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OWi I: Nochmals Leivtec XV 3 nicht standardisiert, oder: Einstellung und Wiederaufnahme

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Heute am letzten Novembertag kommen dann OWi-Entscheidungen.

Zunächst drei Entscheidungen zu Leivtec XV3, und zwar:

Da der Abschlussbericht der PTB in der Fassung vom 09.062021 nicht eindeutig erkennen lässt, unter welchen Messbedingungen sich Messwertabweichungen zu Ungunsten bzw. ausschließlich zu Gunsten Betroffener auswirken können, besteht nach einer im Vordringen befindlichen Ansicht in der obergerichtlichen Rechtsprechung bei dem Messgerät Leivtec XV § keine hinreichende Gewähr mehr, für die Annahme eines standardisierten Messverfahrens und für die Zuverlässigkeit der erzielten Messerergebnisse. Konsequenz des Nichtvorliegens eines standardisierten Messverfahrens ist, dass sich das Amtsgericht im Einzelfall mittels sachverständiger Hilfe von der Richtigkeit der Messung überzeugen muss. Daher ist jedenfalls in den Fällen, in denen das Maß der Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Verurteilung führt, gegen die lediglich ein Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 79 Abs. 1 Satz 2, 80 OWiG gegeben ist, schon aus prozessökonomischen Gründen die Einstellung des Verfahrens sachgerecht.

Spätestens mit der Stellungnahme der PTB vom 9.6.2021 ist davon auszugehen, dass es sich bei dem Messverfahren Leivtec XV 3 nicht mehr um ein standardisiertes Messverfahren im Sinn der Rechtsprechung des BGH handelt und somit neue Beweismittel im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO, § 85 OWiG vorliegen, die zur Wiederaufnahme des Verfahrens führen.

Wenn sich der Sachverständige und ein Mitarbeiter der Beklagten duzen, oder: Reicht das für eine Ablehnung?

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Dresden, Beschl. v. 31.08.2021 – 4 W 587/21 – geht es noch einmal u, die Ablehnung eines Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit (vgl. dazu auch schon OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 18.08.2021 – 17 W 12/21 und dazu Ablehnung II: Tatsachen im Gutachten unvollständig, oder: Ist der Sachverständige deshalb befangen?).

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen einer Klage auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung. Das LG hat ein Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. T. M. eingeholt und ihn in der mündlichen Verhandlung vom 14.07.2021 angehört. Nach Abschluss der Anhörung wurde die mündliche Verhandlung kurzzeitig unterbrochen. In dieser Zeit unterhielt sich der Sachverständige mit dem Chefarzt der Beklagten. Nach Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung stellte der Kläger einen Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen, weil er sich nach Eintritt in die Pause freundschaftlich mit Herrn Dr. S. per Du unterhalten habe.

Das LG hat den Befangenheitsantrag zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde dagegen hatte keinen Erfolg:

„Ein Sachverständiger kann abgelehnt werden, wenn hinreichende Gründe vorliegen, die in den Augen einer vernünftigen Partei geeignet sind, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu wecken (vgl. Senat, Beschluss vom 12.12.2017 – 4 W 1113/16 – juris). Erforderlich sind objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenüber (vgl. Senat, a.a.O.; vgl. BGH, Beschluss vom 11.04.2013 – VII ZB 32/12 – juris). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Allein die berufliche Bekanntschaft zwischen einem medizinischen Sachverständigen und einem oder mehreren Behandlern der Beklagten in einem Arzthaftungsverfahren vermag die Besorgnis der Befangenheit nicht zu begründen (vgl. Senat, Beschluss vom 18.04.2017 – 4 W 288/17 – juris). Ebenso wenig genügt eine persönliche Bekanntschaft. Entscheidend ist vor allem die Nähe der Beziehung (vgl. Senat, Beschluss vom 25.07.2019 – 4 W 610/19 – juris). Ein solches persönliches Näheverhältnis, dass aus Sicht einer vernünftigen Partei die Besorgnis der Befangenheit begründen könnte, ist hier aber nicht festzustellen.

