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Wenn der Maserati im Parkhaus (ver)brennt, oder: Beim Betrieb?

entnommen openclipart.org

Schauen wir mal, was der „Kessel Buntes“ für den heutigen Samstag so hergibt 🙂   Bei der Nachschau finde ich als erstes das LG Köln, Urt. v. 05.10.2017 – 2 O 372/16. Es geht um Schadensersatz für einen bei einem Brand zerstörten Pkw, einen Maserati, den der Kläger für  25.500 € gekauft hatte. Den hat der Kläger in einem Parkhaus abgestellt – mit Überführungskennzeichen – und nur gelegentlich genutzt. Dann stellt der Schwiegersohn des Klägers am 24.12.2013 geinen VW Bus T 4, der bei der Beklagten haftpflichtversichert war, in der Tiefgarage neben dem Maserati ab.. Die beiden Fahrzeuge befanden sich in einer Parkbox mit nur zwei Stellplätzen, die nach hinten sowie zu beiden Seiten von Betonwänden umgeben ist. Die Fahrzeugfronten wiesen Richtung Fahrweg. Eine Videoaufzeichnung aus der Tiefgarage zeigt am 24.12.2013 um 23:49 Uhr ein erstes leichtes Flackern im Bereich des VW Busses. Um 23:53 Uhr ist eine deutliche Rauchentwicklung aus der Motorhaube des Busses ersichtlich; kurz danach sind Flammen über dem rechten Scheinwerfer zu sehen. Ab 23:57 Uhr ist das Bild so verraucht, dass keine Flammen mehr erkennbar sind. Um 00:00:11 Uhr am 25.12.2013 endet die Aufnahme. Kurze Zeit später brannte der Maserati vollständig aus.

Im Schlussvermerk der Polizei in G vom 20. Februar 2014 (Bl. 42) heißt es:

„Es konnten keine Fremdeinwirkung oder vorsätzliches Verhalten, welches zum Brandausbruch geführt haben könnte, festgestellt werden.…

Durch explosionsartige Erscheinungen schaltet sich in der Tiefgarage während der Brandentwicklung das Licht ein. Dabei wird ersichtlich, dass der in der Parkbucht abgestellte VW-Bus massiv aus dem Motorbereich qualmt. Ein solches Phänomen war zu diesem Zeitpunkt an dem daneben stehenden Fahrzeug nicht ersichtlich.

Aufgrund der Auswertung der Aufzeichnungen dürfte als Brandursache ein technischer Defekt anzusehen sein. Welcher Art dieser gewesen ist, was ihn ausgelöst und wo er genau stattgefunden hat, kann jedoch von hiesiger Seite nicht gesagt werden.“

Das LG weist die Klage ab. Begründung: Nicht beim Betrieb i.S. des § 7 Abs. 1 StVG.

„Solche Ansprüche könnten sich allein aus § 7 Abs. 1 StVG ergeben. Sie setzen voraus, dass der Brand des Maserati „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ entstanden ist, hier also bei dem Betrieb des VW-Busses.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Merkmal „bei dem Betrieb“ weit auszulegen. Es ist nicht nötig, dass das Kraftfahrzeug im Moment der Schadensverursachung fährt, sondern es reicht ein naher örtlicher und zeitlicher Kausalzusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs, zum Beispiel die Selbstentzündung infolge vorausgegangener Fahrt (BGH v. 27.11.2007 – VI ZR 210/06, Rn 12). Allein der Umstand, dass Kraftfahrzeuge wegen der mitgeführten Betriebsstoffe oder der verwendeten Materialien leicht brennen, genügt hingegen nicht (BGH aaO).

Es kann dahinstehen, ob der VW-Bus ohne Verursachung durch Personen oder andere Geräte in Brand geriet, wie der Kläger behauptet. Wenn eine Selbstentzündung vorläge, dann hätte sie sich sieben oder acht Stunden nach dem Abstellen des Kraftfahrzeugs ereignet. Es fehlt am nahen zeitlichen Zusammenhang mit seinem Betrieb. Nach Ablauf dieser Zeit war keine Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs mehr tätig und der Motor nicht mehr warm. Nachwirkungen der letzten Fahrt gab es nicht mehr.

