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Bewährung II: Nachträgliche Erfüllung der Auflage, oder: Absehen vom Widerruf der Strafaussetzung?

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Als zweite Entscheidung dann etwas zum Widerruf der Bewährung, aber: Absehen vom Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung, und zwar Absehen vom Widerruf nach nachträglicher Auflagenerfüllung.

Der Sachverhalt ergibt sich aus dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 20.09.2023 – 1 Ws 166/23 :

„…..Darüber hinaus ist sie teilweise begründet.

a) Die Voraussetzungen für einen Widerruf der mit Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 20. September 2021 gewährten Strafaussetzung zur Bewährung liegen nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB vor. Danach widerruft ein Gericht die Strafaussetzung, wenn die verurteilte Person wie hier gröblich oder beharrlich gegen eine Auflage verstößt.

Der Verurteilte hat in der Zeit nach dem 21. August 2022 bis Ende Juli 2023 keine Zahlungen auf die ihm mit Beschluss vom 20. September 2023 erteilte  zulässige Zahlungsauflage geleistet, obwohl er seitens des Landgerichts auf diese Auflage sowie ausgebliebene Zahlungen, insbesondere auch nach der Zahlung vom 21. August 2022, hingewiesen worden ist. Dadurch hat er gröblich und beharrlich gegen die erteilte Zahlungsauflage verstoßen.

Dieser Verstoß war auch schuldhaft, insbesondere war der Verurteilte zahlungsfähig. Er konnte bis August 2021 die Zahlungen leisten und sich Ende des Jahres 2022 eine mehrmonatige Reise in die Türkei leisten, ohne seine Wohnung in Deutschland aufgeben zu müssen. Einer Leistung der Zahlungen stand auch nicht der Aufenthalt des Verurteilten in der Türkei entgegen, zumal der Verurteilte bereits vorher mehrere Monate gegen die Auflage gröblich und beharrlich  verstoßen hatte. Denn er hätte die Zahlungen auch von der Türkei aus ausführen können oder für deren Ausführung von dort durch Dritte sorgen müssen. Für seine Zahlungsfähigkeit spricht auch, dass es dem Verurteilten nach seiner Rückkehr aus der Türkei möglich war, die Auflage durch Zahlung von zwei nicht unerheblichen Beträgen in Höhe von 350,- und 1.000,¬€ vollständig zu begleichen.

Die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung wäre deshalb grundsätzlich  wie zunächst zutreffend vom Landgericht Braunschweig beschlossen  zu widerrufen gewesen. Allein die nachträgliche und vollständige Erfüllung der Zahlungsauflage steht einem Widerruf  aufgrund des bereits eingetretenen Verstoßes gegen die Auflage nicht entgegen (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 30. August 2004  2 Ws 190/04 , Rn. 17, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 24. Oktober 1980 1 Ws 600/80 , juris).

b) Vorliegend genügt es aber, die Bewährungszeit als mildere Maßnahme um ein Jahr zu verlängern.

Nach § 56f Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB sieht ein Gericht von einem Widerruf ab, wenn es ausreicht, die Bewährungszeit zu verlängern.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu ausgeführt:

„Letztlich reicht jedoch die als gegenüber dem Widerruf mildere Maßnahme der Verlängerung der Bewährungszeit um ein Jahr vorliegend aus (§ 56 f Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB), ein Widerruf der Strafaussetzung dürfte sich demgegenüber nunmehr als unverhältnismäßig darstellen.

