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StPO II: Vernehmung des Vernehmungsbeamten, oder: Qualifizierte Belehrung des Zeugen?

Die zweite Entscheidung, das BGH, Urt. v. 11.08.2021 – 6 StR 84/21 – behandelt eine Problematik, die in der Praxis immer wieder eine Rolle spielt, nämlich: Vernehmung eines Vernehmungsbeamten zu den Angaben eines im Ermittlungsverfahren vernommenen zeugnisverweigerungsbrechtigten Zeugen in der Hauptverhandlung.

Der BGH sagt, das wir war hier nicht zulässi: Die Zeugin war zwar einverstanden mit der Verwertung, ist aber nicht „qualifiziert“ belehrt worden:

„Näherer Erörterung bedarf lediglich die Rüge der Verletzung von § 252 StPO. Ihr liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

Die Mutter des Angeklagten machte in der Hauptverhandlung nach Belehrung „gemäß § 52 StPO“ von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Auf Nachfrage erklärte sie, dass „ihre Angaben im Ermittlungsverfahren eingeführt und verwendet werden können“. Hierauf führte das Landgericht die Angaben der Mutter durch Zeugnis des Vernehmungsbeamten in die Hauptverhandlung ein. Gegenstand der Aussagen waren unter anderem ihre Aussagen betreffend den Werdegang ihres Sohnes und eine von diesem in der Tatnacht an sie geschriebene Chatnachricht.

a) Die Rüge wendet sich ausdrücklich nur gegen die Verwertung der mütterlichen Angaben für die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen. Ein darüberhinausgehender Angriff – etwa zu der vom Landgericht zum Beleg des Tötungsvorsatzes und des Rücktrittshorizonts verwerteten Chatnachricht – ist der Revisionsbegründung auch nicht sinngemäß zu entnehmen. An diese Disposition des Revisionsführers ist der Senat gebunden (vgl. BGH, Urteile vom 3. Mai 2018 – 3 StR 390/17, NStZ 2019, 227; vom 6. Januar 2021 – 5 StR 288/20, NStZ 2021, 287; Beschluss vom 7. April 2020 – 6 StR 52/20, BGHSt 64, 301; Cirener, NStZ-RR 2012, 65 mwN).

b) Die so in ihrer Stoßrichtung eingeschränkte Rüge ist zulässig. Die Revision teilt die Angaben der Mutter zur persönlichen Entwicklung des Angeklagten mit. Der Senat kann deshalb offenlassen, ob bei einem Angriff auch gegen die Feststellungen zur Sache die dahingehenden Aussagen vorzubringen gewesen wären (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Juli 2007 – 1 StR 296/07, NStZ 2007, 712; vom 20. Mai 2015 ? 1 StR 429/14, NStZ 2015, 656; LR-Cirener/Sander, StPO, 27. Aufl. 2019, § 252 Rn. 52).

c) Die Rüge dringt nicht durch.

aa) Allerdings durfte das Tatgericht die Aussage des Vernehmungsbeamten über die Angaben der Mutter des Angeklagten nicht heranziehen. Denn die Vorschrift des 252 StPO schließt jede Verwertung der bei einer nichtrichterlichen Vernehmung gemachten Aussage aus. Zwar kann der sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufende Zeuge die Verwertung seiner Angaben im Ermittlungsverfahren gestatten; dies setzt aber eine qualifizierte Belehrung über die Folgen dieser Freigabe voraus (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1999 – 4 StR 189/99, BGHSt 45, 203, 207; Beschlüsse vom 10. Februar 2015 – 1 StR 20/15, NStZ 2015, 232; vom 25. August 2020 – 2 StR 202/20, NStZ 2021, 58 mwN). Das insoweit schweigende Sitzungsprotokoll beweist (§ 274 StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2006 – 4 StR 353/06, NStZ 2007, 352), dass die Mutter des Angeklagten nicht entsprechend belehrt worden ist.“

Aber:

„bb) Der Senat kann jedoch ausschließen, dass der Rechtsfolgenausspruch auf diesem Verfahrensfehler beruht. Denn das Landgericht hat die hierfür maßgeblichen Erkenntnisse über Werdegang und persönliche Verhältnisse des Angeklagten im Wesentlichen auf die Angaben des Sachverständigen – dem gegenüber sich der Angeklagte insoweit geäußert hatte – gestützt.“

HV I: Frühere Angaben (nur) nach „qualifizierter Belehrung“ verwertbar, oder: Lücke beim Schwurgericht?