Es kann unterstellt werden, dass die Prozessbevollmächtigte des Klägers den Sachverständigen und Herrn Dr. S. nach Rückkehr in den Gerichtssaal in freundschaftlich wirkender Pose dicht beieinander gestanden gesehen hat, wobei der eine zum Abschied kurz die Schulter des anderen berührt hat. Ein solches Beieinanderstehen mag aus der Sicht der Prozessbevollmächtigten des Klägers freundschaftlich ausgesehen haben. Dies stellt jedoch ebenso wie das kurze Berühren der Schulter keine belastbare Tatsache dar, aus der auf ein enges Näheverhältnis geschlossen werden könnte.

Soweit die Rechtsreferendarin der Prozessbevollmächtigten des Klägers in ihrer eidesstattlichen Versicherung angegeben hat, dass der Sachverständige seine mitgebrachten Unterlagen provokativ zugeklappt habe, als die Klägervertreterin mit der Befragung begonnen habe und der Tonfall ihr gegenüber auch deutlich härter und abweisender gewesen sei, wird dies schon durch die entgegenstehenden Beobachtungen der Mitglieder der Kammer des Landgerichts widerlegt. Ein abweisendes und hartes Auftreten gegenüber der Klägerseite durch den Sachverständigen konnte die Kammer nicht wahrnehmen. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers habe die bereits schriftsätzlich vorformulierten und durch die Kammer bereits gestellten Fragen mit verschiedenen Bezugnahmen und Umstellungen erneut gestellt. Mit zunehmender Dauer der Anhörung des Sachverständigen und der mehrfachen Wiederholung derselben Fragen habe der Sachverständige jedoch in zunehmendem Maße auf seine bereits getätigten Ausführungen verwiesen. Weder verächtliche Blicke noch Reaktionen konnte die Kammer wahrnehmen. Soweit die Rechtsreferendarin E. in ihrer eidesstattlichen Versicherung schilderte, dass sich der Sachverständige und der Chefarzt Dr. S. geduzt hätten und sie Sätze gehört habe wie: „Lass uns am Fenster reden.“, „Vor so etwas rufe ich immer telefonisch an, das gehört sich so unter Kollegen.“ und „Ich wünsche dir eine schöne Woche.“ steht dies im Widerspruch zu den übereinstimmenden Angaben des Prof. Dr. M. und des Dr. S., die erklärten, weder persönlich bekannt noch befreundet und auch nicht per Du zu sein. Eine irgendwie gearteten Arbeitsbeziehung wurde von dem Sachverständigen ebenfalls verneint. Herr Dr. S. erklärte, dass er den Sachverständigen lediglich gebeten habe, Grüße an einen bekannten Kollegen von ihm ausrichten zu lassen. Es besteht kein Anlass, den Angaben der Rechtsreferendarin E. mehr Glauben zu schenken als denen des Sachverständigen und des Arztes der Beklagten Dr. S. Unabhängig davon würde auch die Verwendung der Anrede „Du“ für sich genommen nicht den Schluss auf ein besonderes Näheverhältnis rechtfertigen, das aus Sicht einer vernünftigen Partei die Besorgnis der Befangenheit begründen könnte. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ergibt sich auch nicht, in welchem Zusammenhang der Satz „Vor so etwas rufe ich immer telefonisch an, das gehört sich so unter Kollegen.“ gefallen sein soll. Eine Verfahrensbezogenheit der Aussage ist nicht ersichtlich.“

Wenn der Fahrzeugschlüssel sichtbar an einem Haken hängt, oder: Obliegenheitsverletzung?

