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Verkehrsrecht II: War der Feldweg öffentlich?, oder: Trunkenheitsfahrt/Unfallflucht und „Zäsurwirkung“

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Im zweiten Posting stelle ich zwei Entscheidungen vor, die Fragen behandeln, die immer wieder im Verkehrsrecht eine Rolle spielen.

Zunächst geht es um den BGH, Beschl. v. 01.12.2020 – 4 StR 519/19 – zur Frage der „Öffentlichkeit“, und zwar betreffend einen Feldweg:

„a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hantierte der Angeklagte, ein Landwirt, hinter einem am Rand eines Feldweges abgestellten Gespann aus Traktor und Anhänger mit einer Schaufel. Dabei bewegte er die Schaufel in die Wegbreite hinein, ohne sich zuvor vergewissert zu haben, ob der Weg frei war. Der Nebenkläger, der in diesem Moment mit seinem Geländemotorrad das Gespann passierte, prallte mit seinem Helm gegen das Schaufelblatt, stürzte und verletzte sich erheblich. Ein nachfolgender Begleiter des Nebenklägers stürzte ebenfalls, als er dem Nebenkläger auswich, blieb aber unverletzt.

b) Diese Feststellungen tragen nicht nur die vom Landgericht ausgeurteilte fahrlässige Körperverletzung. Tateinheitlich verwirklicht ist außerdem der Tatbestand des fahrlässigen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 5 StGB, indem der Angeklagte fahrlässig ein Hindernis bereitete und dadurch ebenfalls fahrlässig die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigte.

Insbesondere war der Feldweg, auf dem sich die Tat ereignete, dem öffentlichen Verkehrsraum zuzurechnen. Nach st. Rspr. ist ein Verkehrsraum dann öffentlich, wenn er entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber zumindest für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch so benutzt wird (BGH, Urteil vom 4. März 2004 – 4 StR 377/03, BGHSt 49, 128 mwN). Nach den Feststellungen traf dies zu, da der Weg jedenfalls durch Fahrradfahrer und Fußgänger genutzt werden durfte und auch tatsächlich „durch berechtigte als auch durch unberechtigte Kradfahrer“ genutzt wurde. Ob der Nebenkläger berechtigt war, den Weg als Motorradfahrer zu nutzen, ist demgegenüber ohne Bedeutung. Die Voraussetzungen der subjektiven Tatseite hat das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt.“

Und in der zweiten Entscheidung, dem KG, Beschl. v. 12.02.2021 – 3 Ss 5/21 – hat das KG (noch einmal) zu den Anforderungen an die Feststellung relativer Fahrunsicherheit Stellung genommen – insoweit verweise ich auf den Volltext – und zur Verhältnis: fahrlässige Trunkenheit/unerlaubtes Entfernen/Weiterfahren. Dazu das KG:

„2. Die Feststellungen rechtfertigen auch die Verurteilung wegen zunächst fahrlässig und hiernach tatmehrheitlich (§ 53 StGB) verwirklichter vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr. Die durch BGHSt 21, 203 entwickelte und seither gefestigte Rechtsprechung ist auch hier anwendbar. Danach endet die Dauerstraftat der Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) regelmäßig, wenn sich der Täter nach einem von ihm verursachten Unfall zur Flucht entschließt, so dass die im Zustand der Fahrunsicherheit erfolgende Weiterfahrt eine rechtlich selbstständige Handlung darstellt.

