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War das (fristwahrende) Rechtsmittel notwendig?, oder: Überprüfung der Verteidigerentscheidung?

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Und heute dann RVG-Tag. Zum Glück habe ich in den letzten Tagen zwei Entscheidungen geschickt bekommen, so dass ich die vorstellen kann. Mein Aufruf, mir (gebührenrechtliche) Entscheidungen zu schicken, gilt aber nach wie vor.

Hier dann also der LG Heidelberg, Beschl. v. 09.05.2023 – 12 Qs 16/23 -, den mir der Kollege Nagel aus Limburg geschickt hat. Der hat um seine Gebühren im Rechtsmittelverfahren kämpfen müssen. Der Kollege hatte als Pflichtverteidiger den Angeklagten in einem Verfahren wegen Beleidigung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte u.a. verteidigt. Nachdem der Angeklagte vom AG zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verteilt worden war, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, hat der Kollege hiergegen im Namen des Angeklagten Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Einlegung zunächst fristwahrend erfolge, um dem Mandanten die Möglichkeit zu geben, sich erneut mit ihm zu besprechen. Hintergrund sei, dass die Staatsanwaltschaft im Hauptverhandlungstermin eine Freiheitsstrafe von zwölf Monaten ohne Bewährung beantragt und in der Hauptverhandlung keinen Rechtsmittelverzicht erklärt habe, weswegen nicht abgeschätzt werden könne, ob diese das Urteil akzeptiere.

Nachdem die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel eingelegt hat, hat der Kollege, der die Sach- und Rechtslage zwischenzeitlich sowohl mit seinem Mandanten als auch mit dem Vorsitzenden der Berufungskammer erörtert hatte, die Berufung namens und im Auftrag seines Mandanten zurückgenommen.

Das AG hat – dem Kostenfestsetzungsantrag des Verteidigers folgend – die Pflichtverteidigervergütung festgesetzt und dabei auch die Gebühren nach Nrn. 4124, 4141 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 VV RVG gewährt. Der Vertreter der Staatskasse hat das beanstandet und Erinnerung eingelegt, mit der er beantragt hat, die festgesetzten Pflichtverteidigergebühren – durch Abzug der Gebühren für das Berufungsverfahren – zu reduzieren. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die insoweit geltend gemachten und festgesetzten Gebühren auf nicht notwendigem Verteidigerhandeln beruhten und daher nicht erstattungsfähig seien. Der Pflichtverteidiger dürfe nicht besser gestellt werden, als er stünde, wenn er als Wahlverteidiger beauftragt und die Staatskasse erstattungspflichtig wäre. Auch in diesem Fall würde nur die durch notwendige Verteidigung entstandene Vergütung ersetzt werden. Da dem Angeklagten nach der Berufungsrücknahme die Kosten auferlegt worden seien, bestünde in diesem Fall für einen Wahlverteidiger kein Erstattungsanspruch; der Pflichtverteidiger dürfe insoweit nicht bessergestellt werden. Werde die Berufung zurückgenommen, so sei davon auszugehen, dass schon die Einlegung nicht notwendig gewesen sei.

Das AG ist dem dann gefolgt. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Kollegen hatte Erfolg. Das LG hat sowohl die Nr. 4124 VV RVG als auch die Nr. 4141 VV RVG gewährt:

„Der Beschwerdeführer hat einen Anspruch auf Festsetzung von Pflichtverteidigergebühren in Höhe von insgesamt 1.982,25 €, weshalb der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts mit dem dieser Betrag um die Gebühren für das Berufungsverfahren gekürzt wurde, aufzuheben war.

Sowohl die Verfahrensgebühr für die Berufung (Nr. 4124 VV RVG) als auch die Gebühr für die Berufungsrücknahme (Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 3 VV RVG) sind entstanden. Letztgenannte Gebühr entsteht gemäß Nr. 4141 Abs. 2 VV RVG nur dann nicht, wenn eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit (des Verteidigers) nicht ersichtlich ist, was hier nicht der Fall ist. Die Berufungseinlegung selbst sowie beratende Tätigkeit vor der Einlegung werden mit der Verfahrensgebühr für das erstinstanzliche Verfahren abgegolten; Tätigkeiten des Verteidigers nach Einlegung des Rechtsmittels aber über die Verfahrensgebühr für die Rechtsmittelinstanz (vgl. KG Berlin v. 20.01.2009 (1 Ws 382/08). Nach Aktenlage hat der Verteidiger nach der Berufungseinlegung sowohl mehrere Beratungsgespräche mit seinem Mandanten geführt als auch die Sach- und Rechtslage mit dem Vorsitzenden der Berufungskammer erörtert, so dass ein Tätigwerden nach Berufungseinlegung vorliegt.