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Auf geht es in die 44. KW. Schauen wir, was Sie Gutes bringt.

Hier starte ich zum Warmwerden mit zwei „kleinen“ Entscheidungen des BGH zur Hauptverhandlung. Bei der ersten handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 25.08.2020 – 2 StR 202/20.

Das LG hatte den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet; gehandelt hat es sich wohl um dieses Verfahren. Die Revision des Angeklagten hat  dann beim BGH Erfolg.

„1. Die Revision rügt eine Verletzung von § 252 StPO. Dem liegt zu Grunde, dass das Landgericht am ersten Hauptverhandlungstag die Mutter des Angeklagten als Zeugin vernommen hat. Sie wurde gemäß § 52 StPO über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt und verweigerte sodann unter Berufung auf dieses Recht die Aussage. „Auf Befragen“ erklärte sie sich damit einverstanden, dass ihre Angaben aus dem Ermittlungsverfahren verwertet und die Polizeibeamten hierzu befragt werden dürfen. Hierauf gestützt hat die Strafkammer die Angaben der Zeugin sodann ausweislich der Urteilsgründe durch Vernehmung eines Vernehmungsbeamten in die Hauptverhandlung eingeführt.

2. Die zulässig erhobene (vgl. Senat, Beschlüsse vom 13. Juni 2012 . 2 StR 112/12, BGHSt 57, 254, 256 Rn. 6 f.; vom 17. Dezember 2019 . 2 StR 419/19, NStZ 2020, 432 Rn. 15) Verfahrensbeanstandung ist begründet.

a) § 252 StPO ist – über den Wortlaut hinaus – nicht nur als Verlesungs-, sondern als Verwertungsverbot aufzufassen, das auch jede andere Verwertung der bei einer nichtrichterlichen Vernehmung gemachten Aussage, insbesondere die Vernehmung von Verhörspersonen, ausschließt. Zwar kann ein zur Zeugnisverweigerung berechtigter Zeuge die Verwertung seiner in einer polizeilichen Vernehmung getätigten Angaben wirksam gestatten, wenn er zuvor über die Folgen des Verzichts ausdrücklich belehrt worden ist (sog. „qualifizierte Belehrung“; st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1999 – 4 StR 189/99, BGHSt 45, 203, 208; Beschluss vom 26. September 2006 – 4 StR 353/06, NStZ 2007, 352, 353; Beschluss vom 10. Februar 2015 . 1 StR 20/15, NStZ 2015, 232; Senat, Beschluss vom 13. Juni 2012, aaO). Indes ist durch den Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls im vorliegenden Fall bewiesen, dass eine qualifizierte Belehrung der Mutter des Angeklagten nicht erfolgte. Aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ergibt sich, dass die Einverständniserklärung der Zeugin weder auf deren Initiative zurückging (hierzu vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2007 – 1 StR 349/06) noch „nach Belehrung“ erfolgte (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Dezember 2019, aaO, Rn. 18 f.), sie sich vielmehr „auf Befragen“ erklärte. Damit lässt sich dem Protokoll nicht entnehmen, dass die Zeugin hinreichend belehrt worden oder ihr die Tragweite ihrer Erklärung bewusst war. Da die Belehrung eine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens darstellt (§ 273 Abs. 1 StPO), beweist das Schweigen des Protokolls, dass sie nicht stattgefunden hat (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Juni 2012, aaO, Rn. 8).

b) Dies muss zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den Feststellungen führen. Der Senat kann letztlich nicht ausschließen, dass das angefochtene Urteil auf dem Verfahrensmangel beruht. Zwar begründet die Strafkammer ihre Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten ganz wesentlich – und insoweit rechtsfehlerfrei – mit den erhobenen rechtsmedizinischen Befunden und den Angaben des Angeklagten gegenüber polizeilichen Vernehmungsbeamten und dem Sachverständigen. Sie stützt sich aber auch darauf, dass seine Mutter sich nicht bereit erklärte, ihn bei seiner geplanten Flucht finanziell zu unterstützen, was sich allein aus deren Angaben gegenüber dem sie befragenden Polizeibeamten ergeben hat. Hierauf sowie auf die Angaben der Mutter zur Entwicklung des Angeklagten (dessen Gewaltausbrüche, dessen übersteigertes Ego etc.) haben die Urteilsgründe schließlich auch zur Bejahung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe rekurriert sowie für die Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt.“