Allerdings hat der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung in jüngerer Zeit geändert. Seinem Urteil vom 21.1.2014 (VI ZR 253/13) lag ein Fall zugrunde, in dem ein Kraftfahrzeug mehr als 24 Stunden nach dem Abstellen durch Selbstentzündung in Brand geraten war. Nach den Gründen der Entscheidung soll es rechtlich keinen Unterschied machen, ob ein Brand – unabhängig vom Fahrbetrieb selbst – vor, während oder nach einer Fahrt auftritt. Die Haftung des § 7 Abs. 1 StVG soll nicht auf Schadensfolgen begrenzt sein, die durch den Fahrbetrieb selbst und seine Nachwirkungen verursacht worden sind.

Diese Entscheidung, die sich als Abgrenzung zum Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27.11.2007 versteht, setzt sich in Widerspruch zu diesem. Sie verzichtet auf das Merkmal „naher zeitlicher Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang“ und versteht den Begriff „bei dem Betrieb“ als „durch den Betrieb oder eine Betriebseinrichtung“. Damit sind die Grenzen der Auslegung überschritten. Das Wort „bei“ hat einen anderen Sinngehalt als das Wort „durch“. „Bei“ erfordert einen nahen zeitlichen – und örtlichen – Zusammenhang mit dem Betriebsvorgang.

Soweit der Bundesgerichtshof sein Urteil vom 21.1.2014 damit begründet, andernfalls liefe die Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG leer, wenn „unabhängig von einem Betriebsvorgang allein ein technischer Defekt einer Betriebseinrichtung“ einen Schaden verursacht, vermag dies nicht zu überzeugen. Die Norm läuft bei bloßen technischen Defekten von Betriebseinrichtungen nicht leer, sondern sie erfasst sie nicht. Sofern man darin eine Haftungslücke sieht, kann diese nicht im Wege der Auslegung geschlossen werden, sondern nur durch Änderung des Gesetzes. Ein praktisches Bedürfnis hierfür kann das Gericht allerdings nicht erkennen. Spontane Selbstentzündungen von – seit längerem – abgestellten Kraftfahrzeugen sind sehr selten. Wenn ein abgestelltes Fahrzeug in Brand gerät, liegt in den meisten Fällen Brandstiftung vor.

Im Übrigen müsste eine solche Haftungserweiterung auf Betriebseinrichtungen als solche nicht nur Kraftfahrzeuge, sondern auch Arbeitsmaschinen erfassen, für die bislang nur die Gefährdungshaftung des § 1 ProdHG gilt (BHHJJ/Burmann, 24. Aufl. 2016, StVG § 7, Rn 9). Ein Kraftfahrzeug als „abgeschaltete Maschine“ ist nicht ohne weiteres gefährlicher als Maschinen, die einer Betriebsgefahrhaftung nicht unterliegen (BHHJJ/Burmann, aaO).

Soweit ersichtlich wird die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21.1.2014 in der Literatur nahezu einhellig abgelehnt. Zustimmung findet sie nur durch Laws/Lohmeyer/Vinke (in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 7 StVG, Rn 77 ff.), wo es heißt, das Tatbestandsmerkmal „bei dem Betrieb“ sei „nicht unverrückbar festgeschrieben“ und müsse „im gesetzlich zulässigen Rahmen einem gewandelten Bedürfnis angepasst werden“. Tatbestandsmerkmale sind festgeschrieben, bis der Gesetzgeber sie ändert. Der Richter kann gewandelte tatsächliche Verhältnisse im Wege der Auslegung berücksichtigen. Den hierfür geltenden Rahmen bildet der Wortlaut der Vorschrift. Die Worte „bei dem Betrieb“ lassen eine Auslegung, bei der jegliche Fehlfunktion einer Betriebseinrichtung genügt, nicht zu. Wenn etwas unabhängig von einem Betriebsvorgang – also nicht einmal als dessen Nachwirkung – geschieht, dann ereignet es sich nicht „bei dem Betrieb“.

