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Unfallmanipulation II: „Hatte ein Date mit meiner Geliebten“, das spricht dagegen.

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Bei der zweiten Entscheidung aus dem Bereich der Unfallmanipulation handelt es sich um das OLG Hamm, Urt. v. 01.08.2017 – 9 U 59/16. Das ist mal eine Entscheidung, in der die Annahme eines manipulierten Unfalls abgelehnt worden ist. Das OLG hat auf der Grundlage der herrschenden Rechtsprechung zu diesen Fragen, die eine Gesamtschau aller Indizien fordert und bei „einer ungewöhnlichen Häufung typischer Umstände“ dann ggf. von einer Unfallmanipulation ausgeht, alle maßgeblichen Indizien herangezogen, kommt dann aber zum Ergebnis: Reicht für die Annahme eines manipulierten Unfalls nichts.

An die Spitze der „auffälligen“ Indizien stellt das OLG:

„Auffällig ist allerdings zunächst, dass der Q eines von 4 Fahrzeugen ist, die im Verlaufe des Sonntags in der in einem Gewerbegebiet liegenden Straße T-Straße in T von deren Eigentümern bzw. Nutzern abgestellt worden sind und die alle vier durch den von dem Beklagten zu 1) geführten, angemieteten N Sprinter zu später Abendstunde in Abwesenheit unbeteiligter Zeugen erheblich beschädigt worden sind. Zwecks Ausschluss eines eigenen Risikos hat der Beklagte zu 1) die Selbstbeteiligung ausgeschlossen.“

Aber: Für diesen Umstand gab es eine „vernünftige“ Erklärung, die das OLG überzeugt hat:

„Als Grund für das Abstellen des Fahrzeugs an der späteren Unfallstelle im Verlauf des Sonntags  hat der Kläger von Beginn an – insoweit ebenso wie der keine Ansprüche geltend machende I – ein dort vereinbartes Treffen mit seiner damaligen verheirateten Geliebten angeführt. Nachdem sich unvorhergesehen die Möglichkeit ergeben habe, den Abend und die Nacht gemeinsam miteinander zu verbringen, sei man mit dem Fahrzeug der Geliebten in Richtung E1 gefahren und habe sich dort in einem Hotel eingemietet. Dass der Kläger das Hotel nicht namentlich bezeichnen konnte, ist ebenso unverdächtig wie der Umstand, dass der Kläger keine Angaben dazu machen konnte, wer für das Hotel bezahlt hat. Bei lebensnaher Betrachtung war der Name des Hotels für den Kläger ebenso ohne Bedeutung wie die Frage, wer das Hotel gezahlt hat. Den nachvollziehbaren Angaben des Klägers zufolge habe man nicht akribisch Kostenteilung betrieben. Es ist bei der Bezeichnung der Geliebten auch nicht im Unbestimmten und nicht Nachprüfbaren seitens des Klägers geblieben. Der Kläger hat gegenüber dem Senat detaillierte Angaben gemacht, anhand derer eine Identifizierung der Geliebten möglich war. Mit Rücksicht auf deren persönliche Situation hat der Kläger nach Rücksprache mit dieser verständlicherweise auf deren zeugenschaftliche Benennung verzichtet. Hätte der Kläger sich eine abgesicherte Legende zuvor zurechtlegen wollen, so hätte es nahegelegen, sich nicht auf eine Person zu beziehen, die sich nicht offenbaren möchte.“

Da kann man für den Kläger nur hoffen, dass er jetzt nicht noch ein familiengerichtliches Verfahren am Hals hat 🙂 .

Zustellung/Heilung, oder: Wir beten alles gesund, quasi: „Von hinten durch die Brust ins Auge“..

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Ich eröffne den Tag mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 08.08.2017 – 3 RBs 106/17. Mit dem Beschluss habe ich – gelinde ausgedrückt – ganz erhebliche Probleme; aber das hatte ich – auch früher schon – häufiger mit dem 3 Strafsenat/3. Senat für Bußgeldsachen des OLG Hamm, der immer für eine „Überraschung“ gut ist. Und die Probleme mit dem Beschluss habe übrigens nicht nur ich, sondern auch ein amtsrichterlicher Kollege, der mich auf die Entscheidung vor einigen Tagen angesprochen hatte. Der möchte aber ungenannt bleiben. Mich beruhigen solche „Diskussionen“ aber immer, weil ich dadurch sehe, dass ich mit meinen Bedenken nicht allein bin 🙂 .