Wie der Bezirksrevisor in seiner Stellungnahme vom 22.03.2022 zutreffend ausführt, ist die Frage, ob Gebührenansprüche des Verteidigers entstanden sind, grundsätzlich von der Frage zu unterscheiden, ob diese auch von der Staatskasse zu erstatten sind. Vorliegend hat jedoch eine Erstattung zu erfolgen, weil das Tätigwerden des Verteidigers im Rahmen des Berufungsverfahrens – entgegen der Ansicht des Bezirksrevisors und des Amtsgerichts – kein „nicht notwendiges Verteidigerhandeln“ darstellt.

Soweit im angefochtenen Beschluss auf einen Vergleich mit einem Wahlverteidiger abgestellt und ausgeführt wird, dass der Pflichtverteidiger keine Erstattung verlangen könne, weil er ansonsten besser stehe als der Wahlverteidiger, der – aufgrund der vollständigen Kostentragung des Angeklagten bei Berufungsrücknahme – keinen Erstattungsanspruch habe, trägt diese Argumentation nicht. Zum einen handelt es sich um andere, nicht vergleichbare Konstellationen, zum anderen hätte sie zur Konsequenz, dass der Pflichtverteidiger in keinem Fall, in dem sein Mandant verurteilt wird und dementsprechend die Kosten zu tragen hat, eine Erstattung verlangen könnte. Auch der Begründung des Bezirksrevisors, woraus sich schon aus der Rücknahme des Rechtsmittels ergebe, dass deren Einlegung nicht notwendig gewesen sei, vermag die Kammer nicht zu teilen.

Denkbar wäre allenfalls die Notwendigkeit des Verteidigerhandelns nach der Berufungseinlegung dann zu verneinen, wenn die Berufungseinlegung allein vorsorglich für den Fall einer Einlegung auch durch die Staatsanwaltschaft erfolgt wäre. In einem solchen Fall könnte man – in Anlehnung an die bestehende und in der Erinnerung des Bezirksrevisors zitierte Rechtsprechung, wonach Verteidigertätigkeit auf ein allein von der Staatsanwaltschaft eingelegtes Rechtsmittel noch vor dessen Begründung nicht notwendig und damit nicht erstattungsfähig sei (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 65. A. 2022, § 464a Rn 10 m.w.N.) – möglicherweise von einem nicht notwendigen Verteidigerhandeln ausgehen. Ob die genannte Rechtsprechung auf eine solche Fallgestaltung übertragen werden kann, kann aber letztlich dahinstehen, da ein solcher Fall nicht vorliegt. Der Verteidiger führte im Rahmen seiner Berufungseinlegung vom 24.07.2019 zwar aus, dass diese vor dem Hintergrund erfolge, dass man nicht wisse, ob das Urteil seitens der Staatsanwaltschaft akzeptiert werde, nannte als weiteren Beweggrund aber auch den Umstand, dass die Einlegung erfolge, um nochmals die Möglichkeit zu haben, sich mit seinem Mandanten zu besprechen. In der Folge machte er deutlich, dass er sich für den Fall, dass die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel einlege, erneut mit seinem Mandanten beraten und die Berufung dann gegebenenfalls zurücknehmen werde. Dass die Einlegung ausschließlich für den Fall einer Rechtsmitteleinlegung auch durch die Staatsanwaltschaft erfolgte, lässt sich dem gerade nicht entnehmen. Dass die eigene Berufung im Falle einer Nichteinlegung der Staatsanwaltschaft wieder zurückgenommen wird, wird zwar als Möglichkeit in Aussicht gestellt, aber keineswegs verbindlich angekündigt.