Zu Recht verweist die Beklagte zudem auf die Systematik der Halterhaftung. Die Haftungsfreistellung für Fahrzeuge, die auf ebener Strecke nicht mit höherer Geschwindigkeit als 20 km/h fahren können (§ 8 Nr. 1 StVG), ist nur verständlich, wenn die – verschuldensunabhängige – Halterhaftung gerade an die besonderen Gefahren des Betriebsvorgangs anknüpft, nicht an das bloße Vorhandensein von Betriebseinrichtungen. Denn auch Fahrzeuge, die in den Anwendungsbereich des § 8 Nr. 1 StVG fallen, haben elektrische Betriebseinrichtungen und können sich daher selbst entzünden.“

Vergütungsvereinbarung: U.a. „Zeittaktklausel“ und „Reisezeitklausel“ unwirksam

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Als zweite gebührenrechtliche Entscheidung bringe ich dann das LG Köln, Urt. v. 24.01.2018 – 26 O 453/16. Es geht in dem umfangreichen Urteil – immerhin 29 Seiten – um die Wirksamkeit von AGB einer Rechtsanwaltskanzlei. Ich greife aus der Entscheidung, in der es um eine ganz Reihe von Klauseln geht, mal zwei Punkte heraus, und zwar einmal die „Zeittaktklausel“, die lautete

„Für die unter Nr. 1 genannten Tätigkeiten (= außergerichtliche und gerichtliche) der Auftragnehmer wird vereinbart, dass anstelle der gesetzlichen Gebühren eine Vergütung i.H.v. 190,00 Euro je Stunde durch den Auftraggeber an die Auftragnehmer zu zahlen ist. Hinzu kommt jeweils die gesetzliche MwSt.

Abgerechnet wird in Viertelstundenschritten, ein Viertel des vereinbarten Stundensatzes wird für jede angefangene 15 Minuten berechnet, wobei der Zeitaufwand minutengenau erfasst wird.“

und dann eine „Reisezeitklausel“, die lautete u.a.:

„Reisezeiten werden zur Hälfte als Arbeitszeiten abgerechnet. …“

Beide Klauseln – neben anderen – gefallen dem LG nicht, und zwar:

Zur Zeittaktklausel:

„Die Klausel ist in Absatz 2 wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB sowohl gegenüber Verbrauchern als auch Unternehmern unwirksam. Denn die Klausel verletzt das Prinzip der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung (grundlegend OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.02.2010, 24 U 183/05). Die Parteien haben vorliegend eine Preisabrede von 190,00 € pro Stunde getroffen, welche an sich keiner Inhaltskontrolle unterliegt (§ 307 Abs. 3 BGB), so dass bezüglich der in Absatz 1 getroffenen, von der Klägerin insoweit auch nicht angegriffenen Regelung kein Unterlassungsanspruch besteht. Bei Anwendung der vorgenannten, als Preisnebenabrede anzusehenden und damit auch kontrollfähigen Klausel gemäß Absatz 2 kann es aber entgegen der vereinbarten Preisberechnung pro Stunde dazu kommen, dass auch im Falle einer Tätigkeit von 4 x 1 Minute – sofern diese Tätigkeiten jeweils außerhalb eines 15-Minuten-lntervalles liegen – der komplette Stundensatz fällig wird. Einschränkungen betreffend die Abrechnung sind nicht vorhanden, so dass bei jeder anwaltlichen Tätigkeit, auch wenn diese nur einige Sekunden andauert, für den Mandanten Kosten von je 47,50 € anfallen. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die typische Bearbeitung eines Mandates durch einen Rechtsanwalt bei einer derartigen 15-Minuten-lntervall-Abrechnung zu einer erheblichen Mandantenbenachteiligung führt. Regelmäßig erfordert die anwaltliche Tätigkeit neben aufwändiger rechtlicher Prüfung, und zeitintensiver Wahrnehmung von Gerichtsterminen oder Mandantenbesprechungen auch kurze Telefonate, die Anfertigung von Notizen oder Vermerken u.s.w., so dass in einer Vielzahl von Fällen die Vergütung der Beklagten, gerechnet auf die Minute, deutlich über dem Stundensatz von 190,00 € liegt. Im Hinblick auf die Möglichkeiten moderner Zeiterfassung ist eine genauere Zeittaktung auch zumutbar und möglich. Für die Beklagte ergibt sich zudem der Anreiz, Tätigkeiten über den Tag zu verteilen, anstatt diese innerhalb eines zusammenhängenden Zeitraumes zu erbringen. Angesichts der Höhe des Stundensatzes sowie des Umstandes, dass viele Tätigkeiten eines Rechtsanwaltes nur eine kurze Zeit in Anspruch nehmen, wäre für eine Zulässigkeit einer 15-Minuten-Taktung erforderlich, dass derartige Tätigkeiten (wie ein 30-sekündiger-Anruf oder das Anfertigen eines kurzen Vermerkes binnen 1 oder 2 Minuten) nicht gesondert mit 47,50 € berechnet werden. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist auch nicht erheblich, in wie vielen Fällen, gemessen an der Gesamtabrechnung, die Beklagte von der Zeittaktklausel tatsächlich Gebrauch macht. Die Klausel ermöglicht zum einen eine wissentliche Aufblähung des Zeitaufwandes. Zum anderen führt sie entgegen dem Anschein, der Mandant zahle 190,00 € pro Stunde…..“