Eine Verlängerung der Bewährungszeit ist bei der vorliegenden Widerrufskonstellation auch dann zulässig, wenn sie weder zu spezialpräventiven Zwecken noch zu dem Zweck, die Ratenzahlung auf eine noch unerfüllte Auflage innerhalb der Bewährungszeit zu ermöglichen, erfolgt (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 30. August 2004 – 2 Ws 190/04 -, juris, Rn. 21f.). Die Bewährungszeit kann trotz der unterschiedlichen Zwecke von Auflagenerteilung und Bemessung der Bewährungszeit auch dann gemäß § 56 f Abs. 2 StGB verlängert werden, wenn Grund für den Widerruf der Strafaussetzung nach § 56 f Abs. 1 StGB der Verstoß gegen eine Auflage ist, die der Verurteilte nachträglich vollständig erfüllt hat (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a.a.O., – Leitsatz ). Trotz des funktionalen Unterschiedes kann auf den Verstoß gegen eine inzwischen erledigte Auflage mit einer Verlängerung der Bewährungszeit reagiert werden (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a.a.O.; im Erg. ebenso OLG Koblenz in NStZ 1981, 101 – Leitsatz ).

Eine spürbare Verlängerung der Bewährungszeit um ein Jahr reicht hier aus, erscheint aber angesichts der erheblichen Verzögerungen in der Auflagenerfüllung und dem Gewicht des entsprechenden Schuldvorwurfs auch geboten und deshalb im beantragten Umfang verhältnismäßig.“

Dem schließt sich der Senat an. Der Verurteilte hat nach Einreichung seines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Einlegung der sofortigen Beschwerde die Zahlungsauflage noch innerhalb der mit Beschluss vom 20. September 2021 festgesetzten Bewährungszeit vollständig erfüllt und damit nachträglich die Genugtuung für das begangene Unrecht in dem vollen vom erkennenden Landgericht für erforderlich erachteten Umfang geleistet. Weitere Gesichtspunkte  die für einen Widerruf der Strafaussetzung sprechen könnten  sind nicht ersichtlich. Daher genügt es, die Bewährungszeit um ein Jahr zu verlängern.“

Corona II: Judenstern mit Aufschrift „nicht geimpft“, oder: Keine Volksverhetzung

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Und als zweite Entscheidung zum „Corona-Komplex“ dann noch das OLG Braunschweig, Urt. v. 07.09.2023 – 1 ORs 10/23 – ebenfalls zur Volksverhetzung (§ 130 StGB).

Das AG hatte den Angeklagten mit Urteil v. 01.08.August 2022 von dem Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 3 StGB) freigesprochen. Das Amtsgericht hatte folgende Feststellungen getroffen:

„„Der Angeklagte postete am 18.11.2020 willentlich auf seinem Facebook-Profil unter dem Nutzernamen …. eine Abbildung mit einem gelbfarbenen sechseckigen Stern mit der Aufschrift „NICHT GEIMPFT“ auf hellblauem rechteckigen Hintergrund, der wiederum auf einem schwarzen Hintergrund mit der Überschrift „beginnen“ abgebildet war. Der Angeklagte war zuvor über die Internetsuchpräsenz Google auf die dort aufzufindende verfahrensgegenständliche Abbildung, die als Aufdruck für T-Shirts angeboten wurde, aufmerksam geworden und lud sie anschließend als Beitrag auf seinem Facebook-Profil hoch. Der Angeklagte wollte durch den Beitrag auf seinem Facebook-Profil auf sich aufmerksam machen und sich selbst und seine durch die zur Tatzeit geltenden Beschränkungen durch die Landesverordnung zur Eindämmung der Corona-Pandemie geprägte Lebenssituation darstellen, obwohl ihm die Bedeutung des sogenannten „Judensterns“ aus dem Geschichtsunterricht bekannt war.

Im Nachgang zur Tat erhielt der Angeklagte ihn anfeindende Reaktionen über die Plattform Facebook, in denen er teilweise auch als „Nazi“ betitelt wurde. Der Angeklagte löschte den Beitrag mit dem „Judenstern“ kurze Zeit nach seiner verantwortlichen Vernehmung bei der Polizei am 18.08.2021. Im weiteren Verlauf wurde der Facebook-Auftritt des Angeklagten durch die Plattformbetreiber gesperrt.“

Dagegen die (Sprung)Revision der StA, die keinen Erfolg hatte. Auch hier stelle ich nur die Leitsätze des OLG ein und verweise wegen der Begründung auf den Volltext:

1. Die Verwendung des „Judensterns“ unter Ersetzung des Wortes „Jude“ durch die Wörter „nicht geimpft“ erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB nicht, da die Verpflichtung der Juden zum Tragen des Judensterns, die durch die „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“ vom 1. September 1941 eingeführt wurde, für sich genommen noch keinen Völkermord im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 3 VStGB darstellt; die Kennzeichnung einer Gruppe ist juristisch von der „auf körperliche Zerstörung gerichteten lebensgefährlichen Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen“ zu trennen.

