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Motorradfahrer rutscht auf Rollsplitt aus – Gemeinde haftet

entnommen wikimedia.org Urheber: Bundesrepublik Deutschland

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Heute ist Samstag, und damit „Bunter- Kessel-Tag“ bzw. Zeit u.a. für verkehrszivilrechtliche Entscheidungen. Und eröffnen will ich mit dem OLG Schleswig, Urt. v. 18.06.2015 – 7 U 143/14. Von dem gibt es leider bislang aber immer noch nicht mehr als die  PM Nr. 8/2015 des OLG Schleswig vom 15.07.2015. Auf den Volltext warte ich seitdem, er erscheint aber nicht. Ich weiß gar nicht, was die da machen in Schleswig 🙂 . Nun wird es aber Zeit für das Urteil, das es m.E. einen saisonalen Hintergrund hat. Es geht nämlich um eine Motorradfahrt und die Haftung einer Gemeinde bei einem Unfall eines Motorradfahrers auf Rollsplitt bei fehlendem Warnzeichen. Und da die Motorradsaison zu Ende ist bzw. zu geht, bleibt mir dann jetzt nichts anderes als auf der Grundlage der PM zu berichten. In der heißt/hieß es:

Die beklagte Gemeinde ließ auf einer Gemeindestraße Straßenausbesserungsarbeiten durch ein beauftragtes Unternehmen durchführen. Das Unternehmen verwendete unter anderem Rollsplitt. Knapp eine Woche nach Beendigung der Arbeiten ließ es die zuvor aufgestellten Warnschilder „Splitt“ und „Rollsplitt“ entfernen. Es verblieb lediglich ein Warnschild (Zeichen 101 Gefahrstelle), das mehrere Kurven vor der Unfallstelle aufgestellt war. Der Geschädigte befuhr mit seinem Motorrad Yamaha bei Tageslicht die Straße und stürzte im Bereich einer rechten Kurve auf Rollsplitt. Er hatte beim Verlassen des Kurvenbereichs sein Motorrad beschleunigt. Er erlitt unter anderem Verletzungen an der Hand und am Knie und wurde in der Folge dreimal operiert. Er verlangte Schadensersatz und Schmerzensgeld von der Gemeinde.

Die Gemeinde haftet als Träger der Straßenbaulast auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Auch wenn sie die konkret durchzuführenden Arbeiten auf ein anderes Unternehmen übertragen hat, behält sie ihre Aufsichts- und Überwachungspflichten, die sie hier verletzt hat. Denn das beauftragte Unternehmen hat nach Durchführung der Bauarbeiten die auf Rollsplitt hinweisenden Schilder mit Ausnahme des Schildes ein paar Kurven vor der Unfallstelle unmittelbar vor dem Unfall abbauen lassen. Der Rollsplitt war zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Weise beseitigt, dass keine Gefährdung der Verkehrsteilnehmer mehr bestand. Jedoch trifft den Motorradfahrer haftungsrechtlich ein Mitverschulden. Das Mitverschulden ergibt sich aus der von dem Motorrad ausgehenden Betriebsgefahr, die durch einen Fahrfehler des Motorradfahrers erhöht wurde. Denn der Motorradfahrer hat sein Motorrad im Kurvenbereich zum Beschleunigen hochgeschaltet und damit eine vermeidbare Gefahrerhöhung geschaffen. Zwar war der auf der Straße befindliche Rollsplitt für den Motorradfahrer vor und bei Befahren der Rechtskurve optisch nicht erkennbar. Jedoch hätte für den Motorradfahrer das ein paar Kurven vor der Unfallstelle auf eine Gefahrenstelle hinweisende Verkehrszeichen Anlass sein müssen im Bereich der Rechtskurve das Motorrad nicht zu beschleunigen. Das Schild hätte Warnung sein müssen, dass auch mit einigem zeitlichen Abstand noch Gefahrenstellen auftreten können. Zudem war aufgrund des optischen Eindrucks für den Benutzer der Straße erkennbar, dass im Unfallbereich Ausbesserungsarbeiten stattgefunden hatten, die zu besonderer Vorsicht hätten Anlass geben müssen. Denn der ausgebesserte Bereich war deutlich dunkler gefärbt als der übrige Straßenbelag. Das Mitverschulden des Motorradfahrers führt zu einer Haftungsverteilung von 1/3 zu seinen Lasten und 2/3 zu Lasten der Gemeinde. Neben 2/3 der materiellen Schäden unter anderem an Helm und Motorrad erhält der Motorradfahrer ein Schmerzensgeld in Höhe von 4000 Euro.“

Braucht man beim Moto-Cross-Training Streckenposten?

