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Sexuelle Handlungen beim Sanitätsdienst – sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen?

© Dan Race - Fotolia.com

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Zum zweiten Mal beim BGH war jetzt ein Verfahren aus Bochum mit dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen. Mit der ersten Revision hatte der angeklagte Lehrer 2012 Erfolg. Der BGH hatte aufgehoben, weil ihm die Feststellungen zur Annahme des für die Tatbestandsverwirklichung erforderlichen Obhutsverhältnisses i.S. eines Anvertrautseins zur Erziehung, Ausbildung oder Betreuung zwischen dem als Lehrer an einer Realschule tätigen Angeklagten und der Nebenklägerin – Schülerin an dieser Schule – nicht reichten. Nun hat das LG nachgearbeitet und kommt (so die Zusammenfassung aus  der PM 100/2104 des BGH) zu folgenden Feststellungen:

„Nach den vom Landgericht nunmehr getroffenen Feststellungen leitete der Angeklagte im Tatzeitraum den von ihm im Einvernehmen mit der Schulleitung ins Leben gerufenen Schulsanitätsdienst als schulische Arbeitsgemeinschaft außerhalb des verpflichtenden Regelunterrichts und führte auch die Erste-Hilfe-Kurse durch, die die an der Tätigkeit als Schulsanitäter interessierten Schülerinnen und Schüler zuvor absolvieren mussten. Neben der organisatorischen Leitung des Schulsanitätsdienstes oblag dem Angeklagten auch die Betreuung der an den Schultagen eingesetzten Schulsanitäter, die u. a. seine Ratschläge und Anweisungen in Notfällen einholten und mit denen er durchgeführte Einsätze besprach. Zwischen dem Angeklagten und der 14 bzw. 15 Jahre alten Nebenklägerin, die regelmäßig als Schulsanitäterin tätig war und mehrfach Erste-Hilfe-Kurse unter dessen Leitung besucht hatte, der der Angeklagte aber keinen Regelunterricht erteilte, entwickelte sich im Jahr 2010 eine enge persönliche Beziehung, in deren Verlauf es von Oktober 2010 bis März 2011 in zwölf Fällen zu einvernehmlichen sexuellen Handlungen kam. Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr erneut wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in zwölf Fällen verurteilt und gegen ihn eine zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten verhängt.“

Der BGH hat im BGH, Beschl. v. 06.05.2014 – 4 StR 503/13 – die Annahme eines Obhutsverhältnisses zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin i.S. des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB bestätigt und die Revision verworfen:

b) Schon mit Blick darauf, dass dieses Abhängigkeitsverhältnis den persönlichen, allgemein menschlichen Bereich umfassen muss, wird es im Verhältnis eines Lehrers zu seinen Schülern, insbesondere an größeren Schulen mit nur schwer überschaubarem Lehrerkollegium, nicht schon durch die bloße Zugehörigkeit zu derselben Schule konstituiert, sondern regelmäßig erst mit der Zuweisung eines Schülers zu einem bestimmten Lehrer, der dadurch die in § 174 Abs. 1 StGB vorausgesetzten Pflichten übernimmt (BGH, Urteil vom 30. Oktober 1963 – 2 StR 357/63, BGHSt 19, 163, 166; anders noch für den Leiter einer Schule: BGH, Urteil vom 24. November 1959 – 5 StR 518/59BGHSt 13, 352, 355). Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 25. April 2012 (NStZ 2012, 690) ausgeführt hat, ist die für das Anvertrautsein erforderliche Obhutsbeziehung im Lehrer-Schüler-Verhältnis aber nicht auf die Erteilung von (verbindlichem) Regelunterricht etwa durch den Klassen- oder Fachlehrer beschränkt, mag sie sich in diesem Falle auch von selbst verstehen und keiner weiteren Darlegung bedürfen (vgl. Senatsbeschluss vom 26. Juni 2003 – 4 StR 159/03, NStZ 2003, 661). Sie kann auch unabhängig davon zu bejahen sein, etwa bei Aufsichtstätigkeiten oder im Rahmen besonderer Veranstaltungen der Schule, zu denen auch die Durchführung einer von den Schulbehörden genehmigten, nicht zum regulären Unterricht zählenden Arbeitsgemeinschaft gehören kann. Ob ergänzende Lehrleistungen außerhalb des Regelunterrichts die Annahme eines Obhutsverhältnisses im Sinne von § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB rechtfertigen, hat der Tatrichter auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung zu beurteilen, in die alle für die rechtliche Bewertung bedeutsamen Umstände einzubeziehen sind. Es muss sich dabei am Schutzzweck der Vorschrift orientieren, wonach Minderjährige und daher regelmäßig noch nicht ausgereifte Menschen vor sexuellen Übergriffen durch Autoritätspersonen bewahrt werden so-len, denen sie durch einen Vertrauensbeweis überantwortet und damit gewissermaßen in die Hand gegeben sind (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 1985 – 1 StR 491/85, BGHSt 33, 340, 344).

2. Gemessen daran war die Nebenklägerin dem Angeklagten im Tatzeitraum im Sinne von § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB anvertraut…..

