. Ich bin dann nur gespannt, ob und wann es denn weitergeht. Gelesen habe ich von einem neuen Termin noch nichts. Insgesamt kann man m.E. nur sagen, wenn man sich den bisherigen Gesamtverfahrensablauf ansieht: Im Schneckentempo zur Entscheidung zum Entscheidungstempo 🙂 . Entscheiden wird die Sache im Übrigen aber wahrscheinlich eh nicht der BGH, sondern im Zweifel das BVerfG.

Ein Hoch auf die richterliche Unabhängigkeit? – oder: Ist der BGH ein „Tendenzbetrieb“?

© frogarts – Fotolia.com

Ein Kollege hat mich unter der Überschrift „Ein Hoch auf die richterliche Unabhängigkeit“ auf das schon ältere LG Stuttgart, Urt. v. 12.06.1996, 21 O 519/95 aufmerksam gemacht. Ich kannte es bisher nicht, habe dann aber beim Recherchieren festgestellt, dass es veröffentlicht ist und auch durch das Internet „geistert“. Also: Auch ein Hoch auf das Internet, das mir dann den Zugang zu dem Urteil eröffnet hat. Und ich möchte es den Bloglesern, die es noch nicht kennen, nicht vorenthalten:

Im Verfahren ging es um die Zahlungsklage eines Kreditinstituts/einer Bank gegen die frühere Ehefrau eines Kreditnehmers, die einen Kreditvertrag mitunterschrieben hatte. Das LG hat die Zahlungsklage abgewiesen, weil es den Kreditvertrag und die Mitunterzeichnung als sittenwidrig angesehen hat, und zwar wohl (ich habe es nicht geprüft) gegen anders lautende Rechtsprechung des BGH. Dazu gibt das LG folgende Begründung:

Das erkennende Gericht verkennt nicht, daß im Lichte der Rechtsprechung des BGH und des zuständigen Berufungssenats des OLG Stuttgart vorstehende Ausführungen, wie auch die späteren, möglicherweise nicht die Sittenwidrigkeit des streit-gegenständlichen Vertrages bedingen würden.

Jedoch:

Die entsprechende Rechtsprechung des BGH ist für das Gericht obsolet. Beim BGH handelt es sich um ein von Parteibuch-Richtern der gegenwärtigen Bonner Koalition dominierten Tendenzbetrieb, der als verlängerter Arm der Reichen und Mächtigen allzu oft deren Interessen zielfördernd in seine Erwägungen einstellt und dabei nicht davor zurückschreckt, Grundrechte zu mißachten, wie kassierende Rechtsprechung des BVerfG belegt.

Die Rechtsprechung des 9. Senats des OLG Stuttgart ist der des BGH konform, ja noch „bankenfreundlicher“ sie ist von der (wohl CDU-) Vorsitzenden des Senats bestimmt die der gesellschaftlichen Schicht der Optimaten angehört (Ehemann Arzt) und deren Rechtsansichten evident dem Muster „das gesellschaftliche Sein bestimmt das Rechtsbewußtsein“ folgen. Solche RichterInnen haben für „kleine Leute“ und deren, auch psychologische Lebenswirklichkeiten kein Verständnis, sie sind abgehoben, akademisch sozialblind, in ihrem rechtlichen Denken tendieren sie von vornherein darwinistisch. „Banken“ gehören für sie zur Nomenklatura, ehrenwerte Institutionen, denen man nicht sittenwidriges Handeln zuordnen kann, ohne das bestehende Ordnungsgefüge zu tangieren. Und immer noch spukt in den Köpfen der Oberrichter das ursprüngliche BGH-Schema herum, daß nämlich die sog. Privatautonomie als Rechtsinstitut von Verfassungsrang die Anwendung des § 138 BGB auf Fälle vorliegender Art verbiete, obwohl doch § 138 BGB die Vertragsfreiheit verfassungskonform limitiert.

Es gibt dazu eine Anmerkung in AG 1998 unter dem Titel: „Richterliche Rechtsfortbildung am Rande des Wahnsinns: Der BGH als Tendenzbetrieb“. Nun, so weit würde ich nicht gehen. Ist aber schon ganz schön heftig, obwohl: Die richterliche Unabhängigkeit lässt grüßen.

Wer braucht Nachhilfe? Minister oder Richterin, bzw: Was denkt sich eigentlich ein IM,…

wenn er eine Richterin, die einen Polizeibeamten wegen des Einsatzes von Pfefferspray verurteilt hat, vor der Vorlage des schriftlichen begründeten Urteils anschreibt und „abmahnt“ (wenn man es denn so bezeichnen will)?

Offenbar gar nichts, denn sonst würde der Innenminister des Landes Schleswig-Holstein Schlie die Kollegin nicht angeschrieben und gleich dann auch noch durch Veröffentlichung des Schreibens bei den Polizeibeamten des Landes an den Pranger gestellt haben. Zu dem Thema ist ja schon im Lawblog gepostet worden (vgl. hier „Minsterin bietet Richterin „Nachhilfe„) oder beim Kollegen Nebgen. Beide haben schön herausgearbeitet, worum es gehen kann, nämlich um die richterliche Unabhängigkeit.