Auch wenn das Amtsgericht im erstinstanzlichen Verfahren im Wesentlichen dem Antrag der Verteidigung gefolgt ist, so lässt sich auch daraus nicht entnehmen, dass das Weiterverfolgen der eigenen Berufung (auch ohne gleichzeitige Einlegung der Staatsanwaltschaft) mit dem Ziel, eine für den Mandanten günstigere Entscheidung zu erwirken, von vornherein sinn- oder zwecklos wäre. Das Amtsgericht hat den Angeklagten zwar – dem Antrag des Verteidigers folgend – zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und dabei auch die vom Verteidiger vorgeschlagenen Bewährungsauflagen übernommen, es ging aber auch über den Verteidigerantrag hinaus, indem es eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten ausgesprochen hat, während der Verteidiger eine solche von sieben Monaten beantragt hatte. Hinzu kommt, dass der Angeklagte die ihm vorgeworfenen Taten ausweislich des Protokolls in der Hauptverhandlung zwar weitgehend, aber nicht vollumfänglich eingeräumt hat. Hinsichtlich einer der vier angeklagten Taten hatte der Verteidiger zudem eine Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO angeregt, welcher die Staatsanwaltschaft entgegengetreten war. Schließlich kommt hinzu, dass nach Einlegung der Berufung wegen neuerlicher Straffälligkeit eines neues Verfahren seitens der Staatsanwaltschaft Heidelberg gegen den Angeklagten geführt wurde (am 08.08.2019 erging deshalb erneut Haftbefehl gegen ihn) und für die Verteidigung nunmehr auch die Möglichkeit einer Gesamtstrafenbildung im Falle der Weiterverfolgung der Berufung zu bedenken war. Diese Thematik wurde seitens des Verteidigers am 26.09.2019 mit dem Vorsitzenden der Berufungskammer erörtert, wobei der Verteidiger dabei noch erklärte, dass er sich wegen dieses Umstandes zunächst an einer Berufungsrücknahme gehindert sehe und er die Angelegenheit nochmals mit seinem Mandanten besprechen wolle.

Angesichts dieser Umstände vermag die Kammer nicht festzustellen, dass die Einlegung der Berufung bzw. das weitere Tätigwerden im Berufungsverfahren – auch nachdem bekannt war, dass die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel eingelegt hat – nicht notwendig gewesen wäre. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass die Entscheidung über die Art und Weise der Verteidigung grundsätzlich dem Verteidiger und seinem Mandanten obliegt und im Rahmen einer gerichtlichen Überprüfung dieser Entscheidung im Hinblick auf die Notwendigkeit einzelner Verteidigungshandlungen eine gewisse Zurückhaltung geboten erscheint.“

Dazu kurz Folgendes:

  1. Das LG „verteilt“ die vom Kollegen, der auch im Ausgangsverfahren tätig war, in Zusammenhang mit einem Rechtsmittel zu erbringenden Tätigkeiten zutreffend: Die Rechtsmitteleinlegung selbst sowie beratende Tätigkeit vor der Einlegung werden mit der Verfahrensgebühr für das erstinstanzliche Verfahren abgegolten, was aus § 19 Abs. 1 Satz. 2 Nr. 10 RVG folgt. Alles Tätigkeiten des Verteidigers nach Einlegung des Rechtsmittels werden aber von der jeweiligen Verfahrensgebühr für die Rechtsmittelinstanz erfasst, was sowohl für das Berufungsverfahren gilt (Nr. 4124 VV RVG) als auch für das Revisionsverfahren.
  2. Der Kollege hatte Verteidiger bei der Einlegung seiner Berufung darauf hingewiesen hatte, dass die Einlegung zunächst nur fristwahrend erfolge. Daraus und aus der später erfolgten Berufungsrücknahme nun den Schluss ziehen zu wollen – was der Vertreter der Staatskasse tut –, dass deshalb die Verfahrensgebühren für das Berufungsverfahren nicht entstanden seien, ist m.E. abwegig. Entscheidend ist – und darauf will das LG auch wohl abstellen – die Sicht „ex ante“. Aus der Sicht war die Berufungseinlegung aber notwendig, schon um ggf. in Gesprächen mit der Staatsanwaltschaft nach Rücknahme einer ggf. von dort aus eingelegten Berufung über die beiderseitige Rücknahme „verhandeln“ zu können. Wohltuend ist in dem Zusammenhang der Hinweis des LG, dass die Entscheidung über die Art und Weise der Verteidigung grundsätzlich dem Verteidiger und seinem Mandanten obliege und im Rahmen einer gerichtlichen Überprüfung dieser Entscheidung im Hinblick auf die Notwendigkeit einzelner Verteidigungshandlungen eine gewisse Zurückhaltung geboten erscheine. Das liest man leider viel zu selten und das wird leider noch viel seltener beachtet. Im Grunde geht es die Vertreter der Staatskasse gar nichts an, warum Berufung eingelegt worden ist.
  3. Aber Vorsicht. Die Entscheidung ist kein Freibrief für Verteidigerhandeln im Rechtsmittelverfahren. Das LG lässt m.E. deutlich erkennen, dass es ggf. zu einer Beurteilung gekommen wäre, wenn der Verteidiger die Rücknahme der Berufung verbindlich angekündigt hätte, falls die Staatsanwaltschat ein ggf. von ihr eingelegtes Rechtsmittel wieder zurücknimmt. „Gerettet“ hat den Verteidiger/Mandanten hier der Umstand, dass man auch in dem Fall die Sach- und Rechtslage noch einmal mit dem Mandanten erörtern wollte. Das sollte bei der Rechtsmitteleinlegung beachtet und ggf. ausgeführt werden.