2. Die bloße Verwendung des „Ungeimpft-Sternes“ in einem – ggf. auch öffentlich zugänglichen – Facebook-Profil erfüllt ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht den Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB, da es an der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens fehlt.

3. Anschluss: KG, Urt. v. 11.05.2023 – (4) 121 Ss 124/22 (164/22); KG, Beschl. v. 13.02.2023 – (2) 121 Ss 140/22 (44/22); OLG Saarbrücken, Urt. v. 8.3.2021 – Ss 72/2020 (2/21)

Bewährung I: Widerruf von Strafaussetzung zulässig?, oder: Zurückstellung in anderer Sache

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Und ich setze die Berichterstattung fort mit Entscheidungen zur Bewährung und/oder zur Fortdauer der Unterbringung.

Hier kommt zunächst der OLG Braunschweig, Beschl. v. 17.05.2023 – 1 Ws 92/23 -zur Entscheidung über die Widerruf einer Strafaussetzung trotz Zurückstellung der Strafvollstreckung in anderer Sache. Das OLG sagt: Das ist zulässig:

„…… Das Landgericht Göttingen hat die Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafen zur Bewährung zu Recht widerrufen.

Denn der Verurteilte hat im Zeitraum von Februar bis Juni 2021 und damit jeweils innerhalb der Bewährungszeit fünf Straftaten von nicht unerheblichem Gewicht begangen. Dadurch hat er gezeigt, dass er die Erwartung künftiger Straffreiheit, die der Strafaussetzung zugrunde gelegen hatte, nicht erfüllt hat.

Es besteht zudem Anlass zu der Besorgnis, der Verurteilte werde erneut Straftaten begehen und ihm kann auch mit Auflagen oder Weisungen im Sinne des § 56 f Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StGB gegenwärtig keine positive Kriminalprognose gestellt werden. Eine solche Reaktion auf das Fehlverhalten eines Verurteilten ist nur dann ausreichend, wenn aufgrund von Tatsachen erwartet werden kann, dass er künftig – ggf. mit Maßnahmen gemäß § 56 f Abs. 2 Satz 1 StGB – keine Straftaten mehr begehen wird. Dazu reicht allerdings der Wille zu straffreier Führung allein nicht aus. Vielmehr müssen Tatsachen dafür sprechen, dass der Verurteilte auch fähig ist, diesen Willen in die Tat umzusetzen (OLG Braunschweig, Beschluss vom 29. März 2022, 1 Ws 192/21, juris, Rn. 28; KG Berlin, Beschluss vom 12. Januar 2009, 2 Ws 620/08, juris, Rn. 12). Davon ist nicht auszugehen.

Gegen eine positive Kriminalprognose spricht insbesondere die Vielzahl der Vorstrafen und die fortbestehende, nicht hinreichend aufgearbeitete Drogenabhängigkeit des Verurteilten, der seit 2001 regelmäßig Straftaten begeht. Dass der Beschwerdeführer erneut eine Therapie zur Überwindung seiner Drogensucht begonnen hat, begründet eine gewisse Hoffnung, lässt jedoch die Besorgnis neuer Straftaten nicht entfallen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist eine positive Kriminalprognose bei einem Suchtmittelabhängigen nur dann gerechtfertigt, wenn eine Therapie nicht nur begonnen wurde, sondern die begründete Aussicht besteht, dass sie erfolgreich zum Abschluss gebracht wird (OLG Braunschweig, Beschluss vom 13. Februar 2014, 1 Ws 31/14, juris, Rn. 10 m.w.N.; ebenso KG Berlin, Beschluss vom 12. Juli 2018, 5 Ws 98-99/18 – 121 AR 122 und 134/18, juris, Rn. 18 ff.; KG Berlin, Beschluss vom 22. Juni 2000, 5 Ws 370/00, juris, Rn. 4). Dafür besteht angesichts der erst am 23. März 2023 angetretenen und damit noch nicht einmal 2 Monate absolvierten Therapie noch kein Anhalt. Das gilt auch deshalb, weil der Beschwerdeführer, wie unter anderem den Feststellungen des Amtsgerichts Göttingen im Urteil vom 29. August 2022 zu entnehmen ist, vor dieser Drogenentwöhnungsbehandlung bereits mehrere Therapien absolvierte, die allesamt keinen nachhaltigen Erfolg hatten. Vor diesem Hintergrund bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, die aktuelle Therapie werde nun einen solchen Erfolg haben.