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Im zweiten „Kessel-Buntes-Posting“ geht es seit längerem mal wieder um eine versicherungsrechtliche Problematik. Die Klägerin betreibt eine Spedition und hat für einen Lkw sowie einen Anhänger jeweils eine Teilkaskoversicherung unter Vereinbarung eines Selbstbehaltes von 150,00 € abgeschlossen. Sie meldete am 29.01.2018 den Diebstahl der Zugmaschine und des Anhängers am 26.01.2018 um 23:10 Uhr. Die Beklagte hat am 14.12.2018 5.640,50 EUR und am 18.12.2018 28.175,00 EUR bezahlt. Der Klägerin genügt das nicht. Sie verlangt von der Beklagten den Wiederbeschaffungswert ihrer Fahrzeuge aus ihrer Teilkaskoversicherung.

Im Verfahren geht es u.a. um eine Obliegenheitsverletzung der Klägerin betreffend die Aufbewahrung der Fahrzeugschlüssel. Dazu hat die Klägerin „behauptet, ihre Fahrer hätten den Lkw nebst Anhänger gegen 18:00 Uhr des 26.01.2018 auf dem Betriebshof der Klägerin abgestellt. Die Fahrer hätten die Anweisung, den Fahrzeugschlüssel in Briefkästen – die den jeweiligen Fahrzeugen zugeordnet seien – im Eingangsbereich der Fahreranmeldung nach der Fahrt einzuwerfen. Für den Fall eines Fahrerwechsels sollten die Fahrzeugschlüssel auf den Haken, der auf dem Briefkasten angebracht sei, eingehängt werden. Die Briefkästen seien nur über eine Glastür zu erreichen, die durch einen Code geöffnet werden könne. Der Zeuge S. habe auf Anweisung des Geschäftsführers F. K. das Gespann mit zwei Containern in der Zeit von 20:50 Uhr bis 21:10 Uhr neu beladen und wieder abgestellt. Er habe sich hierbei den Schlüssel in der firmeneigenen Werkstatt – die auch freitags bis 22:00 Uhr besetzt sei – geholt und ihn auch dort wieder abgegeben. Am 27.01.2018 habe sich Herr J. K. gegen 7:00 Uhr auf das Betriebsgelände begeben und den Lastzug nicht mehr auf dem Betriebshof aufgefunden. Anhand der Telematikaufzeichnung sei festgestellt worden, dass der Lastzug um 23:17 Uhr vom Betriebshof entfernt worden sei. Zuletzt sei ein GPS-Signal gegen 6:06 Uhr des 27.01.2018 gesendet worden, zu diesem Zeitpunkt habe sich der Lastzug bereits 486 km weit bewegt. Der Wiederbeschaffungswert der Zugmaschine, des Anhängers sowie der zwei Wechselkoffer betrage 84.150,00 €.“.

Das LG hatte der Klage in Höhe von 45.434,50 EUR stattgegeben und im Übrigen abgewiesen. Dagegen die Berufung der Beklagten. Dazu verhält sich der OLG Dresden, Beschl. v. 05.07.2021 – 4 U 428/21  – ein sog. Hinweisbeschluss. Danach hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg. Das OLG nimmt zu Verfahrensfragen – insoweit bitte den Volltext lesen – aber auch zur Frage einer Obliegenheitsverletzung der Klägerin Stellung, die sie verneint:

„3. Eine Leistungskürzung wegen des grob fahrlässigen Herbeiführens eines Versicherungsfalles gemäß § 81 Abs. 2 VVG ist nicht gerechtfertigt. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt gröblich, in hohem Grad außer Acht lässt, wer nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten musste (vgl. Senat, Urteil vom 04.09.2018 – 4 U 427/18 – juris). Als grob fahrlässig ist ein den Eintritt des Versicherungsfalles förderndes Verhalten dann zu werten, wenn sich schon bei einfachen und naheliegenden Überlegungen die erhöhte Schadenswahrscheinlichkeit und die Notwendigkeit, ein anderes als das geübte Verhalten in Betracht zu ziehen, aufdrängt (so Senat a.a.O.). Zu den von einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer zu erwartenden Sicherungsvorkehrungen gegen einen Diebstahl eines Fahrzeuges gehört es, die Fahrzeugschlüssel so aufzubewahren, dass sie vor dem unbefugten Zugriff beliebiger Dritter geschützt sind (so Senat a.a.O.).

