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Strafbefehlsverfahren, oder: Ist die nachträgliche Ergänzung des rechtskräftigen Strafbefehls zulässig?

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Heute dann mal ein „Kessel-Buntes-Tag“ in der Woche, also Entscheidungen, die nicht unter einem thematischen Schwerpunkt zusammengefasst sind. Die hängen zum Teil schon länger in meinem Blogordner. Heute „kommen sie dann weg“.

An der Spitze steht der LG Erfurt, Beschl. v. 27.04.2020 – 7 Qs106/20. Der ist im Anschluss an ein an sich abgeschlossenes Strafbefehlsverfahren ergangen. Das AG Weimar hatte am 25.11.2019 gegen den Verurteilten einen Strafbefehl wegen Trunkenheit im Verkehr erlassen. Entsprechend des Antrags der Staatsanwaltschaft wurde eine Strafe nicht festgesetzt, sondern es wurde lediglich die Fahrerlaubnis entzogen, der Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist festgesetzt. Mangels Einspruchs gegen den dem Verteidiger am 25.11.2019 zugestellten Strafbefehl wurde der Strafbefehl am 30, 12.2019 mit dem Vermerk über die am 20.12.2019 eingetretene Rechtskraft versehen.

Die Staatsanwaltschaft Erfurt hat dann später beim AG  beantragt, den Rechtskraftvermerk bezüglich des Rechtsfolgenausspruchs nach Anhörung des Angeklagten zu streichen. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass im Falle einer unvollständig festgesetzten Geldstrafe diese nicht in Rechtskraft erwachsen könne. Zudem sei ein Strafbefehl, der versehentlich keine Festsetzung von Rechtsfolgen enthalte, unwirksam und unbeachtlich sei.

Das AG hat das abgelehnt. Die Beschwerde hatte dann beim LG Erfurt keinen Erfolg:

„In der Sache hat die Beschwerde keinen Erfolg.

Gemäß § 409 Abs. 1 Nr. 6 StPO enthält der Strafbefehl u.a. die Festsetzung der Rechtsfolgen. Dabei muss die Festsetzung der Rechtsfolgen so eindeutig sein, dass aus dem Strafbefehl vollstreckt werden kann. Ist die Festsetzung der Rechtsfolgen so ungenau, dass eine Vollstreckung des Strafbefehls nicht möglich ist, fehlt die Festsetzung von Rechtsfolgen ganz oder wird eine nach § 407 Abs. 2 unzulässige Rechtsfolge festgesetzt, werden, wenn – wie hier – kein Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt wird, bezüglich der Wirksamkeit des Strafbefehls unterschiedliche Ansichten vertreten:

Teilweise wird in dem Fall der fehlenden Rechtsfolgenbestimmung vertreten, dass der Strafbefehl unwirksam und unbeachtlich sei und ein neuer Strafbefehl erlassen werden könne (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. März 1984 – 2 Ss 109/84 – 47/84 —, juris; KMR-Metzger, StPO, A., § 409, Rdnr. 20; Brauer in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 6. Aufl. 2019, § 409 Rdnr, ; Temming in BeckOK-StPO, § 409 Rdnr. 7; Maur in FKK-StPO, § 409 Rdnr, 24; Pfeiffer, StPO, 4.A., § 409 Rdnr. 1 1; nach Gössel in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. A., § 409 Rdnr. 17 Nichtigkeit des Strafbefehls).

Nach a.A. führt das Fehlen der Festsetzung der Rechtsfolgen nicht zu der Unwirksamkeit des Strafbefehls, sodass es auch unzulässig sei, zu demselben Tatvorwurf einen neuen Strafbefehl zu erlassen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. A., § 409 Rdnr. 7).

Vorliegend kommt es aufgrund der im vorliegenden Fall nicht vergleichbaren Fallgestaltung auf den Meinungsstreit nicht an. Die Entscheidung BGH 4 StR 599/80 betrifft die Nichtfestsetzung der Tagessatzhöhe einer Einzelgeldstrafe, ohne dass eine weitere Rechtsfolge verhängt worden war. Gegenstand der Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 30.03.1984 war ein Strafbefehl, er versehentlich keine Rechtsfolgen enthielt.

Hier enthält, worauf das Amtsgericht Weimar zu Recht hinweist, der Strafbefehl eine Rechtsfolge, nämlich die Entziehung der Fahrerlaubnis.

Rechtsfolge i.d.S. sind ausweislich der Überschrift des Dritten Abschnitts des StGB „Rechtsfolgen der Tat“ die in diesem Abschnitt in §§ 38 bis 76 a StGB aufgeführten Regelungen.

Die Verhängung einer derartigen Maßregel der Besserung und Sicherung ist auch isoliert im Falle des Absehens von Strafe (§ 60 StGB) möglich (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Urteil vom 09. Februar 1972 – RReg 5 St 149/71 juris; Fischer, StGB, 67. A., § 60 Rdnr. 7), insbesondere auch im Wege des Strafbefehls (vgl. Schönke-Schröder-Kinzig, StGB, 30.A, § 60 Rdnr. 11).

Somit ist der vorliegende Strafbefehl grundsätzlich der Rechtskraft fähig, da in der Regel zwischen einem Absehen von Strafe und der Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis kein untrennbarer innerer Zusammenhang besteht (OLG Hamm, Urteil vom 14. Dezember 1971 – 5 Ss 1010/71, juris).

Es liegen auch sonst keine Gründe für eine Durchbrechung der Rechtskraft vor.