Dem ist nichts hinzuzufügen, außer: Ein wenig beruhigt hat mich die Reaktion des Kollegen Justizminister aus Schleswig-Holstein, der sich in seinem Schreiben dann doch mit recht deutlichen – öffentlich gemachten – Worten vor die Kollegin und die Richter des Landes gestellt hat. Wann liest man schon mal in der Politik „aus mehreren Gründen unangebracht„, oder unter: „5. Schließlich bitte ich bei Ihrem künftigen Umgang mit den schleswig-holsteinischen Gerichten…“ oder „Das ist schlicht nicht hinnehmbar.“ Alles in allem ein deutlicher Rüffel für den IM Schlie.

Was ich mich frage:

  1. Wo sind denn eigentlich die juristischen (und auch politischen) Berater des IM gewesen, als man das Schreiben erwogen hat. Normalerweise gibt es die in jedem Ministerium (oder ist Schleswig-Holstein so pleite, dass man sich die nicht mehr leistet bzw. leisten kann?). Die hätten sicherlich von der Absendung des Schreibens abgeraten. Oder haben Sie abgeraten und der IM hat allein entschieden?
  2. Und wenn ich mir die politische Vita des IM ansehe (hier auf Wikipedia – wenn es denn richtig ist -).
  • „Schlie trat als Schüler 1971 in die Junge Union und 1972 auch in die CDU ein. Seit 1999 ist er Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Herzogtum Lauenburg. Von 1978 bis 2005 gehörte er dem Kreistag des Kreises Herzogtum Lauenburg und von 1986 bis 1990 der Ratsversammlung der Stadt Mölln an.
  • Von 1996 bis zur Niederlegung seines Mandates am 27. April 2005 war er Mitglied des Landtages von Schleswig-Holstein. Hier war er von 2000 bis 2005 stellvertretender Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion. Außerdem war er von 1997 bis 2000 stellvertretender Vorsitzender des Sonderausschusses „Verfassungsreform“. Im Jahr 2000 zog er über die Landesliste in den Landtag ein, bei der Landtagswahl 2005 wurde er mit 46,9 % der Erststimmen im Wahlkreis Lauenburg-Mitte direkt gewählt.
  • Am 27. April 2005 wurde Schlie Staatssekretär für Verwaltungsmodernisierung und Entbürokratisierung im Finanzministerium. Am 27. Oktober 2009 folgte die Ernennung zum Innenminister.“

dann fragt man sich dann doch: „stellvertretender Vorsitzender des Sonderausschusses „Verfassungsreform“? Hat man da nicht vielleicht den Bock zum Gärtner gemacht?

Der jungen Kollegin (Proberichterin!!) kann man nur wünschen, dass Sie trotz dieses Schreibens den Spaß am Beruf behält.

Hut ab vor diesem Präsidenten, oder: Nicht immer gilt für die Dienstaufsichtsbeschwerde „f+f+f“

Der Kollege Hoenig hat vor einigen Tagen vom Richter K. in Berlin berichtet (vgl. hier und auch noch hier). Über ihn bzw. ein von ihm stammendes Urteil des KG hatten wir ja auch schon vor einiger Zeit Ausführungen gemacht (vgl. hier).

Nun berichtet der Kollege Hoenig über die Antwort des Präsidenten des AG Berlin-Tiergarten auf seine Dienstaufsichtsbeschwerde (vgl. hier), in der der Präsident in der Tat „Deutliche Worte an Richter K.“ gefunden und auch geäußert hat. Zu Recht weist der Kollege darauf hin, dass das etwas Besonderes ist. Und das ist es. Denn i.d.R. sind Präsidenten auf Dienstaufsichtsbeschwerden nicht so offen und „verstecken“ sich gern hinter Art. 97 GG oder den §§ 25 f. DRiG und tragen die richterliche Unabhängigkeit auf einer Fahne vor sich her.

Ich räume ein: So ganz einfach ist die Abgrenzung zur richterlichen Unabhängigkeit ja auch nicht und es ist ein schmaler Grad, aber manchmal würde man sich schon mehr so offene Worte, wie sie jetzt der Präsident des AG Berlin-Tiergarten gefunden hat, wünschen. Nicht vornehmlich im Interesse der Verteidiger, sondern im Interesse der Beschuldigten und Betroffenen, die manchmal (zu Recht) fassungslos sind, wie mit ihnen und ihren Rechten umgegangen wird.

Zudem: Der Vorgang ist ein – wie es auch der Kollege Hoenig sieht – schönes Beispiel, dass für Dienstaufsichtsbeschwerden eben nicht unbedingt die „Drei F“ gelten: Form-, frist und fruchtlos. 😉