Die Entscheidung über den Bewährungswiderruf konnte auch nicht zurückgestellt werden, um den weiteren Verlauf der Therapie abzuwarten. Über den Widerruf einer Strafaussetzung gemäß § 56 f StGB ist vielmehr unabhängig von einer bereits begonnenen Entwöhnungsbehandlung zu entscheiden, sobald das Gericht vom Vorliegen der Widerrufsvoraussetzungen überzeugt ist (OLG Braunschweig, Beschluss vom 29. März 2022, 1 Ws 192/21, juris, Rn. 22; OLG Braunschweig, Beschluss vom 26. September 2011, Ws 280/11, juris, Rn. 9; OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22. Dezember 2021, 1 Ws (s) 356/21, juris, Rn. 13; OLG Hamm, Beschluss vom 18. August 2011, 2 Ws 246 und 247/11, juris, Rn. 5; OLG Köln, Beschluss vom 2. Januar 2014, III-2 Ws 720/13, juris, Rn. 15; Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 11. Februar 2005, 2 Ws 24/05, juris, Rn. 16 ff.). Ein Abwarten, ob in Zukunft durch ein Fortschreiten der Therapie andere Prognoseumstände eintreten könnten, sieht das Gesetz nicht vor (Hanseatisches OLG Hamburg, a.a.O., Leitsatz 2 und Rn. 15; OLG Hamm, a.a.O.).

Weil der weitere Verlauf einer Therapie nicht abgewartet werden darf, besteht nach Auffassung des erkennenden Senats auch keine Möglichkeit, die Entscheidung über den Widerruf aus Anlass des Beginns der Therapie gemäß § 35 BtMG zurückzustellen. Allein die Regelung in § 35 Abs. 6 Nr. 2 BtMG rechtfertigt es aus Sicht des Senats nicht, entgegen der dargestellten Gesetzeslage nach einer Gesamtabwägung von einer Entscheidung gemäß § 56 f StGB doch zeitweise abzusehen, um bei Zurückstellungen gemäß § 35 BtMG die zukünftige Entwicklung abzuwarten (Hubrach in Leipziger Kommentar, StGB, 13. Aufl, § 56 f Rn. 48; a.A.: OLG Celle, Beschluss vom 14. Februar 2012, 1 Ws 54/12, juris, Rn. 4 ff.; offen gelassen: Hanseatisches Oberlandesgericht, a.a.O., Rn. 21). Wenn die Vollstreckung einer Maßregel gemäß § 64 StGB, sofern noch kein Erfolg der Therapie absehbar ist, ein Zuwarten mit der Entscheidung gemäß § 56 f StGB nicht rechtfertigt (OLG Braunschweig, Beschluss vom 26. September 2011, Ws 280/11; OLG Sachsen-Anhalt, a.a.O., Rn. 12; OLG Köln, a.a.O.; OLG Hamm, a.a.O., Rn. 4), kann bei der Zurückstellung gemäß § 35 BtMG nicht allein deshalb anders entschieden werden, weil diese gemäß § 35 Abs. 6 Nr. 2 BtMG – sofern nicht auch die Vollstreckung der anderen Strafen zurückgestellt werden kann (dazu: Weber in Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 35 Rn. 291) – zu widerrufen ist, die Unterbringung hingegen wegen § 67 Abs. 1 StGB fortgesetzt werden kann. Vielmehr ist die abweichende Bewertung des Gesetzgebers zu akzeptieren und darf nicht auf dem Umweg über eine unterschiedliche Anwendung von § 56 f StGB umgangen werden.