Die Klägerin hat ihre Sorgfaltspflichten nicht verletzt, indem sie die Fahrzeugschlüssel im Bereich der Anmeldung der Fahrer hinter einer Glastür in den Fahrzeugen zugeordneten Briefkasten oder auf Haken auf den Briefkasten verwahrt hat. Die Glastür ermöglicht zwar einen Blick in das Innere, so dass auch für dritte Personen der Ort der Schlüsselverwahrung ohne weiteres erkennbar ist. Allerdings befindet sich die Anmeldung der Fahrer auf dem umfriedeten Betriebsgelände der Klägerin, so dass ein zufälliges Vorbeikommen von Passanten und dritten Personen sehr unwahrscheinlich ist und die Glastür darüber hinaus auch für einen potentiellen Dieb die Gefahr des Entdecktwerdens mit sich bringt. Zudem ist die Glastür nur durch einen Zahlencode, einem Transponder oder mit einem Schlüssel zu öffnen. Damit ist die Glastür hinreichend vor unbefugtem Eindringen Dritter gesichert. Soweit die Beklagte geltend macht, es sei nicht ersichtlich, dass der Zahlencode regelmäßig geändert wurde, um sicherzustellen, dass ehemalige Mitarbeiter der Klägerin keinen Zutritt erhalten, so kann offenbleiben, wie oft der Zahlencode geändert wurde. Die regelmäßige Änderung des Zahlencodes mag die Sicherheit erhöhen, jedoch wäre das Unterlassen der Klägerin insoweit als allenfalls leicht fahrlässig anzusehen. Ersichtlich erfolgt die Behauptung zudem „ins Blaue hinein“.

Keinen Sorgfaltsverstoß stellt es dar, dass an den Briefkästen, die jeweils einem Fahrzeug zugeordnet waren und für die der jeweilige Fahrer einen Briefkastenschlüssel besaß, noch ein Haken angebracht war, an den der Fahrzeugschlüssel angehängt werden konnte, wenn ein Tausch der Fahrzeuge beabsichtigt war. Für diese Verfahrensweise bestand ein praktisches Bedürfnis, denn hätte der jeweilige Fahrer den Fahrzeugschlüssel stets in den Briefkasten geworfen, so hätte der nächste Fahrer, der nicht über den Briefkastenschlüssel verfügt, keinen Zugriff auf den Fahrzeugschlüssel gehabt.

Die Klägerin hat auch das Offenstehen des Rolltores nachvollziehbar erklärt, denn das Tor ist wochentags von 6:00 bis 22:00 Uhr, an Freitagen jedoch bis 24:00 Uhr geöffnet, um u. a. Kunden zu der auf dem Gelände befindlichen Lkw-Waschstraße den Zugang zu ermöglichen. Darüber hinaus wird den zurückkehrenden Fahrzeugen die Einfahrt ermöglicht. Selbst wenn man die Schließung des Rolltores an Freitagen erst um 24:00 Uhr statt um 22:00 Uhr als sorgfaltswidrig ansehen sollte, handelt es sich hier allenfalls um eine leichte Fahrlässigkeit.

Das Landgericht musste aus der Aussage des Zeugen S., dass er den Originalschlüssel nicht am Haken des Briefkastens vorgefunden und dies dem Geschäftsführer der Klägerin mitgeteilt habe, keinen Sorgfaltsverstoß entnehmen. Denn aus diesem Umstand musste der Geschäftsführer der Klägerin nicht auf die Entwendung des Schlüssels schließen. Der Fahrzeugschlüssel hätte sich auch im Briefkasten befinden können.“

StGB III: Verletzung eines Dienstgeheimnisses, oder: Waren Prüfungsaufgaben dem Amtsträger anvertraut?

