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StPO I: Qualifizierte Belehrung vergessen? Nicht so schlimm, oder: Freie Fahrt für Ermittlungsbeamte?

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Heute dann Verfahrensrecht. Den Auftakt mache ich mit dem BGH, Urt. v. 03.05.2018 – 3 StR 390/17, ergangen in einem Verfahren wegen eines Verstoßes gegen das BtMG.

Von Bedeutung war in dem Verfahren die Verwertbarkeit von Angaben, die der Angeklagte bei (s)einer Vernehmung gemacht hatte. Zwei Polizeibeamte hatten sich in die Wohnung des abwesenden Angeklagten wegen eines aus der Wohnung kommenden durchdringenden Alarmtons begeben. Dort fanden sie Betäubungsmittel und Waffen. Einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss gem. § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO versuchten die Beamten nicht einzuholen; die Grün­de dafür ließen sich im Verfahren nicht aufklären. Der nach Rückkehr über seine Beschuldigtenrechte belehrte Angeklagte zeigte sich  – erste Vernehmung – wie auch später kooperativ und geständig. Dabei sowie bei den folgenden polizeilichen und ermittlungsrichterlichen Vernehmungen (zweite und dritte Vernehmung) wurde er nicht auf eine mögliche Unverwertbarkeit der aufgefundenen Beweismittel hingewiesen. Das LG hat die Verwertung der gefundenen Beweismittel und der Aussagen der Zeugen wegen Verstoßes gegen den Richtervorbehalt für unverwertbar erachtet und frei gesprochen. Dagegen die Revision der StA. Und der BGH: Der eiert mal wieder rum:

Er macht nämlich mal wieder ellenlange Ausführungen zu ggf. bestehenden Beweisverwertunsgeverboten und/oder qualifizierter Belehrung. Er lässt die Fragen dann aber letztlich (wieder) offen, denn man ahnt es: Abwägung:

„Die Frage, ob der Kriminalbeamte S. und der Ermittlungsrichter Sd. verpflichtet waren, den Angeklagten qualifiziert zu belehren, weil ihm bei seiner ersten Vernehmung unzulässig erlangte Erkenntnisse vorgehalten worden waren, kann letztlich offen bleiben. Denn selbst wenn S. und Sd. gegen eine daraus resultierende Pflicht zur qualifizierten Belehrung verstoßen hätten, hat dies nicht zur Folge, dass die Angaben, die der Angeklagte ihnen gegenüber gemacht hat, unverwertbar sind. Das ergibt sich aus der jeweils gebotenen Abwägung zwischen dem Gewicht des Verfahrensverstoßes und dem staatlichen Interesse an der Sachaufklärung.

Der Verfahrensverstoß hat in beiden Fällen nur verhältnismäßig geringes Gewicht. So wiegt die Verletzung der Pflicht zur qualifizierten Belehrung, auch wenn sie auf den Vorhalt unzulässig erlangter Beweismittel bei einer früheren Vernehmung gestützt wird, regelmäßig nicht so schwer wie der vorangegangene Verfahrensfehler. Insoweit gilt Entsprechendes wie in den Fällen eines Verstoßes gegen die Belehrungspflicht gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO. Da nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Fällen unzulässig erlangter Beweismittel bislang keine Pflicht zur qualifizierten Belehrung bei späteren Vernehmungen angenommen worden ist, war zudem weder S. noch Sd. bekannt, dass es ihnen oblag, den Angeklagten qualifiziert zu belehren. Sie waren mithin gutgläubig und haben ihre Pflicht zur qualifizierten Belehrung des Angeklagten weder fahrlässig noch vorsätzlich verletzt. Von einem bewussten oder willkürlichen Handeln, bei dem grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen wurden, kann deshalb keine Rede sein.
Demgegenüber ist das staatliche Interesse an der Aufklärung des Sachverhalts groß. Das Verfahren hat eine schwerwiegende Straftat zum Gegenstand. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass das dem Angeklagten zur Last gelegte bewaffnete Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) im Regelfall mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bedroht ist. Selbst wenn sich die in Rede stehende Tat letztlich als minder schwerer Fall im Sinne des § 30a Abs. 3 BtMG darstellen sollte, sieht das Gesetz gleichwohl noch die Verhängung einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vor.

Infolgedessen sind die Angaben, die der Angeklagte bei seiner zweiten und dritten Vernehmung gemacht hat, selbst dann verwertbar, wenn S. und Sd. es pflichtwidrig unterlassen hätten, ihn qualifiziert zu belehren.“

Man versteht es nicht. Warum eigentlich Belehrungspflicht usw., wenn deren Verletzung keine Sanktionen nach nicht zeiht. So ist das doch „Freie Fahrt“ für die Ermittlungsbeamten/-richter.