Letztlich kann diese Rechtsfrage aber dahinstehen, weil die nach der Gegenauffassung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit vorzunehmende Gesamtabwägung im vorliegenden Fall selbst dann keine Zurückstellung der Entscheidung rechtfertigen könnte, wenn eine solche gestattet wäre. Vielmehr ist der Widerruf der Strafaussetzung im Fall des Beschwerdeführers zum Schutz der Allgemeinheit geboten, weil die Therapie erst seit wenigen Wochen erfolgt und ihr erfolgreicher Abschluss mit erheblichen Unsicherheiten behaftet ist.

Dass der Widerruf der Strafaussetzung, soweit es den Strafrest aus dem Urteil des Amtsgerichts Fritzlar vom 3. August 2010 betrifft, nach dem Ende der Bewährungszeit erfolgte, begegnet keinen durchgreifenden Bedenken und zeigt allenfalls die Notwendigkeit, Entscheidungen gemäß § 56 f StGB nicht zurückzustellen. Insbesondere war der Verurteilte nicht durch Vertrauensschutz davor geschützt, dass die Strafaussetzung zur Bewährung auch nach Ende des Bewährungszeitraums noch widerrufen wird. Denn der Verurteilte wurde, wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zutreffend ausgeführt hat, ausreichend darauf hingewiesen, dass auch nach Ende der Bewährungszeit noch Bewährungsmaßnahmen in Betracht kommen…..“

beA II: Die einfache Signatur des Einzelanwalts, oder: OLG Braunschweig macht es anders als das BAG

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Die zweite Entscheidung, der OLG Braunschweig, Beschl. v. 09.06.2023 – 1 ORbs 22/23 – kommt aus einem Bußgeldverfahren.

Das AG hat den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Mit qualifiziert signiertem elektronischem Schreiben seines Verteidigers vom 25.11.2022 (bei Gericht eingegangen am selben Tag) hat der Betroffene mit dem Ziel der Überprüfung dieses Urteils einen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt. Nach Zustellung des Urteils hat der Betroffene mit weiterem Verteidigerschreiben vom 01.02.2023 den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde begründet. Die Begründung des Zulassungsantrags ist dem AG am 01.02.2023 über das besondere elektronische Postfach des Verteidigers zugeleitet worden. Das Schreiben ist nicht qualifiziert signiert und es ist lediglich mit dem Wort „Rechtsanwalt“ unterzeichnet. Ein Name ist der Unterschrift nicht zu entnehmen.

Der Verteidiger des Betroffenen ist mit Verfügung des OLG-Senats darauf hingewiesen worden, dass die Begründung des Zulassungsantrags, die wegen § 32d Satz 2 StPO i.V.m. § 110c OWiG elektronisch zu erfolgen habe, gemäß § 32a Abs. 3 StPO i.V.m. § 110c OWiG unwirksam angebracht sein könnte. Er hat dieser Auffassung die Rechtsprechung des BAG (Beschl. v. 25.08.2022 – 2 AZR 234/22) entgegengehalten, wonach die fehlende Unterzeichnung mit dem Namen des verantwortenden Rechtsanwalts die wirksame Begründung des Zulassungsantrags nicht beeinträchtige, wenn, wie hier, aus dem Briefkopf hervorgehe, dass der Verteidiger als Einzelanwalt tätig sei. Ohnehin sei in der Einzelkanzlei des Verteidigers, der die Begründung des Zulassungsantrags zudem selbst versandt habe, kein weiterer Rechtsanwalt tätig.

Vorsorglich hat er einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt.Das OLG hat den Zulassungsantrag als unzulässig verworfen und Wiedereinsetzung nicht gewährt:

„1. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist unzulässig, denn er wurde nicht formgerecht begründet.