Schon etwas älter ist das OLG Schleswig, ‌Urt. v.19‌.‌02‌.‌2015‌ – 11 U ‌91‌/‌14‌ -, dass eine Frage behandelt, die für die Betreiber von Motocross-Anlagen von Bedeutung ist. Nämlich: Sind Streckenposten Pflicht?

Beklagt war im Verfahren ein Verein, der eine Motocross-Bahn. Die wurde im Herbst 2010 von dem damals neun Jahre alte Kläger im Rahmen eines freien Kindertrainings mit einer Kinder-Motocross-Maschine befahren. An dem Tag konnte das Gelände auch von Nichtvereinsmitgliedern gegen die Zahlung eines Entgelts benutzt werden. Der Junge war in Begleitung seines Vaters. Nach dem Überspringen einer Kuppe stürzte er bei der Landung mit seiner Maschine. Der nachfolgende Fahrer, ebenfalls ein Kind, konnte nicht ausweichen, weil die Unfallstelle für ihn nicht einsehbar war. Er überfuhr den Kläger und verletzte ihn schwer an Kopf und Hals. Das Kind verlangte dann von dem Betreiber der Motocross-Anlage Schadensersatz und Schmerzensgeld u.a. mit der Begründung, dass die Benutzung der Bahn durch Streckenposten hätte abgesichert werden müssen.

entnommen wikimedia.org Urheber Tomshtepel

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Das OLG hat die Klage – ebenos wie das LG Flensburg – abgewiesen. Nach seinen Ausführungen im Berufungsurteil hat der Betreiber der Motocross-Anlage

keine Verkehrssicherungspflichten verletzt, denn er braucht nicht allen denkbaren Gefahren vorzubeugen. Seine Verkehrssicherungspflicht erfordert lediglich den Schutz vor Gefahren, die über das übliche Risiko bei der Nutzung der Anlage hinausgehen und vom Benutzer – oder bei Kindern von deren Eltern – nicht vorhersehbar und nicht ohne weiteres erkennbar sind. Die Möglichkeit von Stürzen während einer Trainingsfahrt und von Kollisionen mit nachfolgenden Motocross-Fahrern liegt grundsätzlich im Rahmen der von vornherein zu erwartenden Risiken der gemeinsamen Nutzung einer Motocross-Anlage. Eine Motocross-Bahn ist eine unebene, nicht befestigte Strecke im Gelände, deren Beschaffenheit je nach Witterungsverhältnissen ganz andere Anforderungen an das fahrerische Können und die Beherrschung des Motorrades stellt als etwa die Teilnahme am Straßenverkehr. Bereits geringfügige Fahrfehler können zu Unfällen und Stürzen führen, durch die andere Fahrer und auch der Betroffene gefährdet werden können. Diese Umstände waren dem klagenden Kind und auch dessen Vater bekannt, die beide seit mehreren Jahren im Motocross-Sport aktiv waren.

Der beklagte Verein war auch nicht verpflichtet, die Kinder einzeln und zeitversetzt auf der Bahn fahren zu lassen. Diese Maßnahme würde den Charakter des Motocross-Fahrens einschneidend verändern. Den Teilnehmern geht es auch im Rahmen eines Trainings gerade darum, sich mit anderen zu messen, andere zu überholen, mithin im Training eine Rennsituation zu simulieren und so das Fahren in Konkurrenz mit anderen auszuüben. Zwar darf die Benutzung einer Motocross-Bahn nicht regellos oder vollständig unbewacht sein. Doch reicht insoweit das Vorhandensein eines entsprechenden Reglements für die Anlage (Platzordnung). Die Einhaltung der notwendigen Ordnung auf der Motocross-Bahn muss durch die Anwesenheit eines Platzwartes sichergestellt werden, was vorliegend der Fall war. Nach den Ausführungen des vom Gericht bestellten Sachverständigen ist es bei einem freien Training nicht verkehrsüblich, dass mehrere Streckenposten mögliche Gefahrenstellen einer Motocross-Piste überwachen. Das Reglement für Motocross des Deutschen Motorsportbundes, das ausdrücklich die Einrichtung einer ausreichenden Zahl von Flaggen- bzw. Streckenposten vorsieht, gilt lediglich für Wettbewerbsveranstaltungen.