Es geht (mal wieder) um eine Zustellungsproblemati, und zwar um die Heilung einer unwirksamen Zustellung an den Verteidiger. Zugrunde liegt etwa folgender Sachverhalt: Dem Betroffenen wird eine Geschwindigkeitsüberschreitung zur Last gelegt. Nach Übersendung des Anhörungsbogens betreffend des Verstoßes, der am 18.05.2015 begangen worden sein soll, bestellte sich Rechtsanwalt I2 als Verteidiger des Betroffenen und überreichte eine von dem Betroffenen unterzeichnete Vollmacht (schon schlecht 🙂 ). Der dann erlassene Bußgeldbescheid vom 05.08.2015 sollte dem Verteidiger gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden und war wie folgt adressiert: „Herrn I über Anwaltskanzlei N und M. I2“. Schriftlich informierte die Bußgeldstelle den Betroffenen am selben Tag über den Erlass des Bußgeldbescheides, der dem Bevollmächtigten zugestellt worden sei, unter Beifügung eines Duplikats des Bußgeldbescheides. Mit Fax vom 07.08.2015 legte der Verteidiger Einspruch „gegen den Bußgeldbescheid vom 05.08.2015“ ein. Das Empfangsbekenntnis betreffend die Zustellung des Bußgeldbescheides reichte der Verteidiger in der Folgezeit trotz weiterer schriftlicher Aufforderungen nicht zurück. Die Bußgeldstelle verfügte am 14. 12.2015 die Aktenabgabe an die StA, die die Akte mit Verfügung vom 28.12.2015 dem AG (Eingang: 30.12.2015) vorlegte. Mit Verfügungen vom 10.06.2016, 09.08.2016 und 29.11.2016 ordnete das AG die Anberaumung von Hauptverhandlungsterminen an.

Der Betroffene hat das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung geltend wegen unwirksamer Zustellung des Bußgeldbescheids. Das hat weder beim AG noch beim OLG gezogen. Das OLG hat das AG-Urteil zwar auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen aufgehoben und zurückverweisen, aber aus anderen Gründen.

Der Beschluss ist schwere Kost . nicht nur vom Inhalt, sondern auch von der Darstellung her und lässt sich hier nur schwer darstellen. Daher beschränke ich mich im wesentlichen auf die beiden amtlichen Leitsätze, die da lauten:

  1. Im Fall der unwirksamen Zustellung des Bußgeldbescheides an den Verteidiger wird Heilung nach § 51 Abs. 1 Satz 1 OWiG i.V.m. § 8 VwZG NW durch den tatsächlichen Zugang des Bußgeldbescheides bei dem Betroffenen bewirkt.
  2. Der Senat neigt in diesem Zusammenhang im Übrigen der Auffassung zu, dass durch die Einsichtnahme des Verteidigers in die Bußgeldakte, in der sich der zuzustellende Bußgeldbescheid befindet, ein tatsächlicher oder nachweisbarer Zugang i.S.d. Heilungsvorschriften bewirkt werden kann, sofern zuvor ein auf eine förmliche Zustellung gerichteter Zustellungswille dokumentiert ist.

Zum zweiten Leitsatz:

„bb) Im Ergebnis kann dies dahin stehen, denn vorliegend wurde Heilung nach § 51 Abs. 1 Satz 1 OWiG i.V.m. § 8 VwZG NW durch den tatsächlichen Zugang des Bußgeldbescheides bei dem Betroffenen bewirkt (so auch Saarländisches OLG, Beschluss vom 29. April 2009 – Ss (Z) 205/09 (37/09), juris, Rdnr. 10).

(1) Wie bereits dargelegt, ist aufgrund des fehlenden Empfangsbekenntnisses der Anwendungsbereich von § 8 VwZG NW eröffnet.

(2) Ein Zustellungswille der Bußgeldbehörde ist dokumentiert. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen.

(3) Der für die Heilung erforderliche „nachweisliche“ oder „tatsächliche“ Zugang bei einem Empfangsberechtigten ist ebenfalls erfolgt, da der Bußgeldbescheid dem Betroffenen zuging.