Augen auf beim Gebrauchtwagenkauf, oder: Vorsicht mit der Angabe „unfallfrei“

Vermutlich wird die Fallkonstellation, die dem LG Heidelberg, Urt. v. 28.01.2015 – 1 S 22/13buch_paragraphenzeichen_BGB_01 – zugrunde gelegen hat, in der Praxis häufiger anzutreffen sein. Es geht um die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen Gebrauchtwagen. Der Kläger hatte am 14.05.2010 beim Beklagten einen PKW Opel Tigra, Erstzulassung 25.03.1996, zum Preis von 2.800,- € gekauft. Er war aufgrund einer Internet-Anzeige vom 13.05.2010 auf das Fahrzeug aufmerksam geworden, in der dieses als „unfallfrei“ angeboten worden war. Im Kaufvertrag war unter „Ausstattung“ am Ende ausgeführt: „Seitenwand hinten links nachlackiert“. Weiterhin war die Sachmängelhaftung des Verkäufers auf ein Jahr beschränkt. Als der Kläger das Auto im August 2011 dem TÜV vorführte, wurde ihm dort mitgeteilt, dass ein schwerwiegender Unfallschaden hinten links vorliege sowie ein Riss des Fahrzeugrahmens im vorderen Bereich, 10 cm von den Radläufen links und rechts entfernt. Der Kläger will den Kaufvertrag rückabwickeln. Das LG erkennt einen Sachmangel an und verneint die Verjährung der Gewährleistungsansprüche:

b) Aufgrund dieses Sachmangels kann der Kläger im Wege des Schadensersatzes die Rückabwicklung des Kaufvertrags verlangen. Dem kann der Beklagte nicht die Einrede der Verjährung entgegenhalten. Er hat seine Gewährleistungspflicht im Kaufvertrag zwar grundsätzlich wirksam auf ein Jahr beschränkt (§ 475 Abs. 2 BGB). Gemäß § 438 Abs. 3 BGB geltend jedoch die regelmäßigen Verjährungsfristen, wenn der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen hat. Dies war hier der Fall. Der Beklagte hat dem Kläger den Schaden an dem Fahrzeug arglistig verschwiegen. Arglist setzt kein zielgerichtetes oder verwerfliches Verhalten voraus. Es genügt, wenn der Verkäufer ins Blaue hinein Angaben gegenüber dem Käufer macht, die sich später als falsch herausstellen. Der Beklagte hat hier das streitgegenständliche Fahrzeug in der Internetanzeige vom 13.05.2010 als unfallfrei beworben. Dies mag, wenn man den Ausführungen des Beklagten zur Häufigkeit und Fehleranfälligkeit von Internetanzeigen folgt, eine versehentliche Falschangabe gewesen sein. Wenn der Beklagte jedoch auf dieses ihm als fehleranfällig bekannte Medium zur Platzierung von Anzeigen zurückgreift, gibt er seine Angaben ins Blaue hinein, nämlich ohne genaue Prüfung, ab. Dies genügt für die Annahme von Arglist. Aufgrund der Anzeige war also bei Vertragsschluss klar, dass der Kläger mit der von dem Beklagten hervorgerufenen Vorstellung in die Kaufvertragsverhandlungen ging, dass es sich um ein Fahrzeug handelte, das noch keine größeren Schäden erlitten hatte. Der Beklagte wäre nunmehr verpflichtet gewesen, seine fehlerhaften Angaben in der Verkaufsanzeige in den Kauvertragsverhandlungen zu korrigieren. Dies hat er nicht getan. Die Angabe „Seitenwand hinten nachlackiert“ ist keine ordnungsgemäße Korrektur. Diese Angabe ist zwar bezüglich des unter der Lackierung befindlichen Zustands offen und beinhaltet rein sprachlich auch die Möglichkeit, dass ein größerer Schaden nachlackiert worden ist. Eine ordnungsgemäße Korrektur einer ins Blaue hinein gemachten falschen Angabe über ein Gebrauchtfahrzeug muss sich aber an der Fehlvorstellung orientieren, die bei dem Käufer hervorgerufen worden ist. Nachdem dieser aufgrund der Angabe „unfallfrei“ davon ausgehen durfte, dass das Fahrzeug noch keine größeren Schäden erlitten hatte, musste der Beklagte deutlich auf das mögliche Vorhandensein auch größerer Schäden hinweisen. Der Käufer, der mit der Vorstellung eines unfallfreien Fahrzeugs in die Kaufvertragsverhandlungen geht, wird bei einer solchen Angabe aber davon ausgehen, dass es sich bei den nachlackierten Stellen um die Überlackierung von Bagatellschäden handelt. Damit handelte der Beklagte arglistig, so dass nicht die im Kaufvertrag vereinbarte einjährige Verjährungsfrist gilt, sondern die Regelverjährungsfrist, die drei Jahre beträgt und zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 25.09.2012 noch nicht abgelaufen war.