Und zur „Reisezeitklausel“:

„Es ist dagegen im Hinblick darauf, dass Reisezeiten zur Hälfte als Arbeitszeiten vergütet werden sollen, unter Verstoß gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB) nicht hinreichend klar, ob die Reisezeiten nach Nr. 2 oder Nr. 3 der Mandatsbedingungen zu vergüten sind. Die Höhe der anfallenden Kosten ist daher vollkommen unüberschaubar. Anhaltspunkte dafür, dass eine übersichtlichere, eindeutigere Regelung nicht möglich ist, hat die Kammer nicht. Der 2. Absatz der Klausel ist gegenüber Verbrauchern sowie Unternehmern wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Die Regelung sieht entgegen § 664 Abs. 1 S. 1, 2 BGB keine Gestattung durch den Mandanten vor, einem Dritten das Mandat zu übertragen. Dies gilt auch in Bezug auf die „Hinzuziehung fachkundiger Dritter“, zumal insofern nach dem Wortlaut keine bloßen Hilfstätigkeiten (wie Schreibtätigkeiten) gemeint sind. Im Hinblick auf das Vertrauensverhältnis zwischen der Beklagten und dem Mandanten ist vor der „Heranziehung“ von anderen Rechtsanwälten oder fachkundigen Dritten, eine Gestattung durch den Mandanten erforderlich. Zu berücksichtigen ist, dass ein Mandatsverhältnis in besonderem Maße von dem Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant geprägt ist. Je nach Art und Umfang des Mandates variiert naturgemäß das Interesse des Mandanten an der Vertraulichkeit. Da die Regelung ersichtlich darauf gerichtet ist, dass Personen außerhalb der Beklagten in das Mandat einbezogen werden, ist im Hinblick auf die vorgenannten Umstände die vorherige Zustimmung des Mandanten erforderlich. Alleine der Umstand, dass – sofern erforderlich Verschwiegenheitserklärungen eingeholt werden, ändert daran nichts, weil der Mandant gleichwohl ein Interesse daran haben kann, persönliche Belange nicht weiteren Personen zur Kenntnis zu geben. Eine abstrakte, allgemeine Zustimmung zu jedweder zukünftigen Einbeziehung Dritter ist insofern unvereinbar mit den gesetzlichen Regelungen zum Auftragsverhältnis.

Die Klausel ist auch überraschend i.S.v. § 305c BGB, insbesondere im Hinblick darauf, dass eine Übertragung des Mandates auf andere Rechtsanwälte ermöglicht wird. Während der Mandant ggf. noch mit der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Privatgutachters rechnen kann, ist regelmäßig nicht ersichtlich, wieso der die Beklagte beauftragende Mandant damit rechnen muss, dass in der Folge ein anderer Rechtsanwalt (ggf. aus einer anderen Kanzlei) das Mandat bearbeiten soll. Zudem ist es intransparent und überraschend, wenn die der Beklagten zukommende Berechtigung zur Heranziehung Dritter unter der Überschrift „5. Auslagen“ aufgeführt und mithin „versteckt“ wird.“

Das Urteil wird sicherlich nicht rechtskräftig 🙂 .