Gemäß §§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, 345 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 StPO muss die Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde spätestens binnen eines Monats nach Zustellung des angegriffenen Urteils bei dem Gericht, dessen Urteil angegriffen wird, angebracht werden. Sofern dies nicht zu Protokoll der Geschäftsstelle, sondern durch eine von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichnete Schrift geschieht, gelten die besonderen Formerfordernis der §§ 32d Satz 2, 32a StPO, die über die Verweisung in § 110c Satz 1 OWiG auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren zur Anwendung kommen. Danach sind Verteidiger und Rechtsanwälte verpflichtet, die Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als elektronisches Dokument zu übermitteln; wie dies im Einzelnen zu erfolgen hat, regelt § 32a StPO. § 32a Abs. 3 StPO eröffnet dabei zwei Möglichkeiten der Übermittlung von Dokumenten, die schriftlich abzufassen, zu unterschreiben oder zu unterzeichnen sind, nämlich einerseits, indem sie mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der das Dokument verantwortenden Person versehen sind, oder andererseits, indem sie von der das Dokument verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden; was als sicherer Übermittlungsweg anzusehen ist, bestimmt wiederum § 32a Abs. 4 Satz 1 StPO, der in Nr. 2 auch den Versand über ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach vorsieht. Hierbei handelt es sich um zwingend einzuhaltende Form- und Wirksamkeitsvoraussetzungen; ist der das Rechtsmittel begründende Schriftsatz nicht auf diesem Weg, sondern anderweitig innerhalb der gesetzlichen Fristen bei Gericht eingegangen, ist das die Rechtsmittelbegründung unwirksam (zum Vorstehenden: KG Berlin, Beschluss vom 22. Juni 2022, 3 Ws (B) 123/22, juris, Rn. 7 m.w.N.).

Diesen Anforderungen genügt das Verteidigerschreiben vom 1. Februar 2023 nicht, denn es enthält weder eine qualifizierte noch eine einfache Signatur. Die einfache Signatur, also die Wiedergabe des Namens am Ende des Textes (BAG, Beschluss vom 14. September 2020, 5 AZB 23/20, juris, Rn. 15; OLG Braunschweig, Beschluss vom 8. April 2019, 11 U 146/18, juris, Rn. 38; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6. September 2021, 17 W 13/21, juris, Rn. 14; OVG Lüneburg, Beschluss vom 31. Januar 2023, 13 ME 23/23, juris, Rn. 5; OVG Hamburg, Beschluss vom 12. August 2022, 6 Bs 57/22, juris, Rn. 9; Greger in Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 130a, Rn. 9), ist gemäß § 32 a Abs. 3 StPO auch dann zu verlangen, wenn im verwendeten Briefkopf nur ein Rechtsanwalt ausgewiesen ist.

Allein die Berufsbezeichnung Rechtsanwalt genügt im Gegensatz zur Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Beschluss vom 25. August 2022, 2 AZN 234/22, juris, Rn. 2) nicht (OVG Lüneburg, a.a.O., Leitsatz und Rn. 6, 9; OLG Karlsruhe, a.a.O., Leitsatz und Rn. 18). Denn die Signatur soll sicherzustellen, dass die unterzeichnende Person als diejenige erkennbar ist, welche für den Inhalt des Schreibens Verantwortung übernimmt (BGH, Beschluss vom 7. September 2022, XII ZB 215/22, juris, Rn. 11; OVG Lüneburg, a.a.O., Rn. 5). Diesem Erfordernis, dem gerade bei der Begründung eines Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde besondere Bedeutung zukommt (vgl. §§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG i. V. m. § 345 Abs. 2 StPO), trägt der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 25. August 2022 nicht ausreichend Rechnung. Selbst wenn sich aus dem Briefkopf lediglich ein einzelner Anwalt ergibt, ist nicht sichergestellt, dass dieser Rechtsanwalt die Verantwortung für den Schriftsatz übernimmt. Vielmehr kann dennoch eine andere Person inhaltlich für den Inhalt des Schreibens verantwortlich sein. So übersieht das Bundesarbeitsgericht zunächst die Möglichkeit, dass weitere Rechtsanwälte in der Kanzlei angestellt oder als freie Mitarbeiter tätig sein können (BGH, Beschluss vom 7. September 2022, XII ZB 215/22, juris, Rn. 12; OVG Lüneburg, a.a.O., Rn. 9; OLG Karlsruhe, a.a.O., Rn. 24). Zudem mag sich ein Rechtsanwalt unter seinem eigenen Briefkopf auch vertreten lassen (OVG Lüneburg, a.a.O., Rn. 9; OLG Karlsruhe, a.a.O., Rn. 25).