Letztlich ist zu konstatieren, dass der Motocross-Sport eine für alle Beteiligten erkennbar gefährliche Sportart ist. Die Gefahren lassen sich in zuverlässiger Weise nur durch solche Maßnahmen verringern, die entweder so kostenträchtig sind, dass ein freies Training von Motocross-Vereinen nicht mehr angeboten werden könnte, oder aber den Charakter des Motocross-Fahrens so stark verändern würden, dass die Attraktivität dieses Sports für Kinder und Jugendliche verlorenginge. Das Angebot von Vereinen würde dann keine Akzeptanz mehr finden mit der Folge, dass Kinder und Jugendliche in die freie Landschaft auswichen, wo es keine sachverständig abgenommenen Rennbahnen und keine Überwachung gibt. Vor diesem Hintergrund ist es hinzunehmen, dass die Beteiligten die mit einem freien Training auf einer eigens für den Motocross-Rennsport hergerichteten Rennpiste einhergehenden erkennbaren Gefahren auf sich nehmen.

Entnommen der PM Nr. ‌2‌/‌2015‌ des OLG Schleswig-Holstein vom ‌04‌.‌03‌.‌2015‌ – und hier geht es zum Volltext.

Trunkenheitsfahrt: allein 0,65 Promille BAK reicht nicht

© ExQuisine - Fotolia.com

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Das AG verurteilt den Angeklagten wegen einer Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB), stellt aber nur eine BAP von 0,65 Promille fest. Reicht so nicht, sagt der OLG Schleswig, Beschl. v. 17.01.2014 – 1 Ss 152/13 (8/14) – und hebt auf die Revision des Angeklagten das amtsgerichtliche Urteil auf:

„…Das Urteil leidet an einem Darstellungs- und Begründungsmangel. Das Urteil enthält keine Feststellungen, die den Schluss auf den vom Tatgericht angenommenen rauschbedingten Fahrfehler zulassen. Allein der mit 0,65 Promille angegebene Blutalkoholwert des Angeklagten zur Tatzeit (wobei der Zeitpunkt des Trinkendes im Urteil nicht angegeben wird) erlaubt einen solchen Rückschluss nicht, zumal der Angeklagte weder von dem die Blutprobe entnehmenden Arzt noch den zum Unfallort herbeigerufenen Polizeibeamten als merklich alkoholisiert beschrieben wurde. Insoweit ist nicht auszuschließen, dass das zum Unfall führende verkehrswidrige Fahrverhalten des Angeklagten auf anderen Ursachen als einer alkoholbedingten Berauschung fußte.

 Es ist aber nicht auszuschließen, dass in einer neuerlichen Hauptverhandlung Feststellungen zur Ursache des Fahrfehlers getroffen werden können. Diesbezüglich wäre insbesondere an ein Sachverständigengutachten zu denken, das unter Berücksichtigung der physiologischen Besonderheiten des Angeklagten Auskunft über dessen Alkoholverträglichkeit geben könnte.“

Ist mir nicht so ganz klar. Warum eigentlich nicht § 315c StGB? Das hätte vom Ansatz des AG her doch nahe gelegen. Oder habe ich ein Brett vorm Kopf?

Qualifizierter Rotlichtverstoß – eine Urteils-Checkliste vom OLG

© Ideeah Studio - Fotolia.com

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Manche OLG-Entscheidungen lesen sich wie Checklisten, die hat man als Autor natürlich besonders gerne. So z.B. den OLG Schleswig, Beschl. v. 02.04.2014 – 1 Ws OWi 59/14, der zu den Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen bei einer Verurteilung wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes Stellung nimmt. Für den Betroffenen ja ein nicht ganz ungefährlicher Bereich, weil über § 132.3 BKat ein Fahrvebrot droht. Da möchte das OLG aus den Feststellungen erfahren:

  • um welche Art von Wechsellichtzeichenanlage es sich gehandelt hat, was für die Frage, ob es vorliegend um einen typischen groben Verstoß gegen die Pflichten eines Fahrzeugführers handelt, weil ja der Rotlichtverstoß länger als 1 Sekunde dauerte, von Bedeutung sein kann. Denn nicht jeder Rotlichtverstoß von mehr als 1 Sekunde stellt eine typische, ein Fahrverbot indizierende Pflichtwidrigkeit i.S.d. § 4 Abs. 1 Nr. 3 BKatV dar.
  • auf welche Tatsachen das Gericht seine Überzeugung gestützt hat,
  • ob und wie sich der Betroffene eingelassen hat — außer, dass er die Fahrereigenschaft eingeräumt hat,
  • ob der Richter der Einlassung folgt oder ob und inwieweit er die Einlassung aufgrund welcher tragenden Beweismittel für widerlegt ansieht,
  • welche Angaben Zeugen gemacht haben und warum diesen der Vorzug gegenüber der Einlassung des Betroffenen gegeben wird,
  • auch bei einem standardisierten Messverfahren wie Traffiphot III die Angabe der wesentlichen Anknüpfungstatsachen wie des Abstands zwischen Haltelinie, erster und zweiter Induktionsschleife sowie der Rotlichtzeiten bei Überfahren der ersten und zweiten Induktionsschleife.