So richtig „gefallen“ hat dem BGG hat das LG-Urteil aber auch im Übrigen wohl nicht. Das merkt man der „Segelanweisung“ an:

„3. Für die neue Verhandlung und Entscheidung bemerkt der Senat: Der neue Tatrichter hat Gelegenheit, umfassende eigene, in sich widerspruchsfreie Feststellungen zu treffen und sich gegebenenfalls zu den subjektiven Voraussetzungen bei der Annahme des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe gründlicher als bislang geschehen zu verhalten (zu Sprache und Darstellung in Urteilsgründen vgl. Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 29. Aufl., Rn. 207 ff., 228 ff.). Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe der Tat „niedrig“ sind, also nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, mithin in deutlich weiter reichendem Maße als bei einem Totschlag als verwerflich und deshalb als besonders verachtenswert erscheinen, hat – was das Landgericht nicht verkannt hat – aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2005 – 1 StR 195/05, NStZ 2006, 284, 285; Beschluss vom 10. Januar 2006 – 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008, 1011). In subjektiver Hinsicht muss hinzukommen, dass der Täter die Umstände, die die Niedrigkeit seiner Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung ins Bewusstsein aufgenommen hat und, soweit gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen in Betracht kommen, diese gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern kann (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 25. September 2019 – 5 StR 222/19, Rn. 11 mwN; BeckOK-StGB/Eschelbach, 47. Ed., § 211 Rn. 34 mwN). Versteht sich nicht von selbst, dass der Angeklagte zu einer zutreffenden Wertung in der Lage war, weil etwa die Fähigkeit dazu aufgrund eines – hier festgestellten – Persönlichkeitsmangels zusammen mit einem – ebenfalls festgestellten – langjährigen Alkohol- und Betäubungsmittelabusus beeinträchtigt gewesen sein könnte (vgl. Senat, Urteil vom 28. Januar 2004 – 2 StR 452/03, NJW 2004, 1466), bedarf es einer nicht nur floskelhaften Gesamtschau der Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Entwicklung wie auch der Tat selbst und des Nachtatgeschehens (vgl. BGH, Beschluss vom 17. April 2007 – 5 StR 548/06, NStZ 2007, 525; BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO). Hierbei kann freilich in den Blick genommen werden, dass die Schwelle für die Annahme, der Täter habe seine Antriebe gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern können, umso niedriger ist, je schwerwiegender die Tötungstat ist (vgl. Senat, Urteil vom 19. Oktober 2001 – 2 StR 259/01, NJW 2002, 382, 384 mwN).“

Für mich stellt sich die Frage: Warum übersieht das Schwurgericht (!!) in einem solchen Verfahren das Erfordernis einer „qualifizierten Belehrung“? Sollte doch zumindet einer der drei Berufsrichter kennen.

StPO I: Qualifizierte Belehrung vergessen? Nicht so schlimm, oder: Freie Fahrt für Ermittlungsbeamte?

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Heute dann Verfahrensrecht. Den Auftakt mache ich mit dem BGH, Urt. v. 03.05.2018 – 3 StR 390/17, ergangen in einem Verfahren wegen eines Verstoßes gegen das BtMG.

Von Bedeutung war in dem Verfahren die Verwertbarkeit von Angaben, die der Angeklagte bei (s)einer Vernehmung gemacht hatte. Zwei Polizeibeamte hatten sich in die Wohnung des abwesenden Angeklagten wegen eines aus der Wohnung kommenden durchdringenden Alarmtons begeben. Dort fanden sie Betäubungsmittel und Waffen. Einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss gem. § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO versuchten die Beamten nicht einzuholen; die Grün­de dafür ließen sich im Verfahren nicht aufklären. Der nach Rückkehr über seine Beschuldigtenrechte belehrte Angeklagte zeigte sich  – erste Vernehmung – wie auch später kooperativ und geständig. Dabei sowie bei den folgenden polizeilichen und ermittlungsrichterlichen Vernehmungen (zweite und dritte Vernehmung) wurde er nicht auf eine mögliche Unverwertbarkeit der aufgefundenen Beweismittel hingewiesen. Das LG hat die Verwertung der gefundenen Beweismittel und der Aussagen der Zeugen wegen Verstoßes gegen den Richtervorbehalt für unverwertbar erachtet und frei gesprochen. Dagegen die Revision der StA. Und der BGH: Der eiert mal wieder rum:

Er macht nämlich mal wieder ellenlange Ausführungen zu ggf. bestehenden Beweisverwertunsgeverboten und/oder qualifizierter Belehrung. Er lässt die Fragen dann aber letztlich (wieder) offen, denn man ahnt es: Abwägung:

„Die Frage, ob der Kriminalbeamte S. und der Ermittlungsrichter Sd. verpflichtet waren, den Angeklagten qualifiziert zu belehren, weil ihm bei seiner ersten Vernehmung unzulässig erlangte Erkenntnisse vorgehalten worden waren, kann letztlich offen bleiben. Denn selbst wenn S. und Sd. gegen eine daraus resultierende Pflicht zur qualifizierten Belehrung verstoßen hätten, hat dies nicht zur Folge, dass die Angaben, die der Angeklagte ihnen gegenüber gemacht hat, unverwertbar sind. Das ergibt sich aus der jeweils gebotenen Abwägung zwischen dem Gewicht des Verfahrensverstoßes und dem staatlichen Interesse an der Sachaufklärung.

Der Verfahrensverstoß hat in beiden Fällen nur verhältnismäßig geringes Gewicht. So wiegt die Verletzung der Pflicht zur qualifizierten Belehrung, auch wenn sie auf den Vorhalt unzulässig erlangter Beweismittel bei einer früheren Vernehmung gestützt wird, regelmäßig nicht so schwer wie der vorangegangene Verfahrensfehler. Insoweit gilt Entsprechendes wie in den Fällen eines Verstoßes gegen die Belehrungspflicht gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO. Da nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Fällen unzulässig erlangter Beweismittel bislang keine Pflicht zur qualifizierten Belehrung bei späteren Vernehmungen angenommen worden ist, war zudem weder S. noch Sd. bekannt, dass es ihnen oblag, den Angeklagten qualifiziert zu belehren. Sie waren mithin gutgläubig und haben ihre Pflicht zur qualifizierten Belehrung des Angeklagten weder fahrlässig noch vorsätzlich verletzt. Von einem bewussten oder willkürlichen Handeln, bei dem grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen wurden, kann deshalb keine Rede sein.
Demgegenüber ist das staatliche Interesse an der Aufklärung des Sachverhalts groß. Das Verfahren hat eine schwerwiegende Straftat zum Gegenstand. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass das dem Angeklagten zur Last gelegte bewaffnete Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) im Regelfall mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bedroht ist. Selbst wenn sich die in Rede stehende Tat letztlich als minder schwerer Fall im Sinne des § 30a Abs. 3 BtMG darstellen sollte, sieht das Gesetz gleichwohl noch die Verhängung einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vor.

Infolgedessen sind die Angaben, die der Angeklagte bei seiner zweiten und dritten Vernehmung gemacht hat, selbst dann verwertbar, wenn S. und Sd. es pflichtwidrig unterlassen hätten, ihn qualifiziert zu belehren.“

Man versteht es nicht. Warum eigentlich Belehrungspflicht usw., wenn deren Verletzung keine Sanktionen nach nicht zeiht. So ist das doch „Freie Fahrt“ für die Ermittlungsbeamten/-richter.

Großer Senat in Strafsachen: Absage an den 2. Strafsenat/“Rebellensenat“

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So, nun ist der Urlaub wirklich zu Ende. Alle vorbereiteten Beiträge sind online gegangen. Jetzt heißt es wieder: packen wir es an und bringen Neues. Obwohl einiges in der Urlaubszeit ja aufgelaufen ist, über das ich berichten werde/muss.

Den Auftakt macht der Beschluss des Großen Senats für Strafsachen im BGH, Beschl. v. 15.07.2016 – GSSt 1/16. Das ist die Anfrage des 2. Strafsenats zur Erforderlichkeit einer „qualifizierten“ Belehrung bei einer richterlicher Vernehmung von Zeugnisverweigerungsberechtigten. Der 2. Strafsenat hatte dem Großen Senat folgende Rechtsfrage vorgelegt: „Ist die Einführung und Verwertung einer früheren Aussage eines Zeu­gen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, durch Vernehmung der richterlichen Vernehmungsperson nur dann zulässig, wenn diese den Zeugen nicht nur über sein Zeugnisverweigerungsrecht, sondern auch über die Möglichkeit der Einführung und Verwertung seiner Aussage im weiteren Verfahren belehrt hatte?“ (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 04.06.2014 – 2 StR 656/13 und dazu: 2. Strafsenat des BGH – „Rebellensenat“? – nee, nur „Unruhestifter“.