Der Betroffene kann nicht damit gehört werden, dass ein solcher Sachverhalt in seinem Fall nicht vorgelegen hätte, weil der im Briefkopf genannte Verteidiger die Begründung des Zulassungsantrags tatsächlich selbst verantwortet habe. Ob ein Schriftsatz wirksam eingereicht ist, muss sich nämlich bereits zweifelsfrei aus diesem selbst ergeben. Eine spätere Aufklärung der konkreten Verhältnisse (Kanzleiorganisation) wäre mit dem Zweck des Signaturerfordernisses nicht vereinbar (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O., Rn. 24 aE). Es geht gerade darum, den verantwortenden Rechtsanwalt ohne Beweisaufnahme oder sonstiges Sonderwissen zu identifizieren (BGH, Beschluss vom 7. September 2022, XII ZB 215/22, juris, Rn. 11; OLG Karlsruhe, a.a.O.).

2. Das Wiedereinsetzungsgesuch ist abzulehnen. Es fehlt bereits an der gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO (anwendbar über § 46 Abs.1 OWiG) erforderlichen Nachholung der Begründung des Zulassungsantrags. Ist die Handlung nicht formgemäß vorgenommen worden, muss sie in der vorgeschriebenen Form nachgeholt werden (KG Berlin, Beschluss vom 22. Juni 2022, 3 Ws (B) 123/22, juris, Rn. 16). Dem genügt das Gesuch nicht. So erfüllt das elektronische Schreiben vom 17. Mai 2023 die Voraussetzungen schon deshalb nicht, weil es keine Begründung des Zulassungsantrags enthält, sondern nur ausführt, dass „bereits umfassend Stellung genommen“ worden sei. Die umfassende Begründung des Zulassungsantrags vom 1. Februar 2023 ist aber unwirksam und somit gerade nicht berücksichtigungsfähig. Außerdem ist das Schreiben vom 17. Mai 2023 zur Begründung des Zulassungsantrags auch deshalb ungeeignet, weil diese gemäß §§ 345 Abs. 1 Satz 1 StPO, 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG beim Ausgangsgericht anzubringen ist. Dass das Wiedereinsetzungsgesuch vom 17. Mai 2023 schließlich auch die Frist des § 45 Abs.1 Satz 1 StPO nicht wahrt, ist vor diesem Hintergrund nicht mehr von Bedeutung.“

OWi II: Die Ablehnung eines Entbindungsantrags, oder: Rein spekulative Erwägungen reichen nicht

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt dann mit dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 08.06.2023 – 1 ORbs 48/23 – vom OLG Braunschweig. Es handelt sich mal wieder um einen „Entbindungsfall“, also § 73 OWiG.

Der Verteidiger des Betroffenen hatte beantragt, den von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen im Termin zur Hauptverhandlung zu entbinden. Er räume seine Fahrereigenschaft zum vorgeworfenen Zeitpunkt ein, werde ansonsten aber in Person unter keinen Umständen Angaben zur Sache und zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen machen. Zugleich übersandte der Verteidiger eine Vertretungsvollmacht, aus der sich ergibt, dass er bevollmächtigt ist, den Betroffenen in seiner Abwesenheit zu vertreten.