Und schließlich darf nicht einfach auf Urkunden pp. Bezug genommen werden:

„Die verwendeten Messfotos wurden im Übrigen nicht durch eine prozessökonomische ausdrückliche Bezugnahme gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO zum Urteilsbestandteil gemacht und können deshalb vom Rechtsmittelgericht nicht eingesehen werden. Darüber hinaus wurden gebotene eigene Urteilsfeststellungen oder Würdigungen, z.B. zur Eichung des Geräts, durch unzulässige Bezugnahmen ersetzt, so dass es verfahrensrechtlich an einer Urteilsbegründung und sachlich-rechtlich an der Möglichkeit der Nachprüfung durch das Revisionsgericht fehlt (st. Rspr. vgl. BGHSt 30, 225; 33, 59; BGHR StPO § 267 Abs. 1 Bezugnahme 1). Eine Verweisung oder Bezugnahme ist im Übrigen lediglich nach § 46 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO und nur wegen „Abbildungen“ möglich. Dem Rechtsbeschwerdegericht ist es allein auf Grund der unzulässigen Bezugnahmen auf die den Vorfall dokumentierenden Schriftstücke nicht möglich zu überprüfen, ob die Überzeugung des Tatrichters auf tragfähigen Erwägungen beruht, die Beweiswürdigung des Amtsrichters anerkannten rechtlichen Grundsätzen entspricht und die Überzeugung von der Ordnungsgemäßheit der Messung rechtsfehlerfrei gewonnen wurde.“

Also im Grunde ganz einfach. Der Amtsrichter in Lübeck wusste es aber wohl nicht. Jetzt weiß er es und kann es beim zweiten Mal richtig machen.

Binsenweisheit, aber ein bisschen ungenau ist das OLG auch

© a_korn - Fotolia.com

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Eine gesetzliche Binsenweisheit entscheidet der OLG Schleswig, Beschl. v.24.10.2013 – 1 Ss OWi 139/13 (186/13), nämlich den Hinweis auf §§ 46 OWiG, 268 Abs. 3 Satz 2 StPO und damit auf die „Urteilsverkündungssfrist“, die auch für den Bußgeldrichter gilt. Auch der hat sein Urteil binnen 11 Tagen nach Schluss der Verhandlung zu verkünden:

Die Rechtsbeschwerde dringt allerdings mit der erhobenen Verfahrensrüge, die gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ordnungsgemäß begründet wurde, durch. Der Bußgeldrichter hat entgegen §§ 46 OWiG, 268 Abs. 3 Satz 2 StPO sein Urteil nicht binnen 11 Tagen nach Schluss der Beweisaufnahme verkündet. Dies wäre gemäß §§ 46 OWiG, 42 StPO der 11. Juni 2013 gewesen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Urteil auf diesem Verstoß beruht, da ausweislich der dienstlichen Stellungnahme des Richters vom 9. Oktober 2013 (BI. 144 d. A.) es nicht sicher feststeht, dass die abschließende Urteilsberatung innerhalb der Frist des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO stattgefunden hat (vgl. hierzu BGHR StPO § 268 Abs. 3 Verkündung 3 = NJW 2007, 96).“

Man fragt sich, ob da einer nicht zählen konnte oder warum das Urteil nicht fristgemäß verkündet worden ist. Kann doch nicht schwer sein, den 11. Tag zu bestimmen. Allerdings. In der Formulierung ist das OLG auch nicht so ganz genau: Das Urteil muss nicht am 11. Tag „nach Schluss der Beweisaufnahme“ verkündet werden, sondern „nach Schluss der Verhandlung“.  Das ist ein anderer Anfangspunkt für die Berechnung der Frist. Nach dem Schluss der Beweisaufnahme kann nämlich in der Hauptverhandlung noch das Plädoyer folgen usw. Das muss ja nicht unbedingt unmittelbar an den Schluss der Beweisaufnahme anschließen. Aber wahrscheinlich hat das OLG bzw. die Generalstaatsanwaltschaft, auf die sich das OLG bezieht, gemeint.