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Mangelnde Eignung eines elektronischen Dokuments, oder: Doppelte Wiedereinsetzung

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Nachdem ich nun schon über einige Entscheidungen betreffend aktive Nutzungspflicht aus dem Zivilverfahren und auch dem Verwaltungsverfahren berichtet habe, hier dann (endlich) auch eine aus dem Strafverfahren.

Ergangen ist der OLG Oldenburg, Beschl. v. 25.02.2022 – 1 Ss 28/22 – nach einem Berufungsverfahren. Der Verteidiger hatte gegen das ergangene landgerichtliche Urteil, durch das die Berufung des Angeklagten verworfen worden war, Revision eingelegt. Das LG-Urteil wurde dem Verteidiger am 08.12.2021 zugestellt. Am Montag, den 10.01.2022 erhielt das LG lediglich den Prüfvermerk über die Übermittlung einer Revisionsbegründung im Format „docx“ (word-Dokument) aus dem besonderen Anwaltspostfach des Verteidigers; das Dokument selbst befand sich nicht bei der Akte. Nachdem das LG am 11.01.2022 den Verteidiger darauf hingewiesen hatte, hat dieser mit noch am selben Tag beim LG eingegangen Fax mitgeteilt, dass die Revisionsbegründung vom Vortag von ihm erstellt, überprüft und ordnungsgemäß in seinem System über „E-Versand“ über sein eigenes beA-Postfach an das LG versandt worden sei. Zugleich hat er dem LG nicht nur den entsprechenden Zustellungsnachweis, sondern auch die auf den 10.01.2022 datierende und von ihm nunmehr handschriftlich unterzeichnete Revisionsbegründungsschrift per Fax übermittelt. Im selben Schriftsatz hat der Verteidiger anwaltlich versichert, dass das am 11.01.2022 per Fax zur Absendung gebrachte Dokument in Form der Revisionsbegründung inhaltsidentisch ist mit dem am 10.01.2022 per beA als Anlage versandten Revisionsbegründung. Für den Fall, dass von einer versäumten Revisionsbegründungsfrist ausgegangen werde, hat der Verteidiger schließlich vorsorglich um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ersucht.

Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag als unzulässig angesehen. Seiner Entscheidung hat es folgende Leitsätze vorangestellt:

  1. Die in § 32a Abs.6 Satz 2 StPO vorgesehene Fiktion fristwahrender Einlegung nach Hinweis auf die mangelnde Eignung einer zuvor mittels elektronischen Dokumentes eingereichten Revisionsbegründung kann nur durch die Einreichung eines für die Bearbeitung durch das Gericht geeigneten elektronischen Dokumentes ausgelöst werden, nicht durch Übermittlung einer Revisionsbegründung in Papierform.
  2. Ebenso genügt nur die Einreichung eines für die Bearbeitung durch das Gericht geeigneten elektronischen Dokumentes den Anforderungen einer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigenden Nachholung der versäumten Handlung.

Die Entscheidung zeigt anschaulich die Gefahren, die in der Neuregelung „schlummern“ und worauf der Verteidiger ggf. achten muss: Sind die Vorgaben des § 32d StPO nicht erfüllt, tritt die Fiktionswirkung des § 32a Abs. 6 StPO und die Heilung nur ein, wenn das elektronische Dokument dann in einer zur Bearbeitung geeigneten Form unverzüglich nachgereicht wird.

Hier hat das OLG aber die für den Angeklagten nachteiligen Folge der Unzulässigkeit der Revision allerdings abgemildert:

„Für das weitere Verfahren weist der Senat jedoch daraufhin, dass, wenn der Angeklagte über seinen Verteidiger binnen Wochenfrist nach Zustellung dieses Beschlusses nunmehr eine den vorstehenden Voraussetzungen genügende Revisionsbegründungsschrift beim Landgericht einreicht, diesem Wiedereinsetzung in die – mangels formgerechten Wiedereinsetzungsantrags (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 13.08.2018 – 2 Rev 47/181 Ss 86/18, juris Rn. 9; Graalmann-Scheerer, in LR-StPO, 27. Aufl., § 44 Rn. 9 jew. m.w.N.) – vorliegend versäumte Wiedereinsetzungsantragsfrist zu gewähren sein wird. Denn ausnahmsweise erscheint hier die neuerliche Wiedereinsetzung zur Wahrung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG geboten, um dem Angeklagten, der bislang von dem allein durch seinen Verteidiger verschuldeten (vgl. BT-Drs. 17/12634, S. 26), ihm indes nicht zuzurechnenden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 44 Rn. 18) Formmangel keine Kenntnis gehabt haben dürfte, die Möglichkeit zur Beseitigung dieses Formmangels durch Nachholung formgerechten Vorbringens i.S.d. § 45 Abs. 2 StPO zu geben (vgl. in diese Richtung BGH, Beschluss vom 09.07.2003 – 2 StR 146/03, NStZ 2003, 615 Rn. 4; OLG Hamburg, Beschluss vom 13.08.2018 – 2 Rev 47/181 Ss 86/18, juris Rn. 12; s.a. Kassenbohm, StraFo 2017, 393 <399>; Beukelmann/Brökers, in MAH-Strafverteidigung, 3. Aufl., § 38 Rn. 147; Graf, in KK-StPO, 8. Aufl., § 32d Rn. 5; Bosbach, in NK-StGB, 5. Aufl., § 32d Rn. 2; Valerius, in BeckOK-StPO, § 32d Rn. 4 jew. zur Wiedereinsetzung im Kontext des § 32d StPO).“

Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad, oder: Untersagung des Führens von Fahrrad/Mofa?

entnommen wikimedia.org
Urheber Roulex 45

Als zweite Entscheidung heute dann – seit längerem – mal wieder eine verkehrsverwaltungsrechtliche. Es handelt sich um das VG Augsburg, Urt. v. 09.09.2019 – Au 7 K 18.1240. Es nimmt Stellung zur Anordnung einer MPU nach einer Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad.

Nach einer Trunkenheitsfahrt der Klägerin, bei der sie mit einem Fahrrad gefahren war, war eine MPU angefordert worden. Der Aufforderung war die Klägerin nicht nachgekommen. Daraus hatte die Verwaltungsbehörde dann auf mangelnde Eignung zur Teilnahme am Straßenverkehr geschlossen und der Klägerin das Führen erlaubnisfreier Fahrzeuge untersagt. Das VG hat das abgesegnet:

2. Der Beklagte hat im vorliegenden Fall zu Recht auf die Nichteignung der Klägerin zum Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen geschlossen, weil diese das geforderte medizinisch-psychologische Gutachten nicht beigebracht hat (§ 3 Abs. 2 i.V.m. § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV).

Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der medizinisch-psychologischen Untersuchung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (st. Rspr. des BVerwG, vgl. BVerwG, B. v. 9.6.2005 – 3 C 25/04NJW 2005, 3081; B. v. 11.6.2008 – 3 B 99/07NJW 2008, 3014; BayVGH, B. v. 5.6.2009 – 11 CS 09.69; BayVGH, B. v. 19.2.2009 – 11 ZB 08.1466; VG München, U. v. 10.7.2009 – M 6b K 08.1412).

Die Rechtmäßigkeit der Forderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens ergibt sich hier aus § 3 Abs. 2 i.V.m. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV. Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde. Gemäß § 3 Abs. 2 FeV gilt dies auch für die Untersagung des Rechts zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge.

Nimmt eine Person mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr als Fahrradfahrer am Straßenverkehr teil, so ergeben sich hieraus nicht nur Zweifel an ihrer Eignung, Kraftfahrzeuge zu lenken, sondern es besteht vielmehr auch Grund zu der Besorgnis, dass sie künftig erneut bereit sein könnte, in erheblich alkoholisiertem Zustand wiederum Fahrräder oder andere Fahrzeuge, die ohne Fahrerlaubnis gelenkt werden dürfen, im öffentlichen Straßenverkehr zu führen (vgl. BayVGH, B. v. 22.10.2009 – 11 ZB 09.832; B. v. 8.2.2010 – 11 C 09.2200ZfS 2010, 296; B. v. 11.5.2010 – 11 CS 10.68; B. v. 12.10.2010 – 11 ZB 09.2575; U. v. 1.10.2012 – 11 BV 12.771).

3. Die Anwendung von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV ist dabei auch gegenüber Personen gerechtfertigt, die lediglich fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge führen. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat seine bisher vertretene gegenteilige Rechtsauffassung (OVG RhPf, B. v. 25.9.2009 – 10 B 10930/09NJW 2010,457), welche vom Bevollmächtigten der Klägerin angeführt wurde, inzwischen aufgegeben (OVG RhPf, U. v. 17.8.2012 – 10 A 19284/12). Zudem ist der Bayerische Verwaltungsgerichtshof der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, soweit dieses dem Gesetz entnimmt, dass sich die pauschalierende Betrachtungsweise des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV gegenüber Personen, die lediglich fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge führen, nicht rechtfertigen lässt, ausdrücklich entgegengetreten (BayVGH, B. v. 28.12.2010 – 11 CS 10.2095 – juris Rn. 15).