Das AG hat den Antrag abgelehtn und zur Begründung ausgeführt, dass die Anwesenheit des Betroffenen zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhaltes erforderlich sei. Da die geladenen Zeugen nach Aktenlage vor Ort persönlich im Kontakt mit dem Betroffenen gestanden haben sollten, sei die Anwesenheit des Betroffenen – auch wenn er sich nicht einlassen wolle – zur Sachaufklärung erforderlich.

Nachdem weder der Betroffene noch der Verteidiger zum Hauptverhandlungstermin erschienen, hat das AG den Einspruch des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Dagegen die Rechtsbeschwerde, die Erfolg hatte:

„2. Die Rüge ist auch begründet. Der Betroffene war vorliegend nach § 73 Abs. 2 OWiG von seiner Anwesenheitspflicht zu entbinden. Die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid gern. § 74 Abs. 2 OWiG nach abschlägiger Bescheidung des Entbindungsantrages war rechtsfehlerhaft.

Nach § 73 Abs. 2 OWiG entbindet das Gericht einen Betroffenen auf seinen Antrag von seiner Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Dabei ist zu beachten, dass die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt wird. Dieses ist vielmehr verpflichtet, dem Antrag zu entsprechen, sofern die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 8. März 2005, Ss (OWi) 141/05, juris, Rn. 6; KG Berlin, Beschluss vom 11. Dezember 2017, 3 Ws (B) 310/17, juris, Rn. 8 m.w.N.).

Diese Voraussetzungen lagen vor. Der Betroffene hat in dem Entbindungsantrag vom 4. Januar 2023 im Hinblick auf die anberaumte Hauptverhandlung erklärt, er werde weder Angaben zur Sache noch zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen machen. Damit war klargestellt, dass von der persönlichen Anwesenheit des Betroffenen in dem Hauptverhandlungstermin keine weitere Aufklärung des Tatvorwurfs zu erwarten war (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Februar 2012, 2 Rbs 13/12, juris, Rn. 4).

Zwar kann die Anwesenheit eines Betroffenen in der Hauptverhandlung, der sein Schweigen zum Tatvorwurf angekündigt hat, im Einzelfall unverzichtbar sein, wenn nur dadurch die gebotene Sachaufklärung möglich ist (vgl. Senge in: Karlsruher Kommentar, OWiG, 4. Aufl., § 73, Rn. 31) und ist auch dem Tatrichter bei der Beurteilung der Frage, ob die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhaltes erforderlich ist, grundsätzlich ein weiter Ermessenspielraum einzuräumen. Jedoch genügen rein spekulative Erwägungen, die Anwesenheit eines Betroffenen könne in der Hauptverhandlung zu einem Erkenntnisgewinn führen, nicht (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 10. Juli 2007, 2 Ss 160/07, juris, Rn. 7f.; OLG Naumburg, Beschluss vom 23. Januar 2007, 1 Ss (B) 210/06, juris, Rn. 11; OLG Bamberg, Beschluss vom 7. August 2007, 3 Ss OWi 764/07, juris, Rn. 8; KG Berlin, Beschluss vom 10. März 2011, 3 Ws (B) 78/11, juris, Rn. 5).

So liegt der Fall hier. Soweit das Amtsgericht in seinem Beschluss vom 16. Januar 2023 (nur) ausgeführt hat, dass die Zeugen nach Aktenlage persönlichen Kontakt zu dem Betroffenen gehabt hätten, ist nicht ersichtlich, inwiefern dieser Umstand weitere Sachaufklärung verspricht. Insbesondere bedurfte es — nachdem der Betroffene die Fahrereigenschaft eingeräumt hatte — keiner Gegenüberstellung mit den Zeugen. Eine nähere Begründung, aus welchen Gründen das Amtsgericht sich trotz der Angabe des Betroffenen, er werde sich nicht weiter einlassen, eine weitere Sachaufklärung erhofft hat, fehlt.“

Das Ganze ist – wie man an der vom OLG zitierten Rechtsprechung sieht – nichts Neues. Man fragt sich allerdings, warum das AG die nicht kennt.