(a) Der Betroffene erhielt spätestens am 7. August 2017 ein Duplikat des Bußgeldbescheides, wie sich bereits aus dem Einspruchsschreiben des Verteidigers vom 7. August 2015, jedenfalls aber aus den Ausführungen in dem Schriftsatz des Verteidigers vom 22. August 2016 ergibt; demnach habe ihn der Betroffene über den Erhalt eines Bußgeldbescheides informiert.

(b) Der Zugang beim Betroffenen genügt für eine Heilung nach § 8 VwZG NW, auch wenn der Zustellungswille der Bußgeldbehörde auf eine förmliche Zustellung an den gewählten Verteidiger gerichtet war. „Empfangsberechtigter“ i.S.v. § 8 VwZG NW ist nicht nur derjenige, an den die Zustellung gerichtet war, sondern eine Heilung wird auch dann bewirkt, wenn ein anderer Zustellungsberechtigter das Schriftstück tatsächlich erhält. Denn der Begriff „Empfangsberechtigter“ entspricht der „Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte“ in § 189 ZPO, wie sich auch aus der Gesetzesbegründung zu der bundesgesetzlichen Regelung in § 8 VwZG ergibt (BT-Drs. 15/5216, S. 14; Erlenkämper/Rhein, § 8 LZG NRW, Rdnr. 1). Im Bußgeldverfahren steht es auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG im Ermessen der Bußgeldbehörde, ob sie an den Betroffenen oder seinen Verteidiger zustellen will (Göhler-Seitz, OWiG, 16. Aufl., § 51, Rdnr. 44 m.w.N.). Ein Betroffener bleibt daher auch dann, auch wenn sich sein gewählter Verteidiger gemeldet und eine Vollmacht zur Akte gereicht hat, Empfangsberechtigter i.S.v. § 8 VwZG NW, so dass ein tatsächlicher bzw. nachweislicher Zugang bei ihm geeignet ist, die Heilungswirkung auszulösen. Dies gilt aufgrund des Wortlauts von § 189 Alt. 2 ZPO auch dann, wenn der (empfangsberechtigte) Empfänger des zuzustellenden Schriftstücks nicht mit der Person identisch ist, die auf dem Schriftstück bzw. dessen Umschlag als Adressat der Zustellung angegeben ist, sofern die Zustellung nach den gesetzlichen Bestimmungen an den tatsächlichen Empfänger hätte gerichtet werden können (BGH, Urteil vom 12. März 2015 – III ZR 207/14, BeckRS 2015, 06671, Rdnr. 15; BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 – 8 C 43.95, juris, Rdnr. 28 für § 9 VwZG a.F.; MK-Häublein, ZPO, 5. Aufl., § 189, Rdnr. 9). Für eine solche Anwendung der Heilungsvorschriften spricht neben dem Gesetzeswortlaut der Regelungszweck der reformierten Zustellungsvorschriften, der nach dem oben Gesagten auf eine Vereinfachung des Zustellungsverfahrens abzielt mit der Folge einer weiten Auslegung der Vorschriften über die Heilung von Zustellungsmängeln.

(4) Ausreichend ist schließlich nach der nunmehr wohl h.M. in Rechtsprechung und Literatur, der sich der Senat anschließt, jedenfalls im Anwendungsbereich der Verwaltungszustellungsgesetze auch der Zugang einer Kopie oder eines Duplikats (BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 – 8 C 43.95, juris, Rdnr. 29 für § 9 VwZG a.F; OVG NW, Beschluss vom 30. Mai 2011 – 13 E 499/11, juris, Rdnr. 7; Erlenkämper/Rhein, § 8 LZG NRW, Rdnr. 18; MK-Häublein, ZPO, 5. Aufl., § 189, Rdnr. 9; a.A. Engelhardt/Schlatmann, VwZG, 10. Aufl., § 8, Rdnr. 4 m.w.N.). Der Zweck der Bekanntgabe ist nämlich erreicht, wenn dem Adressaten eine zuverlässige Kenntnis des Inhalts des Bescheides verschafft wird (Kugelmüller-Pugh in: Beerhamm/Gosch, AO/FGO, 1. Aufl., 131. Lieferung (Stand: 01.02.2013), § 8 VwZG, Rdnr. 21). Dies gilt umso mehr im automatisierten Bußgeldverfahren, bei dem der Bußgeldbescheid computergestützt erstellt und nicht im Original unterzeichnet wird (BGH, Beschluss vom 5. Februar 1997 – 5 StR 249/96, NJW 1997, 1380).