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Rückwärts fahren im Parkhaus – wie wird gehaftet?

© Thaut Images - Fotolia.com

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Ich denke, fast jeder kennt die Verkehrssituation, die dem LG Heidelberg, Urt. v. 13.01.2015 – 2 S 8/14 – zugrunde liegt: In einer Tiefgarage ist es zu einem Zusammenstoß zweier Pkw gekommen. Zur Kollision kam es, als die Klägerin des Verfahrens mit ihrem Fahrzeug aus ihrer schräg zur Durchfahrt zwischen den Parkreihen angeordneten Parkbucht rückwärts herausfuhr, während der Beklagte zu Ziffer 1 mit seinem Fahrzeug auf dieser Durchfahrt ein Stück geradeaus rückwärts fuhr, um anschließend in eine vor seinem Fahrzeug gelegene Parkbucht besser vorwärts einparken zu können. Nach den Feststellungen des AG waren beide Fahrzeuge bei der Kollision in Rückwärtsfahrt. Am Anfang des Durchfahrtswegs, auf dem sich die Kollision ereignete, befindet sich eine Pfeilmarkierung. Der mit weißer Farbe auf dem Boden aufgebrachte Pfeil weist lediglich in eine Richtung. Der Beklagte zu Ziffer 1 fuhr unmittelbar vor der Kollision rückwärts in die entgegengesetzte Richtung. Die Klägerin verlangt von den Beklagten Schadensersatz, und zwar 100 %.  Die Beklagten halten eine hälftige Haftungsverteilung für angemessen.

Das LG geht von einer Haftungsverteilung von geht von einem überwiegenden Verschulden des Beklagten aus und hat es daher für angemessen gehalten, dass die Beklagten den der Klägerin entstandenen Schaden zu 2/3 ersetzen. Das LG stellt fest, dass auch Parkhäuser und der Allgemeinheit zur Verfügung gestellte Tiefgaragen – unabhängig von einer entsprechenden Widmung – jedenfalls während der Betriebszeit dem öffentlichen Verkehrsraum zuzurechnen isnd, so dass die Verhaltensvorschriften der StVO anwendbar sind. Hier haben nach Aufassung des LG sowohl die Klägerin als auch der Beklagte zu Ziffer 1 gegen die beim Rückwärtsfahren geltende erhöhte Sorgfaltspflicht verstoßen. Zur Haftungsverteilung dann:

Nach der Überzeugung der Kammer wiegt das Verschulden des Beklagten Ziffer 1 an der Herbeiführung des Unfalls aber schwerer als das Verschulden der Klägerin, so dass eine Haftung der Beklagten im Umfang von 2/3 gerechtfertigt ist.

