Der eine oder andere Leser wird sich vielleicht noch an das Posting: Da „springt mir der Draht aus der Mütze“, oder: Arbeitsverweigerung zum OLG Karlsruhe, Beschl. v. 04.08.2016 – 2 (4) Ss 356/16 – AK 124/16 erinnern. Dazu passt ganz gut bzw. in die Kategorie gehört das LG Köln, Urt. v. 28.07.2016 – 152 Ns 59/15, über das der Kollege Siebers in seinem Blog ja auch schon berichtet hat. Der Kollege meint: Kein Urteil sondern eine Frechheit. Ich habe mir daraufhin den Volltext beim LG Köln besorgt – das geht in NRW über NRWE recht fix. Und in der Tat. Schon außergewöhnlich, was für das AG-Urteil noch eine gelinde Umschreibung ist. Der Kollege Siebers liegt mit „Frechtheit“ im Grund genommen gar nicht so verkehrt. Jedenfalls aber auch „Arbeitsverweigerung“, für die der Vorsitzende der Strafberufungskammer beim LG Köln mehr als deutliche Worte gefunden hat, die man „sich auf der Zunge zergehen lassen“ muss.
Allein schon der erste Satz des landgerichtlichen Urteils ist „bemerkenswert“:
Obwohl die Staatsanwaltschaft bereits Berufung eingelegt hatte, erschöpfte sich das Urteil in einem ordnungsgemäßen Tenor.
Und dann geht es weiter:
„Anstatt einer auch nur ansatzweise an der Vorschrift des § 267 StPO ausgerichteten Begründung ließ der Erstrichter lediglich die Anklageschrift und das vollständige Sitzungsprotokoll einschließlich sämtlicher Streichungen ablichten und die Kopien nach dem Tenor in das Urteil einfügen. Der Sinn seines Vorgehens erschließt sich der Kammer nicht. Die bloße Wiedergabe von Zeugenaussagen ersetzt keine Beweiswürdigung. Erst recht entbindet das rein mechanische Kopieren des Sitzungsprotokolls – noch dazu mit sämtlichen Streichungen – den Richter nicht davon, die von ihm erhobenen Beweise in ihrer Gesamtheit zu würdigen.
Dieses Vorgehen setzte der Erstrichter in der Folge fort. Als angebliche Einlassung des Angeklagten ließ er den vom Verteidiger im Ermittlungsverfahren zur Akte gebrachten Schriftsatz vom 20. Dezember 2013 vollständig in das Urteil hineinkopieren. Abgesehen davon, dass der Schriftsatz überhaupt nicht in die Hauptverhandlung eingeführt worden war, handelte es sich bei der vom Angeklagten nicht übernommenen Erklärung des Verteidigers gerade nicht um die Einlassung des Angeklagten. Diese erschöpfte sich vielmehr nicht nur in der Berufungsverhandlung in seiner Erklärung, sich aufgrund seines Rauschs an überhaupt nichts mehr erinnern zu können. Er habe lediglich eine „emotionale“ Erinnerung dahingehend, sich damals in irgendeiner Form bedroht gefühlt zu haben.
Schließlich hielt der Erstrichter ohne nähere Ausführungen oder eine Würdigung unter Verweis auf ein inhaltlich ebenfalls nicht mitgeteiltes rechtsmedizinisches Gutachten fest, die „Einlassung“ des Angeklagten lasse sich nicht widerlegen.
Die Kammer unterstreicht vor diesem Hintergrund ihre in der Hauptverhandlung bekannt gegebene Wertung, bei dem von einem Richter unterschriebenen Dokument handele es sich nicht um ein auch nur ansatzweise nach Maßgabe des § 267 StPO begründetes Urteil, sondern schlicht um eine Frechheit. Das Vorgehen des Erstrichters, völlig sinnfrei zu großen Teilen überhaupt nicht in die Hauptverhandlung eingeführte Aktenteile in sein Urteil hineinkopieren zu lassen, wird nicht nur dem Angeklagten und dem Geschädigten sowie den Besonderheiten der abzuurteilenden Taten, sondern auch und gerade dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit in keiner Weise mehr gerecht. Die Fassung eines solchen „Scheinurteils“ bleibt auch vor dem Hintergrund der hohen Arbeitsbelastung der Amtsgerichte unerklärlich. Sie ist schon mit Blick auf §§ 258a, 339 StGB höchst bedenklich.
Schon vor diesem Hintergrund war die Kammer aufgefordert, das auch noch in der Sache (zugunsten des Angeklagten) grob fehlerhafte Urteil aufzuheben und – insofern zu Gunsten des Angeklagten – die beim Amtsgericht angefallenen Verfahrenskosten gemäß § 23 GKG niederzuschlagen.“
Heftig – so der Kollege Siebers -, oder: Da ist der Strafkammer und dem ihr Urteil begründenden Vorsitzenden aber „der Draht aus der Mütze gesprungen“. Ich habe während meiner richterlichen Tätigkeit – und die hat immerhin 1978 begonnen – und auch danach noch nie ein Berufungsurteil gelesen, in dem die Strafkammer dem AG eine solche Abfuhr erteilt. Der amtsrichterliche Kollege scheint bar jeder Kenntnis zu sein, wie man ein Urteil begründet, gegen das Berufung eingelegt ist. Oder ist es besser, zu seinen Gunsten anzunehmen, dass er keine Lust zur ordnungsgemäßen Begründung hat? Ich weiß nicht, was besser/schlimmer ist. Mit „Arbeitsbeslastung“ kann man übrigens nicht alöles gesund beten, da hat die Kammer Recht.
Die Hinweise der Kammer auf die „§§ 258a, 339 StGB“ sind mehr als deutlich – Frage: Anfangsverdacht, der die StA zum Tätigwerden verpflichten würde? Wahrscheinlich nicht. Und dass eine Berufungskammer von § 23 GKG Gebrauch macht und die Kosten der 1. Instanz niederschlägt -. Formulierung der Kammer: sie war „aufgefordert“ (!!) das zu tun – habe ich, wenn ich micht recht erinnere auch noch nicht gelesen.
Fazit: Setzen Herr Amtsrichter. Ungenügend/Sechs. Die „Versetzung“ ist gefährdet.
Und wenn ich dann das LG Freiburg, Urt. v. 25.02.2016 – 2 KLs 270 Js 21058/12 (dazu: Die Rechtsbeugung des Staatsanwaltes, oder: Scheinerledigung) dazu nehme: Kein gute Bild für die Justiz……