Nach allem: Der formlose Zugang beim Betroffenen heilt die fehlerhafte Zustellung beim Verteidiger heilt, obwohl der innerhalb der Dreimonatsfrist keine Kenntnis genommen hat. Mit der Begründung ist alles heilbar. So – m.E. falsch – auch schon das OLG Saarbrücken. Anders haben das das OLG Celle im OLG Celle, Beschl. v. 30.08.2011 – 311 SsRs 126/11 und dazu Mit der Vollmacht kann man verteidigen und das OLG Stuttgart im OLG Stuttgart, Beschl. v. 10.10.2013 – 4a Ss 428/13 gesehen (ähnlich auch noch OLG Celle zfs 2016, 110 m. Anm. Krenberger). Aber vorgelegt wird natürlich – mal wieder – nicht. Aber irgendwann geht auch in der Frage kein weg am BGH vorbei.

Geisterradfahrer, oder: 1/3 Mitverschulden bei Fahrt auf falscher Seite

entnommen openclipart.org

Der dem OLG Hamm, Urt. v. 04.08.2017 – 9 U 173/16 – zugrunde liegende Sachverhalt könnte aus Münster stammen. Kommt er aber dann doch nicht, sondern das Unfallgeschehen hat sich in Marl abgespielt. Dort war die klagende Radfahrerin, die beim Befahren eines Radweges entgegen der Fahrtrichtung mit einem wartepflichtigen Pkw kollidiert. Die Radfahrerin war mit ihrem Fahrrad auf einem linksseitigen Geh- und Radweg gefahren. Diesem folgte sie auch (noch), als er nur noch für Radfahrer aus der entgegengesetzten Fahrtrichtung freigegeben war. Die Klägerin beabsichtigte, die Einmündung einer untergeordneten Straße zu queren, um dann nach links in diese Straße einzubiegen. Der Beklagte befuhr mit seinem Pkw diese und beabsichtigte, an der Straßeneinmündung nach rechts in die Straße abzubiegen, auf der die Klägerin mit ihrem Fahrrad fuhr. Beim Abbiegen kollidierte sein Fahrzeug mit dem Fahrrad der Klägerin. Die Klägerin stürzte auf die Motorhaube, rutsche mit ihrem Rad über die Straße und schlug mit dem unbehelmten Kopf auf der Fahrbahn auf. Mit einem ein Schädel-Hirn-Trauma, einem Schädel-Basis-Bruch und einer Kniefraktur erlitt sie schwerste Verletzungen. Den entstandenen Schaden hat sie gegenüber dem Kläger geltend gemacht.

Das OLG kommt zu folgenden Haftungsabwägung:

Die Klägerin hat gegen § 2 Abs. 4 S. 2 StVO verstoßen, was sie sich als anspruchsminderndes Mit- bzw. Eigenverschulden nach § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB entgegenhalten lassen muss.

Die Klägerin hat den an der Unfallstelle vorhandenen gemeinsamen Geh- und Radweg entgegen der Fahrtrichtung benutzt, ohne dass dieser für ihre Richtung freigegeben war. Die Klägerin entlastet dabei nicht, dass sie nur wenige Meter, nachdem der Radweg für sie endete, auf diesem weitergefahren ist, weil sie in die von links einmündende Straße C abbiegen wollte. Die Klägerin befand sich ab diesem Zeitpunkt verbotswidrig auf dem Radweg. Sie hätte fortan den linken Geh- und Radweg richtigerweise nur noch ihr Rad schiebend als Fußgängerin benutzen dürfen. Gegenüber dem von links in die Hauptstraße einbiegenden Verkehr war sie als Fußgängerin wartepflichtig und unterlag den Sorgfaltspflichten des § 25 StVO. Denn der Links- und Rechtsabbiegende muss nach § 9 Abs. 3 S. 3 StVO nur auf Fußgänger besonders achten, die geradeaus gehen oder ihm entgegenkommen (König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., § 9 Rn. 43).