Denn – aus der PM : „Der von ihm verantwortlich geleitete Schulsanitätsdienst stand im Dienst des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule, der nicht nur die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten beinhaltete, sondern auch die Aufgabe umfasste, den Schülerinnen und Schülern Werthaltungen nahezubringen und ihre Bereitschaft zu sozialem und verantwortungsbewusstem Handeln zu wecken. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen belegen, dass die Nebenklägerin im Tatzeitraum nicht nur eng in den Schulsanitätsdienst eingebunden war, sondern den Angeklagten, dessen Hilfestellung sie in schwierigen Situationen häufig in Anspruch nahm, auch als Autoritätsperson anerkannte und sich dessen Ratschlägen und Weisungen unterordnete.“

 

Sex in der Grillhütte – die Schülerin und der Lehrer auf der Abschlussfeier

© ferkelraggae - Fotolia.com

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Einen Schlussstrich hat das OLG Koblenz jetzt unter inzwischen fast 10 Jahre zurückliegende (behauptete) Geschehnisse auf einer Abschlussfeier einer Schulklasse des Hauptschulzweigs einer regionalen Schule gezogen. An dieser hatten die (ehemalige) Schülerin und einer ihrer ehemaligen Lehrer teilgenommen. Zwischen ihnen soll es zu sexuellen Handlungen gekommen sein. Es erfolgte Strafanzeige wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen. Das eingeleitete Verfahren hat jetzt im sog. Klageerzwingungsverfahren sein Ende gefunden. Der noch gestellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung hatte dort keinen Erfolg. Kein „Obhutsverhältnis“ sagt das OLG Koblenz im OLG Koblenz, Beschl. v. 17.03.2014 – 1 Ws 56/14:

1. Die am pp. geborene Antragstellerin besuchte im Schuljahr 2004/2005 die 9. und damit letzte Klasse des 5-zügigen Hauptschulzweigs der Regionalen Schule in A.. Einer ihrer Fachlehrer war der Beschuldigte. Das Schuljahr endete offiziell am 24. Juli 2005. Bereits am 14. Juni 2005 hatte die Zeugniskonferenz für die Abschlussklassen der Hauptschule stattgefunden. Mit der Übergabe der Zeugnisse am Freitag, dem 24. Juni 2005 wurden diese aufgelöst. Diejenigen Schülerinnen und Schüler, die sich wie die Antragstellerin mit ihren Leistungen für ein weiteres Schuljahr zur Erlangung der Mittleren Reife qualifiziert hatten, wurden bereits ab dem 27. Juni 2005 bis zum Beginn der Sommerferien in der neuen Klasse 10 V b unterrichtet, und zwar von den Lehrern, die sie auch im Schuljahr 2005/2006 unterrichten sollten. Der dem Hauptschulzweig zugehörige Beschuldigte gehörte, was am 24. Juni 2007 bereits feststand, nicht dazu.

 ……

Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil das dem Beschuldigten zur Last gelegte Verhalten nach derzeitiger Rechtslage unter keinen Straftatbestand zu subsumieren ist. Wie der Senat in seinem Beschluss vom 29. Dezember 2011 (1 Ss 213/11) festgestellt hat, ist das nach § 174 Abs. 1 StGB notwendige Obhutsverhältnis nicht ohne weiteres zwischen allen Lehrern und Schülern der Regionalen Schule in A. zu bejahen. Sachlich fundierte Kritik gegen diese Rechtsauffassung gab es nicht; sie wurde inzwischen vom Bundesgerichtshof bestätigt (BGH v. 25.04.2012 – 4 StR 74/12 – juris Rn. 8 – StV 2012, 531).

Es kommt somit darauf an, ob die Antragstellerin dem Beschuldigten in der fraglichen Nacht noch zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut war. Dies ist zu verneinen, weil das Lehrer-Schüler-Verhältnis und damit das Obhutsverhältnis mit der Auflösung des Klasseverbandes am 24. Juni 2005 endete (vgl. BGH v. 30.10.1963 – 2 StR 357/63 – juris n. 17 – BGHSt 19, 163). Allein die theoretische Möglichkeit, der Beschuldigte könne künftig die Antragstellerin als Vertretungslehrer unterrichten, begründet kein tatsächliches Obhutsverhältnis. Das frühere Obhutsverhältnis dauerte nicht allein deshalb fort, weil der Beschuldigte von ehemaligen Schülerinnen und Schülern zu einer privaten Veranstaltung eingeladen wurde. Bei dieser Veranstaltung war er lediglich Gast, aber kein tauglicher Täter eines sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen.

Über den vom OLG angeführten OLG Koblenz, Beschl. v. 29.12.2011 – 1 Ss 213/11 – haben wir hier unter: Sex in der Schule – der Religionslehrer und die 14-jährige Schülerin – Volltext hier berichtet.

Sex in der Schule – der Religionslehrer und die 14-jährige Schülerin – Volltext hier

Das OLG Koblenz, Beschl. v. 29.12.2011 – 1 Ss 213/11 hat ja vor einigen Tagen die Gemüter/Blogs und die (Boulevard)Presse bewegt/aufgeregt. Damit war zu rechnen, Religionslehrer, 14-jährige Schülerin, Sex im Putzraum der Schule. Das ist der Stoff, aus dem man Meldungen macht.

Inzwischen habe ich vom Kollegen den Volltext der Entscheidung erhalten und sie eingestellt. M.E. recht überzeugend begründet der Freispruch durch das OLG. Es geht/ging eben um die  Anforderungen an ein Obhutsverhältnis i.S. des § 174 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB und die hat das OLG auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen verneint.

Damit keine strafrechtliche Schuld – über alles andere wird man reden können/müssen.