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Und als dritte Entscheidung dann noch der OLG Dresden, Beschl. v. 29.09.2021 – 6 OLG 22 Ss 355/21, den mir der Kollege Stephan aus Dresden geschickt hat. Das AG hat die Angeklagte wegen „Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht“ zu einer Geldstrafe verurteilt. Dagegen die Revision der Angeklagten, die beim OLG – gegen den Antrag der GStA – Erfolg hatte:

„Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Freisprechung der Angeklagten.

1. Die Revision ist entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft als Sprungrevision gemäß § 335 Abs. 1 StPO zulässig, obwohl die Angeklagte lediglich zu einer Geldstrafe von zehn Tagessätzen verurteilt worden ist und eine Berufung deshalb gemäß § 313 StPO der Annahme durch das Berufungsgericht bedurft hätte. Nach herrschender Rechtsprechung und entgegen der überwiegenden Meinung in der Literatur kann auch in einem Fall der Annahmeberufung ein Urteil des Amtsgerichts mit der Sprungrevision grundsätzlich uneingeschränkt angefochten werden. Es besteht nach der Gesetzgebungsgeschichte kein Anhalt dafür, dass dem Begriff „zulässig“ in § 312 StPO durch die Einfügung des § 313 StPO eine über die Bedeutung „statthaft“ hinausgehende Bedeutung zukommen sollte (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 31. August 2015 – 2 OLG 21 Ss 210/15 –, juris m.w.N.).

2. Die Revision ist auch begründet. Das angefochtene Urteil hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Nach den Feststellungen des Amtsgerichts war die Angeklagte – eine Polizeihauptmeisterin im März 2018 Kurssprecherin des Kurses pp. an der Hochschule. Durch das Studium wollte die Angeklagte in den gehobenen Dienst aufsteigen. Um den 08.März 2018 erhielten sowohl die Angeklagte als auch die Sprecher der Parallelkurse von dem Kurssprecher des Kurses pp. die Prüfungsaufgaben für die am 15.März 2018 vorgesehene Modulprüfung „M5“. Dieser hatte die Aufgaben seinerseits von einem Mitarbeiter der Hochschule erhalten, der aufgrund seiner Stellung und Tätigkeit Zugang zu den Prüfungsunterlagen hatte. Der Angeklagten und den weiteren Empfängern war es überlassen, was mit den Originalaufgaben geschehen sollte. Am 12.März 2018 verlas die Angeklagte vor den anwesenden Teilnehmern ihres Kurses pp. die erhaltenen Aufgaben für die bevorstehende Modulprüfung.

b) Diese Feststellungen tragen einen Schuldspruch wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses gemäß § 353b Abs. 1 Satz 1 StGB nicht.

Die Prüfungsaufgaben, die die Angeklagte erhalten hat, stellen ein Geheimnis im Sinne des § 353b Abs. 1 Satz 1 StGB dar. Denn bis zum Prüfungstermin sind Prüfungsaufgaben nur einem beschränkten Kreis von Personen bekannt und bedürfen ihrer Natur nach der Geheimhaltung (vgl. RGSt 74, 110; BGHSt 11,401; MK-Puschke, StGB 3. Aufl. Rdnr. 20; NK-Kuhlen, StGB 5. Aufl. § 353b Rdnr. 13 m.w.N.).

Der Angeklagten ist dieses Geheimnis jedoch nicht als Amtsträgerin im Sinne des § 353b Abs. 1 Satz 1 StGB anvertraut oder sonst bekanntgeworden.

An einem „Anvertrauen“ fehlt es bereits deshalb, weil es der Angeklagten überlassen war, was mit den ihr übermittelten Aufgaben geschehen sollte. Denn unter „Anvertrauen“ ist nur die Mitteilung zu verstehen, bei der die Geheimhaltung verlangt oder stillschweigend erwartet wird (RGSt 66, 273). Vor diesem Hintergrund ist das Amtsgericht deshalb zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagten das Geheimnis „sonst bekanntgeworden“ ist.

Die getroffenen Feststellungen lassen jedoch nicht erkennen, dass der Angeklagten die Prüfungsaufgaben auch „als Amtsträgerin“ bekanntgeworden sind.