Zwar können nach der Rechtsprechung Urteile und andere gerichtliche Entscheidungen in seltenen Ausnahmefällen nichtig sein, nämlich dann, wenn sie an einem derart schweren Mangel leiden, dass es bei Berücksichtigung der Belange der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens vom Standpunkt der Gerechtigkeit aus schlechthin unerträglich wäre, sie als verbindlichen Richterspruch anzunehmen und gelten zu lassen, und der Mangel für einen verständigen Beurteiler offen zutage liegt (OLG Koblenz, Beschluss vom 06. Juli 1998 2 Ss 84/98  Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., Einl. Rdnr. 103 m.w.N.).

Dies ist bei einem Strafbefehl, durch den zwar in der Regel Geldstrafen verhängt werden, in dem Fall, dass durch ihn „nur“ ein Nebenfolge festgesetzt wird, nach Auffassung der Kammer nicht der Fall.“

OWi III: Das BayObLG ist wieder da, oder: Totgesagte leben länger

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Und als dritte Entscheidung dann die erste vom neuen/alten Bayerischen Obersten Landesgericht, die mir „untergekommen“ ist. Die Bayern haben es wieder. Die Entscheidung bringt nichts Neues – alter Wein. Ich stelle sie hier auch nur vor, um auf die „Neuerscheinung“ aufmerksam zu machen. Es geht um die unzulässige nachträgliche Ergänzung (?) der Urteilgründe. Dazu das BayObLG im BayObLG, Beschl. v. 13.03.2019 – 201 OBOWi 25/19:

„Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen am 15. Oktober 2018 wegen fahrlässigen Über­schreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 115 km/h zu einer Geldbuße von 700,00 € und verhängte gegen ihn ein Fahrverbot für die Dauer von drei Monaten nach Maßgabe des § 25 Abs. 2a StVG.

Am 17. Oktober 2018 verfügte der zuständige Richter im Anschluss an das fertiggestellte Hauptverhandlungsprotokoll, welches in einer Anlage den unterschriebenen Tenor des verkündeten Ur­teils ohne Gründe enthielt, die Übersendung der Akten „ gemäß § 41 StPO“ an die Staatsanwalt­schaft, wo diese am 18. Oktober 2018 eingingen.

Am 14. November 2018 gelangte das unterschriebene vollständige Urteil mit den Gründen zu den Akten.

Mit der am 17. Oktober 2018 eingegangenen und anschließend form- und fristgerecht begründe­ten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft München hat mit Stellungnahme vom 8. Februar 2019 beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die statthafte (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 OWiG) und auch sonst zulässige Rechtsbeschwer­de erweist sich auf die Sachrüge als – zumindest vorläufig – erfolgreich und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

Das für die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht maßgebliche Urteil enthält entge­gen § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 StPO keine Gründe. Dies stellt einen materiell-rechtlichen Mangel dar, der bereits auf die Sachrüge hin zu beachten ist (vgl. nur BGH NStZ-RR 1999, 45; KK-Gericke 7. Aufl. § 338 Rn. 92 – jeweils m.w.N.). Die Ergänzung durch die erst am 14. Novem­ber 2018 zu den Akten gelangten schriftlichen Urteilsgründe war nach unzulässig und damit für das vorliegende Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr relevant (vgl. nur OLG Bamberg, Be­schlüsse vom 16. Dezember 2008 – 3 Ss OWi 1060/08 [bei juris] = BeckRS 2009, 3920 = zfs 2009, 175 ff. und vom 10. November 2011 3 Ss OWi 1444/11 [bei juris]; ebenso: OLG Hamm Be­schluss vom 20. Januar 2014 — 1 RBs 8/14 [bei juris]). Das Amtsgericht war nicht befugt, das nicht mit Gründen versehene Urteil vom 15. Oktober 2018 nach der am 18. Oktober 2018 erfolg­ten Zustellung an die Staatsanwaltschaft abzuändern.

a) Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass die nachträgliche Ergänzung eines Urteils grundsätzlich nicht zulässig ist — und zwar auch nicht innerhalb der Urteilsabsetzungsfrist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO —, wenn es bereits aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts hin­ausgegeben worden ist (BGHSt 43, 22; 58, 243; OLG Bamberg a.a.O.). Für das Bußgeldverfah­ren folgt daraus, dass ein vollständig in das Sitzungsprotokoll aufgenommenes, nicht mit Grün­den versehenes Urteil, das den inneren Dienstbereich des Gerichts bereits verlassen hat, nicht mehr verändert werden darf, es sei denn, die nachträgliche Urteilsbegründung ist gemäß § 77b Abs. 2 OWiG zulässig (BGHSt 58, 243 m.w.N.; OLG Bamberg, ZfS 2009, 175; StraFo 2010, 468; Brandenburgisches OLG VRS 122, 151; OLG Celle NZV 2012, 45; OLG Dresden NZV 2012, 557; OLG Hamm aaO; KG NZV 1992, 332; OLG Oldenburg NZV 2012, 352).

Im vorliegenden Verfahren hat sich der Tatrichter mit der Verfügung, die Akten gemäß § 41 StPO an die Staatsanwaltschaft zu übersenden, endgültig für die förmliche Zustellung einer nicht mit Gründen versehenen Urteilsfassung entschieden. Damit hat das Urteil den inneren Dienstbe­reich des Gerichts verlassen und ist mit der Zustellung an die Staatsanwaltschaft nach außen in Erscheinung getreten.

Die Voraussetzungen für ein Absehen von einer schriftlichen Begründung des Urteils waren nicht gegeben (§ 77b Abs. 1 OWiG).