Netto-Reparaturkosten-Ersatz, oder. Sechs-Monats-Frist ist keine Fälligkeitsvoraussetzung

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Im LG Köln, Beschl. v.14.07.2017 – 11 S 444/16 – ging es um die Kostentragung nach Erledigung der Hauptsache (§ 91a ZPO). Die hat das LG der Beklagten auferlegt, denn – so auf der Grundlage der BGH-Rechtsprechung:

„Nach dem bisherigen Vorbringen der Parteien bestehen an der Berechtigung der Klageforderung in der Hauptsache keine Bedenken.

Ist der Reparaturaufwand — wie hier — höher als der Wiederbeschaffungsaufwand, jedoch niedriger als der Wiederbeschaffungswert (sog. 100%-Bereich), so kann der Geschädigte die Netto-Reparaturkosten ansetzen, wenn er den reparierten Gegenstand mindestens noch sechs Monate weiternutzt und ggf. verkehrssicher (teil)reparieren lässt (BGHZ 168, 43 Rn. 1 1 = NJW 2006, 2179; NJW 2008, 1941).

Die Sechs-Monats-Frist ist weder für die Fälligkeit maßgeblich noch stellt sie eine eigenständige Anspruchsvoraussetzung dar. Sie ist vielmehr Indiz für ein bestehendes Integritätsinteresse und hat damit beweisrechtliche Bedeutung (BGHZ 178, 338 Rn. 14 = NJW 2009, 910). Durch den Ablauf der Sechs-Monats-Frist ist der Beweis geführt, dass das Integritätsinteresse des Klägers von Anfang an bestand, so dass die Kostentragung durch die Beklagte billigem Ermessen entspricht.

Der Geschädigte kann insbesondere nicht darauf verwiesen werden, Schadensersatzansprüche erst nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist geltend zu machen, da es sich bei der Sechs-Monats-Frist – wie ausgeführt – nicht um eine Fälligkeitsvoraussetzung handelt. Der Bundesgerichtshof hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass es den Haftpflichtversicherer auch nicht unzumutbar belastet, wenn er bei sofortiger Fälligkeit des Schadensersatzanspruchs das Solvenzrisiko hinsichtlich eines etwaigen Rückforderungsanspruchs trägt, sofern der Haftpflichtversicherer innerhalb der Sechs-Monats-Frist zahlt. Ob der Versicherer den Schadensersatzbetrag bezahle oder ob er sich verklagen lasse, müsse er aufgrund einer Bewertung der Umstände des jeweiligen Regulierungsfalls beurteilen (BGH, Beschluss vom 18. November 2008 -VI ZB 22/08 -, BGHZ 178, 338-346, Rn. 17 -juris).

Es entspricht ferner billigem Ermessen, auch die Kosten zweiter Instanz der Beklagten aufzuerlegen, weil der Kläger der Berufung bedurfte, um die ihn nach dem klageabweisenden erstinstanzlichen Urteil nachteilige Kostenfolge abzuwenden; der Rechtsgedanke des § 93 ZPO trägt insofern nicht.“

 

15-Minuten-Zeitklausel, oder: Unwirksam?

entnommen wikimedia.org
Urheber Ulfbastel

In meinem letzten RVG-Newsletter – von einem Kollegen als das „Wort zum Sonntag“ 🙂 bezeichnet – hatte ich auch auf das LG Köln, Urt. v. 18.102.2016 – 11 S 302/15 – hingewiesen. In ihm hat das LG zur Wirksamkeit eine sog. Zeittaktklausel Stellung genommen. Ich will wegen der Bedeutung für die Praxis auf diese Entscheidung auch hier hinweisen, mich aber mit dem Leitsatz begnügen. Der Rest ist dem Selbststudim vorbehalten. Der Leitsatz lautet:

„Die Klausel in einer Vergütungsvereinbarung, wonach ein Viertel des vereinbarten Stundensatzes für jede angefangenen 15 Minuten berechnet wird, ist unwirksam.“

Das sieht in einer solchen Klausel nämlich einen Verstoß gegen § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, weil sie strukturell geeignet sei, das dem Schuldrecht im allgemeinen und dem Dienstvertragsrecht im Besonderen zugrunde liegende Prinzip der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung (Äquivalenzprinzip) empfindlich zu verletzen, wodurch der Verwendungsgegner unangemessen benachteiligt werde.