Hierzu muss das Geheimnis dem Amtsträger im inneren Zusammenhang mit seiner Diensttätigkeit bekannt geworden sein (BGH, Urteil vom 16. März 2017 – 4 StR 545/16 -, juris m.w.N.). Dieser innere Zusammenhang ist zu bejahen, wenn zwischen dem Bekanntwerden des Geheimnisses und der Eigenschaft des Täters als Amtsträger eine mehr als nur zufällige – in der Literatur als „Amtskausalität“ bezeichnete (vgl. LK-Vormbaum, StGB 12. Aufl. § 353b Rdnr. 15) – Verbindung besteht. Daraus ergibt sich zwar nicht die Notwendigkeit einer unmittelbaren Verbindung zwischen der Erkenntniserlangung und der beruflichen Tätigkeit des Täters (LK-Vormbaum, § 353b Rdnr. 15). Dennoch muss die Kenntnisnahme im weitesten Sinne bei Ausübung seines Amtes, das heißt im Rahmen seiner dienstlichen Funktion erfolgen (RGSt 66, 273; MK-Puschke, § 353b Rdnr. 31; NK-Kuhlen § 353b Rdnr. 18). Nicht ausreichend ist es indes, wenn der Täter zwar Amtsträger im Sinne § 353b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB ist, diese Tatsache aber in keinem Zusammenhang mit der Kenntnisnahme des Geheimnisses steht. Denn § 353b Abs. 1 StGB dient nach seinem Sinn und Zweck dem Schutz wichtiger öffentlicher Interessen, die durch die unbefugte Offenbarung von Geheimnissen gefährdet werden (RGSt 74,110).

Im vorliegenden Fall erlangte die Angeklagte Kenntnis von den noch geheimen Prüfungsaufgaben nicht in ihrer Eigenschaft als Polizeibeamtin und damit als Amtsträgerin, sondern in ihrer Funktion als Sprecherin des Kurses 24/6 und Studierende an der Hochschule der Sächsischen Polizei. Ihr wurden die Prüfungsaufgaben weder aufgrund ihrer Stellung als Polizeibeamtin oder im Vertrauen auf ihre Amtsverschwiegenheit offenbart, noch hat sie ihre Amtsträgereigenschaft dazu ausgenutzt, an die Prüfungsaufgaben zu gelangen.

c) Auch eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zur Verletzung des Dienstgeheimnisses kommt nicht in Betracht, weil nicht festgestellt ist, dass die Angeklagte über eine passive Entgegennahme der Prüfungsaufgaben hinaus tätig geworden ist, um an die Aufgabentexte zu gelangen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 5. September 2016 – 2 Ss 103/16 -, juris).“

Pflichti III: Entpflichtung mit „Vorratshaltung“ no go, oder/und: Unzureichende Kontaktaufnahme

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Im letzten Posting stelle ich dann noch zwei Entscheidungen zur Entpflichtung vor.

Zunächst den OLG Dresden, Beschl. v. 03.09.2021 – 3 Ws 78/21 -, eine etwas kuriose Geschichte. Denn: Der Pflichtverteidiger wird im Hinblick auf die Verteidigungsanzeige eine Wahlverteidigers entpflichtet, allerdings mit der Maßgabe, dass die alte Bestellung wieder auflebt, sollte das Wahlmandat niedergelegt werden.“ Das dagegen gerichtete Rechtsmittel hatte Erfolg:

„1. Die sofortige Beschwerde ist nach § 143a Abs. 4 StPO statthaft und im Übrigen zulässig.