4. Hinsichtlich der Forderung nach der Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens ist es rechtlich unbeachtlich, wenn derjenige, der durch eine entsprechende Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad auffällig geworden ist, nie eine Fahrerlaubnis besessen hat und auch in Zukunft keine erwerben will. Eine sachliche Differenzierung danach, ob der Radfahrer eine Fahrerlaubnis besitzt oder nicht, erscheint im Hinblick auf das vom alkoholisierten Radfahrer ausgehende Gefahrenpotential nicht gerechtfertigt (BayVGH, B. v. 11.5.2010 a.a.O.; U. v. 1.10.2012 a.a.O.). Entgegen der Ansicht der Klägerin könnte gerade hierin ansonsten ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG liegen.

Es liegt auf der Hand, dass Verkehrsunfälle, die ungeeignete Fahrer fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge verursachen, ebenfalls mit schwerwiegenden Folgen für Gesundheit, Leben und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer verbunden sein können (BayVGH, B. v. 11.5.2010 – a.a.O.; B. v. 22.10.2009 – a.a.O.; OVG Nds, B. v. 1.4.2008 – 12 ME 35/08). Wie das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 21. Mai 2008 (3 C 32/07BVerwGE 131, 163, vgl. auch U. v. 27.9.1995 – 11 C 34/94BVerwGE 99, 249) ausgeführt hat, bedeutet die Teilnahme am Straßenverkehr unter erheblicher Alkoholisierung mit jedem Fahrzeug eine Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs. Diese Einschätzung liegt auch § 316 StGB zugrunde, der nicht nur die Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftfahrzeug unter Strafe stellt. Radfahrer sind mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille absolut fahruntüchtig (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2010, § 316 StGB Rn. 18). Der Forderung des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV, ab einer Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, liegt die Annahme des Verordnungsgebers zugrunde, dass nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen Fahrer mit einer Blutalkoholkonzentration ab 1,6 Promille über deutlich normabweichende Trinkgewohnheiten und eine ungewöhnliche Giftfestigkeit verfügen (BayVGH, U. v. 1.10.2012 – 11 BV 12.771). Diese Personen werden doppelt so häufig rückfällig wie Personen mit geringeren Blutalkoholkonzentrationen. Nicht an Alkohol gewöhnte Personen sind mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille nicht in der Lage, ihr Fahrzeug aufzufinden, es in Gang zu setzen und es über eine gewisse Strecke zu bewegen. Dies gilt auch bzw. sogar besonders bei einem Fahrrad, dessen Gebrauch ein gesteigertes Maß an Balance erfordert und damit besondere Anforderungen an den Gleichgewichtssinn stellt (vgl. HessVGH vom 6.10.2010 – 2 B 1076/10 Blutalkohol 2010, 436).

Es ist deshalb gerechtfertigt, von solchen Personen die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu fordern.

5. Die Klägerin ist bereits am 11. Juni 2013 ebenfalls mit fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr, damals mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,86 Promille, auffällig geworden. Selbst bei erstmaligem Verstoß aber ist bei einem Fahrradfahrer, der sich mit hoher Blutalkoholkonzentration am Straßenverkehr beteiligt und damit eine Verkehrsstraftat nach § 316 StGB begeht, in der Regel bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründet, er werde in alkoholisiertem Zustand nicht stets die nötige Selbstkontrolle aufbringen, vom Führen eines Fahrzeuges abzusehen (vgl. BVerwG 21. Mai 2008 – 3 C 32/07BVerwGE 131, 163, U. v. 27.9.1995 – 11 C 34/94BVerwGE 99, 249 für den Kraftfahrzeugführer; BayVGH, U. v. 1.10.2012 – 11 BV 12.771). Die Frage, ob ein Wiederholungsrisiko besteht, auch im Hinblick auf die Persönlichkeitsmerkmale der Klägerin, ist gerade erst mit der angeordneten Begutachtung zu klären. Es ist Sache des Betroffenen, im Rahmen der medizinischen und der psychologischen Untersuchung zur Überzeugung zunächst des Sachverständigen und daraufhin der Entscheidungsträger bei den Behörden und den Gerichten darzutun, warum er trotz des anlassgebenden Sachverhalts zum Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen geeignet ist. Weiter ist es zunächst Aufgabe der Begutachtungsstelle, zu beurteilen, ob ein fahrerlaubnisfreies Fahrzeug unter bestimmten Beschränkungen bzw. Auflagen geführt werden kann…..“