Fazit: Man sollte als Rechtsanwalt mit diesen Zeittaktklauseln also vorsichtig sein. Abgesehen davon, dass diese ausdrücklich vereinbart sein müssen (vgl. OLG Karlsruhe, NJW 2015, 418 = AGS 2015, 9 = JurBüro 2015, 78 = StRR 2015, 156), wird deren Wirksamkeit in der Rechtsprechung nämlich allgemein teilweise sehr kritisch gesehen. So hat das OLG Düsseldorf (RVGreport 2006, 420 = AGS 2006, 530; AGS 2009, 109; RVGreport 2012, 23 = NJW 2011, 3311 = AGS 2011, 578) verschiedene Zeittaktklausel als unwirksam angesehen, während aber andere Gerichte in der Beurteilung der Zulässigkeit großzügiger sind/waren (vgl. OLG Schleswig RVGreport 209, 179 = AGS 2009, 209; LG München, AGS 2010, 284 = BRAK-Mitt. 2010, 148). Der BGH hat sich noch nicht grundlegend geäußert (s. aber BGH AGS 2009, 209 [Frage des Einzelfalls]) und wird sich auch hier nicht äußern müssen, da die Entscheidung des LG Köln rechtskräftig geworden ist.

Das OLG Düsseldorf hat allerdings (vgl. OLG Düsseldorf AGS 2011, 366, 370 = MDR 2011, 760) die Regelung in einer Vergütungsvereinbarung als wirksam angesehen, die vorsieht, dass nur die letzte pro Tag angefangene Viertelstunde bei der Zeithonorarabrechnung aufgerundet wird. Die pro Tag einmalige Aufrundung auf eine Viertelstunde lasse sich rechtfertigen, weil der RA so eine Kompensation für die Reibungsverluste, z.B. wegen zwischenzeitlicher Anrufe Dritter oder Anfragen seines Personals, erlange. Ggf. sollte man sich als Rechtsanwalt auf diese Form der Abrechnung beschränken.

Pflichtverteidiger in der Strafvollstreckung?, oder: Das LG Köln sieht es weit

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Eine „Facebookfreundin“ – schönes Wort 🙂 – hat mir vor einigen Tagen den LG Köln, Beschl. v. 21.11.2016 – 108 Qs 44/16 – zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren übersandt. Die damit zusammenhängenden Fragen sind ein verfahrensrechtlicher Dauerbrenner und in der Praxis doch noch recht umstritten. Das LG Köln hat im Widerrufsverfahren (§ 56f StGB) die Kollegin als Pflichtverteidigerin beigeordnet. Begründung:

„Die Voraussetzungen zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers liegen vor. Im Vollstreckungsverfahren ist in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 1 StPO dem Verurteilten ein Verteidiger zu bestellen, wenn die Sach- und Rechtslage schwierig oder sonst ersichtlich ist, dass sich der Betroffene nicht selbst verteidigen kann oder wenn die Entscheidung von besonders hohem Gewicht ist (KG, NStZ-RR 2006, 211 m.w.N.). Dabei ist die vollstreckungsrechtliche Situation maßgebend. Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass die Sach- und Rechtslage schwierig ist. Dies betrifft zum einen die Frage des Vorwegvollzugs bzw. einer etwaigen Anrechnung von Haftzeiten. Hinzu kommt die Problematik der versäumten Beschwerdefrist, die nachfolgend näher ausgeführt wird. Beide Sachlagen sind für einen juristischen Laien schwierig zu beurteilen, sodass ein adäquates Vorbringen nur mithilfe eines Verteidigers möglich ist.“

Das LG Köln formuliert m.E. recht weit. Es fehlt der Hinweis auf die – weil nur analoge Anwendung – einschränkende Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO im Vollstreckungsverfahren. Ob daher andere Gerichte ebenso entschieden hätten, ich weiß es nicht. Aber egal: Ein Baustein mehr.