Dem vormaligen Pflichtverteidiger steht gegen die angeordnete Maßgabe, dass seine Pflicht-verteidiger unter der Bedingung der Niederlegung des Wahlmandats durch Rechtsanwalt wiederauflebt, ein Beschwerderecht zu. Entscheidungen über den Verteidigerwechsel sind gemäß § 143a Abs. 1 und Abs. 4 StPO anfechtbar. Allerdings kann der Pflichtverteidiger seine Entbindung grundsätzlich nicht anfechten (BGH, Beschluss vom 18. August 2020 — StB 25/20, BGHSt 65, 106-110 m.w.N.; Henssler/Prütting, Bundesrechtsanwaltsordnung, 5. Auflage, § 49 Rdnr. 22). Indes ist der Pflichtverteidiger im vorliegenden atypischen Fall durch die Verfügung des Vorsitzenden beschwert. Die Entscheidung stellt – vergleichbar der Beschwer im umgekehrten Fall der Ablehnung einer vom Pflichtverteidiger beantragten Rücknahme der Beiordnung (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2020, StB 6/20, NStZ 20, 434; Mey-er-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Auflage, §143 Rdnr. 36 m.w.N.) – einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Rechtsanwalts gemäß Art. 12 Abs. 1 GG dar.

Die sofortige Beschwerde wurde innerhalb der Frist des § 311 Abs. 2 StPO erhoben.

2. Die sofortige Beschwerde des Pflichtverteidigers ist auch begründet.

Der Angeklagte hat – damals noch als Beschuldigter – am 17. Mai 2021 einen anderen Verteidiger gewählt. Dieser hat die Wahl auch angenommen, sich gegenüber dem Gericht als Verteidiger angezeigt und klargestellt, dass die Verteidigung durch ihn nicht gesichert ist.

Nachdem die Verteidigung durch den Wahlverteidiger nicht gesichert ist, steht zu befürchten, dass der Wahlverteidiger das übernommene Mandat alsbald wieder niederlegen wird. Für diesen Fall hat der Gesetzgeber gemäß § 143a Abs. 1 Satz 2 StPO eine Ausnahme von der Entbindung des Pflichtverteidigers vorgesehen. Hingegen hat der Vorsitzende der Strafkammer die Bestellung des Pflichtverteidigers § 143a Abs. 1 Satz 1 StPO aufgehoben und dieses für den Fall der Niederlegung des Mandats durch den Wahlverteidiger mit einer Klausel zu einem (quasi) automatischen Wiederaufleben der Bestellung des Pflichtverteidigers vom 21. Februar 2021 gekoppelt. Ein derartiger, schwebender Zustand der Bestellung des Pflichtverteidigers kommt indes weder nach den Regelungen der Strafprozessordnung noch nach den Regelungen der Bundesrechtsanwaltsordnung (§ 49 BRAO) in Betracht, zumal sich dadurch in der tatsächlichen Umsetzung im Einzelfall, beispielsweise in der Beteiligung zur Wahrnehmung der Rechte des Angeklagten, zum Datenschutz sowie zur Vergütung des Pflichtverteidigers, erhebliche Unwägbarkeiten ergeben würden.

Die die Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung einschränkende Maßgabe zu deren Wiederaufleben im Falle der Niederlegung des Wahlmandats durch Rechtsanwalt S. war daher aufzuheben. Es verbleibt bei der (nicht angefochtenen und für ihn auch nicht anfechtbaren) Aufhebung der Bestellung des Pflichtverteidigers.“

Mich würde interessieren, welche Gedanken sich der Vorsitzende der Strafkammer bei dieser „Vorratshaltung“ um die kostenrechtliche Problematik gemacht hat. Im Zweifel keine.

Und dann noch der LG Görlitz, Beschl. v. 28.06.2021 – 11 Qs 4/21 – zur Entpflichtung wegen gestörten Vertrauensverhältnisses wegen unzureichender Kontaktaufnahme mit folgendem Leitsatz:

Jedenfalls dann, wenn der Pflichtverteidiger über ein Jahr keinen Kontakt zu seinem Mandanten aufgenommen hat, liegt aus verständiger Sicht eines Angeklagten eine unzureichende Kontaktaufnahme vor, die eine Zerstörung des Vertrauensverhältnisses und damit eine Umbeiordnung rechtfertigt.