Dies folgt indessen entgegen der von der Kammer noch im Termin vom 09.12.2014 vorläufig vertretenen Auffassung nicht daraus, dass der Beklagte Ziffer 1 gegen die Pfeilrichtung rückwärts fuhr. Insoweit kann dahinstehen, wie die auf dem Durchfahrtsweg angebrachten Richtungspfeile rechtlich einzuordnen sind. Denn es liegt bereits in der Natur eines Parkplatzes und folgt erst recht aus der schräg verlaufenden Ausrichtung der Parkbuchten in der in Rede stehenden Tiefgarage, dass ein Rückwärtsfahren zum Rangieren und vor allem zum Ausparken von Fahrzeugen unumgänglich ist. Dazu muss zwangsläufig auch auf dem Durchfahrtsweg zumindest ein kurzes Stück rückwärts gefahren werden. Demzufolge können die Pfeilmarkierungen nicht den Zweck verfolgen, jegliches Rückwärtsfahren auf dem Durchgangsweg zu untersagen. Sie beinhalten vielmehr nur das Gebot, den Durchfahrtsweg bei der Suche nach einem Parkplatz lediglich in Pfeilrichtung zu befahren. Diesem Gebot handelt zwar auch derjenige Fahrzeugführer zuwider, der entgegen der Pfeilrichtung eine größere Wegstrecke rückwärts fährt als zum Rangieren beim Ein- oder Ausparken erforderlich wäre. Dass der Beklagte Ziffer 1 eine größere Wegstrecke zurücklegte als zum Einparken in die von ihm ausgesuchte freie Parklücke erforderlich war, steht indessen nicht zweifelsfrei fest. Das Amtsgericht hat dazu keine Feststellungen getroffen. Die Klägerin hat keine hinreichend konkreten Angaben dazu gemacht, wie groß die von dem Beklagten Ziffer 1 zurückgelegte Strecke war. Wenn die von dem Beklagten Ziffer 1 angesteuerte Parklücke – wie von diesem behauptet – zwei Plätze hinter dem Parkplatz der Klägerin lag, erscheint es nicht ausgeschlossen, dass der Beklagte Ziffer 1 bis zum Parkplatz der Klägerin zurückstoßen musste, um in die Parklücke ordnungsgemäß hineinfahren zu können.

Dass der Sorgfaltsverstoß des Beklagten Ziffer 1 schwerer wiegt als das Verschulden der Klägerin ergibt sich aber aus der Tatsache, dass sein Fahrverhalten mehr Risiken barg als dasjenige der Klägerin und ihn aus diesem Grund eine nochmals erhöhte Sorgfaltspflicht traf. Der Beklagte Ziffer 1 musste beim Rückwärtsfahren auf dem Durchfahrtsweg in gleicher Weise mit entgegenkommenden wie mit aus den Parklücken rückwärts ausparkenden Fahrzeugen rechnen. Letztere konnte er bei aufmerksamem Blick durch die Heckscheibe und die hinteren Seitenfenster auch erkennen. Er musste dabei besonders in Rechnung stellen, dass die rückwärts ausparkenden Fahrzeugführer in erster Linie auf den ihnen auf dem Durchfahrtsweg entgegenkommenden Verkehr achten würden und sein Fahrzeug aus diesem Grund nicht bemerken könnten. Wie bereits dargelegt, durfte die Klägerin zwar nicht darauf vertrauen, dass auf dem Durchfahrtsweg keine Fahrzeuge rückwärts entgegen der Pfeilrichtung fahren würden. Sie musste sich daher ebenso wie der Beklagte Ziffer 1 nach allen Seiten vergewissern. Aufgrund der schräg zur Durchfahrt verlaufenden Anordnung ihres Parkplatzes konnte sie beim Blick nach hinten durch die Heckscheibe aber nur den Durchfahrtsweg in die dem Fahrzeug des Beklagten Ziffer 1 abgewandte Richtung und die hinter ihr geparkten Fahrzeuge sehen. Um das Fahrzeug der Beklagten Ziffer 1 wahrzunehmen, hätte sie ihren Blick von der Fahrtrichtung abwenden müssen. Die Klägerin musste zudem davon ausgehen, dass wesentlich mehr Fahrzeuge den Durchfahrtsweg vorwärts in Pfeilrichtung befahren würden als rückwärts entgegen der Pfeilrichtung. Aus den genannten Gründen wiegt der von ihr begangene Sorgfaltsverstoß weniger schwer als der von dem Beklagten Ziffer 1 begangene Pflichtenverstoß. Ein hälftige Haftungsverteilung würde den gegebenen Umständen nicht gerecht werden.“