Dazu erteilt der Große Senat für Strafsachen dem 2. Strafsenat eine Absage, wenn der die Frage dahin beantwortet:

„Macht ein Zeuge erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweige­rungsrecht nach § 52 Abs. 1 StPO Gebrauch, so erfordern die Einführung des Inhalts einer früheren Aussage des Zeugen in die Hauptverhandlung durch Vernehmung des Richters, vor dem der Zeuge im Rahmen des die konkrete Tat betreffenden Ermittlungsverfahrens ausgesagt hat, und die Verwertung des dadurch gewonnenen Beweisergebnisses, dass der Richter den Zeugen gemäß § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt hat; ei­ner weitergehenden Belehrung bedarf es nicht.“

Die Begründung in Kurzfassung: 252 StPO verbiete es nicht, den Ermittlungsrichter in der Hauptver­handlung zu den Angaben eines Zeugen zu vernehmen, die der Zeuge vor dem Richter gemacht hat, nachdem er über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden war. Die Verwertung der Erkenntnisse aus der früheren ermittlungsrichter­lichen Vernehmung des Zeugen setze eine über den Regelungsgehalt des § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO hinausgehende Belehrung nicht voraus. Ausdrückliche Belehrungen über die Möglichkeit, Angaben von Ver­fahrensbeteiligten im weiteren Verfahren zu verwerten, seien dem deutschen Strafprozessrecht auch in anderen Konstellationen fremd, wie sich etwa aus § 52 Abs. 3 Satz 2 StPO ergebe oder dem Vergleich mit der Rechtslage bei einem Beschuldigten und den Umfang der erforderlichen Belehrung zur Selbstbelas­tungsfreiheit.

Den Rest der umfangreichen Begründung bitte selbst lesen.

Mit dem Beschluss ist die Kuh dann mal vom Eis. 🙂

„Rebellensenat“/2. Strafsenat des BGH macht Ernst: Verwertungsverbot vor den Großen Senat

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Im September 2014 hatte ich über den BGH, Beschl. v. 04.06.2014 – 2 StR 656/13 berichtet (vgl. 2. Strafsenat des BGH – „Rebellensenat“? – nee, nur „Unruhestifter“). Das ist/war der Anfragebeschluss des 2. Strafsenats bei den anderen Strafsenaten des BGH betreffend ein Beweisverwertungsverbot bei nicht erfolgter qualifizierter Belehrung eines Zeugen bei seiner Vernehmung im Ermittlungsverfahren, wenn der Zeuge dann in der Hauptverhandlung das Zeugnis verweigert. Der 2. Strafsenat des BGH will das seine/die Rechtsprechung (des BGH) ändern.

Ihm haben in der Folgezeit dann geantwortet:

Und nun hat der 2. Strafsenat wiederum den anderen Strafsenaten geantwortet, und zwar – wie nichts anders zu erwarten: Er hat mit dem BGH, Beschl. v. 18.03.2015 – 2 StR 656/13 den Großen Senat für Strafsachen angerufen, und zwar zu folgender Frage:

„Ist die Einführung und Verwertung einer früheren Aussage eines Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, durch Vernehmung der richterlichen Vernehmungsperson nur dann zulässig, wenn diese den Zeugen nicht nur über sein Zeugnisverweigerungsrecht, sondern auch über die Möglichkeit der Einführung und Verwertung seiner Aussage im weiteren Verfahren belehrt hatte?“

Mich überrascht die Vorlage nicht, denn wer A sagt muss auch B sagen. Mich hätte eher überrascht, wenn der 2. Strafsenat nicht den Großen Senat angerufen hätte. Das Ergebnis der Reise zum Großen Senat wird uns wahrscheinlich auch nicht überraschen, nachdem alle vier anderen Senat „abgewunken“ haben; die Besetzung des Großen Senats habe ich jetzt allerdings nicht geprüft. Und: Wissen kann man es vorher ja nie.

Was mich allerdings überrascht hat: Warum der Beschluss vom 18.03.2015 erst heute auf der Homepage des BGH eingestellt worden ist. Einen Grund für die „Verspätung“ kann ich nicht erkennen.