Zwar bildete das vom Angeklagten alkoholbedingt herbeigeführte Unfallgeschehen hier keinen Unfall im Rechtssinne; hierzu fehlte es am wirtschaftlichen Schaden. Der tiefere Grund der gefestigten Rechtsprechung liegt aber nicht im wirtschaftlichen, sondern im kognitiven und im normativen Bereich: Die Erkenntnis, einen relevanten Fahrfehler begangen zu haben, lässt den Normappell neu wirken und begründet einen neuen Tatentschluss. Dass sich der Täter „nunmehr sowohl im äußeren Geschehen wie in seiner geistig-seelischen Verfassung vor eine neue Lage gestellt“ sieht (vgl. BGHSt 21, 203), gilt sowohl für den Unfall im Rechtssinne (mit nicht nur völlig belanglosem Schaden) als auch für jeden Fahrfehler, der dem zunächst fahrlässig Fahrunsicheren nunmehr die Erkenntnis verleiht, infolge des Alkoholkonsums nicht mehr fahren zu können und zu dürfen. So lag der Fall hier, als der angetrunkene Angeklagte einer Kurve nicht folgen konnte und gegen einen auf der Gegenfahrbahn abgeparkten Anhänger stieß. Die Verurteilung wegen zweier tatmehrheitlicher Vergehen nach § 316 Abs. 1 und § 316 Abs. 2 StGB ist daher frei von Rechtsfehlern.“

Alles auf den Tisch? Wirklich alles?

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Es sind ja schon an verschiedenen Stellen Postings zum BVerwG, Urt. v. 01.10.2014 – 6 C 35.13 gelaufen, in dem das BVerwG zum Anspruch der Presse auf Kenntnis der Namen von Personen, die an Gerichtsverfahren mitgewirkt haben, Stellung genommen hat (vgl. z.B. hier bei LTO). Ausgangspunkt der Streits war ein AG in Baden-Württemberg. Dort hatte der AG-Direktor auf eine Anfrage eines Redakteurs der Zeitschrift „Anwaltsnachrichten Ausländer- und Asylrecht“ nur eine anonymisierte Kopie des Urteils, in der die Namen der Personen geschwärzt waren, die an dem Verfahren mitgewirkt hatten (Berufsrichterin und Schöffen, Vertreter der Staatsanwaltschaft, Verteidiger, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle) herausgegeben, allerdings dann später den Namen der Berufsrichterin mitgeteilt, weitere Angaben abgelehnt.

Das BVerwG hat im verwaltungserichtlichen Verfahren nun der Revision hinsichtlich des Anspruchs auf Auskunftserteilung über die Namen des Staatsanwalts und des Verteidigers stattgegeben. Mehr als die PM des BVerwG liegt noch nicht vor. In der heißt es:

„Das Persönlichkeitsrecht dieser Personen muss hinter dem grundrechtlich geschützten Auskunftsinteresse der Presse zurückstehen. Sie stehen kraft des ihnen übertragenen Amtes bzw. ihrer Stellung als Organ der Rechtspflege hinsichtlich ihrer Mitwirkung an Gerichtsverfahren im Blickfeld der Öffentlichkeit. Ein berechtigtes Interesse, ihre Identität nicht gegenüber der Presse preiszugeben, ist angesichts der hohen Bedeutung des Grundsatzes der Öffentlichkeit für ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren nur dann anzunehmen, wenn sie erhebliche Belästigungen oder eine Gefährdung ihrer Sicherheit zu befürchten haben. Letzteres war nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs hier nicht der Fall.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs lässt sich ein Vorrang ihres Persönlichkeitsrechts nicht mit der Erwägung begründen, sie trügen keine unmittelbare Verantwortung für ein Strafurteil, so dass die Kenntnis ihrer Namen keinen hinreichenden Informationswert für die Presse besitze. Unabhängig davon, dass Verteidiger und Staatsanwalt auf den gerichtlichen Verfahrensgang Einfluss nehmen können, ist es nicht Sache staatlicher Stellen, sondern Sache der Presse selbst, darüber zu bestimmen, welche Informationen unter welchen Aspekten vonnöten sind, um ein bestimmtes Thema zum Zweck einer möglichen Berichterstattung über Gerichtsverfahren im Recherchewege aufzubereiten. Der Staat hat nicht in eine journalistische Relevanzprüfung einzutreten.

Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Presse im Rahmen der Recherche zu Gerichtsverfahren auch solche personenbezogenen Informationen herausverlangen dürfte, denen selbst bei Anlegung eines großzügigen, den besonderen Funktionsbedürfnissen und Arbeitsgewohnheiten der Presse vollauf Rechnung tragenden Maßstabs jede erkennbare materielle Bedeutung im Zusammenhang mit dem Thema der Recherche bzw. der ins Auge gefassten Berichterstattung abgeht. Das Persönlichkeitsrecht betroffener Personen hat keinen Nachrang gegenüber dem Auskunftsinteresse der Presse, wenn letzteres in Bezug auf diese Person im Dunkeln bleibt und so die Vermutung naheliegt, das Informationsverlangen erfolge insoweit „ins Blaue“ hinein oder besitze jedenfalls keinen ernsthaften sachlichen Hintergrund. Verweigert eine staatliche Stelle aus diesen Gründen die Herausgabe einer personenbezogenen Information und erläutert die Presse daraufhin nicht zumindest ansatzweise den von ihr zugrunde gelegten Wert dieser Information für ihre Recherche bzw. die ins Auge gefasste Berichterstattung, muss die staatliche Stelle davon ausgehen, dass dem Informationsverlangen ein ernsthafter Hintergrund fehlt, und ist daher ausnahmsweise nicht zur Informationsherausgabe verpflichtet. Deshalb hat das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall die Revision des Klägers zurückgewiesen, soweit sie das Verlangen nach Bekanntgabe des Namens der Urkundsbeamtin betraf.“

Also: Es muss dann doch nicht alles auf den Tisch, sondern „nur“ die Namen des/der Richter und des/der Staatanwaltes/Staatanwälte. Und wenn ich „Organ der Rechtspflege“ lese, wahrscheinlich auch die des Verteidigers usw. Aber eben wohl nicht grundsätzlich die Namen der Urkundsbeamten/Protokollführer. Die dürfen „geschwärzt“ werden. Man muss mal sehen, ob das so stimmt, wenn das vollständige Urteil vorliegt und wie im Einzelnen das BVerwG das begründet hat. Mit den PM ist das ja manchmal so eine Sache.

„Vergesst die verkehrs(straf)rechtlichen Grundbegriffe nicht“, oder: Zeitweilig öffentlich, zeitweilig nicht öffentlich…

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Wer schon mal bei mir im Fachanwaltskurs oder auf einer Fortbildung war, der weiß: Ein Standardspruch ist: „Vergessen/Übersehen Sie die verkehrsstrafrechtlichen Grundbegriffe nicht.“ Es sind sechs – Fahrzeug, Kraftfahrzeug, Führen, Verkehr, Straßenverkehr und die Öffentlichkeit. Vor allem die Öffentlichkeit ist wichtig und hier bieten sich m.E. nicht selten gute Verteidigungsansätze, die man nicht übersehen sollte. Das zeigen auch immer wieder obergerichtliche Entscheidungen, die sich mit der Problematik auseinander setzen. Zuletzt jetzt (gerade) der BGH, Beschl. v. 30.01.2013 – 4 StR 527/12, in dem der BGH die Rechtsprechung zum Begriff des „öffentlichen Verkehrsraums“ noch einmal schön zusammengefasst hat, nämlich:

„Tathandlung des § 316 Abs. 1 StGB ist das Führen eines Fahrzeugs im öffentlichen Verkehr. Nach § 2 Abs. 1 StVG bedarf der Fahrerlaubnis, wer auf öffentlichen Straßen ein Kraftfahrzeug führt. Der Begriff des Straßenverkehrs im Sinne der §§ 315 b ff. StGB entspricht dem des StVG und bezieht sich auf Vorgänge im öffentlichen Verkehrsraum. Erfasst werden zum einen alle Verkehrsflächen, die nach dem Wegerecht des Bundes und der Länder oder der Kommunen dem allgemeinen Verkehr gewidmet sind (z.B. Straßen, Plätze, Brücken, Fußwege). Ein Verkehrsraum ist darüber hinaus auch dann öffentlich,  wenn er ohne Rücksicht auf eine Widmung und ungeachtet der Eigentumsverhältnisse entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber zumindest für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch tat-sächlich so genutzt wird (Senatsurteil vom 4. März 2004 – 4 StR 377/03, BGHSt 49, 128, 129; Senatsbeschluss vom 8. Juni 2004 – 4 StR 160/04, NStZ 2004, 625; SSW-StGB/Ernemann, § 142 Rn. 9). Für die Frage, ob eine Duldung des Verfügungsberechtigten vorliegt, ist nicht auf dessen inneren Willen, sondern auf die für etwaige Besucher erkennbaren äußeren Umstände (Zufahrtssperren, Schranken, Ketten, Verbotsschilder etc.) abzustellen. Eine Verkehrsfläche kann zeitweilig „öffentlich“ und zu anderen Zeiten „nicht-öffentlich“ sein (Geppert in LK-StGB, 12. Aufl., § 142 Rn. 14). Die Zugehörigkeit einer Fläche zum öffentlichen Verkehrsraum endet mit einer eindeutigen, äußerlich manifestierten Handlung des Verfügungsberechtigten, die unmissverständlich erkennbar macht, dass ein öffentlicher Verkehr nicht (mehr) geduldet wird (vgl. Senatsurteil vom 4. März 2004 – 4 StR 377/03, BGHSt 49, 128, 129; OLG Düsseldorf, NZV 1992, 120; Pasker, NZV 1992, 120, 121).“

Und letzteres ist ganz wichtig und hat in der BGH-Entscheidung auch die entscheidende Rolle gespielt: Da hatte sich nämlich folgendes ereignet.

„…Der Zeuge S. , der vom Vermieter des Parkplatzes mit dem regelmäßigen Öffnen und Schließen zweier dort befindlicher Schranken beauftragt war, erfasste die Situation zunächst nicht richtig und rief den Angeklagten zu, sie sollten den Parkplatz mit ihrem Pkw verlassen, damit er die Schranke schließen könne. Der Angeklagte R. antwortete sinngemäß, er solle sich keine Gedanken machen, sie kämen schon vom Parkplatz herunter. Daraufhin ging der Zeuge weiter und schloss die Schranke der Parkplatzzufahrt. Als der Zeuge wenig später sah, wie die Angeklagten R. und K. auf den am Boden liegenden Geschädigten mit voller Wucht eintraten, alarmierte er die Polizei (Fall II. 3 der Urteilsgründe). Im Anschluss an die Misshandlung des Geschädigten bestiegen die An-geklagten erneut den Pkw, wobei R. das Fahrzeug führte. Zunächst versuchte er, mit dem Pkw die Tankstelle zu umfahren und vorbei an einer be-nachbarten Diskothek auf die M. Straße zu gelangen, was an einer Begrenzung scheiterte. Anschließend fuhr er dieselbe Strecke zurück und lenkte das Fahrzeug an der geschlossenen Schranke vorbei. Er erreichte die M. Straße erneut nicht, da er nunmehr einen kleinen Erdwall vor sich hat- te. An dieser Stelle blieb er nach einer Fahrtstrecke von ungefähr 220 Metern endgültig stehen (Fall II. 4 der Urteilsgründe).

Dazu dann der BGH:

„c) Nachdem der Zeuge S. die Angeklagten zum Verlassen des Park- platzes aufgefordert und daraufhin die Schranke der Zufahrt geschlossen hatte, gehörte das Parkplatzgelände, auf dem der Pkw stand, nicht mehr zum öffent-lichen Verkehrsraum. Denn der Wille des Verfügungsberechtigten, den Park-platz ab diesem Zeitpunkt der Allgemeinheit nicht mehr zur Verfügung zu stel-len, war nach außen manifest geworden. Dies war für jedermann unmissverständlich erkennbar (vgl. OLG Düsseldorf, NZV 1992, 120). Die Fahrt des Angeklagten R. auf dem Parkplatzgelände (Fall II. 4 der Urteilsgründe) fand deshalb nicht im öffentlichen Straßenverkehr statt und war somit nicht tatbestandsmäßig im Sinne von § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG und § 316 Abs. 1 StGB.

Also nicht vergessen: Zeitweilig öffentlich, zeitweilig nicht öffentlich…..