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Mitverschulden?, oder: Muss ein Motorrollerfahrer innerorts Schutzkleidung tragen?

entnommen wikimedia.org Urheber Noop1958

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In einem beim LG Heidelberg anhängigen Rechtsstreit ging es um die Frage des Mitverschuldens eines an einem innerörtlichen Verkehrsunfall beteiligten (Motor)Rollerfahrers. Bei dem Motorroller handelte es sich um ein Leichtkraftrad, sein Hubraum betrug etwa 125 cm3 , die bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit 90 km/h. Der Fahrer dieses Motorrollers wurde bei einem Verkehrsunfall verletzt. Seine Versicherung machte aus übergegangenem Rechts Schadensersatz geltend. Von den Beklagten wurde dem geschädigten Motorrollerfahrer ein Mitverschulden angelastet mit der Begründung, er habe keine Motorradschutzkleidung getragen.

Das LG Heidelberg hat im LG Heidelberg, Urt. v. 13.03.2014 – 2 O 203/13 – ein auf das Nichttragen von Motorschutzkleidung gegründetes Mitverschulden an den Schäden nach einem innerörtlichen Unfall abgelehnt, und zwar im wesentlichen mit folgenden Argumenten:

  • Es gibt keine gesetzliche Pflicht, Motorradschutzkleidung zu tragen. § 21a Abs. 2 StVO normiert lediglich eine Pflicht, einen Schutzhelm zu tragen.
  • Das schließt natürlich nicht aus, eine Obliegenheit anzuerkennen, Schutzkleidung zu tragen. Denn Mitverschulden erfordert im Gegensatz zu einem Verschulden nicht, dass der Geschädigte gegen eine Rechtspflicht verstößt. Der Kraftfahrer, der sich in den Verkehr begibt, muss vielmehr alle zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um eine Gefahr für sich möglichst gering zu halten (OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.02.2007 – 1 U 182/06).
  • Es greift zu kurz, das Mitverschulden allein daraus herzuleiten, dass die unterlassene Maßnahme geeignet gewesen wäre, den eingetretenen Schaden zu verringern oder gar zu vermeiden. Denn diese Betrachtungsweise liefe darauf hinaus, maximale Sicherheitsforderungen einzufordern. Maßstab ist aber die vernünftige Verkehrsanschauung.
  • Eine Verkehrsauffassung dahin, dass es geboten ist, bei Innerortsfahrten auf einem Leichtkraftrad Schutzkleidung zu tragen, kann das Gericht nicht feststellen.
  • Insofern unterscheiden sich Leichtkrafträder von hochvolumigeren Motorrädern. Für hochvolumige Motorräder mag es eine Obliegenheit geben, Schutzkleidung zu tragen (OLG Brandenburg, Urteil vom 23.07.2009 – 12 U 29/09, juris Rn. 18, allerdings auch für Kleinkrafträder; LG Köln, Urteil vom 15.05.2013 – 18 O 148/08, juris Rn. 18 mit zustimmender Anmerkung von Wenker, jurisPR-VerkR 18/2013 Anm. 1; a.A. OLG Nürnberg, Beschluss vom 09.04.2013 – 3 U 1897/12 -, juris Rn. 20).

So weit, so gut. Nicht ganz folgen kann ich allerdings dem LG bei dem letzten von ihm angeführten Argument: „Das Gericht hält es aber für unzumutbar, einem Leichtkraftradfahrer gegenwärtig die Obliegenheit aufzuerlegen, bei Innerortsfahrten einen Schutzkombi zu tragen. Er würde Gefahr laufen, spöttische Bemerkungen wegen seines ungewöhnlichen Kleidungsstils zu erhalten. Insofern unterscheiden sich Leichtkraftradfahrer von Motorradfahrern. Unter Motorradfahrern ist es durchaus üblich, vollständige Schutzkleidung zu tragen. Es besteht nicht die Gefahr, sich höhnische Bemerkungen anzuhören. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass hochvolumige Motorräder höhere Geschwindigkeiten erlauben als Leichtkrafträder.“ Na, ob das ein Argument sein kann, wage ich zu bezweifeln.