5. Es kann dahin gestellt bleiben, ob hinsichtlich der Entstehung oder jedenfalls hinsichtlich des Ausmaßes der erlittenen Kopfverletzungen durch das Nichttragen eines Fahrradhelms  eine objektive Mitverursachung in der Person der Klägerin begründet worden ist. Selbst wenn dies der Fall wäre, führte dies in Anwendung der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedenfalls bezogen auf den Unfallzeitpunkt im Jahre 2013 nicht zu einer Anspruchskürzung gemäß § 254 Abs. 1 BGB (vgl. BGH v. 17.06.2014 – VI ZR 281/13 – juris). Zunächst einmal bestand damals wie heute keine gesetzliche Helmpflicht für Fahrradfahrer. Nach den Ausführungen des im Jahre 2014 veröffentlichten vorgenannten Urteils lasse sich für das Jahr 2011 auch nicht die Feststellung treffen, die Erforderlichkeit des Tragens von Fahrradhelmen habe im Jahr 2011 dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein entsprochen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich das Verkehrsbewusstsein im Jahre 2013 – mithin noch vor Bekanntwerden der vorstehenden Entscheidung im Jahr 2014 – wesentlich gewandelt hätte, liegen dem erkennenden Senat nicht vor.

6. Unter Berücksichtigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalles bewertet der Senat den Mitverschuldens- bzw. Eigenverschuldensanteil der Klägerin mit 1/3. Für ein vollständiges Zurücktreten ihres Verursachungsanteils, wie es die Klägerin anstrebt, sieht der Senat keinen Anlass. Das ihr zustehende Vorfahrtsrecht schuf für die Klägerin keine hinreichende Vertrauensgrundlage, dass der Beklagte zu 1 sie registrierte und ihr das Vorfahrtsrecht einräumen würde. Denn die Klägerin wusste darum, dass sie den Radweg entgegen der zugelassenen Fahrtrichtung benutzte und sich nicht verkehrsgerecht verhielt, was das Risiko einer Kollision mit dem einbiegenden und ihren Fahrweg kreuzenden Verkehr erhöhte. Nicht zuletzt deshalb verzögerte sie in Annäherung an die Einmündung ihre Geschwindigkeit. Allein der Umstand, dass der Beklagte zu 1 – insoweit noch vorbildlich – sein Fahrzeug vor dem querenden gemeinsamen  Geh- und Radweg anhielt, besagte nicht, dass er die Klägerin auch wahrgenommen hatte und er der Klägerin zudem den Vorrang einräumen würde. Die Haltelinie verpflichtete den Beklagten zu 1 zunächst an dieser Stelle anzuhalten. Das Halten diente ersichtlich auch dazu, nicht den Radweg zu blockieren. Ein Vertrauen darauf, dass der Beklagte zu 1 sie würde zunächst passieren lassen, hätte die Klägerin nur in Anspruch nehmen dürfen, wenn sie sich zuvor mit dem Beklagten zu 1 verständigt hatte, und zwar ausdrücklich und unmissverständlich durch Blickkontakt und gegebenenfalls Geben von Handzeichen. Beides ist unstreitig unterblieben.

Demgegenüber ist neben der von dem Fahrzeug des Beklagten zu 1 ausgehenden Betriebsgefahr dessen unfallursächlicher Vorfahrtsverstoß einzustellen. Wenn auch die Sichtmöglichkeiten des Beklagten zu 1 durch die Bauart des Fahrzeugs bedingt eingeschränkt waren, so vermag dies den Beklagten nicht von dem Vorwurf einer Vorfahrtsverletzung frei zu stellen. Dies allein schon deshalb, weil das bestehende Manko ohne Weiteres leicht zu kompensieren gewesen wäre.

Bei dieser Sachlage hält der Senat eine Mithaftungsquote der Klägerin von 1/3 für angemessen. Hiervon ausgehend hat der Senat das angefochtene Urteil auf die Berufung der Beklagten hin teilweise abgeändert.“

Sollte sich jeder (Geister)Radfahrer – und von denen gibt es hier in Münster viele – merken.

OLG Hamm zu PoliscanSpeed, oder: Auch wir machen es falsch…

entnommen wikimedia.org
Urheber KarleHorn

Der Kollege Kögel aus Wetter hat mir vor einigen Tagen den OLG Hamm, Beschl. v. 18.08.2017 – 1 RBs 47/17 – übersandt. In ihm hat das OLG – in einem Zusatz (!) – noch einmal zu PoliscanSpeed und zur Frage: Noch standardisiert?, Stellung genommen. Das OLG führt aus:

„Zusatz:

Ergänzend bemerkt der Senat an:

Der Senat sieht aufgrund der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. Senatsbeschluss vom 13.07.2017 – III- 1 RBs 80/17 OLG Braunschweig, Beschluss vom 13.06.2017 – 1 Ss (OWi) 115/17 juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26.05.2017 – 2 Rb 8 Ss 246/17BeckRS 2017, 111916; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 21.04.2017 – Ss Rs 13/17 (26/17) juris; KG, Beschluss vom 21.06.2017 – 3 Ws (B) 156/17162 Ss 90/17 – BeckRs 2017, 116543) zu der Frage, welchen möglichen Einfluss etwaige Rohmessdaten, deren Ortskoordinaten außerhalb des Messbereichs des Messgeräts PoliScan Speed liegen, auf die Zuverlässigkeit der Messung haben, nebst den in den vorgenannten Entscheidungen in Bezug genommenen Stellungnahmen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt „Unveränderte Gültigkeit der Bauartzulassung zur Eichung des LaserscannerGeschwindigkeitsüberwachungsgerätes PoliScan Speed der Fa. Vitronoc“ in der Fassung vom 16.12.2016 (http://dx.doi.org/10.7795/520.20161209A) mit genauer Beschreibung der Messwertbildung sowie „Antworten auf häufige Fragen zum Laserscanner-Geschwindigkeitsüberwachungsgerät PoliScan Speed der Fa. Vitronic“ in der Fassung vom 12.01.2017 (http:/dx.d0i.org/10.7795/520.20161209B), auf die ergänzend verwiesen wird, keinen Anlass, angesichts der Entscheidung des AG Mannheim vom 29.11.2016 – 21 OWi 509/s 357/40/15 BeckRS 2016, 113051) von seiner Auffassung, bei der Verwendung des Messgeräts PoliScan Speed handele es sich um ein standardisiertes Messverfahren, abzurücken.“

Über die in Bezug genommenen Entscheidungen habe ich hier ja auch schon berichtet. Decken wir das Mäntelchen des Schweigens darüber.

Der Kollege war erstaunt, dass das OLG zum Messverfahren Stellung genommen hat, denn er hatte es „zumindest in diesem Verfahren nicht“ in Frage gestellt. Deshalb fand der Kollege „die Ausführungen des Senats eher merkwürdig.“ Nun, ich habe ihm darauf geantwortet, dass „das OLG wollte angesichts der derzeitigen Diskussion um PoliscanSpeed mitteilen [wollte], dass es es wie die anderen OLG auch falsch macht“. Denn ich denke, da liegt der Hase im Pfeffer: In einer Sache, in der es niemand hören will, schon mal einen Pflock einhausen. 🙂

Inbegriffsrüge, oder: Begründung ist doch schwerer, oder?

entnommen wikimedia.org
Urheber Harald Bischoff

Ich habe hier ja auch schon häufiger zur ausreichenden Begründung der Inbegriffsrüge Stellung genommen, und zwar:

Dabe geht es ja um das Problem, dass im Urteil Erkenntnisse vewrwendet werden, die nicht „Inbegriff der Hauptverhandlung“ (§ 261 StPO) waren. Meist wird gerügt, dass im Urteil eine in der Hauptverhandlung nicht verlesene Urkunde verwertet werden soll.

Jetzt hat das OLG Hamm auch noch einmal zu der Frage Stellung genommen. Der Betroffene hatte mit dieser Inbegriffsrüge geltend gemacht, dass in den Urteilsgründen auf die Dateneinblendung innerhalb eines Messfotos Bezug genommen werde, obgleich die Dateneinblendung auf dem Messfoto nicht Gegenstand der Hauptverhandlung gewesen sei. Die Datenleiste/Messwerteinblendung sei weder verlesen, noch sonst wie, z. B. im Wege des Vorhalts oder anderweitig in die Hauptverhandlung eingeführt worden.

Zu dne Anforderungen an die Begründung verweist das OLG im OLG Hamm, Beschl. v. 11.05.2017 – 4 RBs 152/17 – darauf, dass nach der h.M. in diesen Fällen für eine ordnungsgemäße Begründung der Verfahrensrüge nicht nur die Behauptung, dass die Urkunde nicht verlesen worden, sondern auch die Darlegung, dass der Inhalt der Urkunde nicht in sonst zulässiger Weise eingeführt worden sei, erforderlich ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., 2017, § 261 Rn. 38 m. w. N.). Dazu war der Vortrag des Betroffenen  beim OLG Hamm dann aber widersprüchlich und damit nicht ausreichend für eine ordnungsgemäße Begründung.